Fahrberichte: Cadillac

Test Cadillac ATS Coupe – Konventionsbrecher aus Amerika

Autos aus Amerika, das ist Europa traditionell kein einfaches Thema. Vorurteile gibt es reichlich. Veraltete Technik, Spritfresser, viel Plüsch und das träge Fahrverhalten eines Sofas. Dazu noch Abmessungen, die europäische Fahrspuren sprengen. Doch stimmt das überhaupt noch? Anlässlich der „Cadillac Experience“ war ich mit dem neuen Cadillac ATS Coupe in Berlin unterwegs, um zu prüfen, ob die Vorurteile berechtigt sind.

Berlin ist heiß. Der Ruf der Stadt international vermutlich sogar noch besser als im eigenen Land. 25 Jahre nach dem Mauerfall ist die zusammengewachsene Stadt endgültig in die Riege der Weltstädte zurückgekehrt. Das merkt der Gelegenheitsbesucher an jeder Straßenecke. An der Spree trifft sich der Kiez mit der weiten Welt. Am Nachbartisch beim Italiener in Mitte sitzen heute ganz selbstverständlich Jugendliche und Junggebliebene aus ganz Europa, die für ein Partywochenende in die deutsche Hauptstadt geflogen sind. Längst legendär ist auch die Gründerkultur, die Berlin zur europäischen Start-up-Metropole und Englisch zur heimlichen Sprache der Stadt gemacht hat.

Das Klima lockt auch etablierte Unternehmen, um sich und ihre Produkte ins rechte Licht zu setzen. Der US-Autobauer Cadillac präsentierte sich am zurückliegenden Wochenende mit seiner „Cadillac Experience“. Im Parkhaus „Unter den Linden/Staatsoper“ stellte die Marke aus dem General Motors Konzern auf mehr als 2.000 Quadratmetern ihre Fahrzeuge aus. Damit feierten die Amerikaner ihren Neustart in Europa. Im Mittelpunkt des temporären Autosalons stand das neue Cadillac ATS Coupé.

Das Cadillac ATS Coupe fordert die alte Welt heraus

Cadillac sieht sich als unkonventionellen Herausforderer der europäischen Statthalter in der automobilen Mittelklasse. Mit dem ATS Coupe nehmen die Amerikaner offensichtlich den BMW 4er und das Audi A5 Coupé ins Visier. Für ihr persönliches Coupé-Rezept kombinieren sie einige Eigenschaften der deutschen Produkte und schaffen so ihre neuamerikanische Coupé-Interpretation des Autojahrgangs 2015. Wie in München setzen auch die Entwickler auf eine Frontmotor-Hinterradantrieb-Architektur. Auf Wunsch ist das ATS Coupe – wie in Ingolstadt – mit Allrad verfügbar.

Motor im Cadillac ATS Coupe
Motor im Cadillac ATS Coupe (Foto: Tom Schwede)

Beim Antrieb vertrauen die Entwickler in Detroit auf einen ganz unamerikanischen Vierzylinderreihenmotor. Der Zwei-Liter-Turbo verfügt über 272 PS bei 5.500 Umdrehungen pro Minute. Zwischen 3.000 und 4.500 Umdrehungen stehen 400 Newtonmeter Drehmoment zur Verfügung. Sportlich auch die Höchstdrehzahl von 7.200 Umdrehungen pro Minute, die die Amerikaner ihrem Quadrathuber (Bohrung x Hub mm: 86 x 86) zutrauen. Mit diesen Leistungsdaten positioniert Cadillac das ATS Coupe über dem Audi A5 Coupé. Denn in Ingolstadt gibt es in der Vierzylinderklasse des 2.0 TFSI „nur“ 225 PS Leistung und 350 Newtonmeter Drehmoment.

Die Wahl eines Vierzylindermotors als Antrieb zeigt, dass das Thema Downsizing auch auf der anderen Seite des Atlantiks angekommen ist. Denn natürlich ist der Name Cadillac traditionell aufgeladen mit V8-Motoren. Doch das ist längst Geschichte. Zumindest in den USA ist im ATS Coupé auch ein V6-Motor mit 3,5 Liter Hubraum verfügbar. In Europa wäre ein Diesel wichtiger. Cadillac kann damit noch nicht aufwarten, arbeitet aber an einer Lösung.

Cadillac ATS Coupe
Das Heck des Cadillac ATS Coupe (Foto: Tom Schwede)

Seine Kraft bringt das ATS Coupe übrigens über eine 6-Stufen-Automatik auf die Straße. Vorbei die Zeiten, als Ami-Schlitten mit einer Zweigangautomatik mit Overdrive cruisen mussten. Weder Motor noch Getriebe klingen traditionell amerikanisch. Das Package des Coupés könnte also auch aus Stuttgart, München oder vielleicht auch Tokio stammen. Um so wichtiger, dass die Amerikaner bei Design Alleinstellungsmerkmale schaffen. Der große Kühlergrill und die weit in die Kotflügel reichenden Leuchteinheiten gehören dazu. Sie geben dem Cadillac ATS Coupe ein eigenes Gesicht. Mit der markanten Gestaltung der Heckklappe und der Position der zwei Endrohre der Auspuffanlage haben die Designer bei Cadillac auch am Heck markentypische Wege gefunden. Das wirkt tatsächlich unkonventionell, ohne dabei verkrampft andersartig sein zu wollen.

Wie fährt sich der Cadillac ATS Coupe?

Der Weg ans Lenkrad führt durch die Fahrertür. Sie liegt beim Öffnen statt und solide in der Hand. Das macht einen hochwertigen Eindruck. Der gute Eindruck setzt sich nach dem Einstieg fort. Der Fahrersitz ist vollständig elektrisch einstellbar. Ich bin etwas länger als der Durchschnitt und fahre ich den Sitz ganz zurück. Das Coupé wird damit zum Dreisitzer, denn hinter mir kann jetzt niemand mehr sitzen. Hinten rechts faltet sich der Fotograf auf den Rücksitz. Das funktioniert, weil wir auf der Suche nach einem geeigneten Fotostopp nur eine Runde um den Gendarmenmarkt drehen. Auf längeren Strecken sind die Plätze in der zweiten Reihe allenfalls für den Nachwuchs geeignet. Der darf sich dafür in der zweiten Reihe wie ein Großer fühlen, sitzt auf zwei Einzelsitze und freut sich über eigene Getränkehalter.

Innenraum des Cadillac ATS Coupe
Der Innenraum des Cadillac ATS Coupe (Foto: Cadillac)

In der Vorderreihe finde ich eine geeignete Sitzposition. Das Lenkrad des Cadillac ATS Coupe liegt angenehm dick in der Hand. Ich mag das. Obwohl ich das Lenkrad ganz nach oben fahre, bleiben alle Instrumente gut ablesbar. Neben den Instrumenten auf dem klassischen Armaturenbrett verfügt das ATS Coupe über ein Head-up-Display. Auch dieses zusätzliche Display kann ich so positionieren, dass ich es vollständig sehen kann. Trotzdem ist das Head-up-Display ein kleiner Schwachpunkt des ATS Coupe. Denn es kann an Schärfe und Brillanz nicht mit dem Display mithalten, das mir neulich im Audi A6 allroad den Weg wies.

Gentlemen, start your engines

Wie die meisten modernen Autos verfügt auch das Cadillac ATS Coupe dazu über einen zentralen Starterknopf. Der Vierzylinder macht sofort mit einem sportlichen Klang auf sich aufmerksam. Cadillac hat dem Coupe eine zweiflutige Auspuffanlage spendiert, um den Klang zu optimieren. Sportlichkeit und Technologie sind Werte, die Cadillac in Zukunft verkörpern möchte. Von der für das kommende Jahr angekündigten Hochleistungsvariante mit 455 PS wird es daher 2016 eine GT3-Version für Kundensporteinsätze geben.

Mit einer ausgeglichenen Gewichtsverteilung – die Verantwortlichen sprechen von „in der Nähe von 50:50“ – hat das ATS Coupe alle Anlagen, um auch auf der Rennstrecke zu glänzen. In den Häuserschluchten von Berlin fällt das weniger leicht – zumindest, wenn wir von der Sportlichkeit reden. Optisch weiß das Coupé dafür um so mehr zu überzeugen. Nicole von Auto-Diva und ich „erwischen“ auf unserer Tour durch die Hauptstadt immer wieder Passanten, die mit ihren Blicken dem Cadillac ATS Coupe folgen. Cadillac-Kunden wird das gefallen. Denn wer sich für einen Cadillac entscheidet, der ist (vermutlich) Nonkonformist. Er will nicht das dritte oder vierte Coupé aus Bayern oder Baden-Württemberg auf den Firmenparkplatz stellen und wählt daher bewusst den Amerikaner.

Beim Fahren im Alltag ist kein großer Unterschied zu spüren.

Den Sprint von 0 auf Tempo 100 legt das ATS Coupe in 6,2 Sekunden hin. Auf der Autobahn erreicht der Amerikaner mit Heckantrieb eine Spitzengeschwindigkeit von 240 Kilometern pro Stunde. Natürlich ist die Testfahrt durch Berlin deutlich zu kurz, um das auszuprobieren. Deshalb muss ich mich an dieser Stelle vorerst auf einen ersten Eindruck beschränken. Es wäre wirklich spannend, dem ATS Coupe im Alltag etwas länger auf den Zahn zu fühlen. Interessieren würde mich insbesondere der Verbrauch.

Cadillac gibt innerorts einen Verbrauch von 12 Litern an. Schon das klingt dann doch etwas amerikanisch. Denn Audi gibt für den vergleichbaren Audi A5 2.0 TFSI mit der Multitronic-Automatik innerorts einen Verbrauch von 8,8 Litern an. Natürlich ist das mit den Normangaben immer so eine Sache, aber auf der Testfahrt durch das Zentrum Berlins wies der Bordcomputer beim Verbrauch fast das Doppelte der offiziellen Angaben aus. Wobei ich das wohl nur zum Teil dem Amerikaner vorwerfen kann.

Front Cadillac ATS Coupe
Auch an der Front ist das Cadillac ATS Coupe ganz klar ein Cadillac. (Foto: Tom Schwede)

Denn verantwortlich für den hohen Verbrauch war sicherlich auch mein Wunsch, den Klang des Vierzylinders bei jeder sich bietenden Gelegenheit genießen zu können. Auf der Suche nach der dafür notwendigen Drehzahl war ich hauptsächlich in kleinen Gängen unterwegs. Dazu habe ich auf den Komfort der Automatik verzichtet und den manuellen Modus des Getriebes gewählt. Für manuelle Ganzwahl verfügt das Coupe hinter dem Lenkrad über zwei stabile Schaltwippen. Cadillac fertigt sie aus hochwertigem Magnesium. Die Zeiten, als US-Autos Plastikbomber waren, sind im ATS Coupe Vergangenheit.

Fazit zum Testeindruck des Cadillac ATS Coupe

Cadillac hat offensichtlich die Konkurrenz intensiv studiert und mit dem neuen Cadillac ATS Coupe ein überraschendes Auto auf die Räder gestellt. Das funktioniert zurzeit besonders erfolgreich in China. Denn gerade die Kunden im fernen Ostern lieben Autos aus Europa. Trotzdem wächst Cadillac im Reich der Mitte besonders dynamisch. Um auch in Europa zum Erfolg zu fahren, bieten die Amerikaner mit dem Coupé ein in vielen Punkten ziemlich unamerikanisches Auto an.

Das Cadillac ATS Coupe ist in vielen Punkten ein Konventionsbrecher. Cadillac sägt intensiv an Vorteilen gegenüber Autos aus Amerika. Nur der überdurchschnittliche Verbrauch und die Tatsache, dass das Coupe bisher nicht als Diesel verfügbar ist, befriedigen noch Vorurteile gegenüber amerikanischen Autos. Die Gestaltung, die Ausstattung, der Verarbeitungseindruck und die wesentlichen technischen Daten klingen gar nicht amerikanisch. Damit könnte der neue American Way of Life tatsächlich auch in Europa funktionieren.

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Themen in diesem Artikel:

Als Kind der 1970er-Jahre hatte Tom das große Vergnügen, in einem ausgesprochen automobilen Umfeld aufzuwachsen. Das war der optimale Nährboden, um heute über Autos zu schreiben und regelmäßig am Mikrofon über Autos zu sprechen. Denn Tom Schwede moderiert seit 2010 bei großen Oldtimer- und Klassik-Veranstaltungen in Deutschland. So ist Tom unter anderem bei den Classic Days (früher Schloß Dyck, heute in Düsseldorf) oder dem 1.000 Kilometer-Rennen am Nürburgring zu hören. Wenn Sie also einen Moderator oder Streckensprecher für Ihre Oldtimer-Rallye oder Ihr Oldtimer-Treffen suchen, dann sind Sie bei Tom definitiv richtig!