70 Jahre Aston Martin in Newport Pagnell, wie ein Dorf zum Gentleman wurde
Wer an Aston Martin denkt, der landet schnell bei James Bond, auf den Bahamas oder in den Schweizer Alpen. Auch London oder Gaydon, wenn es um jüngere Aston Martin geht, schießen unweigerlich in den Kopf. Dabei spielt seit 70 Jahren das beschauliche Newport Pagnell eine wesentliche Rolle im Kosmos der Marke Aston Martin.
Die Liaison der Marke Aston Martin mit dem kleinen Ort in Buckinghamshire begann Mitte der 1950er-Jahre. Sie war das Ergebnis dessen, was entsteht, wenn sich britischer Erfindergeist, handwerkliche Perfektion und ein gutes Stück Dickköpfigkeit miteinander kombinieren. David Brown war seit seinem 29. Lebensjahr Geschäftsführer des von seinem Großvater gegründeten Maschinenbau-Unternehmens. Sechs Jahre später begann die David Brown Gear Company Ltd. mit dem Bau von Traktoren.
Kaufrausch auf Britisch – plötzlich besaß David Brown zwei Autohersteller
1946/47 übernahm Brown die Automobilhersteller Aston Martin und Lagonda. Das war zu einer Zeit als Sportwagen noch nach Öl rochen, nicht nach Algorithmen. Aston Martin war zu dieser Zeit seit gut 20 Jahren in Feltham, Middlesex zu Hause. Eigner Gordon Sutherland bot die Aston Martin Motors Ltd. in einer Zeitungsanzeige an. Brown zahlte £20.000 und besaß einen Autohersteller. Etwas zeitgleich war Lagonda insolvent. So erwarb Brown für £52.250 alle Rechte am Namen Lagonda und den dort entstandenen Konstruktionen.
Brown interessierte sich vor allem für Lagondas, von Walter Owen Bentley konstruierten, Reihensechszylindermotor. Denn Aston Martin besaß nur einen veralteten Vierzylinder. Da Brown die Werkshallen in Staines-upon-Thames nicht übernehmen konnte, begab er sich auf die Suche nach einem neuen Standort, um beide Marken unter einem Dach führen zu können. Denn das bisherige Aston Martin-Werk in Feltham erschien dem Unternehmer zu klein und damit zu wenig zukunftsfähig.
Vom Maßanzug auf Rädern zur Legende mit Stil
Die Lösung bot ein Unternehmen, das Brown bereits kannte: Tickford Ltd. Die Wurzel des Karosseriebauers reichen bis ins Jahr 1820 zurück. Ab den 1930er-Jahren war Tickford ein typischer Coachbuilder, baute Karosserien in Handarbeit – maßgeschneidert für das jeweilige Fahrgestell und die Wünsche des Kunden. In den 1930er-Jahren gab es Lagonda, Rolls-Royce und Bentley mit Tickford-Karosserie. Viele von ihnen waren ein „Tickford Drophead Coupé“ – trugen ein Klappdach-Cabriolet mit aufwendig konstruiertem, gefüttertem Verdeck.
Am Sitz des Karosseriebauers in der Tickford Street war genügen Platz – so wurden sich die Beteiligten bald einig. 1955 war es so weit: Aus Tickford Coachworks wurde eine vollwertige Aston-Martin-Fabrik. Die Produktion startete mit dem DB2/4 Mk II – ein Auto wie ein Maßanzug, von Hand gefertigt, mit Charakter und Charme. Es war der Auftakt zu einem goldenen Zeitalter. Denn was folgte, liest sich wie das Who’s Who der Aston-Martin-Geschichte: DB4, DB5, DB6, DBS, V8 – allesamt Ikonen mit DNA aus Newport Pagnell.
Wer Aston liebt, lässt ihn hier streicheln!
Mit ihnen wurde der Ort in Buckinghamshire zum Synonym für britisches Understatement auf vier Rädern, für leise Eleganz mit einem Hauch Bond’scher Abenteuerlust. Denn natürlich rollte auch der berühmte silberne DB5, der als Fahrzeug von 007 Filmgeschichte schrieb, in Newport Pagnell vom Band. Und gegenüber der Hauptfabrik entstand kurze Zeit später der sogenannte „Works Service“ – Aston Martins hauseigene Serviceabteilung. Wer sein Auto nicht nur fahren, sondern pflegen ließ wie ein wertvolles Erbstück, der war hier richtig.
Mit dem Umzug der Serienproduktion nach Gaydon in Warwickshire im Jahr 2007 verlor Newport Pagnell zwar seinen Status als Hauptwerk, aber keineswegs seine Bedeutung. Im Gegenteil: Das Gelände wurde zur Hochburg für Restaurierung und Individualisierung. Heute heißt der Bereich schlicht „Aston Martin Works“ – und wer hier arbeitet, versteht sich als Bewahrer einer automobilen Kultur, die längst zum Weltkulturerbe erklärt gehört (wenn es nach uns geht). Newport Pagnell mag heute wie ein verschlafenes Städtchen wirken, doch es bleibt der Nabel der Aston-Martin-Welt.
Alte Meister, neue Meisterwerke
Seit 2017 entstehen in Newport Pagnell sogar wieder ganze Fahrzeuge – allerdings nicht in Großserie, sondern in der exklusiven „Continuation“-Manufaktur. Der DB4 GT feierte als Neuauflage hier seine Auferstehung. Anschließend folgten der DB4 GT Zagato sowie der DB5 Goldfinger mit allerlei filmreifen Extras. Retro? Ja. Aber mit Stil. Heute arbeiten rund 100 Mitarbeiter im Aston Martin Works – darunter auch eine neue Generation von Auszubildenden, die das alte Wissen mit frischer Begeisterung weiterträgt.
Newport Pagnell ist damit weiter ein wichtiger Bestandteil der Marke Aston Martin, ist kein Museum, sondern ein Ort automobiler Träume. Ja, der Ort wurde durch seine Marke zur Legende. Aber Aston Martin bekam an diesem Ort sein Gesicht. Die Tickford Street ist keine Start-Ziel-Gerade, aber sie ist der Ort, an dem Aston Martin Fahrt aufnahm. Und vielleicht ist es genau das, was Newport Pagnell so besonders macht: Hier geht es nicht nur um Autos. Es geht um Leidenschaft. Um Handwerk. Und um die Tatsache, dass selbst große Geschichten manchmal ganz klein anfangen – in einem Dorf in Buckinghamshire.
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