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Begegnung am Mikrofon: Enfield Diesel Taurus

Bei einer Moderation für den ADAC Niedersachen/Sachsen-Anhalt traf ich gestern unter anderem auf eine Enfield Diesel Taurus. Die Enfield Diesel entstand in den 1980er-Jahren in Indien. Sie war das weltweit einzige Diesel-Motorrad, das in größeren Stückzahlen entstand. Die Enfield Diesel basiert auf der Enfield Bullet. Zeitweise entschieden sich mehr als zehn Prozent der Bullet-Käufer für eine Diesel.

Royal Enfield Diesel
Seitenansicht der Royal Enfield Diesel. Rechts am Gebläse verfügt der Motor noch über einen Anschluss für eine Pumpe. Schön zu erkennen ist auch die Führung des Auspuffs. Er windet sich zwischen Motor und Getriebe hindurch.

Seit mehr als zehn Jahren moderiere ich regelmäßig Treffen von Oldtimern und Youngtimern. Das funktioniert immer nach dem gleichen Prinzip. Die Besucher fahren mit ihren Autos oder Motorrädern vor und dann reden wir darüber. Dabei lernte ich bereits viele interessante Menschen und ihre Fahrzeuge kennen. Mich überrascht immer wieder, was es alles gibt. Beim Old- und Youngtimer-Tag im Fahrsicherheitszentrum Laatzen bei Hannover lernte ich jetzt das einzige Serien-Motorrad mit Dieselmotor kennen.

Denn Royal Enfield bot in Indien mit der Enfield Diesel beziehungsweise Enfield Taurus tatsächlich ein Motorrad mit Selbstzünder an. Dabei griff das Unternehmen auf zugekaufte Einzylinder von Lombardini zurück. Der italienische Motorenbauer aus Reggio nell’Emilia bietet diese luftgekühlten Aggregate eigentlich für Stromerzeuger oder Pumpen an. Eine spezielle Version seines Einzylinders ist auch mit integriertem Getriebe und Differenzial verfügbar. Diese verwenden weltweit Hersteller von Leicht-Kfz und kleinen selbstfahrenden Arbeitsmaschinen.

Bei Royal Enfield kommt der Diesel von Lombardini in der Bullet zum Einsatz!

Royal Enfield bezog die einfachen Standmotoren. Denn die Motorräder des inzwischen indischen Traditionsherstellers brachten das Getriebe bereits mit. Dieses nutzte auch der Diesel von Lombardini. Das war auch deshalb möglich, weil Grundlage der Enfield Diesel die legendäre Bullet von Royal Enfield ist. Diesen Motorradklassiker stellte Royal Enfield bereits 1931 erstmals vor. 1948 überarbeitete der britische Motorradhersteller aus Redditch, Worcestershire seine Bullet vollständig. 1955 begann Madras Motors in Indien mit der Lizenzproduktion dieses Modells. Wobei der Lizenznehmer immer ein eigenständiges Unternehmen blieb.

Die Royal Enfield Diesel, die ich in Hannover traf lief einst in Indien.
Die Royal Enfield Diesel, die ich in Hannover traf lief einst in Indien. Daher trägt sie auch noch ihr indisches Kennzeichen. DL steht für die indische Hauptstadt Neu-Delhi.

Das half als die britischen Lizenzgeber in den 1960er-Jahren in die Krise fuhren. 1967 verlor die britische Firma, die einst als Zulieferer der Royal Small Arms Factory in Enfield, London gestartete, die Unabhängigkeit. Doch Käufer Norton-Villiers lies die Marke schon drei Jahre später auslaufen. Zudem ging Norton-Villiers bald selbst in einem anderen Unternehmen auf. Dieses wiederum schloss 1978 die Tore. Zur Insolvenzmasse gehörten die Rechte an der Marke Royal Enfield. Über sie flossen auch ohne eigene Produktion regelmäßig Lizenzzahlungen aus Indien nach Großbritannien.

Die ehemalige Royal Enfield India heißt heute schlicht Royal Enfield!

In Indien lief die Produktion davon ungestört weiter. Mitte der 1990er-Jahre übernahm der indische Fahrzeughersteller Eicher Goodearth Ltd. die Produktion. Dieser entstand selbst einst als indischer Ableger des deutschen Landmaschinen-Herstellers Eicher und überlebte ebenfalls das Stammunternehmen. Eicher Goodearth führte die neue Tochter unter dem Namen Royal Enfield India. 1999 gelang es der Firma sich die Markenrechte Royal Enfield zu sichern. Damit entfiel der Namenszusatz „India“. Die Motorräder heißen inzwischen weltweit nur noch Enfield beziehungsweise Royal Enfield.

Zum Programm des Motorradbauers gehört immer noch die Bullet. Damit ist sie das am längsten gebaute Motorrad der Geschichte. Und zu den Irrungen und Wirrungen dieser Geschichte gehört auch eine Diesel-Epoche. Die war übrigens nur möglich, da bei der Bullet Motor- und Getriebegehäuse zwei getrennte Teile sind. Bei modernen Motorrädern gibt es in der Regel nur noch ein Gehäuse. Dies nutzten zunächst findige Mechaniker aus, die bei defekten Maschinen den Motor durch Fremdprodukte ersetzten. Als Geheimtipp dabei galten die Pumpentriebwerke von Lombardini.

Das Starten des Motors folgt speziellen Regeln!

Das sprach sich bald auch beim Hersteller rum. Und so fand die Enfield Diesel in den 1980er-Jahren als Enfield Taurus Aufnahme ins offizielle Programm. Zunächst bot Royal Enfield einen 325 ccm großen Diesel an. Der mit 18:1 verdichtete Lombardini 6 LD 325 leistet bei 3.600 Umdrehungen pro Minute 6,5 PS (5 kW). Bei 2.500 Umdrehungen stemmt der Selbstzünder 15 Newtonmeter maximales Drehmoment auf seine Kurbelwelle. 85 Kilometer pro Stunde ist die Enfield Diesel damit schnell. Wobei der Diesel auch mit zwei Rädern seine Sparsamkeit beweist. Denn der Verbrauch liegt bei 1,5 Litern pro 100 Kilometer.

Motor der Royal Enfield Diesel
Der luftgekühlte Motor der Royal Enfield Diesel stammt von einem italienischen Hersteller.

Bei meiner Moderation in Hannover bestätigte der Besitzer der Enfield Diesel diese Angabe. Er fahre mit dem 14 Liter Tank mehr als 1.000 Kilometer und demonstrierte mir zum Abschied das durchaus besondere Startprozedere des Motorrads. Zunächst betätigte der Fahrer einen kleinen Hebel am Ventildeckel, um den Motor zu dekomprimieren. Nach einem deutlich vernehmbaren Geräusch betätigte er einmal langsam den Kickstarter, um dann beim zweiten Mal kräftig zuzutreten. Doch die Maschine blieb stumm, sprang noch nicht an. Doch nach einem weiteren kräftigen Tritt gewann der Fahrer, der Motor lief.

Deutschland hat eine Enfield Diesel Szene!

Bis 1993 war dieses Verfahren der Standard. Dann bot Royal Enfield die Taurus auf Wunsch auch mit einem Elektrostarter an. Unverändert blieb die Bremse auf der linken und die Schaltung auf der rechten Seite. Wobei das Einlegen des ersten Gangs ein Ziehen nach oben erfordert. Die weiteren drei Gänge liegen unten. Interessant, wie sich der Auspuff irgendwie zwischen Motor und Getriebe hindurchschlängelt. Mit der Abgasnorm Euro 3 Anfang 2006 wurde die Zulassung der Diesel-Motorräder in der EU unmöglich. Ende 2008 schlossen sich auch die Schlupflöcher Kleinserie und Einzelabnahme, die in Deutschland einige Diesel-Freunde oft nutzten. Denn gerade in Deutschland fand die Enfield Diesel durchaus Liebhaber.

Gleich mehrere Spezialisten kümmern sich bis heute um das Thema „Diesel-Motorrad“. Seit die Zulassung neuer Maschinen nicht mehr möglich ist, bauen sie vorhandene Maschinen nachträglich zu Diesel-Motorrädern um. Einer der Spezialisten lud in der Vergangenheit (= vor der Corona-Pandemie) regelmäßig zu einem großen Dieseltreffen. Bei diesem trafen sich regelmäßig mehr als 50 Fahrer einer Enfield Diesel. Vor gut 15 Jahren lief schließlich auch in Indien die Produktion der Enfield Diesel Taurus aus. Denn auch in Indien entwickelten sich die Abgasvorschriften weiter. So endete mit dem Produktionsende der Royal Enfield Taurus auch das Kapitel der Diesel-Motorräder.


Infos zum Titelbild dieses Beitrags:
Seitenansicht der Royal Enfield Diesel. Rechts am Gebläse verfügt der Motor noch über einen Anschluss für eine Pumpe.

Foto: Tom Schwede

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Themen in diesem Artikel:

Als Kind der 1970er-Jahre hatte Tom das große Vergnügen, in einem ausgesprochen automobilen Umfeld aufzuwachsen. Das war der optimale Nährboden, um heute über Autos zu schreiben und regelmäßig am Mikrofon über Autos zu sprechen. Denn Tom Schwede moderiert seit 2010 bei großen Oldtimer- und Klassik-Veranstaltungen in Deutschland. So ist Tom unter anderem bei den Classic Days (früher Schloß Dyck, heute in Düsseldorf) oder dem 1.000 Kilometer-Rennen am Nürburgring zu hören. Wenn Sie also einen Moderator oder Streckensprecher für Ihre Oldtimer-Rallye oder Ihr Oldtimer-Treffen suchen, dann sind Sie bei Tom definitiv richtig!

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