Meinung und Kommentar

Der planlose Reifenhändler vor Ort – wie Beratung im Internet nicht aussehen sollte!

Kürzlich stellte ich fest, dass eines unser Autos neue Reifen benötigt. Ich informierte mich und entschied mich für einen bestimmten Ganzjahresreifen. Doch der Weg, die Reifen auf die Felgen unseres Autos zu bekommen, war erstaunlich dornig. Denn der Reifenhändler vor Ort offenbarte letztlich nur, wie planlos viele stationäre Händler im Internet agieren.

Ich bin Auto-Blogger der ersten Stunde. Seit mehr als 20 Jahren entspricht die Domain meiner E-Mail-Adresse meinen Nachnamen. 1997 baute ich an einem der ersten deutschen Lebensmittel-Shops im Internet mit. Seither konzipiere und betreue ich kommerzielle Internet-Auftritte. Seit gut zwei Jahren helfe ich 9-to-5 Versicherungsvermittlern einer großen Versicherung, das Internet in ihr Geschäftsmodell zu integrieren. Denn ob Auto-Teile, Haushaltsgeräte oder Versicherungen das Netz spielt inzwischen bei einem Großteil aller Kaufentscheidungen eine Rolle.

„Research online, Purchase offline“ (ROPO oder zu Deutsch: „Online finden, im Geschäft kaufen“) ist Standard. Dabei spielt keine Rolle, ob es sich um Mitnahme-Artikel oder beratungsintensive Produkte handelt. Mögliche Kunden informieren sich vor dem Kauf im Netz. Einige interessiert, ob ein bestimmtes Produkt gerade verfügbar ist. Andere suchen nach Erfahrungsberichten oder vergleichen Preise. Wer sich als Unternehmen darauf nicht einstellt, der verliert – über kurz oder lang – den Anschluss.

Insofern bin ich privat ein typischer Internet-Nutzer!

Zunächst checkte ich, was der gewünschte Reifen bei den großen Online-Händlern kostet. Eine dieser Online-Plattformen lockte mit der Montage der Reifen in unserer Nachbarstadt Essen. Ich zählte zusammen und notierte mir, dass die Reifen dort insgesamt 340 Euro kosten. Doch Essen ist groß. Der Stützpunkt des Online-Händlers ist von uns aus nicht gut zu erreichen. Damit artet der „Reifenkauf“ in ein Halbtages-Projekt aus.

Deshalb rief ich die Webseite des lokalen Reifenhändlers auf. Denn der ist zwei Minuten von unserem Werkstatt-Atelier entfernt. Hier die Reifen zu kaufen, würde den Aufwand minimieren. Leider macht es dieser Händler dem ROPO-Nutzer alles andere als leicht. Ich fand keine Infos, ob der gewünschte Reifen vorrätig ist und was er in Gelsenkirchen kostet. Nur zu fünf ausgewählten Reifen nennt der lokale Reifenhändler Angebotspreise. Alle anderen Reifen-Preise gibt es hier auf Anfrage.

Auf dem Weg zu dieser Erkenntnis schaffte es die Webseite des Reifenhändlers, mich zu verwirren und vom rechten Weg abbiegen zu lassen. Denn einige Menüpunkte führten mich – überraschenderweise – in externe Online-Shops. Nicht vertrauensvoll wirkt, dass einer dieser Shops auf der Subdomain (name-des-reifenhändlers.irgendswas-ganz-anders.com) eines Großhändlers lief. Im ersten Shop fand ich Dachboxen und anders Autozubehör. In einem anderen Shop konnte ich Felgen konfigurieren.

Integration? Fehlanzeige!

Mal angenommen, ich hätte jetzt beispielsweise eine Dachbox und Felgen kaufen wollen, dann wären das zwei getrennte Vorgänge. Denn die Online-Shops des örtlichen Reifenhändlers sind – technisch betrachtet – getrennte Angebote. Sie verfügen über zwei getrennte Warenkörbe und zwei getrennte Abrechnungsmodelle. Mir war schnell klar, dass die Internet-Aktivitäten meines örtlichen Reifenhändlers konzeptlos zusammengestückeltes Stückwerk sind.

Den konzeptlosen Eindruck unterstreichen auch die Texte der Webseite. Ich lese etwas vom Familienunternehmen mit fast einer zweistelligen Anzahl von Zweigstellen. Das ist dem Reifenhändler offensichtlich so wichtig, dass er diese Eigenschaft auf der Startseite mit einem eigenen Button zentral herausstellt. Irgendwie ist das symptomatisch. Denn die Mehrzahl der potenziellen Kunden, die diese Webseite besuchen, dürften sich nicht für die „Menschen mit Profil“, die bei diesem Reifenhändler arbeiten, interessieren.

Deshalb versteckt Amazon die Infos zum Unternehmen in einem unscheinbaren Menü am Ende der Seite. Denn der Handelsriese weiß, dass der durchschnittliche Nutzer bei seinem Online-Besuch möglichst fix sein persönliches Ziel erreichen will. Ob ihm dabei ein Familienunternehmen oder ein Großkonzern hilft, das interessiert die Mehrzahl der Kunden (leider) nicht. Wer das nicht glaubt, kann „zum Spaß“ einfach seine nächsten realen Besucher fragen: „Soll ich Ihnen etwas über meine Produkte erzählen? Oder möchten Sie etwas über mein Unternehmen wissen?“

Die Antworten werden eindeutig ausfallen!

Und warum sollte das im Internet anders sein? Denn für die Mehrzahl der Online-Besucher sind nur der Preis und der Service wichtig. Gerade beim Service hat der lokale Handel – theoretisch – Vorteile. Deshalb würde ich als Verantwortlicher eines Reifenhändlers an dieser Stelle ansetzen. Mein Internet-Auftritt würde dem Kunden das ganze lieferbare Sortiment anzeigen. Wobei der Besucher zu jedem Reifen den Einzelpreis und den Preis inklusive Montage beim Kauf von zwei und vier Reifen finden würde.

Zudem würde ich bei der Darstellung eines Reifens eine Funktion zur Terminvereinbarung in den Mittelpunkt stellen. Apple zeigt bei der Terminvereinbarung für seine Service-Techniker in den Apple-Stores, wie einfach das sein kann. Kurzum, ich würde das reale Leben in die virtuelle Welt übertragen. Denn am Ende ist es im Internet genauso wie in einem Ladenlokal oder bei einem Telefonanruf: Nur der direkte Weg zum Ziel funktioniert! „Ich biete … das kostet … so geht es!“

Ich entschied mich für eine direkte Kommunikation mit dem Reifenhändler vor Ort!

Ich probierte also die Funktion zur Angebotsanfrage aus. Sie verspricht mir, die Erstellung eines Angebots durch einen Reifen-Experten. Denn das Unternehmen, so heißt es auf der Webseite, freue sich, mit mir zusammen die perfekten Reifen, Felgen und Zubehörteile für mein Fahrzeug zu finden. Gut, das mit dem Reifen hatte ich ja schon selbst erledigt. Aber die Idee, neue Reifen auf neue Felgen aufzuziehen, die fand ich sympathisch.

Ich füllte das Online-Formular mit Daten zu meinem Fahrzeug aus und schrieb:

Guten Morgen, ich interessiere mich für den Bridgestone Weather Control A005 inkl. Felgen für meinen Seat Leon ST. Was können Sie mir da anbieten? Mit freundlichen Grüßen T. Schwede

Fünf Stunden später erhielt ich eine Antwort:

Sehr geehrter Herr Schwede,

über Ihre Anfrage haben wir uns sehr gefreut. Wir haben Ihnen ein in Frage kommendes Angebot erstellt.
Das Angebot finden sie in der angehängten Datei. Es hat eine Gültigkeit von 14 Tagen. Wir haben das Angebot für Sie bei uns im System hinterlegt.
So können Sie sich jederzeit telefonisch oder per E-Mail mit der Auftragsbestätigung bei uns melden. Wir beginnen dann unverzüglich mit den Vorbereitungen auf Ihren Besuch bei uns!

In der Zwischenzeit stehen wir Ihnen gerne für Fragen jeglicher Zeit zur Verfügung

Mit freundlichen Grüßen
Firmenname Beratung

In der „Unterschrift“ stand tatsächlich „Firmenname Beratung“. Den Namen eines Ansprechpartners fand ich nicht. Das Unternehmen betont auf seiner Webseite, es sei ein Familienunternehmen. Damit entsteht beim Betrachter – gewiss beabsichtigt – ein Bild von Werten wie Nähe, Persönlichkeit und Verbindlichkeit. Mit dieser anonymen E-Mail reduzierte der Reifenhändler dieses Bild beim Erstkontakt auf eine Marketing-Hülle, die er in der Realität nicht füllt.

Beim Lesen des Angebots setzte sich das fort!

Denn der Inhalt des beigefügten PDF paßte nur entfernt zu meiner Anfrage. Statt vier Reifen und der passenden Felgen enthält das Angebot acht Reifen. Neben den vier Reifen von Bridgestone bot mir der Händler kommentarlos vier Reifen von Continental an. Die Intention ist klar, aber von einer Experten-Beratung erwarte ich mehr. Ein Satz, warum der „Experte“ bei seiner „Beratung“ jetzt diesen Reifen anbietet, würde helfen. Das kommentarlose Angebot eines Konkurrenzprodukts ist grober Unfug und hat mit Beratung nichts zu tun.

Angebot des Reifenhändlers vor Ort vom 12.12.2018
Angebot des Reifenhändlers vor Ort vom 12.12.2018

Dafür sehe ich in der E-Mail, dass der Reifenhändler einen Teil meines Klickpfads speichert. Die dafür notwendige Gestattung dürfte dem Händler auch bei einer wohlwollenden Betrachtung seiner Datenschutz-Erklärung nicht vorliegen. In Zeiten der DSGVO ist das ein großes Versäumnis. Aber bleiben wir beim Angebot. Natürlich war meine Anfrage zu den Felgen nicht präzise. Aber warum fragt die „Beratung“ in der E-Mail nicht, was ich mir vorstelle und erstellt anschließend ein 100% passendes Angebot?

Hier hat der „Reifen-Experte“ zwei Chancen verstreichen lassen, sich von seiner Online-Konkurrenz abzusetzen.

Doch es wurde noch besser, denn ich fragte nach:

Hallo,

Vielen Dank für das Angebot. Ich bin aber etwas irritiert. Denn ich hatte nach dem Bridgestone Ganzjahresreifen gefragt. Das Angebot listet 8 Reifen auf; neben dem Bridgestone auch noch einen Conti-Gummi-Reifen, der mich gar nicht interessiert. Felgen finde ich dafür nicht. …

Die Antwort darauf lies nicht lange auf sich warten:

Sehr geehrter Herr Schwede,

vielen Dank für Ihre Rückfrage.  Zusätzlich zu dem Bridgestone Reifen habe ich eine Alternative angeboten, die eventuell auch in Frage kommen könnte, falls dies nicht der Fall sein sollte, dann nicht dran stören. Die Felge wurde leider nicht gespeichert dies tut mir leid, gerne erstelle ich Ihnen ein neues Angebot. Teilen Sie mir dafür bitte eine ungefähre Vorstellung der Felge mit. Welche Farbe soll die Felge haben und wie soll die Felge ungefähr aussehen?

Mit freundlichen Grüßen
Firmenname Beratung

Auch diese E-Mail unterzeichnete die „Beratung“. Ich brach den Versuch, lokal zu kaufen, endgültig ab. Denn wenn der „Berater“ nicht merkt, dass seine Angebote unvollständig sind, sorgt das nicht für Vertrauen. Bei einem Unternehmen, das mit sicherheitsrelevanten Teilen wie Reifen handelt, macht mir das Angst! Zudem leidet bei dieser Mail die Glaubwürdigkeit des Anbieters. Denn warum konnte der Mitarbeiter beim ersten Mal Felgen aussuchen, stellt jetzt aber Fragen?

Vielen Dank für Nichts!

Ich habe die Reifen jetzt im Internet gekauft und werde die in der kommenden Woche in Essen aufziehen lassen. Denn der örtliche Reifenhändler hat mir am Ende nur Zeit geraubt.

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Als Kind der 1970er-Jahre hatte Tom das große Vergnügen, in einem ausgesprochen automobilen Umfeld aufzuwachsen. Das war der optimale Nährboden, um heute über Autos zu schreiben und regelmäßig am Mikrofon über Autos zu sprechen. Denn Tom Schwede moderiert seit 2010 bei großen Oldtimer- und Klassik-Veranstaltungen in Deutschland. So ist Tom unter anderem bei den Classic Days (früher Schloß Dyck, heute in Düsseldorf) oder dem 1.000 Kilometer-Rennen am Nürburgring zu hören. Wenn Sie also einen Moderator oder Streckensprecher für Ihre Oldtimer-Rallye oder Ihr Oldtimer-Treffen suchen, dann sind Sie bei Tom definitiv richtig!