Der Berlin-Rom-Wagen ist schwer einzuordnen. Denn Auftraggeber des Sportwagens waren die Arbeitsfront und die Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ (KdF). Sie bestellten im Konstruktionsbüro von Ferdinand Porsche den Volkswagen. So trägt der Sportwagen heute wahlweise die Namen VW Typ 60K10 oder Porsche Typ 64. So stellt sich die Frage, ob der Berlin-Rom-Wagen ein Volkswagen oder ein Porsche?
Motorsport spielte in der NS-Propaganda eine wichtige Rolle. Nach den Erfolgen von Mercedes-Benz und Auto Union in der Grand Prix-Europameisterschaft suchten die Machthaber gezielt nach einer Bühne für seriennahe Fahrzeuge. Das sollte die Überlegenheit der deutschen Autos demonstrieren. Als populär galt damals die seit 1931 ausgetragene Fernfahrt Lüttich–Rom–Lüttich. Nach dem Vorbild dieses auch „Marathon de la route“ genannten Rennens sollte im September 1939 eine Fernfahrt von Berlin nach Rom führen, um die Verbundenheit der Aschenmächte demonstrieren.
Der Zweite Weltkrieg verhinderte den Einsatz des Porsche Typ 64!
Die Verantwortlichen von Arbeitsfront und der Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ (KdF) beauftragten Ferdinand Porsche, das passende Auto zu bauen. Sein Konstruktionsbüro sollte auf der Basis des KdF-Wagens einen Sportwagen für diesen Wettbewerb konzipieren. Porsche nahm den Auftrag an und führte das Projekt als Porsche Typ 64. Es entstand eine aufregende Karosserie aus Aluminium. Dank dessen schnittiger Form reichten 40 PS für ein Tempo von 160 Kilometern pro Stunde. Mit einer extrem langen Übersetzung sind sogar bis zu 190 Kilometer pro Stunde drin.
Anders als geplant blieb der Berlin-Rom-Wagen ohne Renneinsatz. Denn statt Rennwagen nach Rom zu schicken, marschierte das Deutsche Reich in Polen ein. Die zwei fertiggestellten Autos und die Karosserie eines verunfallten Testträgers verblieben bei Porsche. Wobei Porsche den beschädigten Wagen abschrieb. Ab 1940 nutzte der Firmenchef und sein Sohn Ferry den Porsche Typ 64 regelmäßig im Alltag. Sie pendelten mit dem Berlin-Rom-Wagen vom Firmensitz in Stuttgart zur Baustelle des Volkswagenwerks bei Fallersleben und zurück. Als Porsche sein Konstruktionsbüro gegen Ende des Kriegs evakuierte, nahm er die Prototypen mit nach Gmünd.
Otto Mathé erwarb den Berlin-Rom-Wagen
Im österreichischen Exil beschädigten amerikanische Soldaten kurz nach Kriegsende eines der Fahrzeuge. Wie bereits das vor dem Zweiten Weltkrieg beschädigte Exemplar schrieb Porsche auch diesen Unfallwagen ab. 1947 restaurierte Porsche das verbliebene Fahrzeug. Dabei erhielt der Porsche Typ 64 wohl auch den Porsche-Schriftzug. Ein Jahr später nutzte Ferry Porsche das Vorkriegsfahrzeug zeitweise als Werbeträger für seinen neuen Porsche 356. Doch das blieb eine kurze Episode. Denn 1949 verkaufte Porsche das Auto und die Reste der beiden anderen Fahrzeuge an Otto Mathé.
Der 1907 im Zillertal geborene Mathé war in Österreich ein bekannter Motorsportler. Schon 1934 stürzte Mathé bei einem Motorradrennen in Graz schwer. Nach diesem Unfall blieb sein rechter Arm gelähmt. Trotzdem setzte der Österreicher nach dem Zweiten Weltkrieg seine Motorsport-Karriere im Auto fort. 1951 gewann Mathé mit dem Porsche Typ 64 seine Klasse bei der „Internationalen Alpenfahrt“. Zudem nutzte der Österreicher die Teile der zerstörten Autos zum Bau seines legendären Fetzenfliegers – eines Monoposto auf Porsche-Basis.
Mathé setzte den erhaltenen Porsche Typ 64 im Motorsport ein!
1952 sicherte sich Mathé den Titel des österreichischen Staatsmeisters. Damit bewies der Porsche Typ 64 eindrucksvoll sein Sportwagen-Potenzial. Angeblich versuchte Ferry Porsche fünf Jahre später, den Porsche Typ 64 zurückzukaufen. Doch Otto Mathé weigerte sich. Stattdessen führte der Österreicher seinen Porsche in den 1970er- und 1980er-Jahren regelmäßig bei historischen Motorsportveranstaltungen an. Es gibt Fotos vom Porsche Typ 64 am Nürburgring, auf dem Salzburgring sowie in Laguna Seca. Nach dem Tod von Mathé wird die Geschichte des Fahrzeugs unübersichtlich.
Ein KFZ-Betrieb aus Österreich wirbt damit, den Berlin-Rom-Wagen restauriert zu haben. Was auch immer das heißen soll. Denn ich hatte 2010 im Fahrerlager des AvD Oldtimer Grand Prix am Nürburgring die Möglichkeit, mir einen Porsche Typ 64 aus der Nähe anzusehen. Dabei machte der Berlin-Rom-Wagen nicht den besten Eindruck. Dem Sportwagen war seine Geschichte deutlich anzusehen. Offenbar erhielten die Restauratoren viel Substanz und schonten die ursprüngliche Patina des Klassikers. Oder die Restauration bestand nur aus einem lockeren „drüber wischen“.
Der Berlin-Rom-Wagen verfügt über eine Aerodynamik, die ihrer Zeit weit voraus war!
Für die Gestaltung der Karosserie des Berlin-Rom-Wagens war Erwin Komenda verantwortlich. Komenda dachte die von Paul Jaray erforschten Grundlagen von Stromlinien-Fahrzeugen eindrucksvoll weiter. Die aerodynamisch ausgefeilte Karosserie aus Aluminium verdeckt alle vier Räder. An der Innenseite der vorderen Radabdeckungen sind Rollen angebracht. So können die Räder die beweglich aufgehängten Abdeckungen bei starkem Lenkeinschlag nach außen drücken. Unter dem schmalen Dach befinden sich zwei schräg hintereinander versetzt angeordnete Sitzplätze. Theoretisch war der Berlin-Rom-Wagen danke dieser Karosserie bis zu 190 Kilometer pro Stunde schnell. Allerdings ist die dafür benötigte Getriebeübersetzung im normalen Fahrbetrieb viel zu lang. Porsche legte das Getriebe für eine Höchstgeschwindigkeit von 160 Kilometern pro Stunde aus.
Die Legende besagt, dass Ferdinand Porsche auf seinen Fahrten von der KdF-Fabrik bei Fallersleben nach Stuttgart mit dem Sportwagen eine Durchschnittsgeschwindigkeit von bis zu 137 Kilometern pro Stunde erreichte. Das wäre nicht schlecht für ein Auto unter dessen Blech viel Technik des Käfers steckt. Denn trotz der attraktiven Karosserie stammen die Radaufhängungen, das Getriebe und der Motor vom KdF-Wagen. Dank vergrößerter Ventile, zwei Solex-Fallstromvergaser und einer erhöhten Verdichtung leistet dieser 40 PS. Die Entwickler planten mit dem Porsche Typ 114 auch eine von Berlin-Rom-Wagen abgeleitete Mittelmotorvariante. Dafür plante Porsche den Einsatz eines wassergekühlten 1.493 ccm großen V10-Motor (72 Grad Zylinderwinkel) vor. Doch wegen des Zweiten Weltkriegs kam es dazu nicht.
VW Typ 60K10 = Porsche Typ 64?
Die Literatur kennt heute unterschiedliche Bezeichnungen für den Berlin-Rom-Wagen. Neben dem Namen Porsche Typ 64 ist auch vom „VW Typ 60K10“ die Rede. In der Tat ist der Sportwagen keiner der beiden Marke zu 100% zuzuordnen. Denn erst 1948 kommt mit dem Porsche 356 erstmals ein Porsche auf den Markt. Trotzdem sieht die Firma Porsche in dem 1939 gebauten Sportwagen gern einen Porsche. Übrigens nicht erst in der jüngeren Vergangenheit, denn schon 1951 hieß es in einem Rückblick auf das Motorsport-Jahr:
Damit kommt der Auftragsarbeit für die Arbeitsfront und die Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ (KdF) eine Sonderrolle zu. Andere Auftragsarbeiten des Konstruktionsbüros wie der Kübelwagen VW Typ 82 oder der Panzerkampfwagen VIII Maus bezeichnet heute niemand als Porsche. Getreu des Mottos „Wer zahlt, der bestimmt die Musik!“ tragen sie heute die Namen ihrer Auftraggeber. Andererseits verblieben die Berlin-Rom-Wagen im Besitz der Familie Porsche. Schon 1947 bestückte Ferry Porsche die Karosserie mit einem Porsche-Schriftzug. Mehr Porsche geht eigentlich nicht!
Technische Daten des Porsche Typ 64
Motor: | luftgekühlter (Gebläse) 4-Zylinder-Viertakt-Boxermotor im Heck |
Motorsteuerung: | zentrale untenliegende Nockenwelle (OHV-Ventilsteuerung) |
Hubraum/Leistung: | ca. 1100 cm³, 40 PS bei 3800/min |
Getriebe: | 4-Gang |
Radaufhängung: | vorne Kurbellängslenker, hinten Pendelachse |
Federung: | Drehstäbe |
Radstand/Spurweite: | Radstand 2400 mm, Spurweite vorne 1290, hinten 1250 mm |
Bereifung: | 5.25–16 Zoll |
Leergewicht ohne Fahrer: | 525 kg |
Höchstgeschwindigkeit: | je nach Übersetzung bis zu 190 km/h – aktuell mehr als 160 km/h |
Nachtrag 2014: Inzwischen haben die Käufer des Fetzenfliegers aus Teilen, die ebenfalls aus dem Nachlass von Otto Mathé stammen, einen zweiten Berlin-Rom-Wagen rekonstruieren lassen.