Serie: Motorsport in der DDR und im Ostblock

TR-Spider: Sinnbild für den Motorsport in der DDR

Neulich suchten Fabian und ich in unserem Archiv ein Foto und stolperten über einen Rennwagen, den wir – tatsächlich – nicht sofort zuordnen konnten. Nach etwas Suchen fanden wir die Lösung. Der TR-Spider genannte Rennwagen entstand in den 1970er-Jahren für den Motorsport in der DDR. Das führte uns – Westkinder – unweigerlich zur Frage, wie sah Motorsport in der DDR und dem Ostblock aus? Dabei entstand eine Serie, die wir im Juli jeden Montag hier im Blog fortsetzen?

Bis 1989 teilte der Eiserne Vorhang den europäischen Kontinent. Der Austausch über diese Grenze hinweg war schwierig, aber nicht unmöglich. Wobei Motorsport bei den Verantwortlichen in der DDR und den anderen Ostblock-Staaten – zumindest in den 1980er-Jahren, als wir aufwuchsen – allenfalls als geduldet galt. Das Hauptaugenmerk richtete sich auf die Sportarten wo die Athleten der DDR und ihrer Bruderstaaten Medaillen und Titel für die sozialistische Volksgemeinschaft gewinnen konnten. Doch das war nicht immer so. In den 1950er-Jahren vertrat das Staatliche Rennkollektiv die DDR auf der internationalen Motorsport-Bühne. Es schickte Formel-Fahrzeuge und Sportwagen zu Rennen ins westliche Ausland. Und auch Motorsportler aus dem Westen nahmen regelmäßig an Rennen in der DDR teil. Denn damals war der Motorsport in der DDR eine erstaunlich blühende Landschaft.


Das Staatliche Rennkollektiv fuhr in der Automobil-Weltmeisterschaft!

Als „National-Team“ der DDR beschränkte sich das Staatliche Rennkollektiv nicht nur auf Veranstaltungen in der DDR oder dem Ostblock. 1953 trat das Staatliche Rennkollektiv beim Großen Preis von Deutschland auf dem Nürburgring an. Es war der einzige Start des Teams bei einem Lauf zur Automobil-Weltmeisterschaft. Das war möglich, da die CSI nach dem Alfa-Romeo-Rückzug ihre Weltmeisterschaft für Formel 2-Boliden ausschrieb. Dafür hatte das Kollektiv die richtigen Autos. Denn zum Motorsport in der DDR gehörten regelmäßig Formel 2-Rennen. Edgar Barth stellte seinen EMW R1 auf den 24. Startplatz, fiel im Rennen jedoch aus. Ein Jahr später – nach Einführung der neuen 2,5-Liter Formel 1 – beschränkte sich das Rennkollektiv an gleicher Stelle auf einen Start beim Sportwagen-Rennen im Rahmenprogramm des Grand Prix. 1956 schickte das Rennkollektiv zwei Fahrzeuge zum 1.000-Kilometer-Rennen auf dem Nürburgring.

Automobilwerk Eisenach spielte im Motorsport in der DDR eine wichtige Rolle.
Automobilwerk Eisenach spielte im Motorsport in der DDR eine wichtige Rolle. Das Staatliche Rennkollektiv war im Prinzip die Motorsport-Abteilung des Autowerks. Doch als in Eisenach satt der zuvor auf BMW-Konstruktionen basierenden Fahrzeuge der Wartburg vom Band lief, zog sich AWE aus dem internationalen Motorsport zurück. Im Motorsport in der DDR spielten die Fahrzeuge von AWE aber weiter eine wichtige Rolle. (Foto: Tom Schwede)

Der Motorsport in der DDR bekam damals sogar die Aufmerksamkeit eines Spielfilms. Anfang 1957 kam „Rivalen am Steuer“ in die Kinos der DDR. In diesem Spielfilm verlässt ein Rennfahrer die DDR, um für ein südamerikanisches Team zu fahren. Doch dort ist nicht alles Gold, was glänzt. So kehrt der Protagonist reumütig in seine Heimat zurück. Der Film war ein Propagandawerk, das für die „Überlegenheit“ des Sozialismus werben sollte. Doch praktisch zeitgleich mit dem Start des Films in den Lichtspielhäusern löste die DDR ihr nationales Automobil-Rennteam auf. Deshalb verschwand auch der Spielfilm schnell in den Archiven der DEFA. Der Rückzug des Staatlichen Rennkollektivs war der erste Schritt vom Abschied der DDR aus dem internationalen Motorsport. Aber es war nicht das Ende des Motorsports in der DDR. Und auch in den 1960er-Jahren nahmen weiter Sportler aus dem Westen am Motorsport in der DDR teil.

Die Zweiräder vertraten den Motorsport in der DDR noch einige Jahre länger auf der Weltbühne!

Über die Gründe des Rückzugs lässt sich trefflich spekulieren! Natürlich weckten der Film und die Ausflüge des Kollektivs das Fernweh von Zuschauern und Fans. Zudem verlor die staatlich gelenkte Autoindustrie der DDR gerade den Anschluss an die des Westens. Denn trotz des Namens war das Staatliche Rennkollektiv im Prinzip immer die Motorsportabteilung des Automobilwerks Eisenach. Dort lief seit 1955 – auf staatliche Anweisung – mit dem Wartburg 311 ein Zweitakter vom Band. Der Einsatz der Viertakt-Sportwagen brachte daher keinen Erkenntnisgewinn für die Serienfertigung. Deshalb waren die teuren Einsätze vor den Staatslenkern des Berliner Politbüros praktisch nicht mehr zu rechtfertigen. Wobei in den kommenden Jahren auf Basis des Wartburg einige interessante Rennwagen entstehen sollten. Doch diese kamen nur im Motorsport in der DDR und dem Ostblock zum Einsatz. 

Helga Steudel (MZ Zwickau) beim Motorsport in der DDR
Nach dem Rückzug im Automobilbereich vertraten die nur noch die Motorrad-Sportler die DDR auf der internationalen Bühne. Dieses Foto zeigt Helga Steudel auf einer MZ aus Zwickau bei einem Rennen 1963 auf dem Schleizer-Dreieck. Zwei Jahre später war Steudel die erste Motorradfahrerin, die ein Rennen auf dem Sachsenring gewinnen konnte. Doch die Regeln der FIM verwehrten Steudel bzw. nach ihrer Heirat Heinrich den Start in der WM. Später wechselte sie in den Automobilsport und fuhr in der Leistungsklasse 1 in der Formel Easter (Foto: Bundesarchiv, Bild 183-B0715-0007-002 / Schaar, Helmut / CC-BY-SA 3.0).

Motorräder von MZ hatten auch in den 1960er-Jahren noch Weltniveau. Daher trat MZ auch nach dem Rückzug der Automobilsportler mit einem Werksteam in der Motorrad-Weltmeisterschaft an. Allerdings verweigerten Anfang der 1960er-Jahre einige NATO-Staaten MZ die Teilnahme an Rennen in ihren Ländern. Das kostete das Werk und seinen Top-Piloten Ernst Degner wertvolle Punkte. Entnervt wechselte der Weltklasse-Fahrer zu Suzuki und fuhr dort auf Anhieb zum langersehnten Weltmeister-Titel. Es gilt als sicher, dass Degner, der selbst ein begnadeter Techniker war, bei seinem Wechsel wertvolles Know-how mit nach Japan nahm. Wohl auch deshalb trägt heute eine Passage an der Rennstrecke von Suzuka den Namen des deutschen Rennfahrers.

Als Dieter Braun am Sachsenring gewann hatte die DDR ein Problem!

Ab 1961 gehörte zur Motorrad-Weltmeisterschaft auch der „Große Preis der DDR“. Da der Grand Prix ein WM-Lauf war ging hier die Weltelite an den Start. Jim Redman, Mike Hailwood und Giacomo Agostini trugen sich in die Siegerlisten des Sachsenrings ein. Doch 1971 gewann mit Dieter Braun ein Pilot aus der Bundesrepublik den Lauf in der Klasse bis 250ccm. Die Politik-Funktionäre schäumten und wirkten auf Rennleiter Hans Zacharias ein. Braun soll die Tracklimits missachtet haben, lautete ihre Argumentation. Doch der Rennleiter widersetzte sich den Anweisungen der Funktionäre. Braun, der 1969 auf einer MZ die westdeutsche Meisterschaft gewann, blieb Sieger. Während der Siegerehrung liefen „zufällig“ nur die Lautsprecher in der Nähe des Podests. Das hinderte die mehr als 200.000 Zuschauer nicht, das Deutschlandlied – die Hymne des Klassenfeinds – anzustimmen.

Für die Politikoffiziere war das sicherlich der blanke Horror. Doch der Vertrag mit der FIM, dem Motorrad-Weltverband sah eine Vertragsstrafe vor, wenn das Rennen ausfiel. Die DDR schluckte die bittere Pille. 1972 fand nochmals ein Grand Prix der DDR statt. Vermutlich fiel den Verantwortlichen ein Stein vom Herz, als Dieter Braun – nun in der Klasse bis 350 ccm unterwegs – nur auf Platz drei fuhr. Ab 1973 stand der Große Preis der DDR nur noch Piloten aus dem Ostblock offen. Aus dem WM-Lauf wurde ein Lauf im „Pokal für Frieden und Freundschaft der sozialistischen Länder“. Ein Jahr später zog sich das Werksteam von MZ aus der WM zurück. Damit war die Isolation des DDR-Motorsports komplett. Wer nun noch Motorsport in der DDR treiben wollte, dem blieben nur die nationalen Meisterschaften und der Pokal der sozialistischen Länder.

Lesen Sie nächste Woche im zweiten Teil über Motorsport in der DDR, wie die Piloten aus der DDR der Formel Easter ihren Stempel aufdrückten.


Infos zum Titelbild dieses Beitrags:
Der TR-Spider steht sinnbildlich für den Motorsport in der DDR. Denn Helmut Tschernoster und Georg Reinhard bauten den Rennwagen in ihrer Freizeit. Im Hauptjob war Helmut Tschernoster Ingenieur in der Entwicklungsabteilung der Flugzeugwerke in Dresden. Das hier erworbene Wissen floss nach Feierabend in den Rennwagen ein, der von 1972 bis 1976 nach dem Vorbild tschechische Modelle entstand. Bein Antrieb entschied sich das Duo für einen Dacia-Motor aus Rumänien. Denn das 1,6 Liter große Triebwerk basierte auf einer Konstruktion von Renault

Foto. Tom Schwede

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Ein Beitrag von:

Fabian P. Wiedl interessiert sich seit Kindestagen für Motorsport und Automobile. Als Mitverfasser mehrerer Bücher, wovon insbesondere „Audi Typenkunde: Renn- und Rallyewagen von 1968 bis 2013“ zu erwähnen ist, greift Wiedl gern auf sein umfassendes Motorsport-Archiv zurück.


Tom Schwede wuchs in einem ausgesprochen automobilen Umfeld auf. Dies war ein optimaler Nährboden, um heute über Autos zu schreiben und regelmäßig am Mikrofon über Autos zu sprechen. Seit 2010 moderiert Tom bei großen Oldtimer- und Klassik-Veranstaltungen in Deutschland sowie dem angrenzenden Ausland.

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