Retro trifft Strom: Wie Austin wieder auf die Straße kommt
Ich durchforste regelmäßig internationale Presseportale auf der Suche nach Themen, die man nicht an jeder virtuellen Ecke findet. Kürzlich stieß ich dabei auf eine Meldung mit dem Titel: „Die Austin Motor Company bestätigt die Ernennung des ersten neuen Austin-Händlers seit über 40 Jahren“. Das machte mich neugierig. Als Fahrer eines klassischen britischen Minis – des Originals, nicht des BMW-Nachfolgers der Nullerjahre – ist mir die Marke Austin schließlich wohlvertraut.
Austin entstand 1905, als sich Herbert Austin nach seinem Ausscheiden bei Wolseley in Longbridge, Birmingham (West Midlands), selbstständig machte. Die junge Austin Motor Company entwickelte sich rasch zu einem der bedeutendsten Automobilhersteller Großbritanniens. Besonders der kompakte Austin 7 machte in den 1920er-Jahren die Marke populär und trug entscheidend zur Motorisierung der britischen Mittelklasse bei. Zudem verdiente Austin gutes Geld mit der Vergabe von Lizenzen an andere Hersteller.
So produzierten Dixi – später BMW –, der Nissan-Vorläufer DAT Motorcar Company, die American Austin Car Company (später American Bantam), Rosengart in Frankreich, Holden in Australien sowie Addison in Indien den britischen Kleinwagen in Lizenz. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Austin eine tragende Säule des britischen Autoexports. Trotzdem fusionierte das Unternehmen 1952 mit dem Konkurrenten Morris zur British Motor Corporation (BMC). Nach dem Tod von Herbert Austin 1941 fehlte der Firma die prägende Führungspersönlichkeit.
In den 1980er-Jahren ging Austin unter!
In der Ära der BMC entstanden erfolgreiche Modelle wie der Mini – technisch innovativ, aber verwirrend unter verschiedenen Markennamen vermarktet. Die folgenden Jahrzehnte waren geprägt von Übernahmen, Fusionen und zunehmendem Niedergang durch Missmanagement, Qualitätsprobleme und Arbeitskämpfe. Ab 1968 gehörte Austin zum staatlich gestützten Großkonzern British Leyland, wo die Marke zusehends in der Bedeutungslosigkeit verschwand.
Trotz neuer Modelle wie Metro, Allegro oder Maestro verlor Austin weiter an Boden gegenüber der internationalen Konkurrenz. 1986 wurde aus British Leyland die Rover Group – kurz darauf verschwand der Markenname „Austin“. Einen offiziellen Abschied gab es nicht: Plötzlich trugen Metro, Maestro und Montego den Rover-Schriftzug. Damit endete nach über 80 Jahren die Geschichte einer der traditionsreichsten britischen Automarken. Der leise Abschied war, wie wir heute wissen, fast symbolisch für den Niedergang der britischen Autoindustrie.
Nach einem Zwischenspiel bei BMW landeten die Namensrechte in China!
1994 wurde die Rover Group Teil von BMW. Doch die Beziehung zwischen den Bayern und ihrer britischen Tochter blieb stets schwierig. Nach sechs Jahren zog BMW die Reißleine – das britische Abenteuer endete. Auch die wieder eigenständige Rover Group blieb ein Sanierungsfall. 2004 sollte ein Joint Venture mit der chinesischen Shanghai Automotive Industry Corporation (SAIC) die Wende bringen, doch auch dieser Versuch scheiterte. Im April 2005 folgte die Insolvenz.
Nur zwei Monate später übernahm die chinesische Nanjing Automobile Corporation – später selbst Teil von SAIC – die Vermögenswerte von MG Rover und mehreren Tochterfirmen. Damit sicherte sich Nanjing auch die Marken MG, Morris, Wolseley, Austin und Austin-Healey. Aktiv genutzt wird bislang nur MG, doch das Austin-Logo ist nach wie vor in Großbritannien für die chinesischen Eigner registriert.
Wie kam zum Comeback?
Unabhängig davon gründete sich 2020 in Großbritannien eine neue Austin Motor Company. Als erstes Produkt präsentierte sie Anfang dieses Jahres den Austin Arrow – ein elektrisches Fahrzeug, das unverkennbar vom legendären Austin Seven inspiriert ist. Der Arrow verbindet bewusst Retro-Design mit Elektroantrieb und richtet sich an Kunden, die Nostalgie und Nachhaltigkeit miteinander verbinden möchten.
Bekannte Eckdaten:
- Gewicht: ~605 kg
- Leistung: ~15–20 kW / 20 PS
- Akku: ~20 kWh
- Reichweite: ~100–160 km
Laut britischen Medien hat die neue Austin Motor Company bereits eine Typzulassung als L7e-„Quadricycle“ erhalten. Diese Einstufung bringt vereinfachte Zulassungsvorschriften mit sich. Mit einem Preis von rund £31.000 ist der Arrow jedoch kein Schnäppchen – kein Wunder, dass manche Kritiker ihn als Luxus-Retrospielzeug bezeichnen. Offen bleibt, ob eine EU-kompatible Version folgen wird.
Sind Retro-Modelle ein Geschäftsmodell? Vermutlich nicht!
Darüber hinaus plant das Unternehmen, in Kürze weitere Heritage-Modelle nach dem Vorbild des Austin Arrow vorzustellen. Passend dazu arbeitet die neue Austin Motor Company am Aufbau eines Händlernetzes. Als ersten Partner gewann sie die Shortfield Garage Limited in Godalming, die künftig unter dem Namen Austin Surrey auftreten wird. Doch allein mit Retro-Modellen lässt sich auf Dauer kein tragfähiges Geschäftsmodell betreiben – und das wissen die Verantwortlichen offenbar auch.
Die Heritage-Modelle sollen vielmehr den Weg für ein echtes Comeback ebnen. Vier Jahrzehnte nach dem Verschwinden der Marke will Austin wieder ins Bewusstsein potenzieller Käufer rücken. Sobald das gelungen ist, sollen neue Modelle mit moderner Technik und zeitgemäßem Design folgen. Es spricht einiges dafür, dass dabei SAIC im Hintergrund eine Rolle spielen wird – auch wenn sich die neue Austin Motor Company in ihren Mitteilungen dazu noch bedeckt hält.
Fazit
Die neue Austin Motor Company hinterlässt einen glaubwürdigen Eindruck – nicht perfekt, aber solide. Für ein Nischenprojekt mit Retro-Charme und Elektroantrieb ist das bemerkenswert. Es gibt echte Prototypen, konkrete Zahlen und eine erkennbare Strategie.
Die größten Herausforderungen:
- Den hohen Preis rechtfertigen
- Qualität und Zuverlässigkeit bei Lieferung und Service sichern
- Ein stabiles Händler- und Servicenetz aufbauen
- Langfristig neue Modelle entwickeln und skalieren
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