18. Juni 1995 – Wie McLaren in Le Mans Geschichte schrieb
Was passiert, wenn ein Supersportwagen von der Straße plötzlich das härteste Rennen der Welt erobert? Es wird legendär, wie am 18. Juni 1995, als McLaren im ersten Versuch die 24 Stunden von Le Mans gewann.
Damit markiert der 18. Juni eine der größten Überraschungen der Motorsportgeschichte. Ein Fahrzeug, das ursprünglich für den Boulevard gebaut wurde, bezwang das Feld etablierter Prototypen – und katapultierte sich so direkt in den Olymp des Rennsports. Drei Jahrzehnte später bleibt der Triumph des McLaren F1 unvergessen. Und nicht nur, weil der Sieger mit der Chassisnummer #01R heute in Le Mans im Museum steht.
Vom Gentleman-Driver zur Rennsport-Ikone
McLaren begann als klassisches Rennteam. Gründer Bruce McLaren träumte davon, die Autos zu fahren, die seinem Ideal entsprachen – schnell, kompromisslos, eigenständig. Die Konsequenz war das eigene Team. Doch der Neuseeländer verunglückte 1970 bei einem Test in Goodwood tödlich. Sein bereits für die Strasse zugelassener M6GT mit dem Kennzeichen OBH 500H blieb ein Einzelstück. Denn nach dem Tod des Gründers gab es andere Prioritäten.
Unter der Führung von Teddy Mayer, McLarens-Anwalt und enger Begleiter sammelte das Team stattdessen große Sporterfolge: Mark Donohue gewann 1972 in Indianapolis, Emerson Fittipaldi holte 1974 den ersten Formel 1-Titel. Auch James Hunt gewann die Weltmeisterschaft. Und 1984 siegte ein Rennwagen von McLaren endlich auch in Monaco – wobei Alain Prost unter kontroversen Umständen zum Sieg fuhr. Bruce McLaren gewann im Fürstentum übrigens selbst bereits 1962 als Cooper-Pilot.
Der große Wandel: Ron Dennis und das neue McLaren
Der Sieg des vom Neuseeländer gegründeten Teams in Monaco war Teil einer Neudefinition: Denn unter Ron Dennis, dessen Projekt „Project Four“ 1980 mit McLaren fusionierte (faktisch: McLaren übernahm), wurde das Team zur Technologiemacht. Der MP4/1 war 1981 das erste F1-Auto mit Kohlefaser-Monocoque. Dank der Motoren von TAG-Porsche folgten drei weitere WM-Titel mit Niki Lauda (1984) und Alain Prost (1985, 1986).
Auch von 1988 bis 1991 dominierte McLaren – dank Honda-Motoren – mit Ayrton Senna und Alain Prost die Formel 1-WM. 1988 gewann McLaren unfassbare 15 der damals 16 Saison-Rennen. Das 16. ging bei einer missglückten Überrundung verloren. Ron Dennis sagte 1988 einmal zu Journalisten: „Wir machen Geschichte und Sie schreiben darüber“ – klingt überheblich, und war doch richtig! Parallel reifte die Idee eines straßenzugelassenen McLaren – kompromisslos, leicht, schnell.
Gordon Murrays Meisterstück: Der McLaren F1
Chefideologe Gordon Murray – zuvor verantwortlich für McLarens Formel 1-Konstruktionen – entwarf einen Supersportwagen, der Maßstäbe setzte. 1992 erschien der McLaren F1, dessen Antrieb ein 6,1-Liter-V12 von BMW mit 627 PS übernahm. Dazu gab es: Eine Kohlefaserkarosserie, eine zentraler Fahrerplatz und eine Plakette mit McLarens Rennerfolgen im Motorraum. Von 1992 bis 1998 entstanden 106 Exemplare – darunter 28 Rennversionen namens GTR.
1995 trat der F1 GTR erstmals offiziell im Motorsport an. Bereits beim Auftakt der BPR Global GT-Serie in Jerez gewannen Ray Bellm und Maurizio Sandro Sala. Erster Sieg im ersten Rennen – so beginnen große Karrieren. Siege in Monza, Paul Ricard, Jarama, Nürburgring und Donington folgten – nur in Montlhéry vor den Toren von Paris gewann ein Porsche 911 Turbo.
Außenseiter mit Überraschungspotenzial
Le Mans 1995 galt Le Mans dennoch als Sache der Prototypen: WSC-Fahrzeuge wie der Courage C34 oder der Kremer K8 galten als Favoriten. Denn die GT1 wurden über den Winter neu definiert – ein GT musste nun 25-mal existieren, um teilzunehmen. Das sollte einen Coup wie im Vorjahr, als Porsche den alten 962 aus der Gruppe C als Dauer 962 LM in der GT-Klasse an den Start brachte, ausschließen.
Echte Siegchancen räumte kaum jemand dem McLaren F1 ein. Auch wenn sich die WSC-Konkurrenz früh selbst dezimierte: Ein Courage C41 verpasste das Rennen, weil er untergewichtig das Training bestritt. Zwei weitere Prototypen scheiterten im Training an ihren Buick-Motoren. Das Rennen nahmen schließlich nur sechs WSC auf – dem gegenüber standen gleich 27 GT1, 12 GT2 und drei LMP2 von Debora und Welter.
Regen, Fehler, Dramen – und McLaren vorn
Bereits nach einer Stunde setzte starker Regen ein – und blieb. Die Prototypen litten unter Aquaplaning, schlechter Sicht und der Empfindlichkeit ihrer Mechanik. Während Welter, Kremer und der einzige Ferrari 333SP aus- oder zurückfielen, spielte der McLaren F1 GTR seine Stärken aus. Denn je mehr es regnete, um so deutlicher wurden die Traktionsvorteile der McLaren, um so mehr verloren die WSC-Prototypen ihren Leistungsvorteil.
Hans-Joachim Stuck, ausgewiesener „Regenmeister“, küsste im Kremer K8 die Leitplanke. Immerhin, der Courage C34 von Bob Wollek, Éric Hélary und Mario Andretti hielt sich lange in der Spitzengruppe, führte zeitweise – bis der Ex-Weltmeister beim Überholen eines Kremer den Bremspunkt verpasste und ebenfalls in die Leitplanken rauschte. Sechs Runden verlor das Team dadurch – zu viel. Später nannte Andretti Le Mans 1995 „das schlimmste Rennen meiner Karriere“.
Der große Sieg – für McLaren und Japan
Um Mitternacht lagen fünf McLaren F1 in Front. Am Ende rollten Yannick Dalmas, JJ Lehto und Masanori Sekiya als Gesamtsieger ins Ziel – im McLaren F1 GTR des Teams Kokusai Kaihatsu Racing. Sekiya wurde der erste japanische Le-Mans-Sieger überhaupt. Ihr Vorsprung betrug eine Runde auf den Courage C34 von Wollek/Hélary/Andretti. Maximal eine halbe Stunde hätte der Prototyp wohl noch gebraucht, um an die Spitze zurückzukehren.
Auf den Plätzen drei bis fünf: drei weitere McLaren F1 GTR. Insgesamt vier F1 in den Top Fünf – das war ein Statement. Es machte McLaren zur Legende: Formel 1-WM, Großer Preis von Monaco, Indianapolis 500 und nun die 24 Stunden von Le Mans. Das kann sonst nur Mercedes-Benz bieten – wenn wir den Erfolg des Vorgängerunternehmens Daimler-Motoren-Gesellschaft (DMG) von 1915 im amerikanischen Nudeltopf mitzählen.
Der Geist von 1995
Der McLaren F1 kam als Außenseiter – und ging als Legende. Sein Sieg war kein Zufall, sondern das Ergebnis von Technik, Teamwork und Timing. Eigentlich war der Brite ein Auto für Superreiche – doch ausgerechnet im Dauerregen von Le Mans bewies der McLaren echte Klasse. Und zeigte nebenbeis, dass wahre Größe dort entsteht, wo niemand mit ihr rechnet. Es bleibt die Erkenntnis: Wer in Le Mans gewinnen will, muss mehr bieten als nur Tempo.
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