Auto-Erinnerungen

Jacob rollt – 90 Jahre Volvo ÖV4

Mit dem Volvo ÖV4 wird vor 90 Jahren aus der Versuchsabteilung eines Kugellagerherstellers ein Autobauer. Obwohl nur 275 Exemplare entstehen, ist es der Startschuss zu einer Erfolgsgeschichte, die die Schweden bis heute fortschreiben.

1300ccm.de ist das Auto-Blog mit dem Blick für Auto-Geschichte. In den vergangenen Wochen hatte ich nicht die Zeit, um mich so viel mit dem Blog zu beschäftigen, wie ich das will. Doch AutoNatives.de ist ein Hobby, die Brötchen verdiene ich damit mit. Deshalb ist Zeit ein knappes Gut. Dafür kann ich mir aber den Luxus leisten, hier nur über die Auto-Themen zu schrieben, die mich interessieren.

Der schwedische Autobauer Volvo gehört dazu!

Schon wegen meines Nachnamens fühle ich mich den Skandinaviern irgendwie verbunden. Dazu erinnere ich mich noch gut, als ich im Latein-Unterricht den Namen Volvo (Latein „ich rolle“) der Schweden verstand. Die Namenswahl fand ich als Mittelstufenschüler eines altsprachlichen Gymnasiums irgendwie cool. Plötzlich war das stupide Pauken von Vokabeln und Grammatik einer untergegangenen Sprache doch noch für etwas gut!

Hinter der Namenswahl steht – wie passend – ein Kugellagerhersteller. Denn als das Auto der Industrialisierung einen neuen Schub gab, gründeten die Svenska Kullagerfabriken (SKF) 1915 eine Abteilung zum Bau von Versuchsfahrzeugen. Zuvor arbeitete SKF bei der Erprobung neuer Lager regelmäßig mit dem Fahrzeugbauer Scania zusammen. Mit eignen Prototypen verhinderte SKF, dass Scania Ansprüche auf die gemeinsamen Entwicklungsergebnisse erheben konnte.

Weil sich SKF die Marke Volvo bereits frühzeitig als Warenzeichen schützen lies, konnte der Autobauer bereits vor zwei Jahren seinen 100. Geburtstag feiern. Werbung und Marketing feiern Feste, wie sie fallen. Denn so ganz richtig ist das mit den 100 Jahren nicht. In den ersten Jahren entstanden ausschließlich Versuchsträger für SKF. Eine Fahrzeugproduktion für Kunden fand nicht statt. 1919/20 stellte SKF den Betrieb der Versuchsabteilung sogar ein.

Zwei Mitarbeiter haben eine Idee

Doch die SKF-Mitarbeiter Assar Gabrielsson und Gustaf Larson ließ der Gedanke an ein Auto aus Schweden offenbar nicht los. Gabrielsson war als Verkaufsleiter bei SKF tätig und sah das ökonomische Potenzial des Autos. Ingenieur Larson reizte die Aufgabe, ein Auto zu konstruieren. Ab 1924/25 verfolgten sie die Vision einer schwedischen Autofabrik gemeinsam. Angeblich, so die Legende, waren beide Fischliebhaber und lernten sich im Stockholmer Restaurant Sturehof kennen.

Zusammen kamen Gabrielsson und Larson zum Schluß, dass die Idee des Autobaus auch in Schweden umsetzbar ist. Kaufmann Gabrielsson hat als Verkaufsleiter bei SKF das Wachstum der Autoindustrie in den vergangenen Jahren aufmerksam verfolgt. Dank der großzügigen Erzvorkommen ist Stahl in Schweden leicht zugänglich. Dazu verfügt das Land über gut ausgebildete Arbeiter und Ingenieure. Gabrielsson gewinnt neben SKF weitere Investoren, die die Gründung des selbstständigen Autobauers Volvo finanzieren.

Der Volvo ÖV4 entsteht

In der Zwischenzeit stellt Ingenieur Larson den ersten Volvo auf die Räder. Die Konstruktion wirkt auch heute noch solide. Grundlage des Fahrzeugs ist ein Holzrahmen aus Esche und Buche, den Larson mit einem dunkelblauen Blechkleid verkleidet. Nur die Kotflügel lackierte Larson schwarz. Eine andere Farbkombination war nicht vorgesehen, um die Produktion zu optimieren.

Zehn Prototypen entstanden bis zur Aufnahme der Serienproduktion. Der erste Prototyp, der weitgehend dem späteren Serienfahrzeug entspricht, entsteht im Sommer 1926 am Namenstag von „Jakobus des Älteren“. Deshalb erhält das Fahrzeug den Spitznamen Jakob. Offiziell trägt der erste Volvo den Namen ÖV4 für „Öppen Vagn mit vier Zylindern“. Die technokratisch nüchterne Bezeichnung ist typisch für ingenieurgetriebene Unternehmen.

Den Antrieb des offenen Fahrzeugs übernimmt ein 1.944 ccm großer und 28 PS starker Vierzylinder-Motor. In vielen Punkten wirkt der erste Volvo selbst für den Jahrgang 1927 eher konservativ. Der Motor ist seitengesteuert. Das Design orientiert sich an amerikanischen Fahrzeugen dieser Zeit. Das erklärt sich, weil in Schweden damals amerikanische Autobauer den Markt beherrschen.

Wirtschaftlich ist der ÖV4 kein Erfolg

Innovativ ist das Blechkleid. Andere Hersteller arbeiten in diesen Jahren noch mit Verkleidungen aus Holz oder Stoff. Gabrielsson und Larson sind sich dessen bewußt. Schon der erste Volvo trägt deshalb ein Logo mit einem Kreis und einem schräg nach oben weisendem Pfeil. Das gilt traditionell als Symbol für das Metall Eisen. Obwohl der Absatz des ÖV4 mit 275 Exemplaren weit hinter den Erwartungen zurückbleibt, legt der erste Volvo den Grundstein für die späteren Erfolge. Denn schon der ÖV4 steht für Stabilität, Zuverlässigkeit und Qualität.

Damit überzeugte der erste Volvo auch die Hauptgeldgeber von SKF. Denn trotz des Misserfolgs finanzieren sie das Unternehmen von Assar Gabrielsson und Gustaf Larson weiter. Der Rest ist Geschichte: Schon 1928 folgte der geschlossene Volvo PV4 („personvagn“). Bereits ein Jahr später präsentierte Volvo ein Sechszylinder-Modell. Volvo bietet damit eine Alternative zu den Amerikanern. Das gefällt den selbstbewußten Schweden. Der Autobauer steigt auf seinem Heimatmarkt zu einer echten Größe auf. Die Mühe lohnte sich. Denn ausgerechnet im Jahr der Weltwirtschaftskrise fuhr Volvo den ersten Gewinn ein.


Technische Daten zum Volvo ÖV4:

Motor: Reihen-Vierzylinder mit seitlich stehenden Ventilen und 1.944 ccm Hubraum. Bohrung x Hub: 75 x 110 Millimeter, Leistung: 21 kW (28 PS) bei 2.000 Umdrehungen pro Minute<

Getriebe: 3-Gang, unsynchronisiert

Varianten: Volvo ÖV4 (offene Tourer), Volvo ÖV4 TV (Pick-up) und Volvo ÖV4 Fahrgestell

Produktionszahl: 275 (davon 205 offene Tourer)

AutoNatives.de ist auch bei Facebook. Wir freuen uns über ein Like.







Themen in diesem Artikel:

Als Kind der 1970er-Jahre hatte Tom das große Vergnügen, in einem ausgesprochen automobilen Umfeld aufzuwachsen. Das war der optimale Nährboden, um heute über Autos zu schreiben und regelmäßig am Mikrofon über Autos zu sprechen. Denn Tom Schwede moderiert seit 2010 bei großen Oldtimer- und Klassik-Veranstaltungen in Deutschland. So ist Tom unter anderem bei den Classic Days (früher Schloß Dyck, heute in Düsseldorf) oder dem 1.000 Kilometer-Rennen am Nürburgring zu hören. Wenn Sie also einen Moderator oder Streckensprecher für Ihre Oldtimer-Rallye oder Ihr Oldtimer-Treffen suchen, dann sind Sie bei Tom definitiv richtig!