125 Jahre „1000 Miles Trial“ – Als das Automobil laufen lernte
Vor genau 125 Jahren brach eine ungewöhnliche Karawane in London auf: 65 Automobile – dröhnend, rußend und noch von fragwürdiger Zuverlässigkeit – machten sich auf den Weg, 1.000 Meilen durch Großbritannien zurückzulegen. Der „One Thousand Miles Trial“ war ein Meilenstein der Mobilitätsgeschichte – und doch ist er heute weitgehend vergessen.
Den London to Brighton Veteran Car Run kennen viele Oldtimer-Freunde. Jedes Jahr im November erinnert ein bunter Zug betagter Fahrzeuge an den „Emancipation Run“ von 1896 – jenen historischen Moment, als Pferdestärken erstmals ungebremst auf freier Strecke entfesselt wurden. Damals fiel das Tempolimit, und Großbritannien öffnete sich zögerlich dem neuen Zeitalter. Doch es war nicht jener symbolträchtige Run nach Brighton, sondern der „1000 Miles Trial“ von 1900, der das Automobil im ganzen Land sichtbar machte – nicht als Kuriosität, sondern als technische Möglichkeit, als Versprechen der Zukunft.
Eine rollende Kampagne für das Automobil
Und so rollte vier Jahre nach der Emancipation eine von Enthusiasmus getragene Idee durch Englands Städte, begleitet vom Staunen der Massen. Denn am 23. April 1900 versammelten sich 65 Fahrzeuge und ihre Piloten am Londoner Hyde Park Corner, um zu einer Reise aufzubrechen, die man heute wohl als medienwirksames Großevent bezeichnen würde. Organisiert vom damaligen „Automobile Club of Great Britain and Ireland” – dem Vorläufer des heutigen Royal Automobile Club – führte die Route in elf Etappen über Bristol, Birmingham, Manchester und Edinburgh bis nach Newcastle – und zurück.
Diese technische Prozession wurde zum gesellschaftlichen Ereignis. An den Straßen drängten sich tausende Schaulustige, oft musste die Polizei den Weg freihalten. Für viele war es die erste Begegnung mit einer fahrenden Maschine, die kein Pferd brauchte. Zwischen Euphorie und Skepsis beobachteten sie die Wagen – als stammten sie aus einer Zukunft, die niemand bestellt hatte, die nun aber unaufhaltsam näher rückte. Und nebenbei brachte der „1000 Miles Trial“ einige heute berühmte Namen auf die staubige Strecke.
Zumindest zwei überlebende Autos erzählen heute ihre Geschichte!
Denn unter den Teilnehmern fanden sich Persönlichkeiten, die später in die Geschichtsbücher der Mobilität eingehen sollten. So steuerte Charles Stewart Rolls einen 12-PS-Panhard – wenige Jahre bevor er gemeinsam mit Henry Royce eine Marke gründete, deren Ruf bis heute ungebrochen ist. Auch John Douglas-Scott-Montagu, späterer Vater des National Motor Museum, war dabei. Die Namen dieser Männer verbinden sich mit der Transformation des Automobils vom Spielzeug der Reichen zum Motor der Moderne.
Von den 65 Fahrzeugen des „One Thousand Miles Trial“ sind heute nur zwei erhalten. Sie sind Zeugen einer bewegten Epoche. Einer davon ist der Daimler 12 hp, den einst der Ingenieur, Parlamentarier und Auto-Enthusiast John Montagu steuerte. Das Fahrzeug ist heute Teil der Sammlung im National Motor Museum im südenglischen Beaulieu. Montagu, Jahrgang 1866, war ein Pionier der Mobilität – bereits mit 32 Jahren besaß der Adelige ein eigenes Automobil. Zwei Jahre nach der legendären Fernfahrt gründete er mit The Car Illustrated die erste britische Zeitschrift, die sich ausschließlich dem Automobil widmete.
OWL fliegt bis heute
Nicht weniger bemerkenswert ist das zweite erhaltene Fahrzeug: eine charmante Wolseley 3½ hp Voiturette, liebevoll „OWL“ genannt – nach ihrem Kennzeichen. Ihr Lenker war kein Geringerer als Herbert Austin, der spätere Gründer der Austin Motor Company. Mit OWL gewann er beim Trial seine Klasse. Der Wolseley war das erste vierrädrige Automobil, das Austin konstruierte – und damit gewissermaßen der Urknall seiner Karriere. Wer heute durch Birmingham fährt, begegnet seinen Spuren auf Schritt und Tritt.
Die kleine OWL hat seither mehr erlebt als viele moderne Fahrzeuge. Heute gehört sie zur Sammlung des British Motor Museum in Gaydon. Doch sie ist mehr als ein Ausstellungsstück: Bereits 39-mal schickte das Museum sie als rollende Botschafterin zum London to Brighton Run – ein beachtliches Pensum für ein Fahrzeug, das ursprünglich auf matschigen Kutschwegen des viktorianischen Englands unterwegs war. Auch im kommenden November soll OWL wieder an der Spitze des Feldes stehen – vor mehr als 400 weiteren Veteranen.
Ein Triumph der Technik
Von den 65 Fahrzeugen, die vor 125 Jahren zum „One Thousand Miles Trial“ antraten, erreichten 51 das entfernte Edinburgh. 35 kehrten zurück nach London. Unterwegs mussten sich die Fahrer vier Bergprüfungen stellen – in Taddington, Shap Fell, Dunmail Raise und Birkhill. Ein echter Härtetest, den Charles Stewart Rolls als Gesamtsieger beendete. Als Anerkennung erhielt er die vom Zeitungsverleger Alfred Harmsworth (Daily Mail) gestiftete Goldmedaille – ein glänzendes Symbol für eine noch junge, aber wachsende Faszination.
Die wichtigsten Fragen zum „1000 Miles Trial“:
Wann fand der „1000 Miles Trial“ statt?
Der „1000 Miles Trial“ fand vom 23. April bis zum 12. May 1900 statt.
Wer war der Initiator des Wettbewerbs?
Als Initiator des „1000 Miles Trial“ gilt Claude Johnson, der Geschäftsführer des damaligen „Automobile Club of Great Britain & Ireland” (ACGB&I) – einem Vorläufer des heutigen „Royal Automobile Club” (RAC). Johnson ersann die Idee zusammen mit seinen engen Freunden Charles Stewart Rolls und John Douglas-Scott-Montagu. Mit dem Verleger Alfred Harmsworth fand Johnson einen Geldgeber für das Projekt. Johnson, Rolls und Montagu traten alle selbst in der Wertung der Privatfahrer an. Harmsworth überließ seinen Daimler Sir Hercules R. Langrishe, einem weiteren Freund der Initiatoren.
Wie viele Teilnehmer stellten sich dem „1000 Miles Trial“?
Insgesamt gaben 83 Fahrzeugeigner eine Nennung für den Wettbewerb ab. 65 von Ihnen nahmen tatsächlich die Fahrt auf. In Edinburgh kamen 51 der fahrzeuge an. Das Ziel in London erreichten noch 35 Fahrzeuge. Der Großteil der Teilnehmer nahm in der Wertung der Werksteams teil. Hier finden sich Marken wie Benz, Ariel, Locomobile, MMC, De Dion, Gladiator, Napier, Endurance, Orient Express, Simms Motor Wheel, Lanchester, Brown-Whitney, Marshall, Deschamp, Peugeot, New Orleans, Eureka, Triumph, Decauville, Daimler, Century, Wolseley, International, LMV, S. S. Motor Co, Georges Richard, Star sowie Roots and Venables. Unter den Privatfahrern waren vor allem Fahrzeuge von Panhard und Daimler beliebt.
Wie verlief die Strecke?
Die Strecke führe von London nach Bristol, Birmingham, Derby, Manchester, Kendal, Carlisle, Edinburgh, Newcastle, York, Leeds, Sheffield, Lincoln, Nottingham, Leicester, Northampton zurück nach London. Start und Ziel war am Grosvenor Place und der Hyde Park Corner im Herzen von London – in unmittelbarer des Buckingham Palace.
- Etappe: London, Bath nach Bristol – Strecke 118 Meilen
- Etappe: Bristol, Gloucester, Worcester nach Birmingham – Strecke 43 Meilen
- Etappe: Birmingham, Derby, Matlock, Buxton nach Manchester – Strecke 49,5 Meilen, dazu kam eine Wertungsprüfung (Bergrennen) in Taddington über 2,5 Meilen
- Etappe: Manchester, Preston to Kendal – Strecke 73,75 Meilen, dazu kam optional eine Wertungsprüfung (Bergrennen) in Shap Fell über 7,5 Meilen
- Etappe: Kendal, Keswick to Carlisle – Strecke 61,5Meilen
- Etappe: Carlisle, Peebles to Edinburgh – Strecke 100 Meilen, dazu kam ein Bergrennen in Dunmail Rise über 1,75 Meilen
- Etappe: Edinburgh, Berwick to Newcastle – Strecke 121,5 Meilen
- Etappe: Newcastle, Durham, York to Leeds – Strecke 103 Meilen
- Etappe:, Harrogate, Bradford to Sheffield – Strecke 74 Meilen
- Etappe: Sheffield, Welbeck, Park, Lincoln, Nottingham – Strecke 82,25 Meilen
- Etappe: Nottingham, Leicester, Northampton, St. Albans, London (Marble Arch) – Strecke 122,75 Meilen
Wie wird heute an den „1000 Miles Trial“ erinnert?
Zum 125-Jährigen Jubiläum des „1000 Miles Trial“ wird der Royal Automobile Club am Mittwoch, den 9. Juli 2025 eine Gedenkveranstaltung in Woodcote Park, Surrey durchführen.
Wir danken den Organisatoren des London to Brighton Veteran Car Run für die Bereitstellung der Fotos.
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