Volkswagen entstand 1937, um den KdF-Wagen zu bauen. Nach dem Zweiten Weltkrieg legte dieser als VW Typ 1 eine Welt-Karriere hin. Denn das umgangssprachlich Käfer genannte Auto verkaufte sich hervorragend in die ganze Welt. Das brachte dem Unternehmen Volkswagenwerk Milliarden ein. In den ersten Jahren gehörte Volkswagen dem Staat. Der privatisierte das Unternehmen erst 1960, sicherte sich im VW-Gesetz jedoch dauerhaft eine Sperrminorität. Geblendet vom Erfolg des Käfers und des ähnlich aufgebauten Transporters verpaßte Volkswagen in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre fast das eigene Ticket in die Zukunft. Der Käfer war eine Konstruktion der 1930er-Jahre. Seine Fertigung prägten zahlreiche manuelle Produktionsschritte. Das war – im Vergleich zu den Kontrahenten – teuer und reduzierte die Marge pro Auto. Um Geld zu verdienen, benötigte die Volkswagenwerk AG hohe Stückzahlen.
VW benötigte große Stückzahlen, um Geld zu verdienen!
Mehrere Projekte, einen Käfer-Nachfolger zu entwickeln, scheiterten. Volkswagen war auf Gedeih und Verderb vom Käfer abhängig. Also bauten die Manager die Produktionskapazitäten aus. Schon 1957 übernahm Volkswagen in Kassel Werkshallen der ehemaligen Henschel Flugmotorenbau GmbH. 1964 eröffnete das Werk in Emden. Im April 1969 erwarb Volkswagen in Salzgitter Flächen für den Bau einer weiteren Fabrik. Doch die Manager wussten, dass der Kauf eines Werks schneller als der Bau eines Werks ist. Daher erwarb Volkswagen von 1964 bis 1966 in mehreren Schritten die Auto Union GmbH in Ingolstadt. Diese Firma entstand nach dem Zweiten Weltkrieg, um Ersatzteile für die Vorkriegsfahrzeuge von DKW zu produzieren. Denn diese hatten den Krieg in größten Stückzahlen überlebt. Die Wehrmacht zog nur im Ausnahmefall Zweitakter oder Fahrzeuge mit Frontantrieb ein. Zudem verfügte DKW schon in den 1930er-Jahren über ein erfolgreiches Exportgeschäft.
Besonders in Skandinavien und Brasilien gab es immer noch genügend DKW-Besitzer, die Bedarf an Ersatzteilen hatten. In der Hoffnung mit Ersatzteilen für diese Autos Geld und Devisen zu verdienen, gründeten ehemalige Mitarbeiter der DKW-Mutter Auto Union in Ingolstadt schon 1945 die „Zentraldepot für Auto Union Ersatzteile Ingolstadt GmbH“. In diesem Unternehmen fanden sich auch die vier westlichen Auto Union-Niederlassungen in München, Nürnberg, Hannover und Freiburg (Breisgau) wieder. Die Gründung finanzierte unter anderem der Schweizer Unternehmer Ernst Göhner. Eine Verbindung nach Sachsen gab es zu dieser Zeit nicht. Dort wurden aus den Werken der sächsischen Auto Union bald „Volkseigene Betriebe“. Für die dortige Holding gab es keinen Bedarf mehr. So wurde die Auto Union AG im August 1948 liquidiert. Damit war für das Westunternehmen der Weg frei, sich nur noch Auto Union zu nennen.
Die Auto Union hatte nach dem Desaster mit der „Frischöl-Automatik“ freie Kapazitäten!
Schon 1949 startete das Westunternehmen mit dem DKW-Schnelllaster und dem DKW F89, den die neue Auto Union als Meisterklasse verkaufte, seine eigene Fahrzeug-Produktion. Der Markt nahm die Fahrzeuge zunächst gut auf. Das weckte Begehrlichkeiten. Friedrich Flick drängte die Daimler-Benz AG zur Übernahme der Auto Union. Flick verfügte als Großaktionär in Stuttgart über einigen Einfluss und erwarb 88 Prozent der Anteile an der Auto Union. Im April 1958 reichte Flick diese an Daimler-Benz weiter. Der Stuttgarter Autobauer hatte, anders als oft behauptet, eine klare Idee dazu, wie es die Auto Union führen wollte. Walter Hitzinger, der 1961 den Vorstandsvorsitz der Daimler-Benz AG übernahm, stellte in einem Interview mit dem Spiegel die Tochter als „Anschlußglied“ für die eigene Marke dar. Die Aufgabe der Auto Union sei die Entwicklung von Typen, die das Programm von Mercedes-Benz nach unten abrunden.
Wer bisher mit einem Auto Union 1000 unterwegs sei, so Hitzinger, der solle anschließend zum Mercedes-Benz 180 greifen, um damit innerhalb des Konzerns aufsteigen. Doch diese Pläne ließen sich nicht wie gewünscht umsetzen. Und als dann auch noch der Absatz der Auto Union einbrach, verlor Daimler-Benz die Lust an der Tochter. Denn der Auto Union 1000 ging im Kern immer noch auf den für 1940 geplanten (und wegen des Zweiten Weltkriegs nicht realisierten) DKW F 9 zurück. Eine „Frischöl-Automatik“ sollte ab 1961/62 den Komfort verbessern. Denn dank dieser Getrenntschmierung konnten die Auto Union-Fahrer herkömmliches Benzin tanken. Doch der Winter 1962/63 war ungewöhnlich kalt. Die zusammen mit Bosch entwickelte automatischen Ölbeigabe konnte das bei den niedrigen Temperaturen zähflüssige Öl nicht im erforderlichen Maße dem Benzin beimischen. Die Folge waren Motorschäden. Das sprach sich bei den Kunden rum, der Absatz der Auto Union brach ein.
Meilensteine auf dem Weg zu heutigen Audi AG:
- 17. August 1948: Die Auto Union AG wird im Handelsregister von Chemnitz gelöscht
- September 1949: Neugründung der Auto Union GmbH in Ingolstadt
- April 1958: Die Daimler Benz AG erwirbt 88 Prozent der Gesellschaftsanteile an der Auto Union GmbH.
- Zum 1. Januar 1965 übernimmt Volkswagen 50,3 Prozent der Auto Union und damit die unternehmerische Führung in Ingolstadt.
- 21. August 1969: Die Auto Union GmbH und die NSU AG aus Neckarsulm fusionieren zur Audi NSU Auto Union AG.
- Im April 1977 läuft der letzte NSU Ro 80 vom Band. Damit endet die Geschichte der Marke NSU.
- Seit dem 1. Januar 1985 firmiert die Audi NSU Auto Union AG als Audi AG.
Im Sommer 1963 saß die Auto Union auf einer Halde von mindestens 30.000 praktisch unverkäuflichen Autos. Die Inhaber aus Stuttgart ordneten die Reduzierung der Produktion an. Zudem störten sie sich an den Zweitakt-Motoren der Auto Union. Doch gerade in diesen sah die Mehrzahl der Auto Union-Mitarbeiter die Identität „ihres“ Unternehmens. Diese wollten sie bewahren. Das sorgte immer wieder für Spannungen mit Daimler-Benz. Im Herbst 1963 schickte der Vorstand der Daimler-Benz AG seinen Mitarbeiter Ludwig Kraus nach Ingolstadt. Der Ingenieur sollte dort als Technischer Direktor endlich den Abschied vom Zweitakter durchsetzen. Denn Auto Union-Geschäftsführer Werner Henze plante – entgegen aller vorherigen Anweisungen – den DKW F 102 mit einem vom Motorentwickler Hans Müller („Müller-Andernach“) entwickelten 1,3 Liter großen V6-Zweitakter zu veredeln.
Ludwig Kraus leitete in Ingolstadt den Abschied vom Zweitakter ein!
Als Mitgift brachte Kraus aus Stuttgart einen Viertaktmotor mit. Dieser sogenannte Mitteldruckmotor entstand bei Daimler-Benz ursprünglich für militärische Projekte. Doch bei diesen Projekten bekam die Daimler-Benz AG nicht den Zuschlag. Deshalb hatten die Stuttgarter für den neuen Motor keine Verwendung mehr. Daher sahen die Daimler-Chefs in dem – in ihren Augen überflüssigen – Viertaktmotor eine genauso attraktive wie günstige Beigabe, um die Braut in Ingolstadt aufzupolieren. Dort entwickelte Kraus mit Hilfe des Viertakt-Motors den DKW F 102 zum Audi F 103 weiter. Mit der ersten Nutzung des Namens Audi nach dem Zweiten Weltkrieg unterstrich die Auto Union den Neustart. Als die Auto Union ihren Audi F 103 am 9. September 1965 der Öffentlichkeit vorstellte, führte bereits Volkswagen die Auto Union. Denn Daimler-Benz glaubte offenbar nicht mehr an die bisherigen Pläne.
In Stuttgart galten die Ingolstädter als unbelehrbar. 1964 fiel die Entscheidung, sich von der Auto Union zu trennen. Dabei zog erneut Friedrich Flick im Hintergrund die Fäden. Der Milliardär bot der Volkswagenwerk AG die Auto Union an. Im Dezember 1964 klappte der Deal. Volkswagen übernahm zum 1. Januar 1965 zunächst 50,3 Prozent der Anteile und die unternehmerische Führung in Ingolstadt. Gleichzeitig vereinbarten Verkäufer Daimler-Benz AG und Käufer Volkswagenwerk AG für den Kauf der gesamten Unternehmens zwei weitere Schritten. Dies war notwenig, da den Wolfsburgern das Geld fehlte, um die Auto Union sofort ganz zu übernehmen. Erst 1966 gab Daimler-Benz die letzten Anteile ab. Da lief der Käfer schon seit gut einem Jahr auch in Ingolstadt vom Band. Insofern blieb sich Volkswagen treu, erwarb die Auto Union wohl vor allem, um mehr Käfer bauen zu können.
Mit der Auto Union war die Einkaufstour von Volkswagen nicht zu Ende!
Die bisher selbständige NSU AG benötigte einen größeren Partner. NSU entwickelte technisch anspruchsvolle Fahrzeuge, war jedoch auf Dauer wohl zu klein, um zu überleben. Deshalb suchte das NSU-Management um Dr. Gerd Stieler von Heydekampf einen Partner. Erste Gespräch mit Volkswagen gab es schon im Frühjahr 1967, wobei Stieler von Heydekampf auf Heinrich Nordhoff als Gesprächspartner traf. Die Manager verband eine gemeinsame Vergangenheit bei Opel. Das lag zwar 25 Jahre zurück, schien nun aber die Verhandlungen zu belasten. Für weitere Spannungen sorgte, dass Nordhoff betonte, „nur“ an der Fertigungskapazität der Schwaben Interesse zu haben. NSU war selbstbewusst genug, um an eine eigene Zukunft zu glauben. Zudem besaß NSU einen Großteil der Rechte am Kreiskolben-Motor von Felix Wankel. Das galt in den 1960er-Jahren als Cash-Cow. Denn praktisch die gesamte Autoindustrie erwarb Lizenzen.
Interesse an einer Übernahme von NSU wurde auch FIAT nachgesagt. Der italienische Autobauer erwarb in der Weltwirtschaftskrise die erste – in Heilbronn beheimatete – Autosparte von NSU. Aus dieser wurde die Deutsche FIAT, die ihre Autos als NSU-FIAT verkaufte. Als NSU nach dem Zweiten Weltkrieg wieder mit dem Bau von Autos begann, führte das zu einer absurden Situation. Denn zeitweise gab es Autos mit dem Namen NSU von zwei unterschiedlichen Herstellern. Die Folge war eine Klage der Italiener gegen die Deutschen. Erst nach einem Vergleich benannte FIAT die Autos seiner deutschen Tochter zeitweise in „Neckar“ um. Alleine diese Episode zeigt, dass die Geschichte von NSU schon vor der Übernahme durch Volkswagen bunt war. Als weiterer Interessent an NSU galt Citroën. Denn mit dem französischen Autobauer verband NSU nicht nur das Interesse an anspruchsvollen Lösungen. Beide betrieben das Joint Venture Comotor und träumten von einer gemeinsamen Wankel-Zukunft.
Volkswagen übernahm NSU – ohne zuvor eine Aktie zu kaufen!
Alles zusammen beflügelte die Phantasie der Börse. Optimisten hofften auf ein lukratives Übernahmeangebot und deckten sich mit NSU-Aktien ein. Diese Spekulanten trieben den Preis für NSU nach oben. Zeitweilig waren die NSU-Aktien teurer als die von Volkswagen. Dabei lag der Umsatz von NSU 1967 gerade einmal bei rund 470 Millionen D-Mark. Die Volkswagenwerk AG erlöste im gleichen Jahr 9,3 Milliarden und erzielte einen Gewinn in Höhe von 319 Millionen. Davon schüttete sie 150 Millionen an ihre Aktionäre aus. Trotzdem schreckte die Spekulation rund um die NSU Aktien die Wolfsburger. Zumal diese unter anderem von der von einem Arzt gegründeten „Schutzgemeinschaft der NSU-Aktionäre“ weiter angeheizt wurden. Doch Nordhoff-Nachfolger, der Macher von Volkswagen verstarb im April 1968 überraschend, Dr. Kurt Lotz fand einen Weg zum Kauf von NSU ohne offizielles Übernahmeangebot.
Volkswagen sagte NSU zu, dass der Kleinwagen NSU Prinz 4 sowie dessen größere Brüder NSU 1000 und NSU 1200 weiterlaufen dürfen. Das Gleiche galt auch für den NSU Ro 80, nur der gerade entwickelte NSU K70 sollte nicht mehr auf den Markt kommen. Diese Zusagen waren für Stieler von Heydekampf akzeptabel. Daher empfahl der NSU-Chef im Februar 1969 seinen Aufsichtsräten unter das Dach von Volkswagen zu schlüpfen. Als Bonbon bot von Heydekampf den bisherigen NSU-Eignern an, sie über spezielle Genussscheine an allen künftigen Einnahmen aus den Patenten des Motor-Revolutionärs Felix Wankel exklusiv zu beteiligen. Mit diesen Genussscheinen kaufte NSU seinen Aktionären das Recht zur Beteiligung an einer Kapitalerhöhung ab. Sie stimmten einer Erhöhung des Aktienkapitals von 87 Millionen auf 215 Millionen D-Mark sowie die exklusive Zuteilung dieser Aktien an das Volkswagenwerk zu.
Volkswagen brachte die Auto Union als Sacheinlage in NSU ein!
Um die Aktien zu bezahlen, brachte die Volkswagenwerk AG ihre Tochterfirma Auto Union GmbH als Sacheinlage in die gleichzeitig mit der Erhöhung des Aktienkapitals zur Audi NSU Auto Union AG umfirmierte NSU ein. Am 21. August 1969 vollzogen die Beteiligten die Verschmelzung, Volkswagen besaß jetzt fast 60 Prozent des Kapitals des „neuen“ Unternehmens. Die Übernahme gelang, ohne eine D-Mark an die Altaktionäre der NSU zu bezahlen. Damit gilt die Übernahme von NSU durch Volkswagen bis heute als Musterbeispiel für Unternehmenskäufe. Denn die Glücksritter der Börse, deren Hoffnung auf ein lukratives Übernahmeangebot unerfüllt blieb, schauten in die Röhre. Ihr Vorhaben, mit der Übernahme das schnelle Geld zu machen, scheiterte. Gleiches galt allerdings auch für den VW-Plan, den praktisch fertig entwickelten NSU K70 einzustampfen.
Zwar sagte NSU unmittelbar nach der Zustimmung des Aufsichtsrat zu den Übernahmeplänen durch die Volkswagenwerk AG im Februar 1969 die für den nächsten Monat geplante Pressevorstellung des K70 ab. Doch einige Pressevertreter kannten den K70 bereits. Denn sie waren kurz vor der Bekanntgabe der Fusionspläne Gast bei den Abnahmefahrten des K70 in den Seealpen. Ihre Begeisterung überzeugte schließlich auch die neuen Besitzer. Der NSU K70 kam als Volkswagen K70 auf den Markt. Der Rest ist Geschichte! In den kommenden Jahren baute Volkswagen seinen Anteil an der Audi NSU Auto Union AG kontinuierlich aus. Genaue Zahlen zur Entwicklung der Aktionärsstruktur konnte ich nicht finden. Doch schon in den 1980er-Jahren besaß Volkswagen mehr als 90 Prozent der Anteile. Mit dem Auslaufen des NSU Ro 80 verschwand der Name NSU langsam aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit.
Heute gehören Volkswagen 100 Prozent von Audi!
Nur konsequent, dass die Audi NSU Auto Union AG seit dem 1. Januar 1985 nur noch als Audi AG firmiert. Zudem verlagerte die Volkswagen-Tochter zum gleichen Datum seinen Sitz von Neckarsulm nach Ingolstadt. Wobei „NSU“ auch nach der Umbenennung in Audi das Börsenkürzel der Aktienhändler für die immer weniger im Handel befindlichen Audi-Aktien blieb. In neuen Jahrtausend hielt Volkswagen irgendwann mehr als 99 Prozent der Anteile an Audi. Trotzdem ließ Volkswagen die Aktien an der Börse. Erst 2020, da hielt Volkswagen schließlich sogar 99,64 Prozent der Audi-Aktien, kam es zum Sqeeze-Out. Am Ende zahlte Volkswagen für die verbleibenden Aktien 1.551,53 Euro pro Stück. Das schloß die mehr als fünf Jahrzehnte zuvor begonnene Übernahme von NSU damit endgültig ab.