Auto-Erinnerungen

NSU Ro 80 – Finale der Marke NSU

1967 präsentiert der finanziell klamme Autobauer NSU auf der IAA in Frankfurt den NSU Ro 80. Dessen Wankelmotor gilt beim Debüt als Vorbote der Zukunft. Dazu glänzt die Limousine mit einer Karosserie, die den Ro 80 bis heute als eines der schönsten deutschen Autos aller Zeiten gelten lässt. Doch am Ende kann auch der Ro 80 die angeschlagene Marke NSU nicht mehr retten.

1977 läuft bei Audi der letzte NSU Ro 80 vom Band. Damit endet der Autobau der Marke NSU.
Im April 1977 läuft bei Audi der letzte NSU Ro 80 vom Band. Damit endet der Autobau der Marke NSU. (Foto: Audi)

In den 1960er-Jahren veränderte sich die Welt rasant. Die USA und die Sowjetunion lieferten sich einen Wettlauf zum Mond, den die Amerikaner gewannen. Deutschland gelang der Wiederaufstieg zu einer der führenden Industrienationen. 1967 erzielte die Bundesrepublik erstmals einen Exportüberschuss. Interessanterweise passierte dies in einem Jahr, indem die Autoproduktion erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg rückläufig war.

Der lange Weg zum Autobau bei NSU!

Denn die Werke der bundesdeutschen Autoindustrie verließen 1967 nur noch knapp 2,5 Millionen Fahrzeuge. Ein Jahr zuvor stellten Auto Union, BMW, Ford, Glas, Mercedes, NSU, Opel, Porsche und Volkswagen noch fast 600.000 Autos mehr auf die Räder. Die NSU-Motorenwerke lagen 1966 mit etwas mehr als 100.000 gebauten Fahrzeugen hinter Volkswagen (1.388.140), Opel (661.172), Ford (343.310), Mercedes (191.625) auf Platz fünf der westdeutschen Autobauer. Bei BMW (73.857) und der Auto Union mit ihren Marken Audi (63.539) und DKW (3.709) rollten damals deutlich weniger aus aus den Fabriken als bei dem Unternehmen aus Neckarsulm.

Gegründet wurden die NSU-Motorenwerke ursprünglich bereits 1873. In den Anfangsjahren entstanden Strickmaschinen. Weshalb es 1884 den Namen Neckarsulmer Strickmaschinen-Fabrik AG annahm. Ab 1886 baute das Unternehmen Fahrräder. Das Markenzeichen NSU entstand 1892. Neun Jahre später bot NSU erstmals Motorräder an. Ab 1905 baute NSU auch Autos. Zunächst als Lizenznehmer des belgischen Autobauers Pipe, dann ab 1910 nur noch mit Eigenkonstruktionen. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg nahm die Firma den Namen Neckarsulmer Fahrzeugwerke Aktiengesellschaft an.

NSU 5/15 von 1923 – Foto Audi
NSU 5/15 von 1923 – Foto Audi

Kurz vor der Weltwirtschaftskrise kauft das Unternehmen die Berliner Schebera Automobilwerke AG und übernimmt sich damit. Die Schulden steigen auf ein kritisches Maß. Um Geld in die Kasse zu holen, drängt die Dresdner Bank als Hausbank darauf, den Autobau in die selbständige NSU Automobil AG mit Sitz in Heilbronn auszugliedern. 1929 ist die Trennung vollzogen und FIAT übernimmt die Kapitalmehrheit am Autobauer. Ab 1931 entstehen bei NSU-Fiat nur noch italienische Lizenzprodukte.

Motorradproduktion bei NSU - Foto Audi
Motorradproduktion bei NSU – zeitweise war NSU der größte Motorradhersteller der Welt. (Foto Audi)

Das Stammunternehmen in Neckarsulm baut stattdessen mit Erfolg weiter Fahrräder und Motorräder. Mitte der 1950er-Jahre war NSU zeitweilig der größte Zweirad-Hersteller der Welt. Doch das Auto verdrängt das Zweirad schnell. Innerhalb weniger Jahre bricht der Motorrad-Absatz dramatisch ein. 1955 verließen fast 300.000 Motorräder die Werkshallen bei NSU. Nur zwei Jahre später baute NSU nur noch 189.000 Motorräder. Weitere zwei Jahre später fanden sogar nur noch 129.000 Motorräder von NSU einen Kunden.

NSU will mit dem Auto aus der Krise fahren

Das chronisch unterfinanzierte Unternehmen sucht verzweifelt nach einem Ausweg. Ab 1958 bietet auch die ältere NSU wieder Autos an. Das Comeback des Autobaus in Neckarsulm führte dazu, dass zeitweilig zwei Hersteller ihre Fahrzeuge in Deutschland als NSU anboten. Es folgt ein Rechtsstreit, der in einem Vergleich endet. FIAT benennt 1960 seine NSU Automobil AG in Neckar Automobil AG um, verzichtet aber erst ab 1966 auf die Nutzung des Markennamen NSU.

Der Autobau im Stammwerk in Neckarsulm erfolgte übrigens durchaus mit Blick auf die bisherige Kundschaft. Denn mit dem NSU Prinz I sprach das Unternehmen ehemalige Zweiradfahrer an, die mit dem wachsenden Wohlstand in Deutschland zum Autofahrer aufstiegen. Doch der Print war mit einem Preis von 4.200 DM vergleichsweise teuer. Denn der VW Käfer kostete zur gleichen Zeit in der Export-Version mit 4.600 DM nur 400 DM mehr als der deutlich kleinere Prinz.

1957/58 kehrt NSU mit dem Prinz in den Autobau zurück – Foto Audi
1957/58 kehrt NSU mit dem Prinz in den Autobau zurück – Foto Audi

Im Heck des Prinz, dessen selbsttragende Karosserie auf der Höhe der Zeit war, übernahm ein 583 ccm großer Gleichläufer-Parallel-Twin-Viertakt-Motor mit 20 PS den Antrieb. Nicht ganz nachvollziehbar ist, warum NSU den Prinz zunächst nur mit einem unsynchronisierten Getriebe anbot. Denn an anderer Stelle war NSU seiner Zeit voraus. So verfügte der Prinz über ein 12-Volt-Bordnetz. Ende der 1950er-Jahre war bei vielen anderen Herstellern noch 6-Volt der Standard.

Auch das Coupé zum Prinz war teuer

Schon 1959 stellte NSU dem Prinz mit dem NSU Sport-Prinz ein attraktives Coupé zur Seite. Doch mit einem Preis von 6.550 DM war das von Bertone gestaltete Coupé deutlich teurer als seine Wettbewerber. Denn das vergleichbare BMW 700 Coupé war 1959 für 5.300 DM zu haben. Die größere Lloyd Arabella von Borgward kostete sogar nur 5.250 DM. NSU reagierte und senkte in den kommenden Jahren den Preis für das Coupé schrittweise ab. Doch richtig günstig war ein NSU nie. Wohl auch, weil sich die Techniker des Hauses oft für gute aber eben auch teure Lösungen entschieden.

NSU Wankel Spider
Erstes Serienauto mit Wankelmotor: NSU Wankel Spider – Foto: Audi

Das zeigte sich auch 1964 als NSU mit dem NSU Wankel Spider das weltweit erste Serienfahrzeug mit Wankelmotor vorstellte. Denn wer den offenen Sportwagen mit dem innovativen Motorkonzept fahren wollte, der musste am Anfang statte 8.500 DM an den Händler überweisen. Der Preis ging auch auf die hohen Produktionskosten des Wankel Spider zurück. Denn obwohl es sich im Prinzip um ein offenes Prinz Coupé handelte, waren selbst bei der Karosserie die Unterschiede gravierend. Das trieb den Preis nach oben.

Der Ro 80 war der Schlusspunkt der Marke NSU!

Anfang der 1960er-Jahre verließen schon immerhin knapp 30.000 Autos das Werk. Fünf Jahre später baute NSU schon mehr als 90.000 Autos. Trotzdem blieb die Finanzlage angespannt. Denn NSU war innovativ und hatte traditionell kurze Modellzyklen. Den kleinen Prinz löste schon 1961 – nach nur drei Jahren – der deutlich größere Prinz 4 ab. Vier Jahre später stellte NSU dem Prinz den größeren NSU Typ 110 zur Seite. Viel Geld steckte NSU auch in die Entwicklung des Wankel-Motors.

Gleichzeitig gab die Geschäftsleitung das Ziel aus, mit NSU in die Mittelklasse vorzustoßen. Das neue Spitzenmodell sollte natürlich ebenfalls einen Wankel-Motor bekommen, denn der laufruhige Motor galt damals als Zukunftsmodell. 1967 ist es endlich soweit. Auf der IAA im Herbst feiert der NSU Ro80 Premiere. Angetrieben von einem Zwei-Scheiben-Wankel und mit einem futuristischen Karosseriekleid gekleidet, war der Ro 80 seiner Zeit weit voraus. Doch die in den ersten Jahren mangelnde Haltbarkeit der Wankel-Motoren kostete NSU viel Geld.

Werbeanzeige für den NSU Ro 80 – Foto: Audi
Werbeanzeige für den NSU Ro 80 – Heute wäre das ein Fall für den Werberat (Foto: Audi)

Denn trotz großzügiger Kulanzregelungen verschreckten die Motorschäden die Kunden. Dabei startet der NSU Ro 80 verheißungsvoll. Als erstes deutsches Auto überhaupt gewann NSU mit dem Ro 80 den Titel „Auto des Jahres“. Für die Jury setzte der Fünfsitzer neue Maßstäbe in Sachen Fahrkomfort und Geräuschlosigkeit. Doch der Markt reagierte verhaltener als die Jury, deshalb blieb die Situation des Autobauers wirtschaftlich schwierig. Denn nicht nur die Motorprobleme kosten Geld, auch die Produktion war personalintensiv und teuer.

Geld war bei NSU immer knapp!

Trotzdem gelten die Konstruktionen aus Neckarsulm bis heute als technisch brillant. Schon 1965 beschloßen die Manager, dem kommenden Ro 80 einen konventionellen K 70 mit Hubkolben-Motor zur Seite zu stellen. Dessen Entwicklungskosten in Höhe von mindestens 40 Millionen DM brachten das Unternehmen endgültig ins Wanken. NSU-Chef Gerd Stieler von Heydekampf begann mit der Suche nach einem Partner.

In Volkswagen findet der NSU-Chef schließlich einen weißen Ritter, der das Unternehmen retten will. Denn die Wolfsburger suchen Produktionskapazitäten für ihren immer noch erfolgreichen Käfer. Zunächst kauft Volkswagen an der Börse NSU-Aktien auf. 1969 schlägt Volkswagen vor, seine Tochter Auto Union bei einer Kapitalerhöhung als Sacheinlage in die NSU AG einzubringen. Stimmen die anderen Aktionäre zu, ist Volkswagen der neue Herr im Haus.

Die mögliche Übernahme lockt Spekulanten aus aller Welt an. Besonders die Israel-British Bank aus Tel Aviv will mitverdienen. Die Bank hat NSU schon 1965 als Übernahmekandidaten identifiziert und gezielt Aktien des Unternehmens aufgekauft. Als größter freier Aktionär verlangt sie ein saftiges Aufgeld. Doch VW-Generaldirektor Kurt Lotz weigert sich erfolgreich. Letztlich bekommt die Bank nicht genügend Aktien zusammen, um mit einem Anteil von mindestens 25 Prozent der Stimmrechte eine Sperrminorität ausüben zu können.

Neben der Bank wollen auch andere an NSU kräftig Geld verdienen. Phantasten wie die Stuttgarter Schutzgemeinschaft der NSU-Aktionäre e.V. wollen ihre Zustimmung zunächst an eine Dividendengarantie aus Wolfsburg binden. Kleinaktionäre träumen noch bei der finalen Hauptversammlung von den zukünftig reichlich sprudelnden Lizenzeinnahmen des Wankelmotors. Doch es hilft alles nicht, VW übernimmt NSU und rettet so vermutlich das Unternehmen.

Aus dem Zusammenschluss wird Audi

Aus der NSU AG wird dabei die Audi NSU AG. Heute kennen Kunden dieses Unternehmen unter dem Namen Audi. Zum 50. Geburtstag des legendären NSU Ro 80 würdigte Audi die Limousine mit der Sonderausstellung „Revolution – 50 Jahre NSU Ro 80“. Teil der Sonderausstellung waren übrigens auch Design-Studien von Pininfarina und Bertone, die mögliche Nachfolger des Ro 80 entwarfen.

NSU Ro 80 2 Porte +2
Der Ro 80 2 Porte +2 von Pininfarina stand 1971 auf dem Autosalon in Turin. Trotzdem hatte der Ro 80 keine Zukunft – Foto: Audi

Zu diesen gehört der legendäre Ro 80 2 Porte +2, den Pininfarina 1971 auf dem Autosalon in Turin ausstellte. Mit ihm hätte der Audi A8 einen interessanten Vorgänger finden können. Doch damals war die Zeit für einen Audi in der Oberklasse wohl nicht nicht reif. Volkswagen entschied sich gegen die Umsetzung dieser Pläne. Das Gleiche gilt für die großen Pläne mit dem Wankel. Denn auch der Rotationskolbenmotor spielte nach der Übernahme von NSU durch Volkswagen keine Rolle mehr. Dem ehemaligen Audi- und VW-Chef Ferdinand Piëch wird heute gern der Satz in den Mund gelegt, dass man einen rechten Winkel nicht abdichten könne.

Auch die anderen NSU lässt Volkswagen nach und nach auslaufen. Der Prinz und seine Sportversionen TT beziehungsweise TTS – die treue Leser unseres Blogs vom Kampf der Zwerge kennen – sowie der größere NSU 1200, wie Volkswagen den NSU Typ 110 vermarktet, laufen bis 1973 alle aus.

NSU K70 auf Erprobungsfahrt
NSU K70 auf Entwicklungsfahrt. 1970 kam der NSU mit minimalen Änderungen als VW K70 auf den Markt – Foto Audi

Der von NSU entwickelte K 70 kam 1970 als VW auf den Markt. Es war der erste Volkswagen mit Frontantrieb sowie einem wassergekühlten Front-Reihenmotor. Damit führte der K 70 die Wolfsburger in die Moderne. Doch 1975 stellt VW auch den K 70 ohne echten Nachfolger ein. Am längsten überlebt tatsächlich der NSU Ro 80. Wobei die Produktion immer auf Sparflamme läuft. Zunächst entstehen nur 20 Exemplare pro Tag. Später steigt die Tagesproduktion auf 30 Exemplare.

Nach zehn Jahren lässt Volkswagen 1977 auch die Ro 80 Produktion schließlich auslaufen. Gerade einmal 37.374 Exemplare der Limousine verlassen in zehn Jahren die Werkshallen. Damit blieb der Ro 80 weit hinter den Erwartungen zurück. Trotzdem ist die Limousine ein Meilenstein der Autogeschichte. Denn sein Design war bahnbrechend. Die von Claus Luthe verwirklichte Keilform prägt das Automobildesign bis heute.


Infos zum Titelbild dieses Beitrags:
Werbeanzeige für den NSU Ro 80 – Heute wäre das ein Fall für den Werberat (Foto: Audi)

Foto: Audi

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Als Kind der 1970er-Jahre hatte Tom das große Vergnügen, in einem ausgesprochen automobilen Umfeld aufzuwachsen. Das war der optimale Nährboden, um heute über Autos zu schreiben und regelmäßig am Mikrofon über Autos zu sprechen. Denn Tom Schwede moderiert seit 2010 bei großen Oldtimer- und Klassik-Veranstaltungen in Deutschland. So ist Tom unter anderem bei den Classic Days (früher Schloß Dyck, heute in Düsseldorf) oder dem 1.000 Kilometer-Rennen am Nürburgring zu hören. Wenn Sie also einen Moderator oder Streckensprecher für Ihre Oldtimer-Rallye oder Ihr Oldtimer-Treffen suchen, dann sind Sie bei Tom definitiv richtig!