Es gibt wenige Automarken, denen ich seit Kindertagen hoffnungslos verfallen bin. Jaguar gehörte bisher dazu. Doch das, was ich in dieser Woche von Jaguar vernahm, ist geeignet, um diese Liebe zu beenden.
Meine Liebe zu Jaguar entstand früh. Meine Mutter schenkte mir ein Jaguar-Spielzeugauto, kurz bevor ich zur Schule kam. Sie selbst nahm in den 1960er-Jahren an einem Schüleraustausch in Großbritannien teil. Seitdem pflegte sie mit einer britischen Freundin aus diesen Tagen eine Brieffreundschaft. Deren Mann fuhr ein Auto aus Coventry, und ich hörte von diesem wunderbaren Auto wohl jedes Mal, wenn ich mit dem Jaguar spielte. Ein paar Jahre später, ich war inzwischen in der dritten oder vierten Klasse, fuhr dann auch noch meine Tante zunächst einen Jaguar XJ12 und kurze Zeit später einen XJS – ebenfalls mit zwölf Zylindern.
Höhenflug durch Tradition und mutiges Marketing
Das alles prägte mich offensichtlich. Ganz ablegen konnte ich diese Zuneigung nie. Auch später nicht, als ich regelmäßig über neue Autos schrieb. Als Motor-Journalist bin ich zur Neutralität verpflichtet. Trotzdem gebe ich gerne zu: Über die Einladungen zu Testfahrten des britischen Autobauers freute ich mich immer besonders. Das war zu der Zeit, als Jaguar mit Werbespots im James-Bond-Stil für sich warb. In diesen gab es röhrende Motoren und Vollgasfahrten durch London. Die Botschaft der Spots war, es sei gut, böse zu sein. Mit Autos wie dem mutigen „Krawallbruder“ Jaguar F-Type R Coupé mit 550 PS Leistung unterstrich der Autobauer seinen Anspruch, nicht den Mainstream anzusprechen.
Mit dieser Strategie gelang der Marke ein bemerkenswertes Comeback. Denn im März 2008 verkaufte Ford das Unternehmen an Tata Motors. Das war eine Kapitulation von Ford. Denn die Amerikaner rannten zuvor bei Jaguar fast zwei Jahrzehnte dem Erfolg hinterher. Tata setzte bei Jaguar von Anfang an auf die Geschichte der Marke. Mit dem F-Type setzte Jaguar 2012 seine Coupé- und Roadster-Tradition fort. Schon vorher knüpfte das Modell X351 – im Handel XJ – an die Geschichte großer Limousinen aus Coventry an. Dabei setzten die Briten auch technische Glanzpunkte. Das Seitenteil des XJ war zu seiner Zeit das größte aus Aluminium gefertigte Einzelteil der Autoindustrie.
Stagnation trotz Elektro-Pionierarbeit
Ab 2018 zeigte der I-Pace, dass die Firma auch das Thema E-Auto beherrscht. Doch es war die bisher letzte Neuerscheinung. Der XJ lief 2020 ohne Nachfolger aus. Die verbleibenden sechs Baureihen sind heute im Schnitt mehr als acht Jahre alt. Damit ist die Modellpalette der Briten inzwischen hoffnungslos veraltet. Schon vor gut einem Jahr gab Jaguar bekannt, ab 2026 ganz auf Elektroautos zu setzen. Das ist ein mutiger Schritt. Doch Tesla zeigt, dass das funktionieren kann. Offenbar will der Autobauer diesem Vorbild nacheifern, wobei zu hoffen ist, dass die Qualität der Briten besser ist. Denn kürzlich las ich, jeder siebte Tesla Model 3 fällt aktuell bei der Hauptuntersuchung durch.
In dieser Woche begann Jaguar, auf seinen Wandel hinzuweisen. Die zentrale Botschaft der dazu gestarteten Kampagne lautet „Copy Nothing“. Um das zu kommunizieren, lässt der Autobauer eine Gruppe futuristisch gekleideter Models auftreten. Das Gute an Utopien ist, dass sie meist nicht eintreten. Denn sonst würden wir heute mit Atomreaktoren in unseren Autos herumfahren – ein Bild, das Zukunftsforscher vor 60 Jahren für möglich hielten. Geschenkt auch, dass von den Models niemand wie ein typischer Jaguar-Kunde aussieht. Immerhin spricht jeder Autointeressierte über die Kampagne, wobei es keine positiven Stimmen gibt. Schon dies sollte die Chefs des Autobauers nachdenklich stimmen.
Historische Wurzeln, heutige Irrwege?
Dazu ändern die Briten ihr Logo. An die Stelle des ikonischen Namensgebers treten die Buchstaben „J“ und „R“. Das ist der Verrat am eigenen Markennamen. Es fühlt sich an wie eine vegane Form eines Fleischgerichts. Denn es verleugnet die springende Großkatze, die dem Autobauer seit 1945 seinen Namen gibt. Denn der inzwischen 102 Jahre alte Autobauer hieß ursprünglich Swallow Sidecar und baute Beiwagen für Motorräder. Ab 1927 bot die Firma auch Karosserien für Fahrgestelle anderer Hersteller an. Erst 1931 lieferte Standard ein spezielles abgesenktes Chassis exklusiv an das von William Lyons und William Walmsley gegründete Unternehmen.
Auf dieser Basis entstand der SS 1 – wobei offenblieb, ob SS dabei für Swallow Standard oder Standard Swallow stand. Ab 1935 bot William Lyons die erste vollständig in seiner Firma konstruierte Limousine an, die allerdings noch einen Motor von Standard nutzte. Zur Vorstellung des SS 100 änderte Swallow Sidecar seinen Namen in „S.S. Cars“. Dieser Name wurde mit dem Zweiten Weltkrieg ein Problem. Die Lösung bot der Modellname S.S. Jaguar 2 ½ Litre, des bisher erfolgreichsten Autos der Firma. Aus „S.S. Cars“ wurde „Jaguar Cars“, und der S.S. Jaguar 2 ½ Litre hieß fortan Mark IV. Insofern ist die Nutzung eines Kürzels wie „JR“ in der Geschichte des Unternehmens nicht ganz neu.
Ich sehe eine Kampagne voller Fragezeichen! Wohin steuert Jaguar?
Trotzdem ist ein Jaguar ohne Katze wie ein Mercedes-Benz ohne Stern oder ein BMW ohne Propeller. Die Verantwortlichen entledigen sich mit dem Verzicht auf das Wappentier der DNA der Firma. Das lässt mich als Marketing-Mitarbeiter eines großen Finanzkonzerns ratlos zurück. Ist die Kampagne genial oder dilettantisch? Sicherlich, der Autobauer schafft es, in einer Phase, in der der eigene Autobau ruht, in aller Munde zu sein. Doch der Preis ist hoch. Denn die bisherigen Kunden – auch wenn das nur noch wenige waren – nimmt die neue Kampagne nicht mit. Ob sie genügend neue Interessenten erreicht, erscheint fraglich.
Auf mich wirkt das Ganze unausgegoren. Die Marke gibt Millionen aus und fährt damit an die Wand. Ich denke, dass die Verantwortlichen bei Jaguar gerade den teuersten Fehler der Unternehmensgeschichte begehen. Das ist statt „copy nothing“ eher ein „be nothing“! Als Fan hoffe ich, dass ich mich irre.