Rennsport-Geschichten

Wie Christie’s 1981 die Reste von B.R.M. versteigerte

Durch Zufall fand ich kürzlich beim Surfen im Internet Hinweise auf eine Auktion in London. Dort versteigerte Christie’s 1981 die Reste des Rennstalls British Racing Motors (B.R.M.). Das fand ich spannend. Deshalb begann ich, mich mehr mit diesem Thema zu beschäftigen. Inzwischen liegt dank Karla der originale Katalog der damaligen Auktion vor mir auf dem Schreibtisch.

Broschüre zur B.R.M Collection
Broschüre zur B.R.M Collection, die 1981 versteigert wurde. Damals kamen die Reste des Teams unter den Hammer.

Manchmal sind es die Zufälle, die Themen an die Decke spülen, die dir wenige Minuten zuvor noch völlig unbekannt waren. Vor ein paar Wochen stöberte ich im öffentlichen Archiv des SPIEGEL. Das Nachrichtenmagazin bietet auf seiner Webseite kostenfrei die Möglichkeit, alte Ausgaben zu durchsuchen. Gerade bei Wirtschaftsthemen war das schon oft eine gute Quelle, um Hintergründe von Entwicklungen in der Autoindustrie heute nachzuvollziehen. Auch Input für Motorsport-Themen fand ich schon in diesem Archiv. Denn zumindest die Formel 1 war über die Jahre immer wieder ein Thema für den SPIEGEL.

Mein Auktionskatalog zur Versteigerung der Reste von B.R.M. ist vollständig. Selbst die Eintrittskarten sind erhalten. Doch mich interessiert noch mehr der Inhalt.
Mein Auktionskatalog zur Versteigerung der Reste von B.R.M. ist vollständig. Selbst die Eintrittskarten sind erhalten. Doch mich interessiert noch mehr der Inhalt.

Wobei das immer meinungsstarke Nachrichtenmagazin besonders in den 1970er und 1980er-Jahren gern darauf verwies, dass in der Formel 1 nur Verrückte und Selbstmörder starten. Zudem hielt das Blatt offensichtlich wenig von den damals in der Königsklasse aktiven Deutschen. Denn das Zitat von Bernie Ecclestone, der einmal sagte, dass die Abschlepperfahrer in den Auslaufzonen der Rennstrecken Deutsch lernen sollten, zieht sich über Jahre durch die Artikel. Oft gespickt mit dem Hinweis, dass der letzte Deutsche mit Weltniveau, der in der Königsklasse startete, bereits 1961 in Monza in den Tod gerast sei.

„Rennwagen unter dem Hammer“

Beim Stöbern in diesem Archiv fand ich in einer SPIEGEL-Ausgabe vom September 1981 zufällig die Schlagzeile „Rennwagen unter dem Hammer“. Auf seinen „bunten Seiten“ am Ende des Hefts wies der SPIEGEL seine Leser auf eine Versteigerung in London hin. Dort würde, so hieß es 1981, das Auktionshaus Christie’s Ende Oktober die Reste des britischen Rennstalls British Racing Motors (B.R.M.) versteigern. Ich war sofort „Feuer und Flamme“. Denn die Geschichte von B.R.M. fasziniert mich schon länger.

Ich wusste, dass der Rennfahrer Raymond Mays und der Ingenieur Peter Berthon 1947 die Gründung des Rennstalls initiierten. Sie wollten mit dem Rennstall nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Leistungsfähigkeit der britischen Industrie ins Schaufenster der Welt stellen. Rund 100 Firmen beteiligten sich an den Kosten des Projekts, zu dessen Finanzierung der „British Racing Motor Research Trust“ entstand. Diese Stiftung übernahm die Finanzierung des Rennstalls, der 1949 seinen ersten Rennwagen vorstellte.

Vorwort von Jackie Stewart im Auktionskatalog von Christie's zur Versteigerung der B.R.M. Collection 1981
Vorwort von Jackie Stewart im Auktionskatalog von Christie’s zur Versteigerung der B.R.M. Collection 1981

Dieser B.R.M. P15 war ein widersprüchliches Auto. Denn bei Fahrwerk und Karosserie orientierte sich das Team an den Standards der Vorkriegsrennwagen. Beim Antrieb vertraute B.R.M. jedoch auf einen Sechzehnzylinder-V-Motor mit 1,5 Liter Hubraum und Kompressoraufladung. Dieser komplexe Motor kam nie richtig ins Laufen. Gleichzeitig verschlang die Entwicklung viel Geld. Bereits 1952 war das Geld der Stiftung weitestgehend verbraucht. Neues Geld floss nicht, weil die Öffentlichkeit das Projekt dank ausbleibender Erfolge inzwischen zunehmend kritisch sah.

Denn selbst Weltmeister Juan Manuel Fangio, der 1981 wie Jackie Stewart ein Vorwort zu dem Auktionskatalog beisteuerte, konnte mit dem unzuverlässigen Rennwagen keine Erfolge feiern. Als das ursprünglich eingesammelte Geld aufgebraucht war, übernahm Rubery Owen das Team. Damit wurde aus B.R.M. formal die „Owen Racing Organisation“. Erst 1955 kehrte B.R.M. mit einem neuen eigenen Rennwagen P25 auf die Bühne der Weltmeisterschaft zurück. Doch auch der P25 war zunächst kein Erfolgsmodell. Erst 1958 gewann das Team die ersten WM-Punkte. Ein Jahr später fuhr Jo Bonnier als Erster mit einem B.R.M. zum Grand Prix Sieg.

1981 verkaufte Christie’s alles, was noch da war!

Der Blick in den Auktionskatalog von 1981 dokumentiert diese Entwicklung. Tatsächlich bot Christie’s damals einen P15 an, den gut 30 Jahre zuvor auch Juan Manuel Fangio fuhr. Denn zu allen angebotenen Autos listet der Auktionskatalog penibel die Rennen auf und nennt die Fahrer, die dabei das jeweilige Auto bewegten. Daneben finden sich in dem Katalog weitere Rennwagen aus unterschiedlichen Epochen sowie viele dazu passende Ersatzteile wie Motoren oder Getriebe. Auch hier wird deutlich, wie ambitioniert das Projekt war. Mit dem ersten Sieg bei einem Grand Prix erreichte B.R.M. einen Meilenstein, der Teambesitzer Sir Alfred Owen vom Weitermachen überzeugte.

Um seinen Einfluss im Team zu stärken, band Owen Anfang der 1960er-Jahre seinen Schwager Louis Stanley in die Teamleistung ein. Auch dies wird beim Blick in den Auktionskatalog deutlich. Denn Bestandteil der Auktion war auch die offenbar umfangreich erhaltene Korrespondenz, die Louis Stanley im Namen der Owen Racing Organisation führte. Ich bin sicher, dass diese Unterlagen heute noch für Historiker interessant wären. Denn Stanley führte nicht nur das Tagesgeschäft des Teams, sondern fand auch noch Zeit, sich um die Sicherheit an den Rennstrecken zu kümmern.

Auch ein Exemplar des B.R.M. H16 Motors gehörte 1981 zum Angebot bei Christie's.
Auch ein Exemplar des B.R.M. H16 Motors gehörte 1981 zum Angebot bei Christie’s.

Gemeinsam mit Alfred Owen führte Louis Stanley B.R.M. endgültig in den Kreis der Topteams. 1962 gelang B.R.M. der Gewinn der Konstrukteursmeisterschaft. Gleichzeitig sicherte sich Graham Hill mit dem B.R.M. P57 den Fahrertitel. Auch einer der Rennwagen, die gut 20 Jahre zuvor für den absoluten Hochpunkt der Firmengeschichte sorgte, kam 1981 in London unter den Hammer. Offenbar hielt die Familie Owen auch im Niedergang vieles zusammen, was das Team ausmachte.

Denn den Gewinn der Weltmeisterschaften konnte B.R.M. nie wiederholen. Im Gegenteil, nach dem fast 15 Jahre währenden Aufstieg auf den Gipfel des Motorsports folgte ein fast genauso lange währender Abstieg. Doch davon war 1962/63 noch nichts zu spüren. Im Gegenteil, die Owen Racing Organisation war in diesen Jahren ausgesprochen gut im Geschäft.

Typisch für die Rennwagen von B.R.M.war eine in Orange lackierte Banderole an der Front. Beim Modell P139 lackierte das Team erstmals die Frontflügel in dieser Farbe.
Typisch für die Rennwagen von B.R.M.war eine in Orange lackierte Banderole an der Front. Beim Modell P139 lackierte das Team erstmals die Frontflügel in dieser Farbe.

Nach dem Gewinn der Titel in der Königsklasse des Motorsports galt B.R.M. endlich als britische Antwort auf Ferrari. Anders als die britischen Konkurrenten Brabham, Cooper oder Lotus baute das Team ganze Fahrzeuge. Zum Geschäftsmodell von Alfred Owen gehörte es auch, Motoren zu verkaufen. Das gelang besonders von 1961 bis 1965, als die Königsklasse mit 1,5 Litern großen Saugmotoren antrat.

In dieser Ära lieferte sich B.R.M. teilweise einen harten Wettbewerb mit Coventry Climax. Zeitweise trat mehr als die Hälfte des Felds in der Formel 1 entweder mit Motoren von B.R.M. oder von Climax an. Das überrascht im Rückblick auch, weil B.R.M. 1961 kurz selbst mit Motoren von Climax antrat. Daneben baute das Team einen Sportwagen, der mit einer Gasturbine von Rover 1963 und 1965 in Le Mans antrat. Möglicherweise war das alles etwas zu viel für die Owen Racing Organisation. Denn trotz aller Anstrengungen gelang es B.R.M. nicht, in der Königsklasse weitere Titel einzufahren.

Von 1963 bis 1965 war B.R.M. zwar für Grand-Prix-Siege gut, in den Meisterschaften waren Spitzenpilot Graham Hill und das Team jedoch auf zweite Plätze abonniert. Mit der Einführung der 3,0-Liter-Motoren Anfang 1966 fiel B.R.M. ins Mittelfeld zurück. Der ambitionierte H16-Motor funktionierte nie wie gewünscht und verschlang erneut viel Geld. Erst als das Team einen neuen V12 konstruierte, besserte sich die Lage etwas.

B.R.M. P142 – die verpasste Wing Car Revolution!

Im Rückblick fällt auf, dass das Team immer wieder gute Ideen hatte, diese jedoch nicht zu Ende brachte. Denn bereits 1969 testete B.R.M. im Windkanal des Imperial College in London ein Auto, das die Idee des Wing Cars gut zehn Jahre vorwegnahm. Doch der B.R.M. P142, der auf eine Idee von B.R.M.-Mitarbeiter Peter Wright zurückging, durfte nie auf einer Rennstrecke rollen. Politische Reibereien, an denen auch der damalige Pilot John Surtees eine Rolle spielte, verhinderten die Fertigstellung des ersten Wing Cars.

Nach dem Alfred Owen und Louis Stanley die Einstellung des Projekts B.R.M. P142 verfügten, verließen Wright und sein Vorgesetzter Tony Rudd gemeinsam das Team. Nach einer Station bei einem Zulieferer landeten beide bei Lotus. Der Rest ist Geschichte. Denn dort revolutionierten Peter Wright und Tony Rudd mit der bei B.R.M. ersonnenen Idee in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre die Königsklasse des Motorsports. Interessanterweise zu einem Zeitpunkt, als ihr ehemaliger Arbeitgeber längst seinen finalen Überlebenskampf führte.

Der Abstieg von B.R.M. war nicht aufzuhalten!

Denn auch als B.R.M. den ambitionierten H16 durch einen konventionellen V12 ersetzte, gelang es dem Team nicht, an die Spitze des Felds zurückzukehren. Wieder besteht der Eindruck, dass das Team sich verzettelte. Denn parallel zu den Formel-1-Rennwagen entstanden für die CanAm-Serie in den Nordamerika die Sportwagen B.R.M. P154 und P167. Wie schon in Le Mans ein paar Jahre zuvor, trieb auch diesen Sportwagen kein eigener Motor an. Stattdessen vertraute auch B.R.M. in der CanAm-Serie auf einen amerikanischen V8 von Chevrolet.

Mit dem B.R.M. P153 beendete Pedro Rodríguez eine Durststrecke von vier Jahren ohne Grand Prix Sieg. 1981 bot Christie's in London auch einen P153 an.
Mit dem B.R.M. P153 beendete Pedro Rodríguez eine Durststrecke von vier Jahren ohne Grand Prix Sieg. 1981 bot Christie’s in London auch einen P153 an.

Doch letztlich war die CanAm-Serie nur ein Nebenkriegsschauplatz. Das Hauptgeschäft blieb die Königsklasse des Motorsports. Anfang der 1970er-Jahre gelang es dem Team dort immerhin wieder, Grand Prix zu gewinnen. 1970 siegte Pedro Rodríguez im B.R.M. beim Großen Preis von Belgien. Ein Jahr später fuhren Jo Siffert in Österreich und Peter Gethin in Monza zum Erfolg. 1972 folgte eine Durststrecke ohne Sieg, bevor sich 1973 in Monaco mit Jean-Pierre Beltoise letztmals ein Pilot von B.R.M. den Siegerkranz bei einem WM-Rennen überstreifen ließ.

Louis Stanley gelang es, neue Geldquellen zu erschließen. Mit dem Kosmetikhersteller Yardley (1970/71) und der Zigarettenmarke Marlboro (1972/73) warben zahlungskräftige Sponsoren auf den Rennwagen des Teams. Doch je länger der Erfolg ausblieb, um so schwieriger wurde es, lukrative Werbeverträge an Land zu ziehen. Nach dem Tod von Firmenbesitzer Alfred Owen war B.R.M. 1975 insolvent. Louis Stanley übernahm das gesamte Material des Teams und wagte unter dem Namen Stanley-BRM einen Neubeginn.

Auch ein später B.R.M. P160 von 1974 gehörte 1981 bei Christie's in London zum Angebot
Auch ein später B.R.M. P160 von 1974 gehörte 1981 bei Christie’s in London zum Angebot

Doch mit dem übergewichtigen P201 und dem veralteten V12 war endgültig kein Land mehr zu gewinnen. 1976 pausierte das Team, um anschließend nochmals für ein Jahr in die Formel 1 zurückzukehren. Doch auch das Comeback scheiterte. Denn der „neue“ P207 war im Vergleich zum Vorgänger P201 kein Fortschritt. Bei acht Anläufen, sich für das Rennen zu qualifizieren, gelang nur einmal der Sprung ins Fahrerfeld. Ende 1976 zog Louis Stanley das Team endgültig aus der Formel-1-Weltmeisterschaft zurück.

1979 misslang der Versuch eines Neustarts in der britischen Aurora-AFX-Formel-1-Serie. Obwohl auch dafür mit dem P230 nochmals ein Rennwagen entstand. 1981 folgte der endgültige Schlussstrich. Christie’s versteigerte alles, was noch da war. Der Auktionskatalog, der dank Karla inzwischen vor mir auf dem Schreibtisch liegt, ist somit ein interessantes Stück Zeitgeschichte. Die teilweise umfangreichen Beschreibungen zu den Auktionslosen lassen den Kenner heute im Schnelldurchlauf die wichtigsten Eckpunkte der Geschichte von B.R.M. passieren.


Infos zum Titelbild dieses Beitrags:
Broschüre zur B.R.M Collection

Foto: Archiv AutoNatives.de

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Als Kind der 1970er-Jahre hatte Tom das große Vergnügen, in einem ausgesprochen automobilen Umfeld aufzuwachsen. Das war der optimale Nährboden, um heute über Autos zu schreiben und regelmäßig am Mikrofon über Autos zu sprechen. Denn Tom Schwede moderiert seit 2010 bei großen Oldtimer- und Klassik-Veranstaltungen in Deutschland. So ist Tom unter anderem bei den Classic Days (früher Schloß Dyck, heute in Düsseldorf) oder dem 1.000 Kilometer-Rennen am Nürburgring zu hören. Wenn Sie also einen Moderator oder Streckensprecher für Ihre Oldtimer-Rallye oder Ihr Oldtimer-Treffen suchen, dann sind Sie bei Tom definitiv richtig!