Maserati Birdcage: filigran, schnell und erfolgreich
Manche Rennwagen wirken auf den ersten Blick zerbrechlich, doch dann entfalten sie eine Kraft und Eleganz, die ihresgleichen sucht. Der Maserati Tipo 60, den wir heute meist nur unter seinem Spitznamen „Birdcage“ kennen, ist so ein Fall. Der Rennwagen mit dem namensgebenden filigranen Gitterrohrrahmen gewann bereits sein erstes Rennen und startete anschließend eine beeindruckende Siegesserie.
Der Langstreckensport erlebte in den 1950er-Jahren eine Zeit des rasanten Fortschritts. Mit ihrem Wettkampf beflügelten die Werksteams von Mercedes-Benz, Jaguar, Aston Martin und vor allem Ferrari den Sport. Zu Beginn des Jahrzehnts „reichte“ es in Le Mans noch, eine Distanz von weniger als 3.500 Kilometern zurückzulegen, um zu gewinnen. Schon 1953 fiel die Marke von 4.000 Kilometern. 1957 legten Ron Flockhart und Ivor Bueb auf dem Weg zum Sieg im Jaguar D-Type schon fast 4.400 Kilometer zurück.
Beim 1.000km-Rennen auf dem Nürburgring war es ähnlich. Bei der Erstausgabe des Rennens 1953 siegten die Weltmeister Alberto Ascari und Giuseppe Farina nach einer Fahrzeit von 8:20:44 Stunden. Fünf Jahre später beendeten Stirling Moss und Jack Brabham das Rennen schon nach 7:23:18 Stunden. Die Rundenzeiten bestätigen das Bild. Denn 1953 benötigte Juan Manuel Fangio im Lancia noch 10:23 Minuten für eine Runde. 1958 war Mike Hawthorn in seiner besten Runde schon 40 Sekunden schneller.
Der Maserati Birdcage war auf Anhieb erfolgreich!
Im kommenden Jahrzehnt sollten das Tempo auf der Langstrecke weiter steigen. Und ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu neuen Bestmarken war der Maserati Birdcage. Schon beim Debüt im Juli 1959 ließ Maserati keinen Zweifel an seinen Ambitionen. Denn für das Rennen in Rouen-les-Essarts, auf einer anspruchsvollen Strecke im Nordwesten Frankreichs, verpflichtete der italienische Sportwagenbauer mit dem damals 30-jährigen Stirling Moss einen der besten Rennfahrer seiner Zeit.
Das Ergebnis: Sieg gegen zwei Lotus 15 und die schnellste Rennrunde mit 2:28,5 Minuten bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 158,6 km/h standen nach dem Rennen zu Buche. Doch das war erst der Anfang. Der Birdcage sollte sich in den nächsten Jahren als wahrer Dauerbrenner erweisen: Vier Siege in der italienischen Bergrennmeisterschaft und zwei Titel auf der Rundstrecke zeugen davon, wie vielseitig und erfolgreich dieser Maserati war.
Konstruktion wie aus einem anderen Universum
Die Idee hinter dem Tipo 60 entstand 1958. Maseratis technischer Direktor Giulio Alfieri erhielt von der Besitzerfamilie Orsi freie Hand – und nutzte diese Freiheit radikal. Statt auf einen schweren Rahmen setzte er auf ein filigranes Netz aus rund 200 dünnen Stahlrohren mit einem Durchmesser von gerade mal 10 bis 15 mm. Das Ergebnis: ein Fahrgestell, das an ein Vogelnest erinnerte – oder eben an einen Vogelkäfig. Mit nur circa 570 kg war der Tipo 60 ein Leichtgewicht – und dennoch enorm verwindungssteif.
Den kompakten 2-Liter-Motor verstaute Alfieri um 45 Grad geneigt zwischen den Achsen. Damit gehört der Tipo 60 zur Gattung der Mittelmotorsportwagen. Der geneigte Einbau half, den Schwerpunkt abzusenken. Technisch war das aus dem Maserati 200S bekannte Triebwerk eine Meisterleistung: Weber-Vergaser, Doppelzündung und ein im Vergleich zum Vorgänger modifizierter Zylinderkopf sorgten für mehr als 200 PS Leistung.
Am Birdcage waren selbst die „Fehlentscheidungen“ genial!
Eine ausgeklügelte Achskonstruktion sorgte für Fahrverhalten auf höchstem Niveau. Doch bei den ersten Tests, die ebenfalls bereits Stirling Moss fuhr, stieß Alfieri auf Probleme. Die verwendeten hochfesten Chromstahlrohre waren zu starr. Das führte zu Haarrissen in den Schweißnähten. Die Lösung war ebenso unkonventionell wie wirkungsvoll. Denn statt zu besserem Stahl zu greifen, setzte Alfieri einfach schlechteren ein. Das schuf ein flexibleres Chassis, das Belastungen ohne Risse überstand.
Der Erfolg des neuen Rennwagens beim Debüt in Rouen war der Startschuss für eine neue Ära. Wobei Giulio Alfieri die Erkenntnisse der Saison 1959 in ein weiterentwickeltes Modell fließen ließ. Nachfolger Tipo 61 erhielt einen auf 2,9 Liter vergrößerten Vierzylindermotor mit 250 PS. Zwar stieg bei der Überarbeitung das Gewicht leicht auf knapp 600 Kilogramm an, doch Verbrauch und Ausdauer blieben erstklassig. Das machte den Tipo 61 zur idealen Waffe für Langstreckenrennen.
Besonders in den USA war der Birdcage gefragt!
Mit dem größeren Motor reagierte Maserati ausdrücklich auf das Interesse in den USA. Denn dort wurden viele Sportwagenrennen in der Klasse bis drei Liter ausgeschrieben. Das ließ bekannte US-Piloten wie Jim Hall und Carroll Shelby zum Tipo 61 greifen. Und auch das Team Camoradi (Casner Motor Racing Division) um Lloyd "Lucky" Casner setzte gezielt auf den italienischen Sportwagen. Für Camoradi gewannen Stirling Moss und Dan Gurney 1960 mit dem Birdcage das 1.000-Kilometer-Rennen auf dem Nürburgring.
In Le Mans trat Camoradi sogar mit drei Tipo 61 an und setzte mit dem Birdcage durchaus Ausrufezeichen. Denn die in der alten US-Rennlackierung weiß-blau lackierten Maserati jagten mit einer Spitzengeschwindigkeit von bis zu 270 Kilometern pro Stunde über die Strecke. Auch im Rennen lag zeitweilig einer der Rennwagen aus Modena in Front. Doch am Ende verhinderte die Defekthexe den ganz großen Erfolg. Denn alle drei Rennwagen Tipo 61 mussten vorzeitig die Segel streichen.
Was bleibt vom Maserati Birdcage?
Der Birdcage war einer der erfolgreichsten Sportwagen seiner Epoche. In Italien fuhr das Zweiliter-Modell Tipo 60 von 1959 bis 1962 viermal zur italienischen Bergrennmeisterschaft. Dazu gewann Mennato Boffa 1960 die italienische Rundstreckenmeisterschaft. Der Tipo 61 mit dem 2,9-Liter-Motor gewann mit dem 1.000-Kilometer-Rennen am Nürburgring gleich zweimal Deutschlands wichtigstes Langstreckenrennen.
Technische Daten im Überblick:
- Motor: Vierzylinder, stehend
- Hubraum: 1.990 cm³ (Tipo 60) bis 2.890 cm³ (Tipo 61)
- Leistung: 200 (Tipo 60) 250 PS (Tipo 61)
- Getriebe: 5-Gang mit Differenzial im Block
- Fahrgestell: Gitterrohrrahmen („Birdcage“)
- Gewicht: 570–600 kg
- Höstgeschwindigkeit: 270–285 km/h
Die wichtigsten Erfolge der Typen Maserati Tipo 60 und Maserati Tipo 61 im Überblick
Jahr | Rennen / Ort | Typ | Fahrer | Platzierung | Bemerkung |
---|---|---|---|---|---|
1959 | Rouen-les-Essarts (F) | Tipo 60 | Stirling Moss | 🥇 1. Platz | Renndebüt, schnellste Runde |
Coppa San Marino (I) | Tipo 60 | Mennato Boffa | 🥇 1. Platz | Rundstreckenrennen | |
Bergmeisterschaft Italien | Tipo 60 | Odoardo Govoni | 🏆 Meister | Beginn der Erfolgsserie | |
1960 | 1.000 km Nürburgring (D) | Tipo 61 | Moss / Gurney | 🥇 1. Platz | Camoradi Team, großer Sieg |
1.000 km Nürburgring (D) | Tipo 61 | Gregory / Munaron | 🥉 3. Platz | Doppelpodium für Maserati | |
Grand Prix von Kuba | Tipo 61 | Stirling Moss | 🥇 1. Platz | Letzte Ausgabe des Rennes | |
Italienische Rundstrecke | Tipo 60 | Mennato Boffa | 🏆 Meister | Gesamtwertung | |
Bergmeisterschaft Italien | Tipo 60 | Odoardo Govoni | 🏆 Meister | Zweiter Titel | |
1961 | 1.000 km Nürburgring (D) | Tipo 61 | Gregory / Casner | 🥇 1. Platz | Sieg gegen Ferrari TR |
Bergmeisterschaft Italien | Tipo 60 | Odoardo Govoni | 🏆 Meister | Dritter Titel | |
1962 | Bergmeisterschaft Italien | Tipo 60 | Odoardo Govoni | 🏆 Meister | Letzter Titel für Govoni |
1963 | Bergmeisterschaft Italien | Tipo 60 | Nino Todaro | 🏆 Meister | Ablösung Govonis |
Italienische Rundstrecke | Tipo 60 | Nino Todaro | 🏆 Meister | Letzter Titel für Birdcage |
Dazu kommen zahlreiche weitere Siege in den USA – bei Rennen des USAC und des SCCA. Insbesondere 1960 gewannen Jack Hinkle, Walt Hansgen und Carroll Shelby in den USA mit dem Tipo 61 zahlreiche Rennen.
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