Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich dieses Foto vor vielen Jahren das erste Mal in einer Zeitschrift sah. Die Vorstellung mit einem Bus durch eine Steilkurve zu fahren, fand ich damals wie heute absurd. Ich weiß noch, wie ich mir im Schulbus vorstellte, wie es wäre, wenn der nächste Straßenknick überhöht ausgeführt wäre. Wobei diese Vorstellung immer auch für einen gehörigen Schauer sorgte.
Schließlich setzte die Autokraft in meiner holsteinischen Heimat Mitte der 1980er-Jahre Gelenkbusse von SETRA ein. Die machten nicht den Eindruck, die für ein Fahren in der Steilkurve notwendigen Geschwindigkeiten zu erreichen. Vor meinem geistigen Auge sah ich das Hinterteil des Busses die Steilkurve herunterrutschen. Umso mehr fasziniert mich das Foto eines Busses in der Steilkurve. Es stammt aus dem Archiv von Daimler.
Daimler publizierte es vor ein paar Tagen erneut, um auf den 50. Geburtstag der Erweiterung seiner Versuchsstrecke in Untertürkheim hinzuweisen. Diese Anlage entstand ursprünglich in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre. Zur Verfügung standen zunächst eine kurze Einfahrbahn und eine Rutschplatte mit konzentrisch angelegten Fahrbahnringen aus verschiedenen Belägen. Die integrierte Bewässerungsanlage ermöglicht Nässeerprobungen auf Blaubasalt, Beton, Rutschasphalt und Großpflaster.
Doch die Ingenieure wünschten sich mehr!
Auf ihrem Wunschzettel standen bessere Möglichkeiten für Schnellfahr-, Dauer- und Schlechtwegerprobungen. Zudem wollen sie Nutzfahrzeuge auf Steilstrecken testen. Der Vorstand erhörte seine Techniker und stimmte einer Erweiterung der Anlage in unmittelbarer Nähe des Stammwerks zu. Im Mai 1967 präsentierte Mercedes-Benz die umfangreiche Anlage der Öffentlichkeit.
Zur Anlage gehört ein mehr als 15 Kilometer langes Wegenetz. Die Steilkurven sind Bestandteil einer knapp drei Kilometer langen Schnellfahrstrecke. Zur Verbindung ihrer parallel ausgeführten Fahrbahnen verfügt diese Strecke über zwei Steilkurven mit einem Durchmesser von 100 Metern. Die Steilkurven beeindrucken mit einem Neigungswinkel von bis zu 90 Grad.
Theoretisch sind in diesen Kurven Geschwindigkeiten von bis zu 200 Kilometern pro Stunde möglich. Es ist ein theoretischer Wert, denn dieses Tempo würde die Insassen des Fahrzeugs an die Grenzen ihrer physischen Belastbarkeit bringen. Durchfahren wird die Steilkurve am oberen Rand daher „nur“ mit einer Geschwindigkeit von 150 Kilometern pro Stunde.
Selbst bei dieser Geschwindigkeit presst es den Fahrer noch mit dem 3,1-fachen seines Körpergewichts in den Sitz. Trotzdem ist der Versuch interessant. Denn an den Reifen treten in dieser Steilkurve bei diesem Tempo keine Seitenkräfte am Reifen auf. Das Fahrzeug bleibt also auch ohne Lenkimpuls im Kurvenverlauf, weshalb die Ingenieure in diesem Fall von der Freihandgeschwindigkeit der Anlage sprechen.
Damals war das für mich Raketenwissenschaft und lag in unerreichbarer Ferne. Inzwischen ist das anders. Denn bis heute war ich bereits in Papenburg, auf dem Opel Testgelände in Dudenhofen sowie am Lausitzring in der Wand unterwegs. Dort habe ich erfahren, wie sich das Durchfahren einer Steilkurve anfühlt. Trotzdem fasziniert mich das Foto von Daimler heute nicht weniger als vor gut 30 Jahren.