Auto-Erinnerungen

Vor 35 Jahren präsentiert Daimler-Benz die Baureihe Mercedes-Benz W 124

Ende 1984 fuhr ich noch mit einer Java 25 durch die norddeutsche Tiefebene. Ich war noch nicht alt genug, um Auto zu fahren. Das Alter reichte nur für eine Mofa-Prüfbescheinigung. Trotzdem träumte ich von vier Rädern, hortete Auto-Zeitschriften und verschlang alles, was ich über Autos in die Finger bekam. Dazu gehörten auch die Berichte über das Debüt der Baureihe Mercedes-Benz W 124.

Mercedes-Benz W 124
Pressefoto zur Baureihe Mercedes-Benz W 124

Der Dezember 1984 wirkt heute im Rückblick wie eine Erinnerung an eine längst vergangene Zeit. Die Medien sind ein wunderbarer Spiegel dessen, was sich alles veränderte. Dieser Artikel erscheint im Internet und findet damit sicher seine Leser. Wer seinen Fernseher einschaltet, der kann zwischen fast 100 Kanälen wählen. Wen das Programm dieser Kanäle langweilt, der kann mit Hilfe von Amazon oder Netflix sein eigener Programmdirektor sein.

Vor 35 Jahren gab es im Fernsehen nur drei Programme. Wer im Grenzland wohnte, der konnte unter Umständen sein Programmangebot mit Sendern aus den Nachbarländern erweitern. Ich lernte so dänisch und unterhielt mich mit der Real-Satire des „DDR“-Programms. Am Kiosk oder im Zeitschriftenregal des Supermarkts um die Ecke buhlten zahlreiche Auto-Zeitschriften um die Aufmerksamkeit der Leser. Ich las damals „auto, motor und sport“. Die Klassenkameraden steuerten „Die Autozeitung“ und die „Mot“ bei.

Gemeinsam diskutierten wir auf dem Schulhof die Testergebnisse und Fahrberichte der unterschiedlichen Auto-Zeitschriften. Selbstverständlich kannten wir die technischen Daten auswendig. Teilweise weiß ich noch heute, dass der 230 E von Mercedes mit dem M 102 Motor über eine Leistung von 136 PS verfügte. Heute amüsieren die Erinnerungen an diese Zeit mich. Denn rückblickend betrachtet waren wir damals auf dem Schulhof Blinde, die von der Farbe schwärmten. Oder Eunuchen, die … aber lassen wir das!

Designentwicklung der Mercedes-Benz Baureihe W 124
Designentwicklung der Mercedes-Benz Baureihe W 124. Die Skizzen im Hintergrund zeigen, welche Entwürfe Daimler-Benz nicht realisierte. (Foto: Daimler AG)

Natürlich war in der Vorweihnachtszeit 1984 auch die damals neue obere Mittelklasse von Mercedes-Benz unser Thema. Ich weiß noch, wie mich die ersten Bilder der Baureihe Mercedes-Benz W 124 elektrisierten. Dabei spielte wohl auch eine Rolle, dass der (damsl) gute Stern auf allen Straßen bei uns zu Hause eine besondere Rolle spielte. Mein Opa, der meine Leidenschaft für Technik und Mobilität ganz wesentlich prägte, fuhr mehr als 60 Jahre Mercedes. Für ihn galt bei der Autowahl die Maxime „das Beste oder nichts!“.

Vor 35 Jahren war das ein 1980er 300D (W 123), den wir zusammen in der Mercedes-Niederlassung in Kiel abholten. Der 300D war eine automobile Trutzburg. Doch die Stuttgarter konnten auch anders. Das bewies seit 1979 die S-Klasse (W 126), die meine Tante zeitweise fuhr. Drei Jahre später folgt auch der 190er (W 201) der von der S-Klasse vorgegeben Stilrichtung. Ausgerecht die obere Mittelklasse, traditionell das Fundament der Daimler-Benz-Bilanz, sah damit alt aus.

Doch Mercedes-Kunden sind traditionell konservativ. Vermutlich störte die Mehrzahl der Käufer des W 123 das in den 1980er-Jahren langsam veraltete Design ihres Autos gar nicht. Schließlich war ein Auto von Mercedes damals immer auch die klare Ansage, dass der Besitzer zum Establishment gehört. Vertreter der Avantgarde fuhren damals lieber Saab, weil es bei Citroën längst keine chicen Autos mehr gab. Aufsteiger griffen auch zum BMW – wie einfach die Auto-Welt Ende der 1980er-Jahre doch war.

Der Mercedes-Benz W 124 veränderte alles!

Denn die Baureihe W 124 war optisch und technisch ein Quantensprung. Das stellte schon der erste Blick auf das vorgestellte Auto klar. Denn äußerlich unterschied sich der Neue deutlich von seinem Vorgänger. Während die 1975 vorgestellte Baureihe W 123 stets etwas barock wirkte, war ihr Nachfolger geradezu stylish. Die neue Karosserie war offensichtlich ein Kind des Windkanals. Das entsprach damals den Zeitgeist. Denn praktisch alle Hersteller strebten nach der Krone des Aerodynamik-Weltmeisters.

Mercedes-Benz W 124 im Windkanal
Mercedes-Benz Limousine der Baureihe 124 im Windkanal. Foto aus dem Jahr 1984. (Foto: Daimler AG)

Schon als 1977 das Lastenheft für die Baureihe W 124 entstand, gab der Vorstand von Daimler-Benz das Ziel vor. Der Neue sollte über einen Luftwiderstandsbeiwert von cW = 0,32 verfügen. Beim Vorgänger lag dieser Messwert noch bei cW = 0,44. Bei der Premiere der Baureihe W 124 verfügen die Fahrzeuge Ende 1984 je nach Motorisierung und Ausstattung tatsächlich über cW-Werte von 0,29 oder 0,30 – damit unterboten die Entwickler die Vorgabe des Vorstands klar!

Doch auch unter der Karossiere setzte der Neue Maßstäbe. Denn die Baureihe W 124 verfügte damals über die stabilste Fahrgastzelle seiner Klasse. Beides zusammen beeindruckte bei der Premiere vor 35 Jahren die Fachpresse. Wobei der Ort der Fahrveranstaltung gut gewählt war. Denn in der Nähe von Sevilla regnet es auch im November nur selten. Deshalb merkte damals keiner der anwesenden Kollegen, dass bei feuchtem Wetter gerne Wasser in den Kofferraum des MercedesBenz W 124 tröpfelt.

Das war ein Umstand, der meinen Großvater bei seinem Mercedes-Benz W 124 später ziemlich nerven sollte. Anfang 1985 startete in Deutschland die Auslieferung an die Kunden. Neben drei Dieselvarianten (200 D, 250 D und 300 D), einem 2-Liter-Vergasermotor (200) gab es zunächst vier Ottomotor-Typen mit Benzineinspritzung (200 E, 230 E, 260 E und 300 E). Daimler-Benz kannte damals seine Kunden und entwickelte die Motorenpalette in den kommenden Jahren kontinuierlich weiter.

Mercedes-Benz 500 E (W 124
Mercedes-Benz 500 E (W 124). Foto aus dem Jahr 1990. Mit dem 500 E wurde der Mercedes-Benz W 124 zur Hochleistungslimousine. (Foto: Daimler AG)

Beim Debüt hätte vermutlich niemand erwartet, dass es ab 1990 unter der Motorhaube des Mercedes-Benz W 124 auch Achtzylinder-Motoren gibt. Die Modelle 400 E und 500 E mit V8-Motoren galten zu ihrer Zeit als absolute Hochleistungslimousinen. In elf Jahren entstanden mehr als 2,2 Millionen Limousinen der Baureihe. Der Anteil der Achtzylinder dabei war verschwindend gering. Trotzdem beflügelten sie das Image der Baureihe. Denn mit ihnen war Mercedes nicht nur stylish, sondern cool!


Mit der Baureihe Mercedes-Benz W 124 stellte Daimler-Benz einen echten Langläufer auf die Räder. Von 1984 bis 1995 entstanden alleine 2.058.777 Limousinen der 124-Baureihe. Zusammen mit dem Kombi (340.503 Stück) sowie dem Coupé (141.498), Cabrio (33.968) und einigen Sonderversionen entstanden insgesamt 2.583.470 Exemplare der Baureihe W 124. Inzwischen rollen längst die ersten Exemplare der Baureihe mit H-Kennzeichen über unsere Straßen. Die Marktlage ist teilweise erstaunlich eng. Das dürfte daran liegen, dass die Fahrzeuge wie ihre Vorgänger auch im Ausland dankbare Abnehmer finden.


Infos zum Titelbild dieses Beitrags:
Pressefoto zur Baureihe Mercedes-Benz W 124

Foto: Daimler AG

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Als Kind der 1970er-Jahre hatte Tom das große Vergnügen, in einem ausgesprochen automobilen Umfeld aufzuwachsen. Das war der optimale Nährboden, um heute über Autos zu schreiben und regelmäßig am Mikrofon über Autos zu sprechen. Denn Tom Schwede moderiert seit 2010 bei großen Oldtimer- und Klassik-Veranstaltungen in Deutschland. So ist Tom unter anderem bei den Classic Days (früher Schloß Dyck, heute in Düsseldorf) oder dem 1.000 Kilometer-Rennen am Nürburgring zu hören. Wenn Sie also einen Moderator oder Streckensprecher für Ihre Oldtimer-Rallye oder Ihr Oldtimer-Treffen suchen, dann sind Sie bei Tom definitiv richtig!