von Tom Schwede am 19.05.2019

Mercedes-Benz 190 E 2.3-16 – wie Mercedes wieder sportlich wurde!

Im Herbst 1983 stellte die damalige Daimler-Benz AG auf der IAA in Frankfurt den Mercedes-Benz 190 E 2.3-16 der Öffentlichkeit vor. Das Sportmodell des Baby-Benz war eine Überraschung. Denn zu dieser Zeit galt Mercedes-Benz vor allem als luxuriös. Die Tage der Sportlichkeit lagen eigentlich gut 30 Jahre zurück.

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In den 1980er-Jahren tauchen plötzlich überall in Europa Bay-Benz im Motorsport auf. In der DRM trat das Team Fricker aus Ulm mit dem Mercedes-Benz 190E 2.3-16 an. – Foto: Archiv AutoNatives.de

In diesem Jahr feiert Mercedes-Benz Classic 125 Jahre Motorsport. Schließlich blickt die heutige Daimler AG dank ihrer Vorgänger auf eine Motorsport-Tradition zurück, die von den Gründertagen des Motorsports bis in die Gegenwart reicht. Denn sowohl die Daimler-Motoren-Gesellschaft als auch Benz & Cie. nahmen regelmäßig an Rennen und Fernfahrten trel. Nach der Fusion beider Unternehmen zur Daimler-Benz AG setzte diese ab 1926 die Sportaktivitäten fort.

Vor dem Zweiten Weltkrieg nahm sie mit ihren Silberpfeilen an der Grand-Prix-Europameisterschaft teil. Nach dem Ruhen der Waffen gewann Daimler-Benz 1952 zunächst in Le Mans, um zwei Jahre die Automobil-Weltmeisterschaft der Formel 1 aufzumischen. Doch Ende 1955 zog sich das Unternehmen – auch wegen der Katastrophe von Le Mans – aus dem Motorsport zurück. Das wirkte sich auch auf die verkauften Autos aus. Denn in den kommenden Jahrzehnten stand Mercedes-Benz hauptsächlich für Luxus-Fahrzeuge.

Targa Florio 1924

Motorsport gehört bei Mercedes-Benz zur DNA – mit diesem 2-Liter-Sportwagen trat die Daimler-Motoren-Gesellschaft 1924 bei der Targa-Florio an. (Foto: Mercedes-Benz)

Die S-Klasse der Baureihe W126 unterstrich 1979 eindrucksvoll diesen Anspruch. Sie bestach mit einer von Bruno Sacco gestalteten hübschen Karosserie, galt aber selbst mit einem V8 unter der langen Motorhaube nicht als sportlich. Insofern war das im Herbst 1983 auf der IAA in Frankfurt präsentierte Sportmodell Mercedes-Benz 190 E 2.3-16 ein Wendepunkt. Denn plötzlich gab es bei Mercedes ein Auto, das mit echter Sportlichkeit bestach.

Der Mercedes-Benz 190 E 2.3-16 sprach neue Kunden an

Der wilde Baby-Benz irritierte die Stammkunden des Hauses. Denn die Grand-Prix-Erfolge der Stuttgarter lagen schon fast 30 Jahre zurück. Das gescheiterte Rallye-Projekt mit dem SLC brachen die Verantwortlichen ab. Weshalb 1981 der von Daimler verpflichtete Weltmeister Walter Röhrl als der bestbezahlte Urlauber der Republik galt. Wobei, das ist die Ironie der Geschichte, der Mercedes-Benz 190 E 2.3-16 Röhrls neues Sportgerät hätte werden sollen.

Walter Röhrl im Opel Ascona 400

Walter Röhrl feierte 1982 mit seinem Copiloten Christan Geistdörfer auf dem Opel Ascona 400 die Rallye-Weltmeisterschaft – eigentlich hätten die Deutschen 1982 in einem Mercedes sitzen sollen. (Foto: Opel)

Losgelöst davon, mit dem 190er nahm Daimler-Benz neue Kunden ins Visier und trat erstmals in der Mittelklasse an. Doch die Autos aus Stuttgart-Sindelfingen galten als „Opa-Autos“. Das eigentlich nicht mehr benötigte Sportmodell 2.3-16 war ein Baustein, um das Image der Marke bei jüngeren Kunden zu verbessern. Insofern war der Mercedes-Benz 190 E 2.3-16 eigentlich nur die logische Konsequenz der eingeleiteten Veränderungen. Denn der mit Spoilern bestückte Mercedes sprach nochmals neue Kunden an.

Zielgruppe des Sport-Benz waren Fahrer sportlicher Fahrzeuge wie BMW 325i (E30) oder Alfa Romeo Giulietta (Typ 116). Auch die Käufer von Fahrzeugen wie dem Alfa Romeo GTV oder Porsche 924 sollten im 2.3-16 eine Alternative sehen. Wobei den „Mehrwert“ der vier Türen ein Motor begleitete, der in Zusammenarbeit mit der britischen Motorenschmiede Cosworth entstand. Alleine diese Nachricht überraschte. Denn schließlich verstand sich Daimler-Benz als Technologieführer mit der Kernkompetenz Motorenbau.

Die Zusammenarbeit mit Cosworth war mutig!

Der Kauf eines fremden Vierventil-Kopfs war aus dieser Position heraus eine mutige Entscheidung. Auch sie ging ursprünglich auf das Rallye-Projekt zurück. Walter Röhrl hätte mit dem 190er Cosworth in der Rallye-Weltmeisterschaft antreten sollen. Doch der Audi Quattro machte den Einsatz eines Hecktrieblers in der Rallye-WM sinnlos. Zudem führte das Senken der Homologationshürde von 400 (Gruppe 4) auf 200 Exemplare (Gruppe B) zu völlig neuen Rallye-Fahrzeugen.

Statt Fiat 131 Abarth oder Opel Ascona 400 rannten in der Rallye-WM bald Fahrzeuge wie der Lancia 037, Peugeot 205 T16, Lancia Delta S4 oder Audi Quattro S1. Statt auf Schotter fuhr sich Mercedes stattdessen mit Geschwindigkeitsrekorden auf dem Highspeed-Kurs von Nardò in Süditalien ins Bewusstsein sportlicher Auto-Fans. Schon diese Rekordfahrten dokumentierten eindrucksvoll das Potential des neuen Sportlers und seines zusammen mit Cosworth entwickelten Sportmotors.







Mercedes-Benz 190 E 2.3-16

Der Mercedes-Benz 190 E 2.3-16 war der erste DTM-Rennwagen von Mercedes.

Die 20 Mercedes-Benz 190 E 2.3-16, die Mercedes 1984 zur Eröffnung der Grand Prix Strecke des Nürburgrings im Pulk auf die Strecke schickte, verstärkten den Wechsel des Images. Denn bei diesem Rennen im Mai 1984 fuhr der 190er nicht nur alleine zum Weltrekord, sondern – zumindest in einem Showrennen – auch auf der Rennstrecke. Dass Ayrton Senna, den ich ein Jahr zuvor in England in der Formel 3 fahren sah und seit dem bewunderte, das Rennen der 190er gewann, gefiel mir schon damals gut.

Der Auftritt war die Ouvertüre für weitere Sportaktivitäten von Mercedes-Benz!

Schon 1985 bestritt das Team von Snobeck Racing Service in Frankreich mit dem 2.3-16 die nationale Tourenwagenmeisterschaft – mit Unterstützung des Werks. In Frankreich wurde nicht nach den Regeln der Gruppe A gerannt. Die Rennwagen von Snobeck verfügten mit Trockensumpfschmierung und Einzeldrosselklappen über Modifikationen, die in der damals als Produktionswagen-Meisterschaft bezeichneten DTM im Heimatland Deutschland nicht erlaubt waren.

Gleichzeitig tauchten überall in Europa 190er in nationalen Rallye-Meisterschaften auf. In Deutschland trat das „Privatteam“ des Ulmer Mercedes-Händlers Reinhold Fricker mit einem Baby-Benz an. Die Tatsache, dass mit Harald Demuth ein ausgewiesener Profi am Lenkrad des Autos mit dem Kennzeichen UL-PP 1 bzw. UL-PP 2 wirkte, verdeutlicht den Anspruch des Projekts. Kaum zu glauben, dass das Werk bei der Verpflichtung des amtierende Deutsche Rallye-Meister nicht die Strippen zog oder das Ganze finanzierte.

Der nächste Schritt war die DTM

Nach den Testeinsätzen in Frankreich war klar, dass der Baby-Benz auch in der DTM bestehen kann. Dort traten Mitte der 1980er-Jahre Rennwagen wie der Volvo 240 Turbo oder die Rover Vitesse an. Das Reglement sorgte mit engen Vorgaben für Gewichte und Reifen für eine klassenlose Gesellschaft. Dadurch konnte Mercedes mit dem 2,3 Liter großen Vierzylinder im Wettbewerb gegen den 3,5-Liter großen V8 von Rover oder den Turbo von Volvo bestehen.

Mercedes-Benz 190 E 2.3-16

Mercedes-Benz 190 E 2.3-16 auf der Rennstrecke – Foto: Mercedes-Benz

Schon beim Einstand 1986 fuhr Volker Weidler, später Le Mans Sieger mit Mazda, im Helmut Marko eingesetzten und bei AMG vorbereiteten Mercedes-Benz 190 E 2.3-16 sofort auf Platz zwei der DTM-Gesamtwertung. Doch ein Jahr später gelang es nicht den Erfolg zu wiederholen. Die Konkurrenz aus München und Köln hatte mit dem BMW M3 beziehungsweise Ford Sierra RS Cosworth mächtig aufgerüstet. Das erinnerte etwas an die Situation in der Rallye-WM ein paar Jahr zuvor.

Denn während Daimler-Benz an einem offiziellen Comeback arbeitete, veränderte sich die Szene. Im Rallye-Sport führte die Senkung der Homologationshürden zu völlig anderen Fahrzeugen, die schnell alle Vorstellungen übertrafen. Auf der Rundstrecke animierte die 1987 eingeführte Tourenwagen-WM Hersteller auch in der Gruppe A zum Bau von Fahrzeugen, die die bekannten Grenzen sprengten. Doch diesmal kneift der Stuttgarter Autobauer nicht und lässt sich auf das Wettrüsten ein.

190 E 2.5-16 Evolution II

Motor im 190 E 2.5-16 Evolution II

Denn schon 1988 wird die DTM für Mercedes (auch offiziell) zur Werksangelegenheit. Die Daimler-Benz AG unterstützt gleich fünf DTM-Teams. Mit Dany Snobeck und Johnny Cecotto gewinnen zwei der Werkfahrer DTM-Läufe. Zudem sichert Roland Asch dem Werk auch ohne Laufsieg den zweiten Platz in der Meisterschaft. Zum ganz großen Erfolg reicht es noch nicht. Doch für 1989 rüstet Daimler-Benz weiter auf und zieht dabei die Evolutionskarte.







Evolution, die sich keiner vorstellen konnte

Denn von einem „normalen“ Rennwagen der Gruppe A sind damals mindestens 5.000 Fahrzeuge zu bauen. Doch anschließend können die Hersteller eine Modellpflege anmelden, wenn sie mindestens 500 modifizierte Fahrzeuge bauen. Die Regelhüter wollten den Herstellern mit dieser Vorschrift die Möglichkeit geben, moderate Änderungen der Modellpflege auf der Rennstrecke nachzuvollziehen. Doch die Regeln dazu, was eine moderate Pflege ist, waren zu offen gefaßt. So trieb Mercedes das Spiel deutlich weiter als von den Regelhütern erwartet.

Zunächst homologiert Daimler-Benz einen Mercedes mit einen aufgebohrten Motor. Mit 2.498 ccm reizt dieser das Hubraumlimit optimal aus. Denn ab einem Hubraum von 2,5 Litern hätte der Rennwagen schwerer sein müssen. Nach den 5.000 Exemplaren des neuen Mercedes-Benz 190 E 2.5-16 entstehen sofort 502 Exemplare des 190 E 2.5-16 Evolution. Das Geheimnis dabei ist: Beim „Evo“ entwickelt Daimler-Benz zunächst den Rennwagen und leitet dann das Serienmodell von diesem ab. So verfügt der „Evo“ über beste Voraussetzungen, um im Sport zu glänzen.

Klaus Ludwig 1991 in Wunsdorf mit dem Mercedes-Benz 190 E 2.5-16 Evolution II (Foto: Mercedes-Benz)

Um den später nach den Regeln der Gruppe A getunten Rennmotor auf Drehzahlen jenseits der Marke von 10.000 U/min treiben zu können, überarbeiten die Ingenieure schon die Serienaggregate grundlegend. Sie reduzieren den Hubraum geringfügig wieder, um auch mit Toleranzen nicht das Hubraumlimit im Rennsport zu überschreiten. Zudem bekommt der „Evo“ auch auf der Straße einstellbare Bug- und Heckspoiler. Gleichzeitig modifizieren die Entwickler die Karosserie, um in der Serie die Räder (8 J x 16 ET 34 mit 225/55 R 16 ZR) und die Bremsanlage des SL der Baureihe R 129 unterzubringen.

Das „Rückwärtsdenken“, das Mercedes bei der Entwicklung des „Evo“ praktiziert, hatten sich die Regelmacher beim Zulassen der Evolutionsmodelle weder vorgestellt noch erwartet. Die Folge ist, dass die Piloten auf der Rennstrecke direkt vom „alten“ 2.3-16 in den „neuen“ Mercedes-Benz 190 E 2.5-16 Evo umsteigen. Auch wenn der DTM-Titel 1989 mit Roberto Ravaglia noch an einen BMW-Fahrer geht, brennt jetzt endgültig die Lunte. Denn BMW kopiert das Entwicklungsprinzp der Stuttgarter schnell.

Auftritt 190 E 2.5-16 Evolution II

Das führt unweigerlich zu einem Wettrüsten. Immer schneller legen alle in der DTM vertretenen Hersteller weitere Evolutionsstufen nach. Auch Audi, BMW und Opel verbessern ihre Rennwagen nach dem Vorbild von Mercedes mit Evolutionsmodellen. Zumal die Stuttgarter schon 1990 mit dem Mercedes-Benz der 190 E 2.5-16 Evolution II das Rad weiterdrehen. Bei dieser Weiterentwicklung sind die Spoiler nochmals gewachsen, um dem Auftrieb der Karosserie entgegen zu wirken.

Mit diesem 190 E 2.5-16 Evolution II gewann Roland Asch ein Einladungsrennen in Kyalami in Südafrika. Es war das erste Mal, dass ein Renntourenwagen mit einem auf den Motorsport ausgerichteten Anti-Blockier-System (ABS) ausrückte.

190 E 2.5-16 Evolution II – gut zu erkennen sind die Spoiler und Verbreiterungen

Zudem rollt der Evo II auf nochmals vergrößerten Reifen (8¼ J x 17 ET 34 mit 245/45 R 17 ZR). Denn die bei den Serienfahrzeugen angebotenen Felgengrößen bestimmen in der Gruppe A die Rad-Reifen-Kombination auf der Rundstrecke. Daneben gibt es auch unter der Motorhaube weitere Optimierungen, die im Renntrimm eine Leistungsausbeute von 375 PS ermöglichen. Bis heute sind sich Zeitzeugen deshalb sicher, dass die Evolutionsmodelle im Verkauf ein Zuschussgeschäft waren. Dabei kostete der Mercedes-Benz 190 E 2.5-16 Evolution II beim Händler freundliche 115.259 D-Mark. Doch im Evo II war so viel teure Renntechnik verbaut, dass der Wagen – wie Zeitzeugen immer wieder behauten – mindestens 150.000 D-Mark hätte kosten müssen.

Der Zweck heiligt die Mittel!

Doch trotz des hohen finanziellen Einsatz fuhr Mercedes nicht sofort zum DTM-Titel. Die Titel 1990 und 1991 holt Audi. Mercedes-Pilot Klaus Ludwig fügt der langen DTM-Geschichte von Mercedes „nur“ einen weiteren Vize-Titel hinzu. Erst 1992 steuerte „König Ludwig“ den Mercedes-Benz 190 E 2.5-16 Evolution II endlich zum lange angestrebten DTM-Titel. Der Erfolg setzt den Schlusspunkt der Gruppe A in der DTM. Denn ab 1993 lösen die Rennwagen der Klasse 1 die klassischen Tourenwagen ab. Das macht den Mercedes-Benz 190 E 2.5-16 Evolution II zum Schlusspunkt einer Entwicklung, die ihren Ausgangspunkt fast eine Dekade zuvor mit dem Mercedes-Benz 190 E 2.3-16 nahm.


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