Warum unterschlägt Mercedes beim DTM-Abschied eigentlich die „Privaten“?

Am kommenden Wochenende zieht sich Mercedes-Benz offiziell aus der DTM zurück. Statt in der DTM will der Autobauer aus Stuttgart nun in der Formel E rennen. Im Vorfeld dieses besonderen Finales verschickte Mercedes gestern eine Pressemitteilung, die an die Meilensteine der Stuttgarter in der DTM erinnert. Dabei unterschlägt der Autobauer die zahlreichen Privatfahrer im Mercedes-Benz 190E 2.3-16, die die Marke einst in die DTM brachten.

DTM 190er von und mit Roland Asch – Auch Asch startete zunächst als Privatfahrer im Mercedes-Benz 190E 2.3
Roland Asch bewegte 2014 bei der Historic Trophy Nürburgring seinen ehemaligen „privaten“ Mercedes 190 E von BMK-Motorsport aus der DTM 1988. Auch Asch startete zunächst als Privatfahrer im Mercedes-Benz 190E 2.3-16 (Foto: Tom Schwede)

Als Beobachter, der den Motorsport inzwischen seit fast 40 Jahren aufmerksam verfolgt, musste ich bei dieser Pressemitteilung von Mercedes dann doch etwas schmunzeln. Denn Mercedes spricht offiziell von der 30-jährigen DTM-Geschichte der Marke. Nur wer zwischen den Zeilen liest, der ahnt, dass es ein „davor“ gibt. Schließlich verweist Mercedes in seiner Meldung ausdrücklich auf das „erste DTM-Rennen nach dem Werkseinstieg“. Dieses „erste DTM-Rennen nach dem Werkseinstieg“ ging am 3. April 1988 im belgischen Zolder über die Bühne.

Jörg van Ommen fuhr dabei im Mercedes-Benz 190E 2.3-16 des „Star AMG Marko RSM“ Teams als Dritter über die Ziellinie. Womit Mercedes beim Debüt des Werks in der DTM gleich einen Podestplatz feiern durfte. Denn das Team von Dr. Helmut Marko trat 1988 zusammen mit der damaligen „AMG Motorenbau GmbH“ offiziell als Werksteam an. Als dann Ende Mai 1988 auf der Berliner Avus AMG-Pilot Johnny Cecotto erfolgreich war, feierte das Werk offiziell den ersten Sieg in der DTM. Auch diesen Sieg erwähnt Mercedes heute gerne.

Dabei war es selbst 1988 nicht der erste Mercedes-Sieg in der DTM. Denn schon eine Woche vor Cecotto siegte Dany Snobeck als Privatfahrer im Mercedes-Benz 190E 2.3-16 beim DTM-Rennen im tschechischen Brünn. Denn das Team des Franzosen, das den Baby-Benz zuvor bereits seit Jahren in Frankreich einsetzte, war – wie auch BMK-Motorsport – in der DTM offiziell „nur“ ein Privatteam. Ein Podestplatz im ersten Rennen und ein Sieg am vierten Wochenende, das klingt, als ob Mercedes in der DTM von Anfang an erfolgreich war. Und in der Logik von Werkseinsätzen war Mercedes das sogar.

Im Rückblick liest sich das alles eindrucksvoll

Trotzdem benötigte auch der Mercedes-Benz 190E 2.3-16 etwas mehr Anlauf, um zum Top-Fahrzeug zu reifen. Denn tatsächlich startete das Engagement der Stuttgarter im deutschen Tourenwagensport bereits drei Jahre vor dem ersten Werkseinsatz. Schon schon 1985 trat mit Leopold Gallina ein Privatfahrer im Mercedes-Benz 190E 2.3-16 an. Und selbst Gallina war nicht der erste Mercedes-Fahrer in der Serie. Denn 1984 war noch ein Mercedes 380 SLC in der DTM unterwegs, die damals noch offiziell „Deutsche Produktionswagen-Meisterschaft“ nannte. Die Rennen der Jahre 1984 bis 1987 wurden erst später auf den offiziellen Seiten der heutigen DTM zu DTM-Rennen.

Nach Leopold Gallina, der es 1985 bei drei Auftritten in Erding, Diepholz und beim Saisonfinale am Nürburgring beließ, gab es bald weitere Privatfahrer im Mercedes-Benz 190E 2.3-16 in der Serie. Neben dem Team Marko RSM des heutigen Red Bull Motorsportkoordinators Helmut Marko fuhr 1986 auch die Scuderia Kassel mit dem Baby-Benz. Offiziell war das alles private Einsätze. Schließlich galt bei Mercedes-Hersteller Daimer-Benz damals noch ein Motorsportverbot. Denn das Werk hatte sich 1955 nach der Katastrophe von Le Mans vom Motorsport verabschiedet.

Zeitzeugen berichten allerdings immer wieder von Mercedes-Mitarbeitern, die damals – natürlich nur in der Freizeit – als Techniker den Privat-Teams unter die Arme griffen. Und es war wohl auch purer Zufall, dass in anderen nationalen Tourenwagen- und Rallye-Meisterschaften in ganz Europa plötzlich jede Menge Privatfahrer im Mercedes-Benz 190E 2.3-16 auftauchten. Neben dem „Frühstarter“ Gallina, der schließlich bis 1988 gelegentlich in der DTM antreten sollte, wurde das Aufgebot der Privatfahrer im Mercedes-Benz 190E 2.3-16 bald größer. Ende 1985 stellte zum Beispiel Marko RSM seine Alfa Romeo in die Garage und wechselte zu Mercedes.

1986 fuhr Volker Weidler für Mercedes-Benz zum zweiten Platz der DTM

Im Team von Helmut Marko drehten 1986 der spätere Le Mans-Sieger Volker Weidler, der spätere Audi-Kommunikationchef Peter Oberndorfer und der ehemalige Ski-Star Franz Klammer am Lenkrad. Für die Scuderia Kassel waren neben Jörg van Ommen auch Johannes Breuer, Kris Nissen und Sepp Haider aktiv. Auch Leopold Gallina trat 1986 wieder in seinem weißen Mercedes an. Mit Siegen beim Eifelrennen am Nürburgring (27. April 1986) sowie auf der AVUS (11. Mai 1986) trug sich Volker Weidler als erster Mercedes-Pilot in die Siegerlisten der DTM ein.

Auch davon steht in der Pressemitteilung von Mercedes heute nichts. So unterschlägt sie auch, dass Volker Weidler in der DTM-Saison 1986 bei drei weiteren Saisonrennen auf das Podest fuhr. Damit sprang am Ende des Jahres sogar der Vizemeister-Titel für Weidler, das Team Marko RSM und den Mercedes-Benz 190E 2.3-16 heraus. Und wer weiß, wie die Geschichte ausgegangen wäre, wenn Weidler 1986 schon die ersten beiden DTM-Wochenenden im Mercedes gesessen hätte? Denn Weidler, der 1986 parallel zur DTM auch Formel 3000 fuhr, kam erst beim Eifelrennen ins Team. Dann würde die offizielle Geschichtsschreibung von Mercedes heute vermutlich anders aussehen!

Privatfahrer im Mercedes-Benz 190E 2.3-16

DTM 1985

  • Leopold Gallina, Mercedes-Benz 190E 2.3-16 (von Hartmann Motorsport), Drei Einsätze ohne Zielankunft

DTM 1986

  • Johannes Breuer, Mercedes-Benz 190E 2.3-16 (Scuderia Kassel)
  • Leopold Gallina, Mercedes-Benz 190E 2.3-16
  • Sepp Haider, Mercedes-Benz 190E 2.3-16 (Scuderia Kassel)
  • Peter Oberndorfer, Mercedes-Benz 190E 2.3-16 (An zwei Rennwochenenden von RSM Marko und bei drei Rennwochenenden von der Scuderia Kassel)
  • Jörg van Ommen, Mercedes-Benz 190E 2.3-16 (Scuderia Kassel)
  • Franz Klammer, Mercedes-Benz 190E 2.3-16 von RSM Marko
  • Kris Nissen, Mercedes-Benz 190E 2.3-16 (Scuderia Kassel)
  • Volker Weidler, Mercedes-Benz 190E 2.3-16 (RSM Marko) – Sieg am 27.04.1986 am Nürburgring und am 11.05.1986 auf der AVUS

DTM 1987

  • Stanley Dickens, Mercedes-Benz 190E 2.3-16
  • Leopold Gallina, Mercedes-Benz 190E 2.3-16
  • Franz Klammer (AMG Marko RSM), Mercedes-Benz 190E 2.3-16
  • Costas Los, Mercedes-Benz 190E 2.3-16
  • Andreas Mark, Mercedes-Benz 190 E 2.3-16
  • Peter Oberndorfer, Mercedes-Benz 190E 2.3-16
  • Jörg van Ommen (AMG Marko RSM), Mercedes-Benz 190E 2.3-16
  • Ludwig Weber, Mercedes-Benz 190E 2.3-16 (Format Fahrzeugteile GmbH)
  • Jürgen Weiler, Mercedes-Benz 190E 2.3-16 (Sachs Sporting)
  • Heiner Weiss (AMG Marko RSM), Mercedes-Benz 190E 2.3-16

DTM 1988

1988 stieg Mercedes-Benz offiziell in die DTM ein. Die Teams AMG Motorenbau GmbH und Star AMG Marko RSM dürfen sich als Werksteam bezeichnen. Daneben fahren auch die Teams BMK-Motorsport, IPS Jet Racing, Snobeck Racing Service, Visa Santander International Schwaben Motorsport und zwei Privatfahrer den Baby-Benz. Die Privatfahrer im Mercedes-Benz 190E 2.3-16 tragen zum Teil bekannte Namen:

  • Roland Asch, Mercedes-Benz 190E 2.3-16 (BMK-Motorsport)
  • Norbert Brenner, Mercedes-Benz 190E 2.3-16 (BMK-Motorsport)
  • Alain Cudini, Mercedes-Benz 190E 2.3-16 (Snobeck Racing Service)
  • Thomas von Löwis of Menar, Mercedes-Benz 190E 2.3-16 (Visa Santander International Schwaben Motorsport)
  • Jean-Pierre Malcher, Mercedes-Benz 190E 2.3-16 (Snobeck Racing Service)
  • Ralf-Werner Müller, Mercedes-Benz 190E 2.3-16 (BMK-Motorsport)
  • Sigi Müller Jr., Mercedes-Benz 190E 2.3-16 (IPS Jet Racing)
  • Michael Roppes, Mercedes-Benz 190E 2.3-16
  • Dany Snobeck, Mercedes-Benz 190E 2.3-16 (Snobeck Racing Service) – Sieg am 22.05.1988 in Brünn
  • Per Stureson, Mercedes-Benz 190E 2.3-16 (IPS Jet Racing)
  • Ludwig Weber, Mercedes-Benz 190E 2.3-16
  • Bob Wollek, Mercedes-Benz 190E 2.3-16 (BMK-Motorsport)

In den Werkswagen sitzen:

  • Johnny Cecotto, Mercedes-Benz 190E 2.3-16 (AMG Motorenbau GmbH) – Sieg am 29.05.1988 auf der Berliner Avus und am 18.09.1988 in Budapest
  • Leopold Gallina, Mercedes-Benz 190E 2.3-16 (Star AMG Marko RSM)
  • Marc Hessel, Mercedes-Benz 190E 2.3-16 (AMG Motorenbau GmbH)
  • Franz Klammer, Mercedes-Benz 190E 2.3-16 (Star AMG Marko RSM)
  • Jörg van Ommen, Mercedes-Benz 190E 2.3-16 (Star AMG Marko RSM)
  • Jean-Louis Schlesser, Mercedes-Benz 190E 2.3-16 (AMG Motorenbau GmbH)
  • Kurt Thiim, Mercedes-Benz 190E 2.3-16 (AMG Motorenbau GmbH ab dem 8. Rennwochenende)
  • Heiner Weiss (AMG Motorenbau GmbH), Mercedes-Benz 190E 2.3-16

Anmerkung: Nicht alle Piloten fahren die ganze Saison. In der DTM war es damals durchaus üblich, sein Auto nur bei ausgewählten Rennen einzusetzen oder ein Auto mit unterschiedlichen Piloten an den Start zu bringen. Teilweise fuhren Piloten sogar in einer Jahr unterschiedliche Fahrzeuge, Fahrzeugmodelle und Marken. Aus das machten sich immer wieder Privatfahrer im Mercedes-Benz 190E 2.3-16 zunutze, um in der DTM zu starten.

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Als Kind der 1970er-Jahre hatte Tom das große Vergnügen, in einem ausgesprochen automobilen Umfeld aufzuwachsen. Das war der optimale Nährboden, um heute über Autos zu schreiben und regelmäßig am Mikrofon über Autos zu sprechen. Denn Tom Schwede moderiert seit 2010 bei großen Oldtimer- und Klassik-Veranstaltungen in Deutschland. So ist Tom unter anderem bei den Classic Days (früher Schloß Dyck, heute in Düsseldorf) oder dem 1.000 Kilometer-Rennen am Nürburgring zu hören. Wenn Sie also einen Moderator oder Streckensprecher für Ihre Oldtimer-Rallye oder Ihr Oldtimer-Treffen suchen, dann sind Sie bei Tom definitiv richtig!

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