Aston Martin feierte am vergangenen Wochenende das 100. Jubiläum der ersten Grand Prix-Teilnahme eines Aston Martin. Der Rückblick ist spannend. Denn im Cockpit des ersten Grand Prix-Rennwagens von Aston Martin saß mit Louis Zborowski eine interessante Persönlichkeit.
Am vergangenen Wochenende fand in Le Castellet der Große Preis von Frankreich statt. Seit gut 1 ½ Jahren heißen in der Königsklasse des Motorsports zwei Rennwagen Aston Martin. Über die Frage, ob es sich dabei um einen Werkseinsatz oder ein Sponsoring handelt, lässt sich trefflich streiten. Namen sind im Motorsport schon seit ein paar Jahren „Schall und Rauch“. Die Autos heißen, wie ihre Sponsoren es wünschen! Und nach Jordan, Midland, Spyker, Force India und Racing Point heißen die in einer Fabrik in Silverstone gebauten F1-Rennwagen jetzt gerade Aston Martin. Gut möglich, dass sie morgen oder übermorgen Audi oder Andretti heißen. Der Kauf eines Teams ist zurzeit der schnellste Weg in die Königsklasse.
Das war vor 100 Jahren tatsächlich ähnlich!
Die Tatsache, dass heute Grand Prix-Boliden Aston Martin heißen, wirkt auf mich immer noch etwas befremdlich. Denn seit ich mich für Motorsport interessiere, ist der Name Aston Martin fest in der Sportwagen-Szene verankert. Bei den GT-Rennwagen gehört Aston Martin auf der Langstrecke zum Inventar. Schon 1959 gewann der legendäre Aston Martin DBR1 die 24 Stunden von Le Mans. Zeitgleich trat die David Brown Organisation, wie sich das Werksteam damals nannte, bei fünf F1-Grand Prix an. Damit ist die Formel-Geschichte der Marke auch schon vollständig beschrieben. In den letzten Jahrzehnten versuchte der britische Sportwagen-Hersteller mehrfach bei den Sport-Prototypen, an vergangene Erfolge anzuknüpfen.
In der Gruppe C trieben die V8-Aggregate von Aston Martin unterschiedliche Chassis an. 1989 – kurz bevor in der Gruppe C die Ära der 3,5-Liter-Motoren begann – schickte das Werk den Aston Martin AMR1 ins Rennen. Der von der FISA verordnete Umstieg der Sportwagen auf die Saugmotoren der Formel 1 beendete das Aston Martin-Projekt vorzeitig. Der in seiner Geschichte oft finanziell klamme Sportwagen-Hersteller hatte nicht das Geld, um den passenden Motor zu entwickeln. Ab 2009 spannte Aston Martin mit Lola zusammen. Dabei entstand der Lola-Aston Martin LMP1. Ihm folgte der Flop Aston Martin AMR-One, der in Le Mans mehr als 20 Sekunden pro Runde auf die überlegenen Audi verlor und völlig chancenlos war.
Aston Martin – am Anfang stand das Ziel „Rennwagen für die Straße zu bauen“!
Bei diesem Desaster war Aston Martin bereits 98 Jahre jung. Denn Vorgänger des heute offiziell als „Aston Martin Lagonda Global Holdings“ firmierenden Unternehmens war die 1913 gegründete Autowerkstatt „Bamford & Martin Ltd.“. Ihr Geschäftszweck war der Handel mit Autos der Marke Singer, die Bamford & Martin in der eigenen Werkstatt jedoch verbesserte. Firmengründer waren der Rennfahrer Lionel Martin und der Geschäftsmann Robert Bamford. Von Anfang an nutzten beide den Motorsport, um für ihre verbesserten Singer zu werben. Selbstredend saß dabei Lionel Martin im Cockpit, gewann beispielsweise 1914 mit einem Singer 10 h.p. den renommierten Aston Hill Climb in der Grafschaft Buckinghamshire.
Genervt von den Problemen, die bei den Autos der Marke Singer an der Tagesordnung waren, entstand die Idee, unter dem Markennamen „Aston-Martin“ (damals noch mit Bindestrich) selbst Autos zu bauen. Schon 1914 berichtete die Presse darüber. Ein Jahr später war der erste Aston-Martin fertig. Bei der Präsentation formulierten seine Erbauer selbstbewusst den Anspruch, mit dem eigenen Sportwagen einen „Rennwagen für die Straße zu bauen“. Doch zur geplanten Serienproduktion kam es nicht, gut Ding, will Weile haben! Der Erste Weltkrieg verhinderte die Aufnahme der Produktion. Doch als die Waffen schwiegen, blühte die Idee wieder auf.
Louis Zborowski rettete Aston Martin
Beim Neustart verlor Robert Bamford das Interesse am Unternehmen. Der Kaufmann fürchtete, dass der Start einer Serienproduktion zu viel Geld erfordern würde. Bamford sah im Handel mit Autos die bessere und schnellere Möglichkeit, um Geld zu verdienen. Der Millionär Louis Zborowski übernahm Bamfords Anteile. Zborowski erbte bereits mit 16 Jahren das Vermögen seiner Mutter Margaret Laura Astor Carey, die zu den Nachfahren von Johann Jakob Astor gehörte. Mit 11 Millionen britischen Pfund und einem umfangreichen Grundbesitz in New York gehörte Louis Zborowski zu den reichsten Menschen seiner Zeit.
Louis Zborowski interessierte sich für Technik, investierte sein Geld in mehrere britische Eisenbahn-Linien und ließ sich im Park seines Anwesen Higham Park in Bridge, Kent zum Vergnügen eine eigene Schmalspurbahn anlegen. 1920 stieg Zborowski, der in seiner Freizeit nach dem Vorbild seines Vaters Eliott Zborowski Autorennen fuhr, bei Aston Martin ein. Das ermöglichte Lionel Martin die Konstruktion des zweiten Aston Martin. Ende 1920 war das Auto fertig und der Geldgeber ließ es sich nicht nehmen, den neuen Aston Martin auf der Rennstrecke auszuprobieren. Als Neueinsteiger zahlten Hersteller und Rennfahrer zunächst viel Lehrgeld.
Louis Zborowski trieb Aston Martin zum Weltrekord!
Doch im Mai 1922 trat Zborowski, dessen Vater Eliott Zborowski 19 Jahre zuvor beim Bergrennen Nizza–La Turbie mit einem Mercedes 60 PS tödlich verunglückte, für Aston Martin in Brooklands an. Mit einem Schnitt von 122 Km/h brachen Louis Zborowski und der Aston Martin auf dem britischen Oval sofort zehn Weltrekorde. Für die im Juni 1922 anstehende Isle of Man TT (Tourist Trophy) plante Lionel Martin zwei neue Rennwagen bereitzustellen. Zborowski zahlte weitere 10.000 britische Pfund für den Bau von zwei TT1 und TT2 getauften Rennwagen an.
Das Herzstück dieser Rennwagens sollte ein völlig neuer Vierzylinder mit vier Ventilen pro Zylinder sein. Doch die Produktion verzögerte sich. Die neuen Aston Martin waren in Juni noch nicht einsatzbereit. Als Alternative entstand die Idee mit den neuen Rennwagen am 15. Juli 1922 beim Großen Preis von Frankreich anzutreten. Das Rennen führte damals über rund 800 Kilometer, die auf einem Straßenkurs vor den Toren von Straßburg zurückzulegen waren. Dieser Plan funktionierte, Louis Zborowski ging an der Seite eines Mechanikers mit dem Voiturette bei dem Rennen an den Start.
Louis Zborowski verunglückte 1924 in Monza tödlich
Ein Motorschaden beendete die Fahrt des Aston Martin, der vor dem Rennen noch schnell den Spitznamen „Green Pea“ erhielt, nach 19 der geplanten 60 Runden vorzeitig. Ingenieur Clive Gallop, der später einer der Bentley Boys werden sollte, ereilte im zweiten Aston Martin elf Runden später das gleiche Schicksal. Offenbar war der 1.486-ccm große Motor, der bei 4.200 Umdrehungen pro Minute rund 55 PS leistete, noch nicht ausgereift. Doch beim Gran Premio de Penya Rhin sicherte Zborowski Aston Martin kurze Zeit später als Zweiter erstmals einen Podestplatz.
Trotzdem löste sich Louis Zborowski in den kommenden Monaten etwas von Lionel Martin. Zusammen mit Clive Gallop baute Zborowski eigene Rennwagen, die nach Geschwindigkeitsrekorden greifen sollten. Das erste Fahrzeug von Zborowski war „Chitty Bang Bang“, das von einem 23-Liter-Maybach-Motor angetrieben wurde. Parallel zum Bau dieses Rennwagens trat Zborowski 1923 mit einem Bugatti in Indianapolis an. Ein Jahr später verunglückte Louis Zborowski beim Großen Preis von Italien in Monza tödlich. Wie sein Vater steuerte der Rennfahrer bei seinem tödlichen Unfall einen Mercedes.
Louis Zborowski war Chitty Chitty Bang Bang!
Die Erben ließen die private Eisenbahn abbauen. Die Lokomotive dieser Higham Railway genannten Bahn kaufte die Fairbourne Railway in Wales. Dort blieb die Lokomotive unter dem Namen „Count Louis“ bis 1988 im Einsatz. Den vierten von Zborowski konstruierten Rennwagen, der „Higham Special“ mit einem 27-Liter-Liberty-Motor trieb J. G. Parry-Thomas im April 1926 in Pendine Sands einen neuen Geschwindigkeitsrekord. Und vier Jahrzehnte nach dem Unfall setzte der Schriftsteller Ian Fleming mit dem Kinderbuch „Tschitti Tschitti Bäng Bäng“ (im Original „Chitty Chitty Bang Bang“) einem von Louis Zborowski gebautes Auto ein literarisches Denkmal.