von Fredo Steckgaard am 13.09.2025

Aus den „Nudeltöpfen“ in die Königsklasse – sieben nordamerikanische Wege

2026 darf Colton Herta endlich in der Formel 1 ran, wenn auch zunächst nur als Ersatzfahrer. Der Amerikaner war in den letzten Jahren mehrfach ein Kandidat für ein Cockpit in der Königsklasse. Doch erst bei Cadillac sollte es klappen. Sein Sprung aus dem US-Sport in die Formel 1 ist ungewöhnlich, aber nicht ganz ohne Vorbild. Wir blicken auf sieben Piloten, die einen ähnlichen Weg gingen.

Mario Andretti im March 701 (Foto: Archiv AutoNatives.de)

Mario Andretti fuhr mit Lotus, March, Ferrari, Parnelli, Alfa Romeo und Williams in der Formel 1 – 1978 feierte der Amerikaner mit Lotus den Titel in der Fahrer-Weltmeisterschaft. (Foto: Archiv AutoNatives.de)

Ja, es ist soweit: Colton Herta bekommt 2026 endlich seinen Fuß in die Tür der Formel 1. Gut, es ist erstmal nur die Fußspitze. Denn der Amerikaner wird zunächst nur Ersatzfahrer beim Neueinsteiger Cadillac. Aber immerhin! Zudem Herta parallel in der Formel 2 antritt, um dort die bisher fehlenden Superlizenzpunkte einzusammeln. Klingt nach einem Umweg, ist aber clever: Wer sich in der Königsklasse behaupten will, muss vorher zeigen, dass er auch auf den europäischen Kursen bestehen kann.

Aus dem Nudeltopf in die Formel 1? Selten, aber machbar!

Hand aufs Herz: Ein Nordamerikaner in der Formel 1 hat immer eine besondere Note. Seit Alexander Rossis Kurzauftritt 2015 ist das ein seltener Anblick. Dabei gab es früher einige wackere Pioniere aus den USA und Kanada, die ihr Glück in Europa versuchten. Phil Hill wurde 1961 sogar Weltmeister, Mario Andretti holte 1978 ebenfalls den Titel. Doch Hills Erfolg lag in der Steinzeit der Formel 1, als Piloten meist Sportwagen und Monoposto nebeneinander fuhren. Hills Karriere prägten noch nicht die amerikanischen „Nudeltöpfe“, die wir heute mit dem US-Sport verbinden.

Denn die berühmten amerikanischen „Nudeltöpfe“ und die dort fahrenden wuchtigen IndyCars haben mit der (früher) filigranen Formel 1 ungefähr so viel gemeinsam wie ein Grillabend mit einem Degustationsmenü. Nehmen wir uns als die Zeit für einen Blick auf sieben Nordamerikaner, die wie Herta vom Mythos Formel 1 angezogen wurden – und dort mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen unterwegs waren.

Peter Revson – schneller Playboy mit ernsthaften Ambitionen

Peter Revson war der wohl glamouröseste Amerikaner, der je in der Formel 1 fuhr – reich, gutaussehend und verdammt schnell. In den USA machte sich Revson zuerst einen Namen in der Can-Am-Serie und bei den 500 Meilen von Indianapolis. 1971 gewann er die Can-Am-Meisterschaft, was ihn endgültig in die erste Reihe der US-Rennszene katapultierte. Sein Einstieg in die Formel 1 verlief zunächst zäh, doch ab 1972 bekam Revson bei McLaren die Chance, sein Talent zu zeigen.

Und der Amerikaner lieferte: 1973 gewann der Neffe des Revlon-Gründers Charles Revson in Silverstone seinen ersten Grand Prix und legte in Kanada nach. Zwei Siege, mehrere Podien – Revson war plötzlich mehr als nur der „reiche Erbe“. Tragisch: 1974 wechselte Revson zu Shadow, um eine neue Herausforderung zu suchen, und verunglückte beim Test in Kyalami tödlich. Revson bleibt in Erinnerung als einer der schnellsten und charismatischsten Amerikaner in der Formel 1 – ein Mann, der die perfekte Mischung aus Glamour und Speed verkörperte.

Mark Donohue – der Ingenieur am Lenkrad

Mark Donohue war der Denker unter den US-Rennfahrern und gleichzeitig höllisch schnell. Bevor der Amerikaner in die Formel 1 kam, gewann er mit dem Team Penske alles, was es in den USA zu gewinnen gab: Trans-Am-Titel, Can-Am-Rennen, Daytona 24h und natürlich 1972 das Indy 500. Donohue war berühmt dafür, jedes Auto technisch zu durchdringen und schneller zu machen – er war ein echter „Ingenieur am Lenkrad“. 1971 wagte Donohue mit einem von Penske eingesetzten McLaren den Sprung in die Formel 1, zunächst nur sporadisch.

Doch Ende 1974 stieg Roger Penske mit einem eigenen Auto – gebaut in Großbritannien – in die Königsklasse ein. Mark Donohue fuhr in Schweden erstmals in die Punkte. Trotzdem schickte das Team den Penske PC1 vorzeitig in den Ruhestand und setzte ab dem Großen Preis von Großbritannien in Silverstone auf einen March. Gut einen Monat später endete die Karriere von Mark Donohue tragisch: Nach einem Trainingsunfall in Österreich starb Donohue an den Folgen einer Kopfverletzung.

Mario Andretti – und der lange Anlauf bis zum Titel

Der in Italien geborene Mario Andretti verdiente sich vor seiner Formel-1-Karriere seine Sporen im US-Formelsport, holte dort 1965, 1966 und 1969 den Titel. Parallel dazu fuhr Andretti Senior ab 1968 sporadisch Formel 1 und gewann 1971 im elften Anlauf bereits seinen ersten Grand Prix. Doch erst ab 1975 fuhr Andretti überwiegend in der Königsklasse, gewann 1976 bereits einen und 1977 vier weitere Grand Prix. 1978 sicherte sich Mario Andretti mit sechs weiteren Siegen im Lotus überlegen den WM-Titel.

Danny Sullivan – kurz reingeschnuppert, dann wieder weg

Danny Sullivan ist in den USA eine Legende. Indy-500-Sieger, Meister, charismatischer Typ. Aber ein erster Anlauf in Europa scheiterte in den 1970er-Jahren jäh. Ab 1979 trat der Amerikaner nur noch in der Heimat an. Dort stellten sich bald Erfolge ein. In der Can-Am-Serie der verkleideten Formel-5000-Boliden gewann Sullivan einige Läufe. Davon motiviert probierte es der Amerikaner erneut in der Alten Welt, saß 1983 – mit 33 Jahren – plötzlich in einem Tyrrell. Das war deshalb ungewöhnlich, weil Teamchef Ken Tyrrell als Talentspäher galt, der oft junge Fahrer förderte.

Wobei: Weil Sullivan Grand Prix-Debütant war, blieb sich Ken Tyrrell treu. Das Jahr begann gut. Der Debütant belegte beim Race of Champions in Brands Hatch – einem Formel-1-Rennen ohne WM-Status – einen guten zweiten Platz und fuhr in Monaco als Fünfter in die Punkte. Doch sein Teamkollege Michele Alboreto gewann mit dem Tyrrell einen WM-Lauf. So packte Sullivan nach einem Jahr seine Koffer und wurde in den USA zur Ikone. Sein Beispiel zeigt: Manchmal ist es besser, rechtzeitig „Danke, war schön, aber nichts für mich“ zu sagen.

Michael Andretti – der Name war groß, die Saison klein

Michael Andretti kam 1993 zu McLaren – dem Team, das damals noch frischen WM-Glanz versprühte. Aber es lief alles schief: wenig Testzeit, viele Crashs, ein Teamkollege namens Ayrton Senna, der 1993 einige seiner besten Rennen fuhr. Drei Ergebnisse mit WM-Punkten waren die magere Ausbeute, bevor McLaren die Reißleine zog. Andretti verschwand schneller aus der F1, als wir heute „Papaya Orange“ sagen konnte, und gewann beim Comeback in der IndyCar-Szene auf Anhieb. Lehrstück: In der Formel 1 zählt nicht der Name, sondern die Performance – und die muss sofort stimmen.

Gilles Villeneuve – der Gegenentwurf

Und dann war da Gilles Villeneuve, der Kanadier mit dem Herz am rechten Gasfuß. 1977 kam er zu McLaren, 1978 zu Ferrari – und wurde zur Legende. Villeneuve fuhr, als ginge es immer ums letzte Rennen seines Lebens: spektakulär, furchtlos, manchmal jenseits des Möglichen. Sein Duell mit René Arnoux in Dijon 1979 ist bis heute eines der größten Rad-an-Rad-Kämpfe der Geschichte. Sechs Siege, ein Vize-Titel und eine Aura, die bis heute nachwirkt. Villeneuve zeigte: Man kann als Nordamerikaner nicht nur mithalten, man kann die Formel 1 prägen.

Jacques Villeneuve – der Sohn, der sein eigenes Kapitel schrieb


Jacques Villeneuve trat ein schweres Erbe an: Sein Vater Gilles war eine Ferrari-Ikone, eine Legende auf und neben der Strecke. Doch Jacques machte von Anfang an klar, dass er nicht nur „der Sohn von“ sein wollte. In den USA schrieb er schon vor seiner F1-Karriere Schlagzeilen: 1995 gewann er nicht nur die Indy 500, sondern auch den IndyCar-Titel – als Rookie! Ein Jahr später wechselte er zu Williams in die Formel 1 und schlug sofort ein wie eine Bombe: Pole Position beim Debüt, vier Siege in seiner ersten Saison und am Ende Vizemeister.

1997 legte Jacques Villeneuve nach und wurde mit Williams Weltmeister – als erster Kanadier, der diesen Titel holte. Danach ging es sportlich bergab, erst bei BAR, später bei Sauber und BMW. Aber Villeneuve blieb immer einer, der sagte, was er dachte, selbst wenn es unbequem war. Und wie sein Vater bewies auch Jacques Villeneuve, dass man als Nordamerikaner nicht nur in die Formel 1 kommen kann – man kann sie auch gewinnen. Jacques Villeneuve zeigte, dass man das Erbe einer Legende nicht nur tragen, sondern sogar übertreffen kann.

Herta steht am Scheideweg

Und genau da kommt Colton Herta zurück ins Spiel. Sein Wechsel 2026 ist mehr als nur ein Karriereschritt. Er ist ein Statement: Die USA wollen wieder mitspielen in der Königsklasse. Herta hat eine realistische Chance, sich 2027 zu beweisen und mit den Besten der Welt zu messen. Aber der Druck ist enorm: IndyCar-Erfolge zählen in der Formel 1 gar nichts, denn hier gibt es keine ovale Gemütlichkeit, hier gibt’s Baku, Spa und Monaco.

Wenn Herta es schafft, wäre er der erste Amerikaner seit Langem, der sich fest in der F1 etabliert. Und wer weiß: Vielleicht sprechen wir 2027 darüber, dass er der erste Amerikaner seit Mario Andretti ist, der wirklich um Siege mitfährt. Und dann würde Colton Herta nicht nur Superlizenzpunkte sammeln – sondern Formel-1-Geschichte schreiben.


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