Die Afrika-Touren der Halbketten-Fahrzeuge von Adolphe Kégresse und André Citroën
von Tom Schwede am 28. Oct 2024Mit der Erfindung des Halbkettenfahrzeugs verschob Adolphe Kégresse die Grenzen des Autos deutlich. Legendär sind heute die Afrika-Touren der Fahrzeuge mit dem System Kégresse.
Wo liegen die Grenzen des Autos? Diese Frage beschäftigt Autofahrer seit der Erfindung des Autos. Mit der Erfindung des Halbkettenfahrzeugs verschob Adolphe Kégresse die Grenzen deutlich. Ab 1920 arbeitete der Ingenieur eng mit André Citroën zusammen. Nach der Durchquerung der Sahara 1922/23 bewies Adolphe Kégresse mit der Croisière Noire, der schwarzen Kreuzfahrt endgültig die Haltbarkeit seines Antrieb. Von Oktober 1924 bis August 1925 legten acht Halbkettenfahrzeuge in Afrika 28.000 Kilometer zurück.
Adolphe Kégresse (1879-1943) kehrte nach der russischen Revolution in seine französische Heimat zurück. Hinter dem Ingenieur lagen fast 15 Jahre in Rußland. Unmittelbar nach dem Ende seines Studiums nahm Kégresse 1904 in St. Petersburg den Job in einer Maschinenfabrik an. Nebenbei verdingte sich Kégresse als Chauffeur am Hof von Zar Nikolaus II., der seit 1894 als absoluter Monarch Rußland regierte. Zwei Jahre später übernahm 1906 Kégresse die Leistung der kaiserlichen Garage. Damit übernahm der Ingenieur auch die Aufgabe des Chef-Mechanikers für den kaiserlichen Fuhrpark.
Rußland war ein schwieriges Terrain für das Auto
Dabei erkannte Kégresse, dass viele Fahrzeuge des Fuhrparks in der Weite Russlands kaum nutzbar waren. Denn Rußland verfügte damals kaum über befestigte Straßen. Im Sommer sanken die Fahrzeuge an vielen Stellen im weichen Sand ein. Bei Regen erschwerte Matsch das Durchkommen. Im Winter, wenn Eis und Schnee dazukamen, verschärften sich die Probleme. Ab 1909 begann Kégresse mit Raupenketten zu experimentieren. Der Ingenieur testet unterschiedliche Materialen und fand schließlich in Kamelleder ein geeignetes Material für das Laufband. Damit bewies Kégresse, dass die Idee funktioniert. Doch die Haltbarkeit ließ zu wünschen übrig.
Adolphe Kégresse gab nicht auf. Nach gut drei Jahren Arbeit und umfangreichen Versuchsfahrten war der Ingenieur von seiner Idee überzeugt. Der von Kégresse umgerüstete Mercedes 26/45 PS verfügte über ein Laufband aus Gummi. Die Vorderräder unterstützen Skier. In dieser Konfiguration bewährte sich das System Kégresse genauso auf Eis und Schnee wie auch auf schlammigen und sandigen Untergrund. Bei einer Wettfahrt von St. Petersburg nach Kronstadt und zurück, die teilweise über die zugefrorene Ostsee führte, belegte Adolphe Kégresse mit seinem umgebauten Mercedes Platz fünf.
Der Kégresse-Antrieb begeisterte bald auch das Militär
1913 erhielt Adolphe Kégresse ein Patent für seine Gummi-Laufbänder. Auf dieser Basis entstanden weitere Fahrzeuge unterschiedlicher Hersteller mit Kégresse-Antrieb. Wobei der Erfinder das System so verfeinerte, dass sich die Autos bei Bedarf wieder zurück bauen ließen. Zudem rüstete das russische Militär ein Fünftel seiner Austin-Putilow Radpanzer zum Halbkettenfahrzeug um. Denn während des Ersten Weltkriegs zeigte sich, dass ihr Einsatz im Gelände oft schwierig war. Adolphe Kégresse blieb auch nach dem Abdanken von Zar Nikolaus II. 1917 und der Ermordung der Familie Romanow ein Jahr später zunächst in Russland.
Erst mit Ausbruch des Polnisch-Sowjetischen Kriegs zog der Ingenieur in die Heimat zurück. Dort lernte Adolphe Kégresse 1919 Jacques Hinstin kennen. Der Granatenhersteller Hinstin finanzierte den Neustart des Ingenieurs in Frankreich. Zudem stellte Hinstin Kégresse seinen Geschäftspartner André Citroën vor. Der Autobauer war von der Idee der Halbkettenfahrzeuge fasziniert und stellte Kégresse drei Citroën 10HP B2 zur Verfügung. Die durchgeführten Versuchsfahrten beeindruckten André Citroën. Gemeinsam gründeten die Drei im Pariser Vorort Levallois das Gemeinschaftsunternehmen Autochenille Citroën-Hinstin-Kégresse.
André Citroën war ein Meister des Marketings
In dieser Firma übernahm Adolphe Kégresse den Part des technischen Direktors. Jacques Hinstin erhielt den Posten des Direktors, um das Tagesgeschäft zu führen. Doch noch mehr als seine Partner sah André Citroën sowohl im zivilen als auch im militärischen Bereich ein großes Potential für die geländegängigen Fahrzeuge des System Kégresse. Gleichzeitig war Citroën ein Meister des Marketings, das damals allerdings noch nicht so hieß. Denn der Unternehmer verstand es mehr als seine Zeitgenossen mit Hilfe aufmerksamkeitsstarker Aktionen für seine Fahrzeuge zu werben.
André Citroën hatte die Idee die Sahara mit dem Auto zu durchqueren. Denn bereits in der Antike etablierte sich ein Transsaharahandel, der den Mittelmehrraum mit dem mittleren beziehungsweise westlichen Afrika verband. Bevorzugtes Transportmittel der Karawanen waren Kamele und Dromedare. Mit der Erfindung des Autos und des Flugzeugs entstanden Überlegungen, wie sich diese modernen Transportmittel zur Durchquerung der Sahara nutzen lassen. Doch normale Autos scheiterten im weichen Wüstensand. Der Überflug erschien lange nur möglich, wenn entlang der Flugroute Depots mit Kraftstoff angelegt würden.
Adolphe Kégresse bewies, dass das Auto die Sahara durchqueren kann!
Mit der kolonialen Unterwerfung Nordwestafrikas durch Frankreich erhöhte sich der Druck, die Sahara zu durchqueren. Im Januar 1921 begannen die Planungen. Mit Unterstützung der Abenteurer Georges-Marie Haardt und Louis Audouin-Dubreuil entstand der Plan, mit den Halbkettenfahrzeugen von Citroën von Touggourt über Tamanrasset im Ahaggar-Gebirge nach Timbuktu in Mali zu fahren. Die Route sollte einer möglichen Nord-Süd-Verbindung zwischen Algerien und Westafrika folgen. Die Expedition sollte Aufschlüsse zu Zwischenstopps für eine mögliche Luftroute gewinnen und eine Streckenführung für eine Transsahara-Eisenbahnlinie erkunden.
Nach fast zwei Jahren Vorarbeiten brach der Tross der „Algérie-Niger“ am 17. Dezember 1922 in Touggourt mit fünf Fahrzeugen auf. Bis heute erinnert in der Ortsmitte von Touggourt eine Stele an diese Expedition. Nach einem Zwischenstopp in Tidikelt sowie des Überwindens des Ahaggar-Gebirges im Süden Algeriens folgte die Durchquerung der sudanesischen Wüste. Am 4. Januar 1923 erreichte die Expedition die Ufer des Niger. Bereits drei Tage endete die Tour am Zielort Timbuktu. Nach einem dreiwöchigen Aufenthalt in der Oasenstadt trat die Expedition den Rückweg an, um am 7. März 1923 wieder den Ausgangspunkt in Touggourt zu erreichen.
André Citroën hatte schnell die nächste Idee
Während der Expedition überzeugte der weiterentwickelte Kégresse-Antrieb an fünf speziellen Citroën B2 10 HP. Die Verantwortlichen hatten jedes der Fahrzeuge mit einem eigenen Namen und Logo bestückt. Neben Croissant d´Argent, Tortue Volante, Chenille Rampante und Bœuf Apis gab es so einen Scarabée d´Or, der bis zu dessen Schließung im Originalzustand im Conservatoire Citroën in Aulnay-sous-Bois in der Nähe von Paris bewundert werden konnte. Die Medien begleiteten die Tour. Ein Kinofilm, der die Reise dokumentierte, war in den französischen Kinos ein Kassenschlager.
Bereits 1924 folgte die Croisière Noire“ („Schwarze Kreuzfahrt“). Die wieder unter der Leitung von Georges-Marie Haardt und Louis Audouin-Dubreuil stand und deshalb in Frankreich auch „2e mission Haardt Audouin-Dubreuil“ heißt. Sie führte neben den Abenteurern und Mechanikern auch Ethnologen, Geologen und Biologen einmal quer durch Afrika. Womit die Bedeutung der Expedition den reinen Werbeaspekt überstieg. Die Expedition gewann auch politische, kulturelle und wissenschaftliche Bdeutung. Start war am 29. Oktober im algerischen Oran.
„Croisière Noire“ („Schwarze Kreuzfahrt“) wiederholte den Erfolg
Vor der Expedition lagen 28.000 Kilometer, denn es ging nicht auf dem direkten Weg zum Zielort Tananarive auf Madagaskar. Denn nach fünf Monaten einer gemeinsamen Reise trennte sich die Expedition in Kampala in vier Gruppen. Jeweils zwei Autos versuchten nun auf unterschiedlichen Wegen den Zielort Tananariva auf der Insel Madagaskar zu erreichen. Louis Audouin-Dubreuil übernahm auf dem Weg über Mombasa das Kommando. Zwei weitere Teams wählten den Weg über Dar es Salaam und Kapstadt. Georges-Marie Haardt durchquerte Mosambik. Diese Route galt nach Ansicht britischer Behörden als die gefährlichste und undurchführbarste.
Trotzdem erreichten alle Teilnehmer bis zum 26. Juni 1925 das Ziel. Die acht Citroën P4T-Raupen überstanden die Tour ohne größere Probleme. Dabei half wohl auch, dass Citroën vor dem Start die Motorkühlung optimierte, um die Fahrzeuge an das tropische Klima des afrikanischen Kontinents anzupassen. Ein Dampfrückgewinner über dem Kühler und seitliche Zusatzkühler verdoppelten die Kühlfläche. Dazu erhielt das Getriebe sechs statt der normalen drei Gänge und ein Sperrdifferential. Die Expeditionsteilnehmer kehrten im Herbst 1925 nach Paris zurück.
6.000 Fotografien und 27 Kilometer Film bezeugen das Abenteuer der „Schwarzen Kreuzfahrt“
Abermals griffen die Medien das Thema dankbar auf. Zumal André Citroën nach der Rückkehr die Fahrzeuge und die mitgebrachten Gegenstände auf eine Ausstellungstour schickte. Denn die Expedition war auch aus wissenschaftlicher Sicht ein Erfolg. 300 botanische Tafeln, Proben von mehr als 300 Säugetieren, 800 Vögeln und 1.500 Insekten sammelten die Teilnehmer. Dazu entstanden 15 Skizzenbücher mit Reiseansichten, 6.000 Fotografieren und 27 Kilometer Film dokumentierten die Fahrt. Sie bildeten den Grundstock für einen 70 Minuten langen Dokumentarfilm, den Léon Poirier im März 1926 in die Kinos brachte.
Alles zusammen machte auch diese Expedition zu einem großen Erfolg für André Citroën. Denn die umfangreiche Nachbetrachtung sorgte dafür, dass sie sich wirtschaftlich für den Unternehmer rentierte. Denn der Investition von 100.000 Pfund stand ein deutlich gestiegener Absatz von Citroën-Fahrzeugen in den folgenden Jahren gegenüber. Deshalb versuchte Citroën mit der „Croisière Jaune“ („Gelbe Kreuzfahrt“) durch Zentralasien an den Erfolg der beiden ersten Expeditionen anzuknüpfen. Doch es gab Probleme, die Reise zu organisieren. Denn während der Weltwirtschaftskrise fehlte Citroën das Geld für die Durchführung der teuren Expedition.
Die „Croisière Jaune“ („Gelbe Kreuzfahrt“) durch Asien setzte den Schlusspunkt!
Erst 1930/31 besserte sich seine wirtschaftliche Lage. Doch jetzt verweigerte die kommunistische Sowjetunion der Expedition die Einreise. Als Alternative entstand der Plan in zwei Gruppen zu fahren. Die Gruppe „Pamir“ startete im April 1931 in Beirut, während sich gleichzeitig die Gruppe „Chine“ in Tianjin bei Peking auf die Reise machte. Beide Gruppen sollten sich in Kashgar am Fuße des Himalajagebirges treffen, um gemeinsam durch die Himalajaregion zurück nach Peking zu fahren. Doch auch diese Routen waren gefährlich, die Teilnehmer gerieten wiederholt in kriegerische Auseinandersetzungen. Mehrfach stand die Expedition vor dem Abbruch.
Dazu stellte insbesondere das Himalajagebirge Mensch und Material vor große technische Herausforderungen. Alle wichtigen Zeitungen Frankreichs berichteten laufend über die Reise. Die Faszination der für Europäer unbekannten Gebiete begeisterte das Publikum und sorgte damit für Aufmerksamkeit. Doch am 16. März 1932 verstarb Georges-Marie Haardt in Hongkong an einer Lungenentzündung. Daraufhin wurde die Expedition abgebrochen. Mannschaft und Fahrzeuge kehrten per Schiff nach Frankreich zurück. Trotz des tragischen Endes dürfte sich auch diese Expedition angesichts ihrer medialen Aufmerksamkeit für André Citroën gerechnet haben.
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