Fahrberichte: Cadillac

Test: Wie fährt sich der Cadillac CT6 3.0TT AWD (2016)?

Mit seinem neuen Cadillac CT6 fordert der US-Autobauer General Motors jetzt auch in Europa die Riege der etablierten Luxushersteller heraus. Kann der Cadillac CT6 mit seinen Konkurrenten aus der alten Welt mithalten? Auf einer ausführlichen Probefahrt mit dem neuen Cadillac CT6 3.0TT AWD Platinum bin ich dieser Frage nachgegangen.

Cadillac erlebt zurzeit einen bemerkenswerten Wandel. In den 1990er-Jahren zog General Motors seine Tochter weitgehend vom europäischen Markt zurück. In der Heimat von Audi, BMW, Mercedes-Benz und Jaguar taten sich die gehobenen US-Modelle schwer. Nach dem gescheiterten Comeback in Zusammenarbeit mit dem niederländischen Großhändler Kroymans versteht der US-Autobauer Cadillac inzwischen als weltweite Luxusmarke.

Als solche kehrt Cadillac jetzt auch nach Europa zurück. Dabei geben die Amerikaner mit Autos wie dem Cadillac ATS bewusst den Konventionsbrecher. Mit Kraftmaschinen wie dem Cadillac CTS-V arbeitet General Motors daran, das letzte Vorurteil gegen Autos aus den USA zu zerstören. Denn die V-Modelle sind absolut autobahnfest. Sie sind sicherlich nicht auf das in den USA übliche Autobahn-Tempo von 55 Meilen pro Stunde abgestimmt.

Damit spricht Cadillac Kunden an, deren Wunsch es ist, sich bewusst vom automobilen Mainstream ihrer Nachbarn und Kollegen abzusetzen. Doch bisher endete das Angebot in der oberen Mittelklasse. Für eine Luxusmarke ist das auf Dauer untragbar. Mit dem neuen Cadillac CT6 runden die Amerikaner das eigene Modellprogramm jetzt nach oben ab. Damit fordert Cadillac jetzt auch in der Oberklasse die etablierten europäischen Anbieter in ihrer Heimat heraus.

Wie wirkt der Cadillac CT6 auf mich?

In kaum einer Fahrzeugklasse ist der richtige Auftritt so wichtig, wie in der automobilen Oberklasse. Die Kunden in diesem Segment schätzen es zumindest in Europa nicht, wenn das eigene Auto zu protzig daherkommt. Denn die Kunden in diesem Fahrzeugsegment sind Vorstand in einem Großunternehmen oder Vertreter des alten Gelds. Den großen, den protzigen Auftritt überlassen diese Autokäufer Fussballern und anderen neureichen Paradiesvögeln.

Doch auch in der Oberklasse setzt sich Cadillac zumindest etwas vom Establishment der Oberklasse, das Audi A8, BMW 7er und Mercedes-Benz S-Klasse vertreten, ab. An der Fahrzeugfront des Cadillac CT6 dominiert ein großer Kühlergrill. Das gibt es heute nur noch selten. Mir gefällt das. Zumal die Designer bei Cadillac den Grill zusätzlich mit den LED-Frontscheinwerfern sowie den langen senkrechten Lichtbändern einrahmen.

Cadillac CT6 3.0TT AWD
Die Lichtbänder an der Fahrzeugfront rahmen den großen Kühlergrill ein.

Diese Lichter betonen den Grill. Alles zusammen ist ein deutliches Zeichen für das gestiegene Selbstbewusstsein des Autobauers Cadillac. Es muss am anstehenden Reformationstag liegen, dass ich bei dieser Fahrzeugfront an Martin Luther denke: Seht her, hier stehe ich und kann nicht anders! Cadillac bleibt sich auch beim CT6 treu! Mir gefällt das, auch wenn mich die beleuchteten Türgriffe, die auch Mario-Roman Lambrecht auffallen, etwas an die Neonreklamen in Amüsiervierteln der Stadt denken lassen.

Auch das Heck ist in dieser Fahrzeugklasse vergleichsweise mutig. Die Designer setzen am Fahrzeugende die Leuchtbänder der Fahrzeugfront in den Rücklichtern fort. Dazu gibt es an der Oberkante der Heckklappe einen kleinen Spoiler. Ich interpretiere ihn als sichtbares Zeichen dafür, dass sich Cadillac auch in der Oberklasse als das Angebot für dynamische Selbstfahrer versteht.

Wie fährt sich der Cadillac CT6?

Das ist eine Rolle, die Neueinsteiger in der Oberklasse gerne wählen. BMW positionierte so schon vor gut 40 Jahren den 7er, um das Nischendasein seiner vorherigen Oberklassemodelle zu beenden. Später etablierte auch Audi seinen V8 mit diesem Marketingtrick erfolgreich in der Oberklasse. Doch damit diese Strategie funktioniert, reicht nicht nur ein fesches Kleid. Der Amerikaner muss auch auf der Straße überzeugen.

Das gelingt dem Cadillac CT6 tatsächlich. Auf der Probefahrt erkunde ich das Umland von Berlin. Dabei entdecke ich offenbar das natürliche Revier des Amerikaners, der sich auf den vielen kleinen Landstraßen pudelwohl fühlt. Natürlich hat der drei Liter große und 417 PS starke V6-Turbo hier mit der Limousine leichtes Spiel. Dazu unterstützen eine serienmäßige Hinterachslenkung sowie der serienmäßige Allradantrieb, der für ein neutrales Fahrverhalten sorgt, die in dieser Fahrzeugklasse nicht selbstverständliche Kurvengier.

Der Amerikaner ist überraschend leicht

Denn der CT6 bringt trotz einer Länge von 5,18 Metern leer weniger als zwei Tonnen Gewicht auf die Waage. Mit dem CT6 feiert die neue Omega Platform von General Motors ihre Premiere. Grundlage dieser Plattform ist eine Materialmix-Struktur mit komplett aus Aluminium bestehender Karosserieverkleidung. Um die Steifigkeit des Fahrzeugs zu erhöhen, kommen Hochdruck-Aluminium-Gussteile zum Einsatz.

Unterwegs im Cadillac CT6 3.0TT AWD
Unterwegs im Cadillac CT6 3.0TT AWD. Der große Amerikaner kann auch Stadtverkehr.

Im Cadillac CT6 stecken rund 50 Millionen Stunden Computeranalyse. 200.000 strukturelle Simulationen haben die Ingenieure durchgerechnet, um die endgültige Form zu finden. Der Aufwand hat sich gelohnt. Denn im Ergebnis ist der Cadillac Touring 6, was angekürzt zum Namen CT6 führt, rund 100 Kilogramm leichter als vergleichbare Fahrzeuge. Das macht sich dann auch auf der Straße bemerkbar.

Natürlich fährt sich eine Oberklasselimousine nicht wie ein Sportwagen. Trotzdem fühlt sich der große Cadillac beim Fahren fast so dynamisch wie sein kleiner Bruder CTS an. Wobei es keinesfalls am klassentypischen Komfort fehlt. Denn der große CT6 steckt Fahrbahnunebenheiten oder Schlaglöcher ziemlich locker weg. Der Federungskomfort ist Spitze. Dazu bleibt es im Innenraum der Oberklasselimousine im Normalfall angenehm ruhig.

Wenn er soll, dann brüllt der V6 kräftig

Es sei denn, der Fahrer tritt das Gaspedal kräftig durch. Dann ist der Cadillac CT6 ein richtiger Brüller. Schreit im wahrsten Sinne heraus, wie kräftig sein V6-Motor ist. 555 Newtonmeter maximales Drehmoment stemmt der Aluminium-Vierventiler mit einem Hubraum von 2.997 ccm auf seine Kurbelwelle. Das ist nicht schlecht und zumindest mir fehlt in diesem Cadillac definitiv kein V8-Motor.

Der V6 des Cadillac CT6 3.0TT AWD
Der V6 des Cadillac CT6 3.0TT AWD (Foto: Cadillac)

Denn wer will, der kann mit dem Amerikaner auch mit nur 6 Zylindern ganz gemächlich und ruhig durch die Landschaft gleiten. Das gut mit dem Motor harmonierende 8-Gang-Automatikgetriebe unterstützt das eindrucksvoll. Das Getriebe legt früh höhere Gänge ein, um den Geräuschpegel an die Fahrzeugklasse anzupassen. Wer das Motto „reisen statt rasen“ wählt, wird mit dem CT6 sicherlich glücklich.

Der Cadillac CT6 ist ein genügsamer Zeitgenosse

Insgesamt war ich mehr als 500 Kilometer mit der großen Limousine unterwegs. Am Ende errechne ich einen durchschnittlichen Verbrauch von 7,2 Litern pro 100 Kilometer. Wobei der V6-Turbo sich mit bleifreiem Benzin mit 95 Oktan begnügt. Auch das zeigt, wie genügsam der CT6 sein kann. Zumal ich mit etwas Mühe auch eine Sechs vor dem Komma des Durchschnittsverbrauchs hätte schaffen können.

Doch zu meiner Probefahrt gehörte auch ein längeres Autobahnstück, das trieb den Verbrauch etwas nach oben. Auf der am frühen Samstagmorgen leeren Bundesautobahn 19 konnte ich den CT6 ausfahren. Selbst bei der auf 240 Kilometer pro Stunde abgeregelten Höchstgeschwindigkeit rollt der Cadillac recht gelassen über die Straße. Die Zeiten, als amerikanische Autos nur für ein Tempo von 88 Kilometern ausgelegt waren, sind offensichtlich vorbei.

Struktur des Cadillac CT6 3.0TT AWD
Bei der Karosserie des CT6 setzt Cadillac auf kräftigen Alu-Profile.

Später auf dem Rückweg, im inzwischen dichten Berliner Verkehr, entdecke ich, wie komfortabel sich der CT6 im Stadtverkehr bewegen lässt. Die aktive Hinterachslenkung reduziert den Wendekreis. Zudem ist die automatisierte Haltefunktion hilfreich. Sie verhindert, dass der Wagen nach vorne oder nach hinten rollt, wenn ich den Fuß von der Bremse nehme. Das macht den Stop-and-Go-Verkehr auf den Berliner Autobahnringen erträglicher.

Wie kann ich im Cadillac CT6 sitzen?

Bei einem Fahrzeug der Oberklasse lässt sich diese Frage natürlich nicht nur vom Fahrersitz aus beantworten. In der Oberklasse müssen auch die Plätze in der zweiten Reihe mehr Platz als üblich bieten. Das ist im Cadillac CT6 der Fall. Dabei hilft, dass der US-Boy standardmäßig ein Viersitzer ist. Nur für den Notfall ist vorgesehen, die ausladende Mittelarmlehne auf der Rückbank wegzuklappen.

Ich passe im Cadillac CT6 3.0TT AWD auch auf die Rückbank.
Das sieht enger aus, als es tatsächlich ist. Auf der Rückbank ist viel Platz. Die Sitze in der zweiten Reihe fühlen sie wie Einzelsitze an.

Auch in der vorderen Reihe sitze ich ausgesprochen komfortabel. Die vielfach einstellbaren Sitze lassen sich optimal an meinen mehr als zwei Meter langen Körper anpassen. Die Position von Gaspedal und Bremse passt zu meinen langen Beinen und meinen großen Füßen. Wobei der linke Fuß im CT6 mangels einer Kupplung beschäftigungslos auf einer Fußstütze ruht. Alles zusammen ermöglicht ein absolut ermüdungsfreies Reisen.

Die Sitze sind auch auf längeren Strecken wirklich komfortabel und die Kopfstütze lässt sich, was oft genug nicht der Fall ist, hoch genug einstellen. Auch wenn ich mir bei der Kopffreiheit trotzdem etwas mehr Raum wünschen würde. Allerdings stört mich zunächst die Innenverkleidung des Glasdachs. Ganz leicht berühren sie meine Haare. Das nervt mich zunächst etwas, bis ich die Innenverkleidung öffne und damit das Glasdach von innen freilege. Damit ist dieser kleine Mangel schnell vergessen.

Was hat mir gefallen?

Zu den positiven Eigenschaften des Cadillac CT6 gehört sicher der Fahrkomfort. Dazu weiß der Amerikaner in der von mir gefahrenen Platinum-Version auch mit seiner reichhaltigen Ausstattung zu glänzen. Das gefällt auch Christian Brinkmann von den Speedheads. Und es würde endgültig den Platz sprengen, an dieser Stelle alle Extras aufzuzählen, zumal die meisten Extras auch einen sehr hochwertigen Eindruck vermitteln. Deshalb beschränke ich mich auf einige Punkte, die mir besonders gut gefallen haben.

Die Verkehrszeichenerkennung zeigt immer genau auf Höhe eines Verkehrszeichens an, was gerade gefahren werden darf. Sie gehört definitiv zu den Dingen, die mir positiv in Erinnerung geblieben sind. Auch der Spurhalteassistent gefällt mir gut. Er passt zur Fahrzeugklasse. Der Computer führt den Cadillac im Fall der Fälle ruhig aber bestimmt in die richtige Fahrspur zurück. Cadillac hat das System passend zum ruhigen Gleiten der Oberklasse ausgelegt. Andere Hersteller gehen da wesentlich rabiater vor.

Der Innenraum des Cadillac CT6 3.0TT AWD weiß zu gefallen.
Der Innenraum des Cadillac CT6 3.0TT AWD weiß zu gefallen. (Foto: Cadillac)

Zudem überzeugt Cadillac mit vielen Details. Die Alcantara Bezüge an der A-Säule und am Dachhimmel sehen einfach gut aus und fühlen sich auch so an. Die aus Metall gefertigten Schaltwippen, die meine Finger hinter dem Lenkrad ertasten, verdeutlichen das. So müssen Schaltwippen sein! Ich verstehe bei anderen Herstellern regelmäßig nicht, warum sie an dieser Stelle so gerne die Haptik vernachlässigen.

Was hat mir nicht gefallen?

Trotz der vielen positiven Punkte gibt der Cadillac CT6 auch Anlass zur Kritik. Die Klimaanlage bläst etwas stark. Durch die Sonne, die meine Testfahrt begleitet, heizt sich der dunkle Testwagen etwas auf, entsprechend aktiv ist die Klimaanlage. Die Luftbewegungen sind deutlich spürbar. Das können europäische Wettbewerber etwas besser. Besonders im Audi A8 zieht es weniger. Da hat der Cadillac tatsächlich noch etwas Luft nach oben.

Zudem mißfällt mir die Abstimmung des Tempomaten. Wenn ich die Geschwindigkeit vom Abstands-Tempomaten regeln lasse und auf ein langsameres Fahrzeug auflaufe, dann regelt der Cadillac die Geschwindigkeit sehr zart herunter. Das passt zum Komfortanspruch dieser Klasse. Doch als ich zum Überholen ausschere, ist der CT6 kein Sprinter. Der Cadillac beschleunigt nur sehr moderat und für meinen Geschmack deutlich zu zaghaft.

Interessanterweise hat es dabei keinen Einfluß, ob ich im Normalprogramm oder im Sportmodus unterwegs bin. Ich kritisiere bei anderen Herstellern immer wieder, dass ihre Tempomaten beim Beschleunigen übertreiben. Bei Cadillac gilt das Gegenteil. Der CT6 geht hier zu zaghaft vor. Immer wieder schließen andere Verkehrsteilnehmer sehr schnell auf. Ich muß dem Amerikaner mit einem kräftigen Druck auf das Gaspedal helfen, um kein Verkehrshindernis zu sein.

Hat der Cadillac CT6 das Zeug zum Herausforderer?

Ja, diese Antwort ist einfach. Wie wir es von Cadillac inzwischen gewöhnt sind, verfügt auch der Cadillac CT6 über jede Menge Eigenständigkeit. Das Lob überwiegt bei Weitem die Kritik. Dazu glänzt der Amerikaner mit einem extrem guten Verhältnis zwischen Preis und Ausstattung. 94.500 Euro schreiben  die Cadillac-Händler an die Modelle der Platinum-Version. Für diesen Betrag gibt es zurzeit keine besser ausgestattete Oberklasse-Limousine.

Daten zum Testwagen

  • Typ: Cadillac CT6 3.0TT AWD Platinum
  • Grundpreis: 94.500 Euro (10/2016)
  • Motor: 6-Zylinder-Turbo-Ottomotor, V-förmig
  • Emissionsklasse: Euro 6
  • Getriebe: 8-Gang-Automatikgetriebe mit Wandlerschaltkupplung
  • Hubraum: 2.997 ccm
  • max. Leistung: 417 PS bei 5.700 1/min
  • max. Drehmoment: 555 Nm
  • Höchstgeschwindigkeit: 240 km/h
  • Hersteller-Nummer / Typ: 1766 / AAL
  • Versicherungstypklassen: 22, 29, 30 (Haftpflicht, Voll-, Teilkasko)

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Als Kind der 1970er-Jahre hatte Tom das große Vergnügen, in einem ausgesprochen automobilen Umfeld aufzuwachsen. Das war der optimale Nährboden, um heute über Autos zu schreiben und regelmäßig am Mikrofon über Autos zu sprechen. Denn Tom Schwede moderiert seit 2010 bei großen Oldtimer- und Klassik-Veranstaltungen in Deutschland. So ist Tom unter anderem bei den Classic Days (früher Schloß Dyck, heute in Düsseldorf) oder dem 1.000 Kilometer-Rennen am Nürburgring zu hören. Wenn Sie also einen Moderator oder Streckensprecher für Ihre Oldtimer-Rallye oder Ihr Oldtimer-Treffen suchen, dann sind Sie bei Tom definitiv richtig!