von Tom Schwede am 04.08.2025

Lotus 907 im Jensen-Healey: Großes britisches Scheitern

Drei Tage lang durfte ich die Classic Days moderieren. Drei Tage voller Motorengeräusche, Geschichten und Begegnungen, aber auch mit wenig Zeit, um selbst über das Gelände zu streifen. Umso mehr blieb mir dieser Moment in Erinnerung: Ich stehe vor einem roten Jensen-Healey, die Haube offen, der Blick fällt direkt auf das Herz eines britischen Traums und seines Scheiterns.

Lotus 907 im Jensen-Healey

Bei den Classic Days am letzten Wochenende stand die Haube dieses Jensen-Healey offen, als wolle der kleine Sportwagen sagen: Ich war vielleicht kein großer Erfolg, aber ich war der Erste. (Foto: Fabian Wiedl)

Denn das, was da so kompakt, fast ein wenig verlegen im Motorraum sitzt, ist der berühmte Lotus 907, den Lotus Engineering entwarf. Die Entwicklung des Triebwerks begann bereits Ende der 1960er-Jahre. Zuvor setzte Lotus Motoren anderer Hersteller ein. Zum Einsatz kamen Aggregate wie der Kent-Motor von Ford oder von Coventry-Climax. Doch Lotus-Chef Colin Chapman wusste: Diese Abhängigkeit war wirtschaftlich und technisch riskant. Ein eigener Motor würde Lotus unabhängiger und souveräner machen.

Ein britisches Joint Venture mit Folgen

Als Vauxhall 1966 auf der Earls Court Motor Show den Slant-Four-Motor vorstellte, nahm das Projekt Fahrt auf. Um die Entwicklung eines eigenen Triebwerks zu beschleunigen, schloss Lotus ein Abkommen mit Vauxhall. Der Plan war, zunächst die Grauguss-Blöcke des neuen Vauxhall-Triebwerks zu nutzen, um den Zylinderkopf zu entwickeln. Anschließend wollte Lotus den Block von Vauxhall durch einen eigenen Aluminiumblock ersetzen. Deshalb verfügen beide Triebwerke über die gleichen Bohrungsabstände.

Auch den Zylinderkopf entwarf Lotus-Ingenieur Ron Burr aus Leichtmetall. Er verfügt über zwei obenliegende Nockenwellen sowie vier Ventile pro Zylinder. Mit diesem Zylinderkopf entstanden die als LV220 und LV240 bezeichneten „Hybridmotoren“. LV stand für „Lotus/Vauxhall“. Die Zahl dahinter bezeichnete die PS-Leistung. Lotus testete die Triebwerke in einem Vauxhall Victor, einem Vauxhall Viva GT (Kennzeichen RAH 713F) sowie in einem umgebauten Bedford-CF-Transporter. Doch schließlich entschied sich Colin Chapman gegen die Nutzung dieser Motoren in einem Lotus.

Ein Leichtmetallmotor für die Zukunft

Stattdessen entstand der Plan für einen eigenen Aluminium-Motorblock. Auch dessen Konstruktion übernahm Ron Burr. Der Ingenieur entschied sich für eine Aluminiumlegierung. Dadurch war der Lotus deutlich leichter als der aus Gusseisen gegossene Vauxhall Slant-Four. Das befriedigte auch die Ansprüche seines Chefs. Positiver Nebeneffekt für Vauxhall war, dass sich der Zylinderkopf von Lotus (angepasst) weiter auf den Vauxhall-Block montieren lässt. Die Kombination aus Vauxhall-Block und Lotus-Kopf setzte das Vauxhall-Werksteam bis in die späten 1970er-Jahre ein.

Jensen-Healey

Der Jensen-Healey war kein Erfolgsmodell. Umso mehr erfreut, dass es noch einige der Sportwagen gibt. (Foto: Fabian Wiedl)

Als der Motor 1970 fertig war, fehlte Lotus das passende Auto, um den Motor selbst zu verwenden. Der geplante Elite (Typ 75) verzögerte sich. Die bestehenden Autos ließen sich nicht an den neuen Motor anpassen. Etwa zur gleichen Zeit übernahm der norwegisch-amerikanische Geschäftsmann Kjell Qvale die Mehrheit an Jensen Motors. Qvale beauftragte Donald Healey und dessen Sohn Geoffrey Healey mit dem Entwurf eines Sportwagens. Für diesen Jensen-Healey nutzten Vater und Sohn Healey zahlreiche Komponenten des Vauxhall Viva GT.

Im Jensen-Healey feierte der Lotus 907 sein Debüt!


Dazu zählte ursprünglich auch der Slant-Four. Doch nach der Anpassung des Triebwerks an die US-Emissionsvorschriften fehlte dem Vauxhall-Motor in den Augen von Donald Healey Leistung. Davon hörte auch Colin Chapman – die Szene der britischen Sportwagenbauer war Anfang der 1970er-Jahre offensichtlich überschaubar. So bot Colin Chapman an, Jensen pro Woche 60 der neuen Motoren der 900er-Serie zu liefern. Doch Kjell Qvale lehnte zunächst ab. Erst nach längeren Verhandlungen kam es zum Deal.

Im Oktober 1971 kündigte Jensen an, bis zu 15.000 Lotus-907-Motoren pro Jahr im Jensen-Healey einzusetzen. Lotus lieferte eine mit Dell’Orto-Vergasern bestückte, 140 PS (104 kW) leistende Version seines Triebwerks. Im März 1972 startete die Auslieferung. Beim Debüt 1972 war der Lotus 907 im Jensen-Healey der erste Serien-Vierzylinder mit 16 Ventilen, der nicht aus dem Motorsport abgeleitet war. Erst ein Jahr später folgte der Triumph Dolomite Sprint mit einem 16-Ventil-SOHC-Triebwerk. Drei Jahre später folgte der 16-Ventil-DOHC Chevrolet Cosworth Vega.

Ein Meisterwerk auf dem Papier. In der Praxis? Eine Diva.

Jensen positionierte den Sportwagen zwischen MG und Jaguar, bot ambitionierte Technik zu einem erschwinglichen Preis. Doch der Markt war rau, das Produkt unreif, die Optik zu brav, der Ruf zu schnell ruiniert. Denn das Lotus-Herz im Jensen-Healey hatte eine Reihe von Problemen. Die Kunden berichteten von einem ungewöhnlich hohen Ölverbrauch. Dazu gab es oft Probleme mit den Zylinderlaufbuchsen. Kein Wunder, dass der Absatz deutlich hinter den Erwartungen zurückblieb.

Ende 1973 gab es eine Modellpflege. Der Jensen-Healey Mk2 erhielt einen überarbeiteten Motor mit einem neu gestalteten Kurbelgehäuse. Doch der Ruf war bereits ruiniert. Bis 1976 entstanden nur rund 10.000 Jensen-Healey. Was blieb, war ein interessantes Kapitel britischer Autogeschichte. Es umfasst ein Auto, das heute selten, unterschätzt und voller Widersprüche ist. Vielleicht ist genau das der Grund, warum mich der vom British Cars Service aus Essen bei den Classic Days präsentierte Sportwagen so faszinierte.

Bei Lotus funktionierte die „Lotus 900 Series“ besser!


Denn der Jensen-Healey bot einen ehrlichen Blick unter die Haube – auf das, was die britische Autoindustrie einst wagte. Und woran sie scheiterte. Wobei – im Fall des Jensen-Healey – sicherlich nicht (nur) der Motor schuld war. Denn Lotus nutzte die Erfahrungen mit den Kundenfahrzeugen, um seinen Motor weiterzuentwickeln. Ab 1974 trieb der „907“ den Lotus Elite an. Ein Jahr später folgten dessen Bruder Lotus Eclat (Typ 76) sowie der Lotus Esprit. Für den Esprit leitete Lotus später auch eine Turbo-Version (Typ 910) seiner „Lotus 900 Series“ ab.

Auch der 2,2 Liter große Vierzylinder (Typ 911) im Talbot Lotus Sunbeam war ein jüngerer Bruder des im Jensen-Healey erstmals präsentierten Triebwerks. 1984 zeigte Lotus auf der Birmingham Motorshow einen zur „900 Series“ gehörenden V8 (Typ 909) mit vier Litern Hubraum. Doch dafür war die Zeit noch nicht reif. Denn erst 1996 mit der V8 als Typ 910 im Lotus Esprit V8 auf die Straße. Ironie der Geschichte: Was bei Jensen nicht funktionierte, trug Lotus später auf vielen Wegen zum Erfolg. Und doch war es der Jensen-Healey, der dem Lotus-Herz zuerst einen Platz gab.


Gefallen gefunden?

Helfen Sie uns, besser zu werden – wie fanden Sie diesen Artikel?

Anzeigen:

Unterstützen Sie uns – mit einem Klick!

Wenn Sie unseren Amazon-Link nutzen, unterstützt das direkt unseren Blog. Sie profitieren von gewohnter Amazon-Qualität, wir von einer kleinen Provision. Und so hilft uns jeder Einkauf, den Sie über unseren Amazon-Link tätigen, hochwertigen Content für Sie zu erstellen. Ohne zusätzliche Kosten für Sie!

Zu Amazon …

Online-Magazin für echte Auto-Enthusiasten:

Seit 2007 dreht sich bei AutoNatives.de alles um Oldtimer, Youngtimer und die faszinierende Geschichte des Motorsports. Wir feiern automobiles Kulturgut und bringen regelmäßig spannende Geschichten über klassisches Blech und legendäre Rennsport-Momente.

Wir lassen Klassiker aufleben und prüfen moderne Autos!

Doch damit nicht genug: Auch aktuelle Modelle kommen bei uns auf den Prüfstand – authentisch, leidenschaftlich und mit dem unbestechlichen Popometer unserer Redakteure.

Alles zusammen macht AutoNatives.de zum Blog, das Auto-Geschichte lebendig werden lässt und moderne Technik auf Herz und Nieren prüft.