Was ist das? Ein Kitchiner K4B von Tony Kitchiner!

von Tom Schwede am 09.10.2024

Kürzlich stöberte ich in unserem Foto-Archiv. Dabei stolperte ich über das Bild eines gelben Monoposto. Ich fragte mich, was ist das denn? Die Antwort war nicht einfach zu finden. Mit etwas Mühe fand ich heraus, dass das ein Kitchiner K4B war. Damit stieß ich auf die spannende Geschichte von Tony Kitchiner.

Titelbild zum Artikel:Was ist das? Ein Kitchiner K4B von Tony Kitchiner!

Dieses Bild fand ich vom Kitchiner K4B in unserem Archiv. Die Identifizierung war schwierig. – Foto: Tom Schwede

In unserem Archiv schlummern noch circa 50.000 Bilder ohne Schlagworte. Die ältesten von ihnen entstanden schon vor mehr als zwei Jahrzehnten. Das macht es oft schwer, die fotografierten Rennwagen heute zweifelsfrei zu identifizieren. Denn einige von ihnen sind so exotisch, dass selbst das ansonsten allwissende Internet (fast) nichts weiß. Die Bilder eines ungewöhnlich aussehenden gelben Formel-Rennwagens waren so ein Fall. Sie entstanden 2004 beim vom DAMC05 organisierten Internationalen Oldtimer-Festival um den Jan-Wellem-Pokal am Nürburgring. Am Ende war die Identifikation des damals von mir fotografierten Rennwagens eines der härtesten Bild-Rätsel, das ich bisher knacken durfte.

Was war das für ein gelber Rennwagen?

Beim Internationalen Oldtimer-Festival um den Jan-Wellem-Pokal trat 2004 die damalige Jochen Rindt-Trophy am Nürburgring an. In dieser kämpften seiner Zeit historische Formel 2-Rennwagen unter dem Patronat der FIA um einen Titel. Mit dem Bezug auf Jochen Rindt würdigte die FIA, dass der in Mainz geborene Rennfahrer der erfolgreichste Pilot der 1,6 Liter-Ära (1967-1971) der Formel 2 war. Allein 1967 gewann der Deutsche mit österreichischer Rennlizenz in der Formel 2-Europameisterschaft fünf der zehn Läufe. Doch als „A-Graded-Driver“ durfte Rindt keine EM-Punkte sammeln. So ging der Titel an Jacky Ickx.

Kitchiner K4B und das Feld der Jochen Rindt-Trophy

Der Kitchiner K4B im Feld der Jochen Rindt-Trophy, 2004 am Nürburgring.

Die Identifikation der 2004 in der Jochen Rindt-Trophy antretenden Rennwagen von Lola oder March war einfach. Denn diese sind bis in die Gegenwart heute im historischen Motorsport regelmäßig aktiv. Doch im Feld fiel mir ein Fahrzeug mit ungewöhnlich gestalteter Fronthaube auf. Denn einen so großen Kühler auf der Nase eines Rennwagen kannte ich bisher nur vom Ensign N179, der zu Beginn seiner Rennkarriere über eine Kühlerkaskade auf der Nase verfügte. Damit wollten die Verantwortlichen bei Ensign Freiraum für die Gestaltung des Unterbodens gewinnen. Doch die Piloten stöhnten über die Hitze im Cockpit. Ensign brach den Versuch ab und verstaute die Kühler anders.

Taugt der Kühler auf der Nase als Spur?

Der kleine gelbe Rennwagen, den ich jetzt identifizieren wollte, ist deutlich älter. Heute weiß ich, dass er ursprünglich 1970 entstand. Damals waren vor dem Piloten platzierte Kühler fast noch der Standard. Dort standen sie schon bei den Grand Prix-Boliden der 1930er-Jahre. In den 1960er-Jahren entstanden vor den Kühlern die typischen Hai-Fisch-Mäuler. Erst im Laufe der 1970er-Jahre wanderten die Kühler in die Seitenkästen, wo sie bis heute bei Formel-Rennwagen meist sitzen. Beim gelben Rennwagen wich, um im Bild zu bleiben, das Hai-Fisch-Maul einer Reihe von Kiemen. Genau diese Gestaltung gab mir Hoffnung, dass ich den Rennwagen identifizieren könne.

Optimistisch rief ich Googles Bildersuche auf. Die zeigte mir auch sofort ein paar gelbe Rennwagen an. Doch der Gesuchte war nicht dabei. Google Lens wählte sogar überwiegend jüngere Fahrzeuge als „ähnlich“ aus. Denn die bauchige Form des gesuchten Rennwagens hilft, das Fahrzeug ungefähr 1970 zuzuordnen. Die vorgeschlagenen Rennwagen waren überwiegend mindestens zehn Jahre jünger. Zudem war – warum auch immer – die Formel Ford stark vertreten. Das passte alles nicht! Denn durch den Start in der Jochen Rindt-Trophy wusste ich, dass der Rennwagen in die Formel 2 oder die eng mit ihr verwandte Formel Atlantic gehört.

Nein, erst der Name des Piloten brachte mich auf die richtige Spur!

Ich vergrößerte die Bilder, die ich von dem gelben Rennwagen habe, nochmals. Dabei entdeckte ich am Rand des Cockpits den Namen Patrick Sumner. Das erwies sich als gute Spur. Denn 2004 tauchte dieser Name in einer Diskussion im Forum der britischen Zeitschrift AUTOSPORT auf. Unter der Überschrift „F5000 entrant & manufacturer Tony Kitchiner“ diskutierten einige Leser über historische Rennwagen. Ein Leser schrieb, dass der Rennwagen mit der Startnummer 99 ein Formel Atlantic sei. Patrick Sumner erwarb 1970 ein Formel 3-Chassis des Typs Kitchiner K2A und rüstete es für die Formel Atlantic um – stand dort … „Bingo“ ich hatte den gelben Rennwagen als Kitchiner K4B identifiziert!

Kitchiner K4B

Die Fronthaube des Kitchiner K4B ist markant. Trotzdem war die Identifikation des Kitchiner K4B nicht so einfach.

Denn mit dem Umbau für die Formel Atlantic wurde aus dem Kitchiner K2A der Kitchiner K4B – den ich 2004 am Nürburgring sah. Wohl immer noch mit Patrick Sumner im Cockpit, denn der Brite trennte sich – so die Quellen – erst 2017/18 von seinem Rennwagen. Von 1971 bis 1973 trat Sumner mit dem Kitchiner K4B satte 22-mal in der Formel Atlantic an. Das verband offensichtlich. Denn Sumner wechselte 1974 in einen Trojan T101 und die Formel 5000, trotzdem blieb der Kitchiner K4B an seiner Seite. Nach der Jahrtausendwende holte Sumner seinen ersten Monoposto aus dem Ruhestand zurück. Sumner trat mit dem von Tony Kitchiner gebauten Kitchiner K4B nun regelmäßig in der Jochen Rindt-Trophy an.

Ab 1969 baute Tony Kitchiner eigene Rennwagen

Tony Kitchiner baute ab 1969 eigene Rennwagen. Zuvor war Kitchiner im „Chequered Flag Racing Team“ tätig. Hinter diesem Team stand Graham Warner (1929 bis 2014) aus London. Warner, ein ehemaliger Kampfpilot der RAF gründete 1956 zunächst einen Autohandel in seiner Heimatstadt. Das lief offenbar gut, denn schon kurze Zeit später trat Warner mit einem Cooper Bristol und einem Aston Martin DB4GT Zagato regelmäßig bei Sportwagen-Rennen an. 1959 erwarb Warner die Rechte am Moorland Mk 2 für die Formel Junior. Unter den Namen Gemini Mk 1 gewann der von Leslie Redmond und Len Terry konstruierte Rennwagen unter der Regie von Warner schon den ersten Einsatz.

Denn in Anlehnung an seinen Autohandel „The Chequered Flag Car Sales“ gründete Graham Warner „Chequered Flag Engineering“, um die Gemini-Rennwagen zu vermarkten. Nach vier Jahren übergab Warner das Formel Junior-Projekt an George Henrotte. Warners „Chequered Flag Racing Team“ trat stattdessen bei Sportwagen-Rennen und in der Formel 3 an. Tony Kitchiner arbeitete als Werkstattleiter für das Team. Doch Ende 1968 schloss Graham Warner sein Rennteam, um sich – für ein paar Jahre – dem Musikgeschäft zuzuwenden. Tony Kitchiner war damit arbeitslos und gründete daher unter dem Namen „Kitchiner Race Developments“ ein eigenes Unternehmen.

Der Kitchiner K4B entstand als Kitchiner K2A!

Erster Kunde des jungen Unternehmens war der französische Rennfahrer Albert Badan. Tony Kitchiner lieferte einen Formel 3-Rennwagen, der später als Kitchiner K2 mit Ian Ashley im Cockpit in der Formel 5000 antreten sollte. Albert Badan erhielt mit dem Kitchiner K2A einen neuen Formel 3-Boliden. Ein zweites Exemplar dieses Typs erhielt mit René-Pierre Alié ebenfalls ein französischer Rennfahrer. Badan rüstete sein Fahrzeug bald mit V8-Motoren von Rover und Oldsmobile (Buick 215) aus und setzte den Rennwagen fortan am Berg ein. Das Chassis von René-Pierre Alié ging an Patrick Sumner. Zuvor überarbeitete Tony Kitchiner jedoch das Chassis.

Dabei entstand der Kitchiner K4B, den Patrick Sumner in der Formel Atlantic einsetzte. In der ersten Saison trat der Brite dabei unter der Bewerbung von „Tony Kitchiner Racing“ an. Ab 1972 setzte Patrick Sumner seinen Rennwagen in Eigenregie ein. Denn Tony Kitchiner sah inzwischen eher in der Formel 5000 für sich und seine Rennwagen einen Markt. Schon 1970 – parallel zum K2A, der zum Kitchiner K4B reifte – entstand mit dem Kitchiner K3B ein Fahrzeug für diese größere Klasse. Als Werkspilot steuerte zunächst Gordon Spice den Boliden. Doch die Idee, einen Motor des Ford Mustang Boss 302 (4,9 Liter) aus der Trans Am-Serie zu nutzen, scheiterte.

1973 endete die Geschichte der Rennwagen von Kitchiner Race Developments

Das aus den USA importierte Triebwerk funktionierte im Monoposto nicht wie geplant. Stattdessen trat Pilot Gordon Spice mit einem von J.W. Automotive gekauften 4,7-Liter Langstrecken-Triebwerk an. Der K3A blieb ein Einzelstück. 1971 übernahm Rob Taylor das Chassis. Den für 1971 geplanten weiterentwickelten K3B mit Rover V8 konnte Tony Kitchiner nicht fertigstellen. Die Presse berichtete ein paar Mal über den Rennwagen, auf die Rennstrecke schaffte es der K3B nie. Zeitweilig plante Tony Kitchiner auch einen neuen Rennwagen mit Rolls-Royce-Triebwerk. Doch stattdessen modifizierte Kitchiner Race Developments letztlich die von Spice 1971 eingesetzten McLaren M10B.

McLaren M10

Nach den eigenen Rennwagen nutzte Tony Kitchiner Chassis des McLaren M10, um von ihnen seinen Kitchmac abzuleiten. Unser Foto zeigt einen M10 in Hockenheim.

Dabei entstand der Kitchmac, den Gordon Spice, John Kendell, Alan Rollinson, Roger Williamson, Richard Knight und Kaye Griffiths 1972 und 1973 in der Formel 5000 einsetzten. Dessen Rennkarriere begann verheißungsvoll. Denn Gordon Spice stellte den Rennwagen beim Debüt sofort auf den besten Startplatz. Doch schon das Rennen beendete der Brite „nur“ als Vierter. Zudem war der Rennwagen unzuverlässig. Denn bei 20 Einsätzen sah der Kitchmac nur sechsmal die Zielflagge, fiel zwölfmal nach Defekten aus. Ab 1974 beschränkte sich Tony Kitchiner daher auf die Betreuung von Rennwagen anderer Hersteller.

Die Einsätze des Kitchiner K4B im Überblick:

Datum Rennstrecke Ergebnis Bewerber Serie Bemerkung
2. Mai 1971 Brands Hatch 10. Platz Tony Kitchiner Racing BRSCC British Formula Atlantic 1971
30. Mai 1971 Brands Hatch 11. Platz Tony Kitchiner Racing BRSCC British Formula Atlantic 1971
31. Mai 1971 Snetterton Ausfall Tony Kitchiner Racing BRSCC British Formula Atlantic 1971 Motorschaden
20. Juni 1971 Brands Hatch 3. Platz Tony Kitchiner Racing BRSCC British Formula Atlantic 1971 Dies war das beste Ergebnis des Kitchiner K4B.
27. Juni 1971 Snetterton Nicht gestartet Tony Kitchiner Racing BRSCC British Formula Atlantic 1971
3. Juli 1971 Oulton Park Ausfall Tony Kitchiner Racing BRSCC British Formula Atlantic 1971
4. Juli 1971 Brands Hatch 6. Platz Tony Kitchiner Racing BRSCC British Formula Atlantic 1971
1. August 1971 Snetterton Nicht gestartet Tony Kitchiner Racing BRSCC British Formula Atlantic 1971 Ödruck
30. August 1971 Castle Combe Ausfall Tony Kitchiner Racing BRSCC British Formula Atlantic 1971
12. September 1971 Brands Hatch 9. Platz Tony Kitchiner Racing BRSCC British Formula Atlantic 1971
9. Oktober 1971 Castle Combe 7. Platz Tony Kitchiner Racing BRSCC British Formula Atlantic 1971
24. Oktober 1971 Mallory Park 7. Platz Tony Kitchiner Racing BRSCC British Formula Atlantic 1971
31. Oktober 1971 Brands Hatch Ausfall Tony Kitchiner Racing BRSCC British Formula Atlantic 1971 Unfall
3. April 1972 Brands Hatch 7. Platz Patrick Sumner BRSCC British Formula Atlantic 1972
16. April 1972 Brands Hatch Nicht gestartet Patrick Sumner BRSCC British Formula Atlantic 1972 Ein Getriebeschaden im Training verhinderte den Start des Kitchiner K4B.
30. April 1972 Mallory Park 10. Platz Patrick Sumner BRSCC British Formula Atlantic 1972
28. Mai 1972 Brands Hatch Ausfall Patrick Sumner BRSCC British Formula Atlantic 1972 Der Kitchiner K4B erhielt nach einem Schaden am Heckflügel die schwarze Flagge.
18. Juni 1972 Mallory Park Ausfall Patrick Sumner 1972 Yellow Pages Trophy for Formula Atlantic
25. Juni 1972 Brands Hatch 10. Platz Patrick Sumner BRSCC British Formula Atlantic 1972
30. Juli 1972 Brands Hatch Ausfall Patrick Sumner BRSCC British Formula Atlantic 1972
15. Oktober 1972 Brands Hatch Ausfall Patrick Sumner BRSCC British Formula Atlantic 1972 Fahrwerk
21. Oktober 1972 Brands Hatch 11. Platz Patrick Sumner „John Player Victory Meeting“ – Formula Atlantic
6. Mai 1973 Mallory Park Ausfall Patrick Sumner BP British Formula Atlantic Sein letztes Rennen schloss der Kitchiner K4B mit einem Unfall ab. Patrick Sumner brach sich bei diesem Unfall das Handgelenk.

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