Bauen. Scheitern. Wieder aufstehen: Louis Descartes und seine ALD
In den 1970er- und 1980er-Jahren war Frankreich ein fruchtbarer Boden für Tüftler, Träumer und Talente – vor allem für jene, die davon träumten, ihre eigenen Langstrecken-Rennwagen zu bauen. Zu ihnen zählt auch Louis Descartes, der ab 1984 seine ALD-Rennwagen in Le Mans und der Sportwagen-Weltmeisterschaft einsetzte.
Das war 1972, als der 20-Jährige aus Saivres im Westen Frankreichs seine ersten Bergrennen fuhr, sicher nicht absehbar. Denn zunächst sah Lhoussayn „Louis“ Descartes im Motorsport nur ein Hobby. Der Verlegersohn trat aus Spaß zunächst mit einem Renault 8 Gordini und dann mit einer Alpine am Berg an. Hauptsächlich konzentrierte sich Descartes auf seine Tätigkeit im Verlag der Eltern. Trotzdem blieb der Franzose dem Bergrennsport treu. Auf die seriennahen Rennwagen folgten Sportwagen von Jidé und Tecma. 1978 erwarb Descartes einen Lola. Ihn führte der Franzose bald regelmäßig auf der Rundstrecke aus.
Vom Bergrennen zum Prototypen!
Das „Championnat de France“ für Sportwagen war offenbar eine gute Schule für Sportwagenkonstrukteure. Denn baute Didier Bonnet, dessen Debora-Sportwagen einige Male in Le Mans antraten, seine ersten Rennwagen. 1981 gründete Louis Descartes zusammen mit Hervé Bayard „L'Automobile Renard-Delmas“ (ARD). Gemeinsam bauten sie den Renard-Delmas RD81 und brachten diesen nach Le Mans. Dort legte das Duo mit ihrem Sportwagen, dessen 2-Liter-Simca-Motor der spätere Audi-Partner ROC vorbereitete, in 24 Stunden „nur“ 187 Runden zurück. Für eine Platzierung reichte das nicht – ein Dämpfer für die ehrgeizigen Tüftler, die anschließend getrennte Wege gingen.
Der Sportwagen verblieb bei Hervé Bayard, der mit dem jetzt D1 genannten Fahrzeug ein Jahr später in Le Mans an der Abnahme scheiterte. Louis Descartes startete 1983 mit ALD einen weiteren Versuch, sich als Sportwagenhersteller zu etablieren. Das Akronym „ALD“ stand dabei für „Automobiles L. Descartes“. Ursprünglich plante Descartes, einen Lola T298 zum geschlossenen Sportprototypen umzubauen. Doch das ließ sich nicht realisieren. Damit war klar: Wenn es mit dem Lola nicht klappt, muss ein eigener Rennwagen her. Dessen Design übernahm Jean-Paul Sauvée. Der Ingenieur aus Angers wurde Partner bei ALD.
1985 – ein erster Anlauf mit Hindernissen
Der von Sauvée entworfene ALD 01 sollte ursprünglich schon 1984 in Le Mans starten. Doch es fehlten Zeit und Geld, der Rennwagen war nicht rechtzeitig fertig. Erst Anfang 1985 stand der ALD 01 auf dem Pariser Autosalon. Mit einem Aluminium-Chassis war der Sportwagen auf der Höhe der Zeit. Kohlefaser-Chassis setzten sich im Sportwagensport erst später als in der Formel 1 durch. Den Antrieb übernahm ein 3,5 Liter großer Sechszylindermotor von BMW. Der M88 stammte ursprünglich aus dem BMW M1. Er trieb in diesen Jahren einige Sportwagen an. Auch die ersten beiden Gruppe-C von Peter Sauber nutzten diesen Motor.
Die Motoren von ALD stammten von Johann Randlinger, der zuvor für das Freiburger Team GS-Tuning die Motoren vorbereitete. ALD testete den Rennwagen unter Rennbedingungen bei einem Rennen in Montlhéry. Trotz eines Ausfalls sah sich das Team für Le Mans gut gerüstet. Doch Getriebe- und Elektronikprobleme verhinderten, dass Louis Descartes und seine Co-Piloten Jacques Heuclin und Daniel Hubert in Wertung ins Ziel kamen. Anschließend fuhr „Automobiles L. Descartes“ die WM-Rennen in Hockenheim, Spa-Francorchamps und Brands Hatch. Beim Lauf vor den Toren von London sprang mit Platz neun immerhin ein respektables Ergebnis heraus.
Kleine Fortschritte, große Rückschläge!
Anschließend trat Louis Descartes mit dem ALD 01 noch bei zwei nationalen Rennen in Frankreich an. Doch selbst gegen die betagten, aber ausgereiften Gruppe 6 sowie Formel 2-Umbauten hatte der ALD keine Chance. Im Winter 1985/86 entwickelte Jean-Paul Sauvée den ALD 01 daher zum ALD 02 weiter. Doch auch die Saison 1986 prägten wieder zahlreiche Ausfälle. Wobei sich der ALD 02 beim traditionellen Le Mans-Vortest im Mai zumindest auf eine Runde als konkurrenzfähig erwies. In Le Mans war nach nur 41 Runden Schluss – ein weiteres Kapitel im Buch der Rückschläge. Immerhin sah der ALD 02 in Silverstone und am Nürburgring die Zielflagge.
Louis Descartes und Jean-Paul Sauvée erkannten, dass die Tage ihrer Konstruktion gezählt waren. Mit dem ALD 03 entstand ein ganz neues Fahrzeug, das eine Frontscheibe vom Porsche 962 verwendete. Den Antrieb übernahm ein – von ROC vorbereiteter – Vierzylinder-Turbo von Audi. Allerdings funktionierte der Motor im Sportwagen nicht wie erhofft – noch vor den 24 Stunden von Le Mans musste das Team zurück auf den bewährten BMW-Motor wechseln. Lohn der Mühe war ein elfter Platz. Der alte ALD 02 sah ebenfalls die Zielflagge. Doch für eine Wertung reichte es erneut nicht. Doch in Spa kamen erstmals beide ALD in Wertung ins Ziel.
ALD C289: Der große Wurf misslang
1988 entstand mit dem ALD 04 ein weiterentwickelter Rennwagen. Um in Le Mans erstmals mit zwei identischen Rennwagen antreten zu können, brachte das Team auch den ALD 03 auf den Stand des Nachfolgers. Damit blieb auch der bewährte Sechszylinder von BMW an Bord. Das neue Auto mit Louis Descartes, Jacques Heuclin und Dominique Lacaud im Cockpit kam als 22. ins Ziel. Der umgebaute „Altwagen“ fiel aus. Trotzdem ging das Team „Automobiles L. Descartes“ in die Saison 1989 mit großen Ambitionen. Gleich drei neue Rennwagen entstanden. Didier Bonnet übernahm die Weiterentwicklungen ALD 05 und ALD 06.
Für den eigenen Einsatz baute „Automobiles L. Descartes“ mit dem ALD C289 einen völlig neuen Rennwagen. Der C289 hatte als erster Rennwagen des Teams ein Kohlefaser-Chassis. Zudem trat ein Ford-Cosworth DFL an die Stelle des bisher genutzten BMW-Motors. Doch auch mit diesem neuen Konzept gelang es „Automobiles L. Descartes“ nicht, einen zuverlässigen Rennwagen auf die Räder zu stellen. Trotzdem zeigte sich, dass der Schritt zum Kohlefaser-Chassis richtig war. Denn die Zeit der alten Rennwagen mit Aluminium-Chassis war vorbei. Das zeigte sich besonders in Le Mans, wo sich nur der neue Rennwagen qualifizieren konnte.
Louis Descartes wechselte auf die andere Seite der Boxenmauer!
„Automobiles L. Descartes“ konzentrierte sich auf den Einsatz des neuen Rennwagens. Zudem stieß mit François Migault ein ehemaliger Grand-Prix-Pilot, der zu diesem Zeitpunkt schon auf 16 Starts in Le Mans zurückblickte, zum Team. Das zeigte Louis Descartes seine persönlichen Grenzen auf. Der Teamchef zog sich in die Boxen zurück. Das Cockpit überließ Louis Descartes neben Migault wechselnden Mitfahrern wie Denis Morin oder Gérard Tremblay. Das half der Kasse und vielleicht auch der Performance des Teams. Denn 1990 standen fünf Ankünften im Ziel nur noch vier Ausfälle gegenüber.
Von diesem Aufwärtstrend motiviert, entstand für 1991 mit dem ALD C91 nochmals ein neuer Rennwagen. Er war, was Zuverlässigkeit und Wettbewerbsfähigkeit betrifft, ein Rückschritt. Denn das Team trat mit dem neuen Rennwagen 1991 bei sieben Läufen der Sportwagen-Weltmeisterschaft an. Dabei sah der C91 nicht ein einziges Mal in Wertung die Zielflagge. Zweimal verpasste der neue Rennwagen sogar den Sprung ins Startfeld. Den Lauf im japanischen Autopolis am Ende des Jahres ließ das Team aus – offiziell, um sich auf die nächste Saison vorzubereiten.
Dazu kam es nicht mehr!
Denn Louis Descartes verlor am 27. Dezember 1991 bei einem Verkehrsunfall sein Leben. Auf dem Rückweg von einem Essen prallte Descartes – vier Tage vor seinem 40. Geburtstag – mit seinem Wagen gegen einen Baum. Sein früher Tod war das Ende des ALD-Rennstalls. Dazu war er der Schlusspunkt für eine Geschichte, die stellvertretend für all jene steht, die nicht nur von Le Mans träumen, sondern ihren Traum auch leben. Mit Leidenschaft, Rückschlägen – und dem unerschütterlichen Glauben, dass ein paar Freunde, ein gutes Chassis und eine Idee manchmal genügen.
Der ALD C289 kehrte, nun vom V6-PRV-Peugeot-Motor angetrieben, 1992 nach Le Mans zurück. Doch der vom Team MP Racing eingesetzte Rennwagen konnte sich nicht qualifizieren. Die Sportkommissare strichen dem Team die Zeiten, weil der Bolide zu leicht war. Zwei Jahre später kehrte der ALD 06 noch einmal nach Le Mans zurück. Sylvain Boulay, Dominique Lacaud und Bernard Robin qualifizierten den fünf Jahre alten Rennwagen an 36. Stelle. Ihr Rennen endete nach 96 Runden mit mechanischen Problemen. Es war ein Ende, das fast sinnbildlich für das ALD-Abenteuer steht: viel Leidenschaft, aber nicht immer vom Glück begleitet.
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