von Tom Schwede am 27.11.2025

Vom Käfer zur Volksformel– 60 Jahre Formel V in Europa

Ein Käfer-Motor, ein Rohrrahmen und der Traum vom Rennfahren – mehr brauchte es 1965 nicht. Die Formel V wurde zum Sprungbrett für eine ganze Generation von Fahrern. Heute feiert sie ihr Comeback in Erinnerung und Leidenschaft.

Formel V in den 1960er-Jahren

Den Anfang nahm die Formel V in Nordamerika. Dort trägt der SCCA seit 1964 – und bis in die Gegenwart – seine Formula Vee-Meisterschaft aus. (Foto: Volkswagen US Media Site.)

Kurz bevor auch dieses Jahr schon wieder zu Ende ist, müssen wir noch den Geburtstag einer Fahrzeugklasse würdigen, die einst als größte Nachwuchsklasse der Welt galt. Denn 2025 feiert die Formel V in Europa ihren 60. Geburtstag. Am ersten Juli-Wochenende 1965 fand auf dem Norisring das erste Rennen dieser neuen Nachwuchsklasse statt. Diese Premiere veränderte den Motorsport – und diese Veränderung wirkt bis heute nach. Denn in iRacing ermöglicht die Formel V – dort heißt sie amerikanisch Formula Vee – heute noch den Einstieg in die Formel-Klassen.

Vom Käfer zum Rennwagen

Auch in der Realität lebt die Formel V noch, wenn auch in Deutschland „nur“ im historischen Motorsport. Doch in den USA, Australien und Neuseeland gibt es nach wie vor Formula-Vee-Meisterschaften. Dort entstehen zum Teil Kohlefaser-Chassis, die vorne den typischen Achskörper des Käfers mit den zwei parallel verlaufenden Querrohren nutzen. Nur die Kurbellenker des Käfers müssen die Neukonstruktionen seit ein paar Jahren nicht mehr nutzen. Das Konzept ist so tragfähig, dass mit Liam Lawson heute noch in der Formel 1 ein Pilot aktiv ist, der seine ersten Autorennen in der Formel V fuhr.

In Europa begann das Ganze 1965 – und wer dabei war, der erlebte den Beginn einer Ära: erschwinglicher, ehrlicher und direkter Motorsport für jedermann. Da war die Formel V tatsächlich schon ein paar Jahre alt. Denn ursprünglich entstand sie in den USA. Dort suchten ambitionierte Amateure nach einer bezahlbaren Möglichkeit, in den Monopostosport einzusteigen. Zwei Männer legten den Grundstein: der VW-Händler Hubert Brundage aus Florida, dessen BRUMOS-Rennwagen heute jeder kennt, und Luftwaffen-Oberst Henry „Smokey” Smith, selbst Hobbyrennfahrer.

Ihre Idee: ein Formelauto aus möglichst vielen Serienteilen des VW Käfer. Den Antrieb übernahm der 1,2-Liter-Vierzylinder-Boxermotor, der rund 34 PS leistete. Dazu kamen die Vorderachse, das Getriebe und die Lenkung des Käfers – alles andere war Handarbeit. In den Werkstätten von Gene Beach und Formcar Constructions entstanden die ersten Chassis. Die amerikanische Sportbehörde SCCA erkannte die neue Klasse an, und die Formula Vee trat ihren Siegeszug an. Überall im Land füllten sich die Starterfelder, weil der Rennwagen nicht mehr kostete als ein gebrauchter Sportwagen.

Porsche entdeckt das Konzept

1964 besuchten Ferry Porsche und sein Sportchef Huschke von Hanstein das 12-Stunden-Rennen von Daytona. Im Rahmenprogramm sahen sie die kleinen Monoposti erstmals in Aktion. Sie erkannten sofort das Potenzial für Deutschland. Mit Unterstützung von Volkswagen of America, wo damals der spätere VW-Chef Dr. Carl Hahn die Geschäfte führte, und Rennmanager Joe Hoppen erwarb Porsche zwölf Bausätze von Beach und Formcar und verschiffte sie nach Stuttgart.

Start zu einem Formula Vee-Rennen in Daytona

Unfassbar, was für Starterfelder die Formel V in den 1960er-Jahren auf die Rennstrecken brachte. (Foto: Volkswagen US Media Site.)

Die Porsche-Rennmechaniker bauten diese Fahrzeuge auf. Es folgte ein Testlauf bei den Bergrennen in Eberbach und am Rossfeld. Die Werksfahrer Gerhard Mitter und Bobby Klass rückten zu Testfahrten aus. Ihr Urteil war ehrlich: Mitter nannte die Autos „so schwerfällig wie eine alte Kuh“, Klass lächelte, wie Zeitzeugen berichten, nur milde. Trotzdem war bald klar: Hier begann etwas Neues. Denn am 4. Juli 1965 war es so weit – das Norisring-Wochenende wurde zur Geburtsstunde der europäischen Formel V. Porsche brachte seine zwölf Wagen zum Norisring und lud Interessierte ein, ein Demorennen zu fahren.

Ohne dem Kollegen zu nahe treten zu wollen: Allzu groß kann das Interesse der bereits aktiven Fahrer nicht gewesen sein. Denn unter den Piloten war schließlich der damalige Norisring-Streckensprecher Rainer Braun. Die spätere Stimme der DTM fuhr, wie er selbst kürzlich genüsslich in einem Artikel berichtete, mit Sakko, Schlips und Kragen – sowie einem geliehenen Helm – sein erstes Autorennen. Dabei bewies Braun, dass er nicht nur vorzüglich über das Renngeschehen berichten kann, sondern auch selbst gekonnt am Lenkrad drehen kann.

Der Norisring 1965 war der Beginn einer Erfolgsgeschichte

Vor 50.000 Zuschauern gewann schließlich der Würzburger Günther Schmitt das europäische Premierenrennen. Sein Sieg markierte den Beginn einer Bewegung, die sich binnen weniger Monate über ganz Europa ausbreitete. Denn bereits 1966 war die Formel V eine feste Größe im europäischen Motorsport. Es entstanden nationale Serien in Deutschland, Österreich, Italien und Skandinavien. Jeder erkannte: Die Autos waren günstig, robust und schnell. Das machte sie zu perfekten Trainingsgeräten für junge Fahrer – und nebenbei zur Ausbildungsstätte für einige Techniker.

Kurt Bergmann, im Hauptberuf Opel-Händler (!), baute in Wien die legendären Kaimann. Ernst Piëch, damals Geschäftsführer von Porsche Salzburg, beauftragte den ehemaligen Motorradrennfahrer Paul Schwarz mit der Konstruktion der Austro Vau. Heinz Fuchs in Leonberg baute den Fuchs, und die Mahag in München den Olympic. In Belgien entstanden Formel-V-Rennwagen bei Apal und Autodynamics. Volkswagen unterstützte den Boom durch die Gründung von Formel V Deutschland e.V. und Formel V Europa e.V. mit Sitz in München und Geld aus Wolfsburg. Aus ihnen entwickelte sich bald Volkswagen Motorsport.

Formula Vee-Rennen in Daytona

In Nordamerika krabbelte die Formel V auch durch die Steilwände der Oval-Rennstrecken. Diese Aufnahme entstand 1967 beim Vergleichsrennen der US-Fahrer mit den europäischen-Piloten in Daytona (Foto: Volkswagen US Media Site.)

Bis 1970 wuchs die Leistung der 1,3-Liter-Motoren von 34 auf rund 70 PS. Das Reglement erlaubte bald freiere Nockenwellen und besser abgestimmte Vergaser. Auf der Nürburgring-Nordschleife fuhren die schnellen Vertreter der Formel V schon unter 9:30 Minuten – Zeiten, die ein gutes Jahrzehnt zuvor in der Formel 1 üblich waren. Die Rennen waren hart umkämpft, trotzdem blieben die Kosten (zunächst) überschaubar und die Atmosphäre familiär. Fahrer wie Helmut Marko, Niki Lauda, Harald Ertl oder Gijs van Lennep nutzten die Formel V als Sprungbrett für ihre Karriere.

Eine Formel für Helden – und der Traum vom Aufstieg

Österreich war besonders in den Anfangsjahren die dominierende Nation. Das lag an der Technik – schließlich waren die Kaimann von Kurt Bergmann lange das Maß der Dinge –, aber auch am Talent und Temperament der Nachwuchsfahrer. In diese Kategorie fielen bald auch die zahlreichen Skandinavier, die die Serie entdeckten und dabei teilweise mit eigenen Chassis wie Hansen oder RPB antraten. Viele Sieger der Formel V schafften den Weg in die höheren Klassen. Lauda, Marko und Ertl fuhren später in der Formel 1, Gijs van Lennep wurde Sportwagen- und Tourenwagen-Star.

In den späten 1960er-Jahren erlebte die Serie ihren Höhepunkt: bis zu 100 Starter bei einem Lauf auf der Nordschleife, Tausende Fans an den Strecken, junge Fahrer mit großen Ambitionen – und immer noch überschaubare Kosten. Doch der Erfolg hatte auch eine Kehrseite: Mit wachsender Leistung und professionelleren Teams stiegen die Budgets. Wo zu Beginn noch ein gut eingestellter Käfermotor reichte, musste nun ein Tuner Hand anlegen und dem Motor mit zahlreichen teuren Spezialteilen mehr Leistung entlocken. Wir hatten dazu kürzlich eine eigene Story hier im Blog.

Wie stark die neue Klasse schon in ihren Anfangsjahren war, zeigte sich 1966, als es zu ersten Vergleichsrennen zwischen amerikanischen und europäischen Fahrern kam. Unter dem Namen „Formel-V-Weltcup“ trafen sich die besten Piloten beider Kontinente bei der „Speed Week“ auf den Bahamas. Was zunächst als Freundschaftsrennen begann, wurde schnell zum Prestige-Duell. In Nassau siegten die Europäer mit Jochen Rindt, Günther Huber und Michael Walleczek. Sie sicherten Österreich einen – wenngleich inoffiziellen – Weltmeistertitel. Ein Jahr später gelang den Amerikanern beim Rennen von Daytona die Revanche.

Nachklang und Vermächtnis

Mit diesen transatlantischen Begegnungen wurde die Formel V endgültig zu einem weltweiten Phänomen. Und ab 1971 kam schließlich die größere Schwester ins Spiel: die Formel Super V, die ein Jahr später auch eine eigene deutsche Meisterschaft erhielt. Mit leistungsstärkeren Motoren aus dem VW Typ 4 sollte die Super V den Übergang zur Formel 3 bilden. Sie wurde ein weiteres Kapitel in der Volkswagen-Motorsportgeschichte und brachte Fahrer wie Jochen Mass, Keke Rosberg, Tom Pryce und Gunnar Nilsson hervor.

Andrew Whitston

Seit 1964 trägt der SCCA seine Formula Vee-Meisterschaft aus. 2019 gewann Andrew Whitston die „SCCA Formula Vee National Runoffs“. Sein Rennwagen ist unverkennbar ein Formel Vau (Foto: SCCA)

Doch mit der Formel Super Vau stiegen die Kosten weiter an. Zudem beendete Volkswagen Ende 1976 die Unterstützung der Formel V in der Ursprungsform. Das war der Abschied von der ursprünglichen Idee des günstigen Einstiegs. Zumal mit dem Umstieg der Super Vau auf die wassergekühlten Reihenmotoren aus Passat und Golf die Leistung weiter anstieg. Da die Motoren in der Formel Super Vau ohne den in der Formel 3 vorgeschriebenen Restriktor frei atmen durften, überholte die Formel Volkswagen die internationale Klasse bald. Ende 1982 lief die Super Vau in Europa aus.

In den USA lief die SCCA Super Vee noch bis 1990 weiter. Arie Luyendyk, der 1977 schon die europäische Formel-Super-Vau-Serie gewann, holte 1984 in den USA den Titel und legte damit den Grundstein für seine beiden Siege bei den 500 Meilen von Indianapolis. Insgesamt entstanden weltweit über 8.000 Formel-V- und Super-V-Rennwagen. Das gilt bis heute als unerreichter Rekord. Und die Erinnerung lebt weiter: In Deutschland hält der Verein „Historische Formel Vau Europa e.V.“ die Geschichte lebendig. Mitglieder restaurieren originale Fahrzeuge und veranstalten eigene Rennen.

Und anderswo? In den USA, Südafrika, Brasilien, Australien und Neuseeland fahren sie noch immer – neue Chassis nach alten Regeln, mit Käfer-Herz und altem Geist. Ich denke immer, wenn ich davon höre: Finde den Fehler! Denn warum gibt es das in Deutschland eigentlich nicht?


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