Schon als Cadillac 2013 die dritte Generation der Limousine CTS vorstellte, gab es Gerüchte über ein neues Modell der V-Serie. Zum Modelljahr 2016 legen die Amerikaner jetzt tatsächlich einen CTS-V mit dem 6,2 Liter großen V8-Motor nach. Ich war mit dem 649 PS starken Vertreter der oberen Mittelklasse auf Probefahrt.

Der kantige Cadillac CTS ist ein Auto für Kunden, die das Besondere suchen. Sie wollen – vermutlich – nicht an jeder Ampel jemanden treffen, der im gleichen Fabrikat und Modell unterwegs ist. Sehr schön ist das vor Golf- oder Segel-Klubs zu sehen. Auf den Parkplätzen dort stehen meist zahlreiche Fahrzeuge von Mercedes, BMW oder Audi. Nur vereinzelt mischt sich ein Cadillac dazwischen. Ihm entsteigt dann der Nonkonformist der Klubgemeinschaft.

Was unterscheidet den Cadillac CTS-V von seinen Brüdern?

Cadillac selbst spricht davon, dass ihre Kunden Autoenthusiasten sind. Und für die Fahrer der V-Serie gilt das im Besonderen. Denn mit dieser Produktgruppe kombinieren die Amerikaner – im Fall des CTS-V – die Karosserie einer Limousine mit dem Motor aus einem Sportwagen. Der 6,2 Liter große V8-Motor stammt aus der Corvette, wird im CTS-V jedoch zusätzlich von einem Kompressor zwangsbeatmet.

Das Ergebnis sind 649 PS, die 5.850 Umdrehungen pro Minute anliegen, und ein brachiales Drehmoment von 855 Newtonmetern. Das Drehmoment reißt bei moderaten 3.500 Umdrehungen pro Minute an den Komponenten des Antriebsstrangs. Es fließt über eine 8-Gang-Automatik und die Hinterräder auf die Straße. Dank dieses Antriebs geht es, wenn der Fahrer es will, im CTS-V jederzeit ganz gewaltig vorwärts. Die Sportlimousine hat so einen Bums, dass es einem unbedarften Autofahrer fast Angst macht.

Der CTS-V erinnert an Muhammad Ali!

Mit der Fahrzeuggröße und der wuchtigen Kraftentfaltung mit viel Bums erinnert mich der Cadillac unwillkürlich an einen Schwergewichts-Boxer. Mit seinem unangepassten Auftreten ist der Amerikaner, um in diesem Bild zu bleiben, der Muhammad Ali unter den Premium-Sportlimousinen. Der Cadillac kann genauso laut brüllen, wie es der wohl größte Boxer aller Zeiten im Vorfeld seiner Kämpfe tat.

Doch noch wichtiger, der Amerikaner überzeugt mit einer gewissen Leichtfüßigkeit. Leer wiegt der Cadillac CTS-V nur 1.850 Kilogramm. Der vergleichbare Mercedes-Benz E 63 AMG bringt ein Leergewicht von 1.920 Kilogramm auf die Waage. Der aktuelle BMW M5 wiegt leer 1.945 Kilogramm. Damit erinnert der CTS-V auch in diesem Punkt an Muhammad Ali. Denn auch der Champion war meist leichter und flinker als seine Gegner. Besonders deutlich wurde das Ende 1974 als Ali beim „Rumble in the Jungle“ gegen George Foreman antrat.

Für Muhammad Ali war der Kampf in Kinshasa ein Comeback. Der Ex-Champion ging in den Kampf als Herausforderer des aktuellen Weltmeisters. George Foreman verlies sich auf die schirre Kraft seines Schlags. In den ersten Runden brannte der Weltmeister ein wahres Feuerwerk ab. Doch Muhammad Ali wich den Schlägen seines Gegners in der Defensive leichtfüßig aus. Der Stil von Foreman war kraftraubend. Zur Hälfte des Kampfes verließen Foreman die Kräfte.

In der achten Runde setzte Ali zum finalen Schlag an. Mit einem KO-Sieg holte sich Muhammad Ali den Weltmeister-Titel zurück. Rückblickend gewann Ali den Kampf dank seiner Disziplin und Beherrschung. Eine ähnliche Taktik erfordert der Umgang mit dem Cadillac CTS-V im Alltag. Denn wer auf dem Fahrersitz des Amerikaners Platz nimmt, muss auf den richtigen Moment warten, bis er der Kraft des Motors freien Lauf gibt.

Wie fährt sich der Cadillac CTS-V?

Den Sprint aus dem Stand auf Tempo 100 Kilometer pro Stunde legt die Limousine in 3,7 Sekunden hin. Wer weiter auf dem Gas bleibt, kann – die richtige Strecke vorausgesetzt – ein Tempo von 320 Kilometern pro Stunde erreichen. Im Alltag deutscher Autobahnen ist jedoch meistens eher Schluss. Irgendwann stört immer ein Ford Mondeo oder VW Passat den Vortrieb. Solide Autos, ohne Zweifel. Doch sie sind mit anderen Geschwindigkeiten unterwegs. Das erfordert, das Tempo wieder zu reduzieren.

Doch sobald diese Verkehrsteilnehmer die linke Spur wieder freigeben, zieht es den CTS-V wie von einem Katapult abgeschossen wieder auf ein höheres Tempo. Besonders beeindruckend ist das im Sportmodus. Die Nadel des Drehzahlmessers stürmt dann regelgerecht nach oben. Die digitale Anzeige der Geschwindigkeit scheint zu springen. Wo eben noch 180 stand, stehen quasi sofort mehr als 220 Kilometer pro Stunde.

Bei einem Tempo von rund 250 Kilometern pro Stunde schaltet die Automatik nochmal hoch. Bei dieser Beschleunigungsorgie profitiert der Amerikaner vom besten Leistungsgewicht seiner Klasse. Nur 2,8 Kilogramm muss jede Pferdestärke bewegen. Und so fast unmittelbar mehr als 270 Kilometer pro Stunde auf dem Tacho. Bis – zumindest bei meiner Testfahrt – wieder irgendein Mittelklasse-Kombi die linke Spur am Horizont versperrt.

Spätestens jetzt sind die Bremsen des Cadillac CTS-V gefragt. Sie verfügen über genauso viel Biss wie der Motor. Vorne verzögert die Sportlimousine mit 390 Millimetern großen Scheibenbremsen. Hinten verfügt der Cadillac über 365 Millimeter große Scheiben. Das Sportlenkrad im Cockpit misst weniger, aber das nur am Rande. Die Bremsen verpacken die harten Bremsmanöver auch im vierten oder fünften Versuch ohne nennenswertes Fading.

Das Fahrwerk des Cadillac CTS-V bleibt selbst im Grenzbereich berechenbar. Einen großen Anteil daran haben die elektromagnetisch gesteuerten Dämpfer, die sich sehr individuell auf die Gegebenheiten der Fahrbahn einstellen. Ebenfalls großen Einfluss auf das Fahrverhalten hat das elektronische Sperrdifferenzial. Cadillac hat dem CTS-V einen zweiten Datenbus speziell für die Kommunikation der Fahrwerkskomponenten mit dem zentralen Steuercomputer spendiert.

Reifenpartner Michelin hat für die Fahrzeuge der V-Serie spezielle Reifen gebacken. Bei ihnen reagiert die Außenseite anders als die Innenseite der Lauffläche. Alles nur einige Details, die verdeutlichen, wie konsequent Cadillac in seiner V-Serie auf Sportlichkeit setzt. Und natürlich verfügt die Sportlimousine CTS-V auch über zahlreiche Fahrassistenzsysteme. Wer will, der kann diese jedoch deaktivieren. Doch mit jedem deaktivierten System sollte die Disziplin des Fahrers wachsen. Denn sonst keilt der Hecktriebler bei vollem Krafteinsatz auch mal aus.

Wie kann ich im CTS-V sitzen?

Mit einer Gesamtlänge von 5,02 Metern ist der Cadillac CTS-V im wahrsten Sinne ein großes Auto. Entsprechend großzügig fällt der Innenraum aus. Selbst ich muss den im Testwagen verbauten Sportsitz von Recaro nicht ganz nach hinten fahren, um den Wagen zu steuern. Die optionalen Sportsitze lassen sich auch in der Breite anpassen. Das wird größere wie kleinere Fahrer freuen.

Das knackige Sportlenkrad liegt gut in der Hand. Vielleicht verfügt es über etwas zu viele Knöpfe. Aber das ist sicherlich auch eine Frage des Geschmacks. Nett ist, wenn ich an den bevorstehenden Winter denke, die Lenkrad-Heizung. Dazu gefallen mir auch die Schaltwippen, die im Cadillac wie sich das in meinen Augen gehört aus Metall sind.

Was hat mir gefallen?

Über Geschmack lässt sich nicht streiten. Trotzdem erfordert die Entscheidung für einen Cadillac CTS-V einen gewissen Mut. Typische Käufer dieser Fahrzeugklasse sind in den Vorstädten zu Hause. Dort gibt es sicherlich einige Nachbarn, die die in jeder Hinsicht auffällige Sportlimousine nicht verstehen. Mir gefällt sie. Besondern mit dem optionalen Karbon-Sportpaket kommt der Cadillac fast schon schreiend daher – auch ohne, dass der kräftige V8 Geräusche von sich gibt.

Zum Preis von 3.900 Euro bekommt die Limousine mit diesem Paket zunächst die schon genannten Sportsitze von Recaro. Zusätzlich spendiert Cadillac dem CTV-S mit diesem Paket einige Anbauteile aus Karbon. Schon der große Heckspoiler und die ausladende Frontschürze sind in meinen Augen ein Blickfang. Außerdem gehören zu dem Paket ein ausladender Heckdiffusor sowie eine geänderte Motorhaube mit ausgeprägten Lüftungsschlitzen. Das Ganze ist nicht nur Show. Mit dem Paket verbessern sich die Aerodynamik und die Masseverteilung der Sport-Limousine.

Die Instrumente der Sportlimousine stellt ein 12,3 Zoll großes Display dar. Dem Credo der V-Serie folgend, befindet sich der Drehzahlmesser in der Mitte. Hilfreich auch die automatische Verkehrszeichenerkennung, die während meiner Testfahrt zuverlässig die erlaubte Höchstgeschwindigkeit anzeigt. Als Ergänzung verfügt der CTS-V über ein farbiges Head-up-Display. Das bewährt sich besonders in Gefahrsituationen, weil es Warnungen gut ins Blickfeld des Fahrers rückt. Auch das sind Dinge, die mir ausgesprochen gut gefallen.

Was hat mir nicht gefallen?

Wer sich für eine Sportlimousine wie den Cadillac CTS-V entscheidet, liebt das Außergewöhnliche. Solche Gefühle sind nicht immer rational erklärbar. Es funkt bei der ersten Begegnung. Im Inneren entsteht ein Drang, dem man einfach nachgeben muss. Das sorgt dann dafür, dass man auch Eskapaden wie ein austreibendes Heck verzeiht, die – bei logischer Betrachtung – im Alltag eigentlich nicht tolerabel sind.

All das macht die Frage danach, was mir beim CTS-V nicht gefällt, zu einer schwierigen Frage. Wenn ich partout etwas kritisieren muss, dann entscheide ich mich für den „kleinen“ Tank. Er fasst nur 72 Liter. Während meiner Testfahrt habe ich 16,4 Liter Superbenzin (98 ROZ) verbraucht. Wer so fährt wie ich, kommt mit der Limousine gerade einmal 439 Kilometer weit. Meiner Meinung nach würde dem Cadillac ein 100-Liter-Tank und damit etwas mehr Reichweite gut zu Gesicht stehen.

Fazit zum Cadillac CTS-V

Ich habe mich auf der Testfahrt mit dem Cadillac CTS-V hemmungslos in den V8 verliebt. In Anlehnung an permanente Ohrgeräusche und die Kraft des Motors taufte ich das Auto „Tinni-Bums“. Denn auch jetzt, einige Stunden nach dem Ende des Ausflugs, habe ich den Klang des Motors noch im Ohr. Dazu schwingen der Drang zur Vorwärtsbewegung und die lässige Kraftentfaltung des Aggregats noch immer in meiner Magengegend nach.

Damit gehört der zu kurze Ausflug mit dem Amerikaner zu den schärfsten Auto-Erlebnissen meines Lebens. Das Ganze schreit geradezu nach Wiederholung. Das will ich jeden Tag. Mit dem Cadillac CTS-V findet der Ali-Ausruf „I‘ am the greatest“ eine automobile Übersetzung. Mal gucken, wo ich auf die Schnelle die 98.500 Euro herbekomme, die die Sportlimousine kostet.

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Als Kind der 1970er-Jahre hatte Tom das große Vergnügen, in einem ausgesprochen automobilen Umfeld aufzuwachsen. Das war der optimale Nährboden, um heute über Autos zu schreiben und regelmäßig am Mikrofon über Autos zu sprechen. Denn Tom Schwede moderiert seit 2010 bei großen Oldtimer- und Klassik-Veranstaltungen in Deutschland. So ist Tom unter anderem bei den Classic Days (früher Schloß Dyck, heute in Düsseldorf) oder dem 1.000 Kilometer-Rennen am Nürburgring zu hören. Wenn Sie also einen Moderator oder Streckensprecher für Ihre Oldtimer-Rallye oder Ihr Oldtimer-Treffen suchen, dann sind Sie bei Tom definitiv richtig!