Rennsport-Geschichten

Die umfangreiche Rallye-Historie von Mercedes-Benz

Motorsport-Fans verbinden mit Mercedes-Benz bis heute überwiegend ein Engagement auf der Rundstrecke. Die Erfolge der Grand-Prix-Rennwagen vor dem Zweiten Weltkrieg sind fast noch genauso präsent, wie die Siege in der DTM, in der Formel 1 oder bei den Sportwagen. Dabei waren die Stuttgarter einst auch im Rallye-Sport zu Hause.

Ende 1955 zog sich Mercedes-Benz offiziell aus dem Motorsport zurück. Die Firma verzichtete auf Starts in der Formel 1 oder in Le Mans. Nur im Rallye-Sport blieb Mercedes vertreten. Weil der Sport zu dieser Zeit überwiegend aus Fernfahrten wie der Rallye Lüttich–Sofia–Lüttich besteht, nutzt die Versuchsabteilung Rallyes als Erprobungsfeld. Der Rallye-Sport ist dafür optimal, weil hier der Einsatz seriennaher Fahrzeuge vorgeschrieben ist.

Walter Schock
Walter Schock, Rallye-Europameister 1960 mit seinem Mercedes-Benz Typ 220 SE bei der VIII. Internationalen Rallye Akropolis 1960. (Foto: Mercedes-Benz)

Mit Strecken von bis zu 5.500 Kilometers ein optimales Betätigungsfeld für große Reiselimousinen wie den Mercedes-Benz 220 SE (W 111) oder den Mercedes-Benz 300 SE (W 112). Bereits 1960 sichern sich Walter Schock und Rolf Moll mit dem Mercedes-Benz 220 SE den Titel des Rallye-Europameisters. Zwei Jahre später gewinnt auch Eugen Böhringer, der vor wenigen Wochen im Alter von 91 Jahren verstarb, diesen Titel. Böhringer, im Hauptberuf Hotelbesitzer, versteht es wie kein Zweiter, die schweren Limousinen scheinbar federleicht über die schwierigsten Pisten zu steuern.

Ewy Rosquist-von Korff 1964 bei der 33. Rallye Monte Carlo. (Foto: Mercedes-Benz)
Ewy Rosquist-von Korff 1964 bei der 33. Rallye Monte Carlo. (Foto: Mercedes-Benz)

Viel Beachtung findet 1962 der Sieg der Schwedin Ewy Rosqvist und ihrer Beifahrerin Ursula Wirth bei einer Rallye in Argentinien. Der „Große Straßenpreis von Argentinien“ führt 1962 über sechs Etappen und 4.626 Kilometer. 258 Fahrzeuge gehen an den Start, nur 43 kommen im Ziel in Buenos Aires an. Die beiden Blondinen aus Skandinavien dominieren mit ihrem 220 SE die gesamte Veranstaltung, gewinnen alle sechs Etappen. Doch über dem Rennen liegt ein dunkler Schatten, Teamkollege Hermann Kühne verunglückt während der zweiten Etappe tödlich.

Ende 1964 stellt Mercedes-Benz das Rallye-Programm offiziell ein.

In den folgenden Jahren treten allerdings zahlreiche Privatfahrer mit Produkten von Mercedes-Benz im Rallye-Sport an. Das Werk kehrt 1977 offiziell in den Sport zurück. Zunächst mit dem 280E, der sich bei den Langstrecken-Rallyes als konkurrenzfähig erweist. Der Schotte Andrew Cowan, später bei Mitsubishi für die Rallye-Einsätze verantwortlich, gewinnt 1977 für Mercedes den Rallye-Marathon London – Sydney.

Mercedes-Benz Typ 280 E beim Rallye-Marathon London–Sydney
Mercedes-Benz Typ 280 E (Baureihe W 123) aus dem Jahr 1977. Das für den Rallye-Einsatz vorbereitete Fahrzeug ist der Siegerwagen des Rallye-Marathon London–Sydney, der vom 12. August bis zum 28. September 1977 dauert. (Foto: Mercedes-Benz)

Hinter den Rallye-Einsätzen steht hauptsächlich Erich Waxenberger. Der Leiter des Mercedes-Fahrversuchs glaubt an die Erprobung seriennaher Fahrzeuge im Rallye-Sport. Waxenberger überzeugt den Vorstand davon, 1979 mit dem Coupé Mercedes-Benz 450 SLC 5.0 in den Rallye-Sport einzusteigen. In der Versuchsabteilung entstehen die Wettbewerbsfahrzeuge.

Erich Waxenberger und Björn Waldegård
Erich Waxenberger (rechts), damaliger Mercedes-Benz Teamleiter, und Rallyefahrer Björn Waldegaard. 27. Internationale Rallye Akropolis, 26.- 29.05.1980.

Für Vor- oder besser Quertrieb sorgt der bekannte M 117 Motor. Dieser V8 sollte einige Jahre später auch im Sportwagen dank eines Turbos mit mehr als 700 PS für Furore sorgen. Im Mercedes-Benz 450 SLC 5.0 leistet der Motor 320 PS, die – für ein Rallye-Fahrzeug ungewöhnlich – ein Automatik-Getriebe auf die Straße bringt. Ein Sperrdifferenzial mit 80 Prozent Sperrwirkung ermöglicht große und spektakuläre Driftwinkel.

SLC im Rallye-Einsatz
Das spätere Siegerteam Hannu Mikkola / Arne Hertz (Startnummer 6) mit einem Mercedes-Benz 450 SLC 5.0 Rallyefahrzeug während der 11. Bandama Rallye, Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste) vom 9. bis 14. Dezember 1979 (Foto: Mercedes-Benz)

Mercedes-Benz verpflichtet mit Hannu Mikkola einen der Top-Stars der Szene. Für Ford, Peugeot und Toyota hat der Finne bereits WM-Rallyes begonnen. Schon in der ersten Saison gelingt Mikkola dies auch für Mercedes. Bei der Rallye Bandama Côte d’Ivoire, die 1979 jedoch noch nicht zur Weltmeisterschaft gehört, steuert Hannu Mikkola den Mercedes-Benz 450 SLC 5.0 zum Sieg. Im Folgejahr wiederholt der Schwede Björn Waldegård an gleicher Stelle den Erfolg. Auch Waldegård, zu diesem Zeitpunkt amtierender Rallye-Weltmeister, gewinnt in Afrika mit dem Mercedes. Der Schwede sorgt damit für den bis heute einzigen Mercedes-Erfolg in der 1973 eingeführten Rallye-Weltmeisterschaft.

Mercedes strebt nach Höherem

Im Winter 1980/81 verpflichtet Mercedes-Benz sensationell Walter Röhrl. Im Werk entstehen vier Mercedes-Benz 500 SL Rallye. Für den Roadster spricht, dass das offene Fahrzeug kürzer und leichter als das Coupé ist. Walter Röhrl führt ausgiebige Testfahrten durch. Doch noch vor Saisonbeginn zieht Mercedes-Benz sich aus dem Rallye-Sport zurück. Wer mit Zeitzeugen spricht, bekommt zu hören, wie toll der Mercedes-Benz 500 SL Rallye funktioniert hat.

Innenraum im Rallye Mercedes-Benz 500 SLC von 1980
Innenraum im Rallye Mercedes-Benz 500 SLC von 1980 (Foto: Mercedes-Benz)

Mit 320 PS und einem Gewicht von 1.350 Kilogramm wäre der Roadster einige Jahre früher ein tolles Rallye-Auto gewesen. Doch 1980 hat Audi den Quattro vorgestellt. Mercedes weiß, dass der heckgetriebene SL gegen den Vierradantrieb des Quattro keine Chance hat. Daher zieht Mercedes-Benz sich sofort aus der Rallye-Szene zurück. Offiziell, um sich auf die Entwicklung von Serienfahrzeugen zu konzentrieren.

Damit endet die Rallye-Historie von Mercedes-Benz, wenn da nicht noch UL-PP 1 wäre. Einige Jahre nach dem Rückzug des Werks tritt Rallye-Profi Harald Demuth mit einem Mercedes 190 E 2,3-16 in der Deutschen Rallye Meisterschaft an. Offiziell setzt der Ulmer Mercedes-Händler Fricker den Baby-Benz ein. Doch als Demuth mit dem Gruppe A Fahrzeug um den Titel kämpft, zieht es auch Mercedes-Mitarbeiter an den Rand der Rallye-Pisten. Offiziell heißt es zwar, dass diese dort ihren Urlaub verbringen. Aber eigentlich dokumentiert ihre Anwesenheit, dass der Rallye-Geist bei Mercedes-Benz wohl auch nach dem offiziellen Ausstieg noch nicht ganz ausgestorben war. Zumal überall in Europa plötzlich der 2,3-16 auf Schotter eingesetzt wird.

Und eine kleine Pflanze scheint auch heute noch im Konzern zu blühen. Beim Eifel Rallye Festival tritt an diesem Wochenende Björn Waldegård tritt an. Der Schwede steuert den Mercedes-Benz 500 SLC, mit dem 1980 die Rallye Elfenbeinküste gewann. Das Fahrzeug gehört heute zum Bestand des Mercedes-Werksmuseums und darf beim Eifel Rallye Festival für ein Wochenende zurück auf die Rallye-Piste.

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Als Kind der 1970er-Jahre hatte Tom das große Vergnügen, in einem ausgesprochen automobilen Umfeld aufzuwachsen. Das war der optimale Nährboden, um heute über Autos zu schreiben und regelmäßig am Mikrofon über Autos zu sprechen. Denn Tom Schwede moderiert seit 2010 bei großen Oldtimer- und Klassik-Veranstaltungen in Deutschland. So ist Tom unter anderem bei den Classic Days (früher Schloß Dyck, heute in Düsseldorf) oder dem 1.000 Kilometer-Rennen am Nürburgring zu hören. Wenn Sie also einen Moderator oder Streckensprecher für Ihre Oldtimer-Rallye oder Ihr Oldtimer-Treffen suchen, dann sind Sie bei Tom definitiv richtig!