Wie den Rennwagen Flügel wuchsen!

von AutoNatives.de am 06. Jan 2025

Heute ist kaum noch vorstellbar, wie die Formel 1 oder die Sportwagen-WM ohne aerodynamische Hilfsmittel funktionierte. Vor 60 Jahren wuchsen den Rennwagen plötzlich große Flügel.

Titelbild zum Artikel:Wie den Rennwagen Flügel wuchsen!

1968 trat Chaparral mit dem Chaparral 2G an. Unser Bild stammt aus Riverside. – Foto: Archiv AutoNatives.de

Die Entwicklung der Spoiler im Motorsport ist eng mit dem Verständnis der Aerodynamik verbunden, das sich ab den 1950er- und 1960er-Jahren stark weiterentwickelte. Nein, wenn wir hier heute im Blog von „Flügeln“ sprechen, dann meinen wir nicht die, die eine im Motorsport bekannte Brause ihren Kunden verspricht. Es geht um die Spoiler, die heute die Rennwagen kennzeichnen. Wer in alten Bildern aus den 1950er-Jahren oder den frühen 1960er-Jahren stöbert, der sieht in den Monoposto-Klassen schlanke „Zigarren“.

Bei ihnen diktierte – wie es seit der Frühzeit des Motorsports üblich war – die Technik die Form. Das führte oft zu fließenden Formen und sorgte damit für einfache und schöne Sportgeräte. Überlegungen zur Aerodynamik waren nicht gänzlich unbekannt. Sie spielten jedoch praktisch nur bei den Rekordfahrzeugen, die nach neuen Geschwindigkeitsweltrekorden strebten, eine Rolle. Auf der Rundstrecke stand ein geringes Gewicht im Mittelpunkt. So wäre wohl niemand auf die Idee gekommen, an sein Auto etwas zu schrauben, das da nicht hingehörte.

Frühe Ansätze in den 1950ern:

Die Idee, den Luftstrom zur Verbesserung der Fahrzeugstabilität zu nutzen, entstand in den 1950er-Jahren. Rennfahrer und Ingenieure erkannten, dass ihre Fahrzeuge bei hohen Geschwindigkeiten Auftrieb erzeugten. Das war problematisch, da es das Fahrzeug destabilisierte. Es gab bald erste Versuche, die Rennwagen mit seitlichen Blechen zu stabilisieren. 1955 besaß beispielsweise der Mercedes-Benz 300SLR solche kleinen Luftleitbleche. Doch bis zu den Spoilern, wie wir sie heute kennen, sollte es noch etwas dauern.

1965 wuchsen den Rennwagen Flügel!

Der Chaparral 2C des texanischen Rennfahrers, Konstrukteurs und Öl-Erben Jim Hall tauchte vor 60 Jahren mit dem ersten Spoiler auf. Der gelernte Ingenieur Hall brachte an der Front und am Heck seiner Konstruktion zunächst einfache Windblätter an. Doch Hall fand mit Unterstützung von General Motors heraus, dass ein einstellbarer Heckflügel zu sinkenden Rundenzeiten führte. So verfügte sein Chaparral bald über eine Möglichkeit, um den Abtrieb in Kurven zu erhöhen und auf Geraden zu reduzieren.

Lola T102 / BMW T102 mit hochstehendem Flügel deutlich über dem Rennwagen.

BMW bezog die Formel-2-Boliden Ende der 1960er-Jahre bei Lola. Unser Foto zeigt Hubert Hahne am Nürburgring. Auch hier steht der Heckflügel auf zwei Stelzen und überragt damit den Monoposto deutlich. (Foto: Archiv Autonatives.de)

Um den Effekt weiter zu verstärken, rückte Hall 1967 beim Chaparral 2E den Heckflügel mit Streben nach oben vom Fahrzeugkörper ab. Dort oberhalb des Fahrzeugs sollte der Spoiler in ruhigerer Luft besser wirken – ein Prinzip, das bald auch in anderen Rennklassen Anwendung fand. Lotus brachte 1968 beim Großen Preis von Monaco die ersten Spoiler an einem Formel-1-Auto an. Bereits zwei Wochen später, beim Großen Preis von Belgien in Spa-Francorchamps, rüsteten auch andere Teams ihre Fahrzeuge mit Flügelwerken aus. Kopieren gehörte in der Formel 1 schon immer dazu!

Praktisch aus dem Stand heraus waren die Flügel jetzt der Standard!

Die Teams entwickelten in schneller Folge immer aufregendere Konstruktionen: filigraner, um Gewicht zu sparen, höher aufragend, um mehr Anpressdruck zu erzeugen. Teilweise bestückten die Teams ihre Rennwagen vorne und hinten mit Flügeln, die mehr als einen Meter über dem Fahrzeugrumpf thronten. Doch die Teams unterschätzten die Kräfte, die dank der Flügelelemente auf ihre Fahrzeuge einwirkten. Das verkraftete nicht jedes Chassis sofort.

Dazu brachen immer öfter die Halterungen der Flügel. Das führte mehrfach zu schweren Unfällen. 1969, beim Großen Preis von Spanien auf dem Circuit de Montjuïc in den Straßen Barcelonas, kollabierte der Heckflügel am Lotus 49 von Graham Hill. Der Brite wurde dabei – mit deutlich mehr als 200 km/h unterwegs – auf einer Kuppe zum Passagier. Zum Glück überstand der dreifache Weltmeister den Unfall unverletzt. Wenige Runden später brach an der gleichen Stelle auch am Lotus von Jochen Rindt der Heckflügel.

Die Regelhüter reagierten und verboten die Turmbauten. An den Start durften nur noch Sportgeräte rollen, deren Flügel nicht über andere Teile des Fahrzeugs herausragten. Trotzdem wollten die Teams nicht auf ihre neuen Spoiler verzichten. Sie befestigten diese nun unmittelbar am Rumpf. Trotzdem brannte jetzt die Lunte. Denn inzwischen bezogen die Teams die Gestaltung ihrer Luftleitelemente von Anfang an in die Konstruktion ihrer Fahrzeuge ein. Und es dauerte nicht mehr lange, bis sie das ganze Fahrzeug als Element der Aerodynamik verstanden.

1970er-Jahre: Ground Effect und feste Flügel

March rüstete bald seinen Typ 701 mit seitlichen Flügelprofilen aus. Doch deren Effekt war vergleichsweise klein. In der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre entdeckten die Ingenieure den Bodeneffekt (Ground Effect). Der Lotus 79 veränderte 1978 die Welt. Denn seine Fahrzeugunterseite war so gestaltet, dass der Luftstrom unter dem Auto beschleunigt wurde und einen Sogeffekt erzeugte, der das Auto an den Boden „saugte“. Die Spoiler unterstützten dies zusätzlich.

Carlos Reutemann im Lotus 79 bei einem Rennen in Imola - Der Rennwagen machte den Ground Effekt in der Formel 1 Salonfähig.

Carlos Reutemann im Lotus 79 bei einem Rennen in Imola 1979

Nach dem Verbot der Bodeneffekt-Fahrzeuge konzentrierten sich die Teams wieder auf klassische Spoiler. Und so sind Spoiler bis heute ein zentrales Element der Motorsport-Aerodynamik. Moderne Formel-1-Autos verwenden hochkomplexe Flügelkonstruktionen mit verstellbaren Elementen (DRS – Drag Reduction System). Das sorgt für Abtrieb in den Kurven und für minimalen Luftwiderstand auf Geraden – ganz wie es Jim Hall schon bei seinem Chaparral vorsah.

Meilensteine der Aerodynamik im Motorsport:

  • 1950er: Erste Ansätze mit kleinen Luftleitblechen und vollverkleideten Karosserien.
  • 1960er: Jim Hall und Colin Chapman arbeiten mit großen Heckspoilern.
  • 1970er: Ground Effect revolutioniert die Aerodynamik.