4. Juli 1954 – das Wunder von Reims

4. Juni 1954 – die Silberpfeile von Mercedes-Benz vor dem Großen Preis von Frankreich.

Der 4. Juli 1954 gehört für viele Sportfans zu den absoluten Highlights der Sportgeschichte. Wobei die Mehrzahl sicher zunächst an den Gewinn der Fußball-WM durch die Deutsche Nationalmannschaft denkt. Doch abseits dessen steht dieser Tag auch für das Comeback von Mercedes-Benz im Grand Prix-Sport. Wobei Juan Manuel Fangio im Mercedes-Benz W 196 R schon beim ersten Auftritt in der Automobil-Weltmeisterschaft zum Sieg fuhr. Weshalb der Erfolg beim Großen Preis von Frankreich im Rückblick und in Anlehnung an den Erfolg der Fußballer als das „Wunder von Reims“ gilt.

Beide Erfolge verfügen – immer noch – über eine große Symbolkraft. Denn mit den beiden Siegen kehrte Deutschland neun Jahre nach dem verlorenen Krieg endgültig in den Kreis der Weltgemeinschaft zurück. Der Sieg der Fussballer kam unerwartet. Denn bei den beiden Weltmeisterschaften, die die Nationalmannschaft zuvor spielte, kamen die deutschen Fußballer nicht über einen dritten Platz 1934 hinaus. Vier Jahre später schied Deutschland schon in der ersten Runde aus. Damals gab es noch keine Vorrunde. Die 16 Teilnehmer bestritten sofort K.o.-Spiele. Dort scheiterte das deutsche Fußball-Team. 1950 durfte Deutschland bei der ersten Fußball-Weltmeisterschaft nach dem Krieg noch nicht wieder teilnehmen.

Auch der Automobilsport schrieb 1950 erstmals eine Weltmeisterschaft aus!

Das technische Reglement der nun Formel 1 genannten Königsklasse basierte auf dem der Voiturette-Klasse der Vorkriegsjahre. 1939 entstand mit dem Mercedes-Benz W 165 ein Auto, das ein Jahrzehnt später perfekt in die Formel 1 gepaßt hätte. Hermann Lang gewann nur am Vorabend des Zweiten Weltkriegs mit dem W 165, den ein 1,5-Liter großer V8-Motor mit Vier-Ventil-Zylinderkopf antrieb, den Gran Premio di Tripoli. Doch nach dem Zweiten Krieg verzichtete Daimler-Benz auf ein Engagement in der Automobil-Weltmeisterschaft. So gewann der mit dem Mercedes W 165 vergleichbare Alfa Romeo Tipo 158 in den Jahren 1950 und 1951 zwei WM-Titel.

Daimler-Benz verzichtete auf eine Teilnahme an der Weltmeisterschaft. Denn das Stammwerk Untertürkheim wurde bei einem Luftangriff auf Stuttgart im September 1944 weitestgehend zerstört. Im Werk Sindelfingen war außer dem Presswerk kein überdachtes Gebäude mehr vorhanden. Das Werk Mannheim war zu einem Drittel zerstört. Mit der Teilung Deutschlands und dem Verlust Ostpreußens gingen alle Niederlassungen sowie die Werke Genshagen und Königsberg verloren. Das alles traf Daimler-Benz hart. Das Unternehmen kämpfte ums Überleben. Deshalb war an ein teures Sportprogramm zunächst nicht zu denken. Der Neuaufbau der Firma war wichtiger.


1952 gewann Daimler-Benz in Le Mans

Als sich Alfa Romeo Ende 1951 plötzlich und überraschend aus der Automobil-Weltmeisterschaft zurückzog, schrieb die CSI ihre WM zunächst für Fahrzeuge der Formel 2 aus. Kurz danach kündigten die Regelhüter zudem an, ab 1954 ganz neue Regeln einzuführen. Die neue Formel 1 sollte mit 2,5 Liter großen Saugmotoren rennen. Parallel dazu erwachte bei Daimler-Benz wieder der Sportgeist. 1951 setzte der Autobauer seine Vorkriegsboliden bei zwei Formula Libre-Rennen in Argentinien ein. Wobei satt des W 165 der W 154 mit Saugmotor zum Einsatz kam. Ein Jahr später trat Mercedes-Benz erstmals seit 1931 wieder bei den 24 Stunden von Le Mans an.

Die französische Presse begleitete das Comeback negativ. Die Erinnerung an die Besetzung des Lands durch die Wehrmacht war noch zu frisch. Zum Entsetzen gewann Mercedes-Benz das französische Nationalheiligtum beim Comeback auch noch auf Anhieb. Bei der Zieldurchfahrt des Mercedes-Benz 300 SL von Herman Lang und Karl Kling herrschte auf den Haupttribünen Totenstille. Nach dem Sieg an der Sarthe begannen in Stuttgart Überlegungen, einen Rennwagen für die angekündigte neue Formel 1 zu bauen. Nach der Freigabe des Projekts durch den Vorstand machten die Techniker um Fritz Nallinger, dem Vorstandsmitglied für Konstruktion und Entwicklung, sowie Rudolf Uhlenhaut als Leiter des Versuchs keine halben Sachen.

1954 stieg Daimler-Benz in die Formel 1 ein

In Stuttgart entstand ein 2,5 Liter großer Saugmotor mit acht Zylindern. Der Reihenmotor bestand aus zwei Vierzylinderblöcken. Ein Mittelantriebs vermied eine lange durchgehende Kurbelwelle und damit verbundene Torsionsschwingungen. Die Zylinderköpfe verschweißten die Entwickler mit den Zylinderblöcken. Beim Öffnen und Schließen der Ventile setzten sie auf eine Zwangssteuerung, die ohne Ventilfedern auskam. Bahnbrechend war die Benzindirekteinspritzung, die es zuvor nur bei Zweitaktmotoren gab. Esso lieferte ein Spezialbenzin, das optimal auf den Motor abgestimmt war.  Womit das Triebwerk rund 260 PS Leistung entwickelte.

2016 war ich mit dem AMG GT in Reims, dort wo das Wunder von Reims passierte.
2016 waren wir mit dem AMG GT in Reims. Die Boxen gab es schon, als die Mercedes-Benz W 196 R am 4. Juli 1954 beim „Wunder von Reims“ den Großen Preis von Frankreich gewannen. (Foto: Karla Schwede)

Rund um den Motor entwickelte Daimler-Benz zudem einen – natürlich silbernen – Rennwagen, der optimal mit dem Motor harmonisierte. Im Dezember 1953 fanden erste Testfahrten auf dem Werksgelände in Stuttgart-Untertürkheim statt. Ab Februar 1954 rückte das Werksteam regelmäßig zu Testfahrten aus. Diese fanden in Hockenheim, Monza und auf der heutige Autobahn A81 statt. Erst im Sommer sah sich Daimler-Benz gerüstet, um es mit der Weltelite aufzunehmen. Wobei sich die drei Mercedes-Benz W 196 R mit ihrer flachen Bauweise und ihrer – wegen der schnellen Strecke von Reims genutzten – Vollverkleidung optisch von den Kontrahenten deutlich unterschieden.

Am Ende gab es beim „Wunder von Reims“ einen überlegenen Doppelsieg!

Schon im Training zeigte sich die Überlegenheit der neuen Rennwagen aus Stuttgart. Mercedes-Pilot Juan Manuel Fangio sicherte sich mit einer Zeit von 2:29,4 Minuten den besten Startplatz. Die zweitbeste Trainingsrunde auf dem 8,302 Kilometer langen Circuit de Reims-Gueux gelang seinem Teamkollegen Karl Kling (2:30,4 Minuten). Damit feierte Neueinsteiger Daimler-Benz beim Debüt sofort eine „Doppelpole“. Im Rennen setzten sich Fangio und Kling sofort vom Feld ab. Nachwuchspilot Hans Herrmann, der vom siebten Startplatz ins Rennen ging, drehte die schnellste Rennrunde, fiel allerdings nach 16 der 61 Runden vorzeitig aus.

Die Konkurrenten sahen wir an diesem Tag eigentlich nur beim Start und bei Überrundungsmanövern.

Juan Manuel Fangio nach seinem Sieg beim Großen Preis von Frankreich 1954 – ein Erfolg, den manche in Anlehnung an den Erfolg der Fußball-Nationalmannschaft in Bern am gleichen Tag das„Wunder von Reims“ nennen.

Die beiden Mercedes-Benz W 196 R an der Spitze kamen ohne Probleme über die Distanz. Juan Manuel Fangio sah als Erster die Zielflagge. Das „Wunder von Reims“ war perfekt. 2:42:47,9 Stunden benötigte der Argentinier für die 506,422 teils nassen Kilometer. Karl Kling folgte Fangio während des Rennens wie ein Schatten und erreichte kurz nach seinem Teamkollegen das Ziel. Alle anderen Piloten kamen mit mindestens einer Runde Rückstand ins Ziel. Kurz nach dem überlegenen Mercedes-Doppelsieg wurde die deutsche Fußballnationalmannschaft beim „Wunder von Bern“ Weltmeister. Damit verhinderte König Fußball, dass das „Wunder von Reims“ auf den Titelseiten landete. Wobei ich mir gar nicht sicher bin, ob der Begriff „Wunder“ paßt. Denn tatsächlich waren wohl beide Erfolge das Ergebnis harter Arbeit!


Infos zum Titelbild dieses Beitrags:
Mercedes-Benz W 196 R Formel-1-Rennwagen mit Stromlinienkarosserie. Foto vom Großen Preis von Frankreich in Reims am 4. Juli 1954. Rechts der spätere Sieger Juan Manuel Fangio (Startnummer 18), links der spätere Zweitplatzierte Karl Kling (Startnummer 20).

Fotosignatur der Mercedes-Benz Classic Archive: R5518

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Als Kind der 1970er-Jahre hatte Tom das große Vergnügen, in einem ausgesprochen automobilen Umfeld aufzuwachsen. Das war der optimale Nährboden, um heute über Autos zu schreiben und regelmäßig am Mikrofon über Autos zu sprechen. Denn Tom Schwede moderiert seit 2010 bei großen Oldtimer- und Klassik-Veranstaltungen in Deutschland. So ist Tom unter anderem bei den Classic Days (früher Schloß Dyck, heute in Düsseldorf) oder dem 1.000 Kilometer-Rennen am Nürburgring zu hören. Wenn Sie also einen Moderator oder Streckensprecher für Ihre Oldtimer-Rallye oder Ihr Oldtimer-Treffen suchen, dann sind Sie bei Tom definitiv richtig!

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