Zwischen Airbox und Aufbruch: Der vergessene Prototyp Abarth SE 030
Beim Stöbern nach alten Pressefotos entdeckte ich zufällig ein Bild eines Rennwagens, den ich nicht kannte. Doch der Abarth SE 030 ist mehr als ein vergessener Prototyp mit Formel 1-Ansaugbox, einem V6 aus dem Fiat 130 und einer Geschichte, die direkt zum Lancia Rally 037 führt. Ein Blick zurück auf ein beinahe übersehenes Kapitel italienischer Motorsportgeschichte.
Auf der Suche nach interessanten Themen klicke ich mich regelmäßig durch Online-Marktplätze, durchstöbere Sammlungen und durchkämme digitale Archive. Denn oft liefern alte Pressefotos, die dort angeboten werden, gute Geschichten. So war es auch im Fall des Abarth SE 030. Dessen Foto sprang mich kürzlich regelrecht an, als es bei eBay zwischen Verkaufsanzeigen für Modellautos und Rallyeaufkleber plötzlich auftauchte. Diesen flachen, muskulösen Prototyp mit wuchtigem Heck, breiten Backen und einer riesigen Ansaugbox hinter dem Cockpit kannte ich tatsächlich noch nicht.
Mittelmotor-Prototyp als Versuchsträger
Der Abarth SE 030 – später als Fiat Abarth 030 bekannt – war ein Zwitter zwischen Straßen- und Rennsporttechnik. Entwickelt von Abarth, FIAT und Pininfarina, diente der Prototyp ursprünglich als Technologieträger für ein neues Sportcoupé. Dabei war er Teil des Projekts X1/20, aus dem später der Lancia Beta Montecarlo hervorgehen sollte. Doch bevor das Serienauto debütierte, ging zunächst der Prototyp auf große Fahrt. Denn statt ihn im Verborgenen zu testen, entschloss sich FIAT, den Prototypen 1974 beim „Giro d’Italia automobilistico“ an den Start zu bringen.
Der „Giro d’Italia automobilistico“ kombinierte von 1973 bis 1980 Sprints auf der Rundstrecke mit Bergrennen. Das Besondere dabei war, dass die Teilnehmer die Verbindungsetappen zwischen den Rennen auf eigener Achse im öffentlichen Straßenverkehr zurücklegten. Ein Muster, das damals auch bei der „Tour de France für Automobile“ Anwendung fand. 1974 bestand der Giro aus vier Bergrennen sowie acht Rundstreckenrennen. Der Auftakt fand am 15. Oktober in den Alpen statt. Noch am gleichen Tag ging es im Autodromo di Casale weiter.
Fiat fuhr beim „Giro d’Italia“ groß auf!
Am nächsten Tag folgten Rennen in Imola und Mugello, bevor am dritten Tag nach einem Rennen in Misano das zweite Bergrennen auf dem Programm stand. Am vierten Tag ging es zunächst auf die Rennstrecke von Vallelunga, bevor sich zwei weitere Bergrennen anschlossen. Am Schlusstag beendeten zwei Rennen auf dem Autodromo di Varano sowie in Monza den „Giro d’Italia automobilistico“, der als Ganzes Teil der italienischen Sportwagen-Meisterschaft war. Im „Campionato Italiano Gran Turismo“ bildete der „Giro“ den Saisonabschluss. Dafür schickte Fiat gleich vier Autos ins Rennen.

Clay Regazzoni, sonst für Ferrari in der Formel 1 aktiv, fuhr einen von zwei Prototypen des Fiat Abarth X1/9. Im zweiten X1/9 griff Rallye-Werksfahrer Fulvio Bacchelli ins Lenkrad. Raffaele Pinto trat mit einem Fiat 124 Abarth Rally an. Den Abarth SE 030-Prototyp fuhr Fiat-Werksfahrer Giorgio Pianta, der sich den Sportwagen mit Christine Becker teilte. Becker ist bis heute im Motorsport aktiv. 2024 fuhr sie in Zolder einen Arrows A8 und gilt als bislang älteste weibliche Pilotin, die im Verlauf einer Motorsport-Veranstaltung einen Formel 1-Boliden fuhr.
Platz zwei beim Debüt war stark
Die Mannschaft von Fiat traf beim „Giro d’Italia automobilistico“ auf starke Konkurrenz. Arturo Merzario fuhr einen Lancia Stratos, schied jedoch früh aus. Den Sieg sicherten sich Jean-Claude Andruet und seine Beifahrerin Michèle Espinosi-Petit, die damals das Pseudonym „Biche“ nutzte. Auch Andruet und „Biche“ steuerten einen Lancia Stratos Turbo des Lancia-Werksteams. Auf dem zweiten Platz kamen Giorgio Pianta und Christine Becker ins Ziel. Das war für den nagelneuen Rennwagen bei dessen erstem Einsatz ein bemerkenswertes Ergebnis.
Von dieser Geschichte wusste ich tatsächlich nichts, als ich den Abarth SE 030 beim Stöbern entdeckte. Besonders beeindruckte mich die riesige Ansaugbox. Sie wirkt am ansonsten – wohl wegen des später vorgestellten Lancia Beta Montecarlo – überraschend vertraut wirkenden Sportwagen wie ein Fremdkörper. Die Ansaugbox erscheint fast fehl am Platz, sieht überdimensioniert und martialisch aus, stammt scheinbar aus einem anderen Motorsportuniversum. Und genau das ist sie auch: Denn damals trugen vor allem Formel-1-Boliden und Sportprototypen solche Ansaugboxen.
Beim 037 erinnerte sich FIAT an den 030!
In der Ära von Matra-Saugmotoren, Ferrari-Prototypen und dem Hesketh 308 von James Hunt gehörten solche „Airboxen“ zum guten Ton. Erst 1976 verboten die Regelhüter diese Lufthutzen, die bis dahin genauso ein technisches Statement wie ein stilistisches Ausrufezeichen waren. Beim Abarth SE 030 führte sie einem V6 die benötigte Atemluft zu. Der kernige 3,2 Liter große Motor stammte ursprünglich aus dem Fiat 130. Für den Motorsporteinsatz überarbeitete Abarth das Triebwerk der großen Limousine und entlockte ihm mit drei Weber-48-IDF-Doppelvergasern mehr als 250 PS Leistung.

Ein längseingebautes ZF-Getriebe brachte diese Leistung über die Hinterräder auf die Straße. Trotz des Erfolgs beim „Giro“ entstanden nur zwei Exemplare des Sportwagens, wovon einer bei dem Rennen antrat. Es folgten weder die Homologation noch ein Serienprogramm oder gar ein weiteres Rennprogramm. Und doch war der Abarth SE 030 viel mehr als ein sportlicher Versuchsträger. Denn er war letztlich der Startpunkt einer Entwicklung, die später in den legendären Lancia Rally 037 mündete, der als letztes Auto mit Hinterradantrieb Rallye-Weltmeister werden sollte.
Existiert der FIAT Abarth SE 030 noch? Unklar!
Der Einsatzwagen von Giorgio Pianta und Christine Becker verschwand nach dem „Giro“ zunächst von der Bildfläche. 1979 erwarb der US-amerikanische Abarth-Importeur und Rennfahrer Alfred Cosentino den Rennwagen. Heute ist nicht klar, ob der FIAT Abarth SE 030 noch existiert. In Sammlerkreisen tauchen zwar immer wieder Hinweise auf den Sportwagen auf, doch gesichert ist wenig. Vielleicht wartet dieses vergessene Kapitel der Motorsportgeschichte nur darauf, neu entdeckt zu werden – so wie ich durch Zufall das Bild des Sportwagens bei eBay entdeckte.
Technische Daten – Fiat Abarth 030
| Merkmal | Beschreibung |
|---|---|
| Karosserie | Coupé |
| Motorposition | Hinten (längs eingebaut) |
| Antrieb | Hinterradantrieb |
| Leergewicht | 910 Kilogramm |
| Motortyp | V6-Ottomotor, kurzhubig, längs eingebaut hinten |
| Hubraum | 3.481 cm³ (Bohrung x Hub: 102 x 71 mm) |
| Ventilsteuerung | 2 Ventile pro Zylinder, obenliegende Nockenwellen |
| Gemischaufbereitung | Drei Weber-48-IDF-Doppelvergaser |
| Leistung | 285 PS (DIN) bei 6.000 U/min |
| Kupplung | Einscheiben-Trockenkupplung |
| Getriebe | 5-Gang-ZF-Schaltgetriebe mit Rückwärtsgang und Sperrdifferenzial |
| Chassis | Selbsttragende Stahlkarosserie |
| Bremsen vorne | Scheibenbremsen |
| Bremsen hinten | Scheibenbremsen |
| Höchstgeschwindigkeit | 275 km/h |
| Verbrauch | 20 l / 100 km |
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