von Tom Schwede am 26.06.2025

Orion LM: Der Außenseiter, der ins Ziel kam – und doch nicht gewertet wurde

Kein Beifahrersitz, kaum Erfahrung und ein selbst entwickelter Rennwagen: 1992 wagte der Prototyp Orion LM als Ren-Car das Abenteuer Le Mans. Heraus kam eine dieser Geschichten, wie sie nur die 24 Stunden von Le Mans schreiben – irgendwo zwischen Wahnsinn und Wunder.

Orion LM – alias Ren-Car 1992 in Le Mans.

Der Orion LM trat 1992 als Ren-Car beim 24 Stunden-Rennen von Le Mans an. Der Rennwagen war ein Le Mans-Prototyp ohne zweiten Sitz, mit reflektierendem Heck und einen Vierzylinder von Peugeot. Trotzdem schrieb dieses Auto eine typsiche Le Mans-Geschichte (Foto: Archiv AutoNatives.de).

Anfang der 1990er-Jahre – nach dem Wechsel auf 3,5 Liter Sauger – kollabierte der Langstreckensport. Die Verantwortlichen des Le-Mans-Veranstalters ACO entschieden, dass sie ihre eigenen Klassen definieren, um sich von den Vorgaben der FISA zu lösen. Dabei schufen sie mit der „Kategorie 4“ eine Klasse für die offenen Prototypen aus der nationalen französischen Sportwagen-Szene. Drei Fahrzeuge nahmen die Einladung des ACO an, sich über 24 Stunden auf der großen Strecke zu beweisen.

1992 fuhren nur drei Autos in der „Kategorie 4“

Neben dem Debora SP92 von Didier Bennet traten ein weiß-grüner Rennwagen von Peugeot-Veteran Gérard Welter und der gelbe Orion LM in dieser Klasse an. Das Besondere dieser beiden Fahrzeuge war, dass sie nur über einen Sitzplatz verfügten. Der Raum für einen – auch damals meist nur noch angedeuteten – zweiten Sitzplatz fehlte sowohl dem WR LM92 als auch dem Orion LM. Das zeigt im Rückblick auch, wie verzweifelt der ACO um Starter kämpfte und dafür ein Kernmerkmal seines Rennens opferte.

Das ergab sich, da sowohl der Rennwagen von Welter Racing als auch der von Éric Bellefroid genannte Orion LM im Kern auf den Peugeot Spider 905 Cup zurückgingen. Mit diesem Markenpokal begleitete Peugeot 1992 sein Le-Mans-Projekt. Dafür beauftragte Peugeot Sport Gérard Welter mit der Konstruktion eines passenden Sportgeräts. Es feierte 1991 als Peugeot Spider 905 auf dem „Salon de la Voiture de Course“ Premiere. Der verkleidete offene Einsitzer erinnert an den Style der CanAm-Neuauflage ab 1977.

„Open Source“ im Motorsport

Doch Gérard Welter konnte nicht alle für einen Markenpokal benötigten Autos bauen. So stellte Peugeot die Baupläne anderen Konstrukteuren bereit und lieferte nur die Karosserien. Heute heißt das „Open Source“. Das zweite Chassis entstand beim Team Thorigny. Auch Alba baute (mindestens) ein Chassis, das später im Peugeot Spider 905 Cup antrat. Gleich 14 Exemplare fertigte Automobiles Martini in Nevers. Dazu kamen vier Exemplare von Orion – ergab zusammen das Feld des Peugeot Spider 905 Cups.

Chassis des Orion LM

Chassis des Orion LM stammte von Peugeot Spider 905 ab. Für den Einsatz in Le Mans wurde das Chassis jedoch modifiziert. (Foto: Archiv AutoNatives.de)

Gérard Welter entwickelte die Idee, mit einem weiterentwickelten Peugeot Spider 905in Le Mans anzutreten. Auch Jacky Carmignon, Autohausbesitzer aus La Châtre, und Jacky Renaud, zuvor Formel 3-Techniker bei Oreca, fanden diese Idee reizvoll. Carmignon wandte sich daher an Orion, seit 1987 in der Formel Renault und Formel Ford aktiv, und gab dort ein fünftes Chassis Spider 905 in Auftrag. Orion lieferte, die Komplementierung zum Rennwagen übernahmen die Käufer in der BMW-Werkstatt Mirabeau im 16. Arrondissement von Paris.

Für Le Mans benötigte der Peugeot Spider 905 aus dem Cup einige Anpassungen!

Für Le Mans erhielt das Alumimium-Chassis innen einen versteifenden Stahlrohrrahmen. Dazu kam ein vergrößerter Tank. Außerdem überarbeiteten Renaud und Elkoubi das Kühlsystem. Der Rennwagen erhielt einen zusätzlichen Öltank sowie einen größeren Wasserkühler. Der aus dem Peugeot 405 Mi16 und 309 GTi16 stammende XU9J4 Vierzylinder aus Aluminium mit 1.905 cm³ erhielt – im Unterschied zur Auslegung im Peugeot Spider 905 – für Le Mans wie in der Serie eine Lichtmaschine.

Unverändert – im Vergleich zum Peugeot Spider 905 Cup – blieb die Leistung von circa 220 PS bei 8.000 U/min. Allerdings stellte Peugeot für den von P3 Automobiles in Cannes vorbereiteten Motor ein spezielles Motor-Mapping zur Verfügung. Zudem nahm Peugeot Sport die gesamte Konstruktion ab. Der Autobauer wollte offenbar nichts riskieren. Deshalb soll der Rennwagen im Rennen einen reflektierenden Streifen am Heck getragen haben. Dieser ging, so sind sich Zeitzeugen sicher, auf den damaligen Peugeot-Sport-Chef Jean Todt zurück.

Die Qualifikation gelang!

Auch das Hewland F3A-Getriebe passten die Techniker an, um es optimal an den „Circuit des 24 Heures“ anzupassen. Da Orion mit dem Projekt nicht in Verbindung stehen wollte, lief der Rennwagen damals unter dem Namen Ren-Car (nach Jacky Renaud und Jacky Carmignon). Heute heißt das Auto meist „Orion LM“. Bewerber war Éric Bellefroid, 1988 Gewinner eines Laufs der französischen Formeel 3-Meisterschaft und sonst im Peugeot Spider 905 Cup unterwegs. Dies war wohl ein Zugeständnis an den Rennfahrer, der in Le Mans nur in der Qualifikation zum Einsatz kam.

Karosserie des Peugeot Spider 905

Die Karosserie stammte – praktisch unverändert – vom Peugeot Spider 905. (Foto: Archiv AutoNatives.de)

Denn im Rennen saßen Walter Breuer, Frank de Vita und Marc Alexandre im Cockpit. Von diesen drei verfügte Marc Alexandre über die meiste Erfahrung. Denn der Franzose fuhr regelmäßig Formel Ford und Formel Renault. Walter Breuer ist bis heute Besitzer und Geschäftsführer eines Modehauses in der vornehmen Pariser Rue de la Paix. Frank de Vita arbeitete im Alltag als Anwalt in Nizza. So übernahm es „Bewerber“ Éric Bellefroid, das Ren-Car mit einer Zeit von 4:46,715 Minuten für das Rennen zu qualifizieren.

Der Orion LM – alias Ren-Car – verunglückte schon in der Einführungsrunde!

Damit ließ Éric Bellefroid nur den Debora LM92 (4:49.010 Minuten) sowie den ALD C289/90 (5:06.789 Minuten) hinter sich. Doch das reichte für den vorletzten Startplatz – auch wenn auf den Peugeot 905B Evo 1-bis von Mauro Baldi, Philippe Alliot und Jean-Pierre Jabouille in der Qualifikation satte 1:25,506 Minuten fehlten. Auf den im Cockpit stärker besetzten und deutlich leichteren WR 905 Spyder (534kg) verlor das Ren-Car (595kg) etwas mehr als 18 Sekunden. Doch im Rennen fiel der Bolide von Welter Racing nach sieben Stunden mit einem Aufhängungsschaden aus.

Auch das Rennen des Ren-Car war schwierig. Marc Alexander startete – und verunfallte bereits in der Einführungsrunde in der Dunlop-Schikane, konnte allerdings die Fahrt fortsetzen. Doch nach nur zwei Runden folgte ein Problem mit der Zylinderkopfdichtung. Dabei verzog sich der Zylinderkopf. Ein Techniker des Debora-Teams half bei der Not-Reparatur mit Araldit-Kleber. Das dauerte rund sechs Stunden. Erst kurz nach zehn Uhr Abends fuhr Franck de Vita wieder auf die Strecke.

Am Ende sah der Orion LM die Zielflagge – verpasste aber die Wertung!

Schon das war ein Erfolg. Zumal de Vita anschließend einen ganzen Stint ohne Probleme fahren konnte. Gegen 23:30 übernahm Walter Breuer und fuhr ebenfalls einen kompletten Stint. Anschließend fuhr wieder Startfahrer Alexander, gegen zwei Uhr folgte erneut de Vita – trotz aller Probleme fuhr das Auto durch die Nacht. Einmal wechselte die Boxenmannschaft die Zündkerzen, hinten links gab es ein neues Radlager. Doch nach 76 Runden zog das Team den Rennwagen wegen Problemen an der Kupplung – vorerst – zurück.

Orion LM am Vorstart in Le Mans

Ins Rennen ging der Einsitzer mit der formel-typischen zentralen Sitzposition vom vorletzten Startplatz. (Foto: Archiv AutoNatives.de)

Es folgte ein längerer Boxenstopp. Erst gegen halb vier ging das Ren-Car noch einmal auf die Strecke – de Vita fuhr drei Runden, bis um 16 Uhr das Rennen endete. Damit sah der vom Peugeot Spider 905 abstammende Rennwagen als einziger Starter der „Kategorie 4“ die Zielflagge. Doch die 78 absolvierten Runden reichten nicht für eine Wertung. Denn das erforderte 1992 in Le Mans, 70 % der Distanz des Siegers zurückzulegen. Von den dafür notwendigen 245 Runden war das Ren-Car weit entfernt.

Aktuell steht das Ren-Car zum Verkauf!

Trotzdem ist die Geschichte des Rennwagens spannend. Denn sie ist eine der typischen Le-Mans-Storys, die so wohl nur das Rennen im Herzen von Frankreich schreibt. Nach dem Rennen endete die Rennkarriere des Ren-Car. Ein weiterer Start ist nicht überliefert. Ein paar Mal tauchte der Rennwagen in den letzten Jahren bei Veranstaltungen des historischen Motorsports auf. Zurzeit steht er in Frankreich zum Verkauf – 90.000 € soll dieser einzigartige Rennwagen kosten.


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