Wie die DDR die Formel Easter dominierte!

von Fabian P. Wiedl und Tom Schwede am 15. Jul 2024

Vor einer Woche blickten wir auf das Staatliche Rennkollektiv und den Motorradsport in der DDR zurück. Im zweiten Teil unser Serie über Motorsport in der DDR sehen wir uns die Formel Easter und den Pokal für Frieden und Freundschaft der sozialistischen Länder – die Europameisterschaft des Ostblocks an.

Titelbild zum Artikel:Wie die DDR die Formel Easter dominierte!

Der MT 77 entstand als Produkt der „Sozialistischen Renngemeinschaft“ SRG. Die Typenbezeichnung MT steht für die Konstrukteure Ulli Melkus und Hartmut Thaßler. Begabt wurde der 1977 vorgestellte Rennwagen bei Meldkus in Dresden. – Foto: Tom Schwede

Nach dem Abschied von der Weltbühne blieb den Motorsportlern aus der DDR nur die nationalen Meisterschaften und der Pokal für Frieden und Freundschaft der sozialistischen Länder. Diese Europameisterschaft des Ostens ging auf die Initiative von Lech Tulak und Jerzy Jankowski vom polnischen Automobil- und Motorradverband zurück. Beim Debüt 1963 gab es zunächst nur Läufe für Rennwagen der Formel Junior. An den Start gingen Piloten aus Polen, der DDR und Ungarn. Erster Champion wurde Heinz Melkus aus Dresden. Ab 1964 traten in der Meisterschaft auch Piloten aus Bulgarien an. 1965 kamen Piloten aus der ČSSR dazu. Zudem trat auch im Ostblock die Formel 3 an die Stelle der Formel Junior. Damit sank die Größe der Motoren von 1.100 ccm auf einen Liter. In der neuen Fahrzeugklasse gewann Heinz Melkus auf Anhieb seinen zweiten Titel. Melkus war im Ostblock zu dieser Zeit der dominierende Pilot. Denn nach 1963 und 1965 sicherte sich Melkus auch 1966, 1967 und 1972 den Pokal für Frieden und Freundschaft der sozialistischen Länder.

Die DDR spielte im Pokal für Frieden und Freundschaft eine wichtige Rolle!

1966 traten erstmals auch Piloten aus der UdSSR im Pokal für Frieden und Freundschaft der sozialistischen Länder an. Dort gab es damals neben Formel 3-Rennen immer auch noch Formel 2-Rennen. Insofern war der Pokal für die Piloten aus der UdSSR fahrerisch nicht das Höchste der Gefühle. 1970 folgten Piloten aus Rumänien. Interessant ist, dass sich in den Ergebnislisten dieser Jahre neben Eigenkonstruktionen aus dem Ostblock auch Fahrzeuge von Lotus oder Brabham finden. Offenbar war der Eiserne Vorhang durchlässiger als erwartet. Eine wichtige Rolle spielten dabei die Rennen auf dem Masaryk-Ring in der ČSSR. Der Masaryk-Ring war eine – ab 1964 nur noch – 13,941 Kilometer lange Naturrennstrecke im Westen von Brünn. Hier liefen die Rennen um den Pokal für Frieden und Freundschaft ab 1968 im Rahmenprogramm eines Laufs zum Tourenwagen-Europapokal. Das machte das Fahrerlager in Brünn zu einer wichtigen Drehscheibe zwischen Ost und West. Dort versorgten West-Piloten ihre Motorsport-Freunde aus dem Osten mit Teilen und Betriebsstoffen.

Heinz Melkus (links) beim Rennen auf der Halle Saale-Schleife 1964

Heinz Melkus (links) beim Rennen auf der Halle Saale-Schleife 1964 in seinem Formel 3 mit Wartburg-Motor. Der Rennfahrer aus Dresden war in der F3-Ära des Pokals für Frieden und Freundschaft der sozialistischen Länder eine echte Größe. Melkus gewann die Europameisterschaft des Ostens fünfmal. (Foto: Foto: Bundesarchiv, Bild 183-C0419-0003-005 / Gahlbeck, Friedrich; Studre / CC-BY-SA 3.0)

Neben der Fahrerwertung kannten die Regeln des Pokals für Frieden und Freundschaft auch eine Mannschaftswertung. Dafür nominierte jeder der beteiligten Motorsport-Verbände eine offizielle Nationalmannschaft. Die Equipe der DDR gewann bis 1971, als Klaus-Peter Krause (SEG Wartburg 312) auch den Fahrertitel in die DDR holte, sechsmal den Titel dieser Nationalkader. Ein Jahr später führten die Nationen hinter dem Eisernen Vorgang mit der “Formel Vostok” beziehungsweise “Formel Easter” eine eigene Fahrzeugklasse ein. Damit reagierten die Ostblock-Staaten darauf, dass die FISA schon 1971 die Formel 3 neu ausrichtete. Denn diese ursprünglich seit 1964 mit einem Liter großen Motoren. Die gab es inzwischen im Westen kaum noch. Deshalb hob die CSI das Hubraumlimit der Formel 3 auf 1,6 Liter an.

1972 entstand mit der Formel Easter eine eigene Fahrzeugklasse für den Ostblock!

Die Erweiterung des Hubraums war für die Mehrzahl der Ostblock-Staaten ein Problem. Denn dieser Schritt der CSI setzte die Ostblock-Staaten unter Druck, da ihre Kraftfahrzeug-Industrie fast nur kleinere Motoren baute. So entstand die Idee, sich völlig von Westen abzukoppeln. Das war fast schon bizarr. Denn während die Politik in Ost und West auf Entspannung setzte und sich annäherte, koppelte sich der Motorsport vom Westen endgültig ab. Denn beim Bau der Autos für die Formel Easter durften nur noch Teile Verwendung finden, die aus einem der Länder im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe stammten. Wobei das, was die Industrie nicht herstellte, fortan durch private Initiativen entstand. Die CSI nahm die „Formel Easter“ als „Formula E 1300“ in ihre Regeln auf, verzichtete ansonsten jedoch auf eine sportrechtliche Begleitung.

Formel Easter – Škoda MTX 1-01

Mit dem Škoda MTX 1-01 und seinen Nachfolgern wuchs den Rennwagen aus der DDR ein ebenbürtiger Gegner. In den 1970er-Jahren verdrängte die ČSSR damit die DDR von der Spitze der Formel Easter. (Foto: Jiří Sedláček – CC4.0)

Den ersten Titel der neuen Meisterschaft sicherte sich erneut Heinz Melkus. Den Titel der Nationen gewann jedoch die ČSSR. Deren Piloten dominierten die kommenden Jahre und gewannen 1973, 1974, 1976 und 1977 die Titel. 1975 ging der Titel nach Estland in die UdSSR. Die Einführung der Hubraumgrenze von 1,3 Litern machte den Motor des Lada 2101 zum beliebtesten Motor der Formel Easter. Der sowjetische Vierzylinder leistete in der Serie rund 70 PS. Im Rennbetrieb hatten die Triebwerke – zumindest in der Leistungsklasse I – mehr als 100 PS Leistung. Wobei die Regeln der Formel Easter dem Tuning enge Grenzen setzen. Wer konnte, der nutzte Motoren, die der Lada-Bauer „Wolschski awtomobilny sawod“ (WAS) für den Export vorsah. Bei diesen war die Qualitätskontrolle besser. Später baute gerade WAS auch Teile speziell für den Motorsport, was aber strenggenommen nicht den Regeln entsprach.

Ulli Melkus trat in die Fußstapfen seines Vaters!

Neben Lada-Motoren traten Teams auch mit Motoren aus dem Dacia 1300, dem Polski Fiat 125p oder dem Skoda 105 an. In der DDR war auch der Zweitaktmotor aus dem Wartburg 353 ein beliebter Rennmotor. Die Motorsportler im Osten fuhren damit, was sie in die Hände bekamen. Die Kraft der Lada-Motoren brachte in den Anfangsjahren der Klasse meist das Getriebe des SAS-968 „Saporoshez“ auf die Straße. Denn das war aus Magnesium und entsprechend leicht. Später kamen bevorzugt Wartburg-Getriebe zum Einsatz. Wobei diese im Inneren meist mit selbstgebauten Komponenten bestückt wurden. Die Aufhängungen stammten gerne vom Kleintransporter Barkas B-1000. Beliebt war der Eigenbau hydraulisch gedämpfter Stoßdämpfer.

Start zum 21. Frohburger Dreieckrennen, Rennfeld 1981

Das Rennen der Leistungsklasse 1 beim 21. Frohburger Dreieckrennen, Rennfeld 1981. Im SRG MT 77 mit der Startnummer 81 geht Ulli Melkus an den Start. Das Auto mit der Startnummer 91 in der zweiten Reihe traf ich 2010 in Hockenheim wieder, wie unser Titelbild zeigt. (Foto: Bundesarchiv, Bild 183-Z0928-023 / CC-BY-SA 3.0)

Wobei praktisch jeder Rennfahrer sein „Hausrezept“ fürs Mischen des Hydrauliköls hatte. Die Halbachsen vieler Rennwagen stammten aus den Geländewagen des sowjetischen Herstellers UAZ. Bei den Lenkungen waren Teile des Trabant beliebt. Für die Bremse kombinierten die Entwickler im Osten modifizierte Bremsscheiben von Lada mit dem Bremssattel von Wartburg. Denn dort gab es eine Vierkolben-Bremszange. Später waren auch die Scheibenbremsen des Polski Fiat 125p beliebt. Der Bau der Formel-Fahrzeuge war ein interessanter Mix aus Privatinitiative, Wissenschaft und Volkseigenen Betrieben. In der Regel taten sich mehrere Konstrukteure zusammen, um einen Rennwagen zu bauen. Wer konnte, der griff auf Ressourcen seines Arbeitgebers zurück.

Einzelkämpfer und Kollektive bauten ihre Rennwagen!

Offiziell waren Motorsportler im Ostblock Amateure. Und anders als Sportler anderer Sportarten waren sie keine Staatsamateure. Sie waren nicht nur formal in einem Betrieb angestellt und für ihren Sport freigestellt. Motorsportler konnten von so einer Vorzugsbehandlung nur träumen. Deshalb war Motorsport oft das Hobby von Selbständigen, die es auch im Ostblock gab. Heinz Melkus, Jahrgang 1928 arbeitete nach dem Krieg zunächst als Fuhrunternehmer. 1955 trat Melkus der „Betriebssportgemeinschaft Post Dresden“ bei. Dort baute der Dresdner zusammen mit den anderen Mitgliedern der BSG einen eigenen Formel 3-Boliden. Kurze Zeit später bestand Melkus die Fahrlehrerprüfung und machte sich mit einer Fahrschule selbständig.

Formel 3 Rennen beim Internationales Schleizer Dreieck-Rennen 1967

An den Rennen in der DDR nahmen immer auch Piloten aus westlichen Staaten teil. 1967 gewann der Engländer Chris Williams mit seinem Brabham BT21-Ford das Rennen der Formel 3 beim 34. Internationales Schleizer Dreieck-Rennen. Der Schwede Ulf Svensson (Brabham BT15 – im Hintergrund) wurde Dritter. (Foto: Bundesarchiv, Bild 183-F0813-0011-001 / Liebers, Peter / CC-BY-SA 3.0)

Fortan entstanden die Rennwagen in der Wartungshalle seiner Fahrschule. Erst 1960 gliederte Melkus den Rennwagenbau organisatorisch aus. Bis zur Wende entstanden in Dresden bei einem weiteren Unternehmen von Heinz Melkus Rennwagen. Zunächst für die Formel 3, ab 1972 für die Formel Easter. Schon drei Jahre zuvor stieg Melkus zum Autobauer auf. Das war nur möglich, weil die Kommission „Automobilrennsport des Motorsportverbandes“ (ADMV) – die ASN der DDR – das Projekt unterstützte. Sie stellte im November 1968 bei der Staatsführung den Antrag zum Bau des DDR-Sportwagens. In der offiziellen Begründung des Antrags hieß es, dass der Sportwagen zu „Ehren des 20. Jahrestages der Gründung der DDR“ entstehen soll. Das überzeugte die Verantwortlichen in Berlin offenbar. Bis 1979 sollten 101 Exemplare des Melkus RS 1000 die Werkstatt in Dresden.

Die DDR dominierte die Formel Easter!

Die Geschichte des Melkus RS 1000 zeigt, dass der Motorsport trotz des internationalen Rückzugs Rückendeckung bei der Staatsführung der DDR genoss. Und die DDR-Motorsportler zahlten diese Unterstützung mit Titeln zurück. 1978 holte Ulli Melkus, der Sohn von Heinz Melkus den Titel der Formel Easter erneut in die DDR. Mit den Meisterschaften 1980 sowie von 1983 bis 1985 fuhr der Dresdner wie sein Vater fünfmal zum Titel. Womit sich die Familie Melkus zehn der insgesamt 28 ausgetragenen Meisterschaften um den Pokal für Frieden und Freundschaft sicherte. Dazu gewann die DDR zwölf Mannschafts-Titel. In der Formel Easter führte also lange kein Weg den Motorsportlern aus der DDR vorbei.

Jan Veselý, RAF 80, Brno 1982

Jan Veselý in seinem RAF 80 bei einem Rennen der Formel Easter in Brünn, 1982. (Foto: Ltosnar – Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International)

Das Erfolgsgeheimnis der Piloten aus der DDR waren ihre modernen Rennwagen. Erst in den 1970er-Jahren verdrängten zeitweise die tschechoslowakischen Metalex MTX die Konstruktionen aus der DDR von der Spitze. Doch mit dem MT 77 der Konstrukteure Ulli Melkus und Hartmut Thaßler kehrten die Piloten aus der DDR an diese zurück. Ab Mitte der 1980er-Jahren dominierten die Estonia-Chassis aus der UdSSR die Szene im Ostblock. Eine Antwort aus der DDR gab es nicht mehr. Bereits 1986 wurde international aus der Formel E 1300 die neue Formel Mondial mit 1,6 Liter großen Motoren. Die DDR führte für ihre nationale Meisterschaft diese neue Formel erst 1989 ein. Das wirkt fast so, als ob sich die DDR inzwischen auch innerhalb des Ostblocks isolierte.

Die DDR verpasste den Anschluss – wie im richtigen Leben!

In der Staatsführung der DDR waren – bis zu ihrem Ende – Hardliner am Werk. Sie hielten die sozialistischen Werte hoch. Das zeigte sich auch bei den Reifen. In den ersten Jahren trat die Formel Easter mit Reifen von Barum aus der ČSSR an. Die waren so hart, dass die Piloten sie teilweise mehrere Saisons fuhren. In den 1980er-Jahren verdrängten Prostor-Reifen aus sowjetischer Produktion Barum als führende Motorsport-Reifenmarke. Dazu traten immer häufiger Piloten mit Reifen von Michelin an. Das war zwar strenggenommen verboten, wurde aber meist geduldet. Nur in der DDR war ein Start mit Reifen von Michelin undenkbar. Ähnlich sah es bei Stoßdämpfern aus. Auch hier fuhren sowjetische und tschechoslowakische Piloten Westfabrikate, die Piloten der DDR bauten selbst.

Formel Easter – Estonia Mk 21

Gegen Ende dominierten die Rennwagen von Estonia die Formel Easter. Die Estonia Rennwagen entstanden bei Tallinna Autode Remondi Katsetehas. Vom Erfolgsmodell Estonia entstanden 295 Exemplare. (Foto: Tom Schwede)

Denn die DDR bestand in ihren Meisterschaften weiter auf den Einsatz von Teilen aus sozialistischer Produktion. Wer in der DDR um Titel und Meisterschaften kämpfen wollte, der musste sich zunächst in der Bestenermittlung der „Leistungsklasse 2“ (LK 2) beweisen. Dort durften in den Rennwagen der Formel Easter nur Serienmotoren stecken. Nur wer sich in der LK2 bewährte, der durfte in die „Leistungsklasse 1“ aufsteigen, wo getunte Motoren zum Einsatz kamen. LK 1-Piloten kämpften um die offizielle DDR-Meisterschaft und durften bei den internationalen Pokalläufen antreten. In den besten Zeiten traten bei den Rennwochenenden in der DDR mehr als 50 Aktive zu den Formel-Rennen der beiden Leistungsklassen an. Vielleicht erklärt das, warum nach der Wende mit dem neuen Sachsenring und dem Lausitzring sowie in Oschersleben drei permanente Rennstrecken auf dem Gebiet der DDR entstanden.

In der nächsten Woche blicken wir im dritten Teil unser Serie über den Motorsport in der DDR und dem Ostblock auf Tourenwagen und Sportwagen zurück. Dazu gehört natürlich auch der unvergleichbare Melkus RS 1000.