Inzwischen blickt der Automobilsport auf mehr als ein Jahrhundert zurück. Da bleiben Jubiläen unausweichlich. Trotzdem sticht die Nachricht vom 100. Geburtstag der Rallye Monte Carlo hervor. Denn die Monte, wie die Fans die Rallye nennen, prägte den Rallye-Sport mehr als jede andere Rallye. Dabei waren die Motive, sie ins Leben zu rufen, ganz andere.
Auf 100 Jahre und 79 Ausgaben blickt die Rallye Monte Carlo in diesen Tagen zurück. Vor einigen Tagen fand die Ausgabe 2011 statt. Der vitale Oldtimer gehört im Moment gerade freiwillig nicht mehr zur ersten Garde des Rallye-Sports. Der Verzicht auf das WM-Prädikat erinnert an die 24 Stunden von Le Mans. Auch sie sind die Ikone ihres Sports. Als in den 1970er-Jahren der Streit über Tankgrößen dazu führte, dass Le Mans nicht zur Langstrecken-Weltmeisterschaft gehörte, schädigte das letztlich die WM mehr als das Rennen. Schnell fand es wieder die Aufnahme in den WM-Kalender. Ich bin deshalb sicher, dass auch die Monte bald wieder zur Rallye-WM zählen wird.
Denn die Rallye prägte in den vergangenen 100 Jahren den Rallye-Sport wie keine Zweite. Ein Umstand, den bei Gründung der Rallye wohl niemand voraussah. Monaco war bereits am Anfang des vergangenen Jahrhunderts ein recht glamouröser Ort. Das milde Klima und das 1863 eröffnete Kasino zogen Wohlhabende aus ganz Europa an. Mit ihnen gehörte das Luxusgut Auto, das vor 100 Jahren ein beliebtes Spielzeug der Reichen und Schönen war, eher als anderswo zum Straßenbild des kleinen Fürstentums. Monacos Rivale Nizza etablierte nicht zufällig die Fernfahrt Paris-Nizza und sicherte sich damit erfolgreich die Aufmerksamkeit zahlungskräftiger Autobesitzer.
Statt „nur“ von Paris wurde Monaco das Ziel von elf Startorten!
Im Kampf zum zahlungskräftige Besucher entwickelte sich in Monaco die Idee, mit einem „Concours d’Elegance d’Automobiles“ ebenfalls automobile Touristen anzulocken. Monaco hatte im damals im Winter Schwierigkeiten, seine Hotelbetten zu füllen. Daher fand die erste Ausgabe des Wettbewerbs im Januar 1911 statt. Zur Maximierung der Aufmerksamkeit verbanden die Veranstalter den Concours mit einer europäischen Sternfahrt. Als Startorte legten sie unter anderem Genf, Boulogne-sur-Mer, Berlin, Wien und Brüssel fest – damals alles Orte mit überdurchschnittlich vielen Autofahrern.
Nebenbei fungierten die Teilnehmer als rollende Werbeträger. Denn zu den Bedingungen des Wettbewerbs gehörte, dass die Teilnehmer an ihrem Wagen deutlich sichtbar ein Schild mit dem Schriftzug „Monaco Rallye“ zu befestigen hatten. Eine Idee, die heute als Geburtsstunde der Startnummernschilder gilt. Hinter der Idee der Rallye stand der Zigarettenfabrikant Alexandre Noghes. Der enge Freund von Fürst Albert I. übernahm 1909 das Amt des Präsidenten des örtlichen Fahrrad- und Auto-Clubs, des bereits 1890 gegründeten „Sport Automobile Velocipedique Monegasque“.
Für die Durchführung der Rallye entwickelte Noghes ein komplizierte Regelwerk. Punkte gab es zunächst für sportliche Kriterien wie das Fahren mit einer möglichst hohen Durchschnittsgeschwindigkeit und die zurückgelegten Strecke. Daneben gab es jedoch auch Punkte für den Passagierkomfort, die Eleganz des Wagens sowie den Zustand des Wagens bei der Ankunft in Monaco. Diese teilweise subjektiven Wertungen flossen sogar unverhältnismäßig stark in die Wertung ein. Für die Durchschnittsgeschwindigkeit gab es maximal 25 Punkte. Das Komitee des „Sport Automobile Velocipedique Monegasque“ konnte insgesamt bis zu 40 Punkte vergeben.
Wertungspunkte der Rallye Monte Carlo 1911
- Bewertung der Durchschnittsgeschwindigkeit:
1 Punkt pro km/h – maximal 25 Punkte. - 1 Punkt für 100 gefahrene Kilometer
- 2 Punkte für jeden Passagier mit Ausnahme
des Fahrers - 0 bis 10 Punkte für die Bewertung
des Passagierkomforts - 0 bis 10 Punkte für die Eleganz des Wagens
- 0 bis 10 Punkte für die Zustand des
Wagens bei der Ankunft in Monaco - 0 bis 10 Punkte für die Sauberkeit
des Wagens bei der Ankunft in Monaco
Das sorgte im Ziel der ersten Rallye Monte Carlo prompt für einen Skandal!
Am 21. Januar 1911 nahmen 20 Fahrzeuge die Reise auf – ursprünglich gaben sogar 23 Fahrzeuge eine Nennung ab. Wie von den Organisatoren gewünscht trat die „Crème de la Crème“ der damaligen Auto-Szene zur Wettfahrt an. Die Teilnehmer erreichten genauso überraschend wie bemerkenswert fast vollständig das Ziel. Nur zwei Teilnehmer gaben die Fernfahrt vorzeitig auf. Nach einer umfassenden Beratung erklärte das Wettfahrt-Komitee Henri Rougier zum Sieger. Der Franzose nahm die Reise mit seinem Turcat-Mery vom Startort Paris auf. Die Entscheidung sorgte für viel Unverständnis. Insbesondere der deutsche Hauptmann von Esmach, der Monaco mit der höchsten Durchschnittsgeschwindigkeit (22,655 km/h) erreichte, protestierte lautstark gegen das offizielle Ergebnis.
Doch alle Proteste halfen letztlich nicht. Das Komitee des „Sport Automobile Velocipedique Monegasque“ war nicht umzustimmen. Trotz dieser Unstimmigkeiten erlebte die Rallye Monte Carlo mit ihrer ersten Ausgabe eine glamouröse Premiere. Das sprach sich schnell herum. Ein Jahr später stellten sich 65 Teilnehmer der Herausforderung Rallye Monte Carlo. Auch diesmal siegte mit Jules Beutler (Berliet) ein Franzose. Und erneut gab es Diskussionen um das Regelwerk. Das ging an den Organisatoren nicht spurlos vorbei. Aus Angst vor dem eigenen guten Ruf verzichteten sie in den Jahren 1913 und 1914 auf die Ausrichtung der Rallye.
Von der Zuverlässigkeitsfahrt zur modernen Rallye
Auch in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg war eine Fortsetzung der Rallye nicht denkbar. Erst 1924 entschieden sich die Verantwortlichen für eine Fortsetzung. Damit setzten sie eine kontinuierliche Entwicklung in Gang. Denn bis heute eröffnet die Rallye Monte Carlo das Motorsport-Sportjahr. Dabei entwickelte sich die „Rallye“ in zahlreichen kleinen Schritten zu der Veranstaltungsform, die wir heute kennen. Was in den Gründertagen der Rallye Monte Carlo eine Mischung aus Zuverlässigkeitsfahrt und „Concours d’Elegance“ war, das wurde dabei zu einem knallharten Wettbewerb.
Für den Neustart überarbeitete Anthony Noghes, der 1890 geborene Sohn des Präsidenten des „Sport Automobile Velocipedique Monegasque“ und Rallye-Gründers Alexandre Noghes, das Reglement. Anthony Noghes strich bei der Neuauflage die Bewertung des Komforts oder der Eleganz des Wagens aus dem Wertungskatalog. Doch auch sein Reglement sah weiter Punkte für die bei der Anreise zurückgelegte Strecke und die Anzahl der Passagiere vor. Als sportliche Herausforderung führte Anthony Noghes eine Zusatzschleife durch die Seealpen ein.
1924 fuhren erstmals alle Teilnehmer der Rallye Monte Carlo ein Stück der Strecke gemeinsam!
Sportlich wurde die Zusatzschleife, da Noghes Junior sie als Gleichmäßigkeitsprüfung (GLP) auslegte. Die Strecke der Zusatzschleife führte die Teilnehmer erstmals über den 1.002 Meter hoch gelegenen Col de Braus. Mit dieser Bergprüfung schuf Noghes wesentliche Teile dessen, was die Rallye an der Côte d’Azur bis in die Gegenwart ausmacht – auch wenn die Sternfahrt leider in der jüngeren Vergangenheit entfiel. Beim Neubeginn 1924 siegte Jacques Edouard Ledure. Der Franzose nahm gemeinsam mit seiner Ehefrau mit einem Bignan Sport 11 CV an der Rallye Monte Carlo teil.
In den folgenden Jahren blieb die Rallye Monte Carlo trotz der neuen Elemente wie GLP und Zusatzschleife im Prinzip eine Kaffeefahrt. Einmal durften sogar Motorräder an der Monte teilnehmen. Die Regeln bevorteilten die, die die weiteste Anreise in Kauf nahmen und dabei möglichst viele Passagiere transportieren konnten. 1927 ging der Sieg daher an fünf Männer, die mit ihrem Amilcar in Königsberg starteten. Schon zwei Jahre zuvor benannte sich der „Sport Automobile Velocipedique Monegasque“ in „Automobile Club de Monaco“ (ACM) um. Dessen Präsident Anthony Noghes etablierte 1929 den Grand Prix von Monaco, der seither noch mehr Glamour als die Rallye in das Fürstentum bringt.
Noghes entwickelte die Rallye Monte Carlo kontinuierlich weiter
Ein Jahr nach der Durchführung des ersten Grand Prix erweiterte Noghes die Rallye um geheime Zeitkontrollen auf der Sternfahrt. Zunächst ließ sich das nur in Frankreich umsetzen, trotzdem dehnte dieser Schritt das System der Gleichmäßigkeitsprüfung auf große Teile der Anreise aus. Denn wer an einem der nicht angekündigten Posten den richtigen Zeitpunkt verpasste, der kassierte pro Sekunde Abweichung von der Sollzeit 0,05 Strafpunkte. Dieses System machte die Wertung der Rallye Monte Carlo übrigens nicht sofort besser. Denn es verzögerte in der damaligen Welt ohne E-Mails und Satellitenverbindungen die Auswertung der Ergebnisse zusätzlich.
1931 wurde erstmals eine Beschleunigungs- und Bremsprüfung auf dem „Quai Alber 1er“ im Herzen Monacos Bestandteil der Rallye. Damit holten die Verantwortlichen des ACM die Rallye Monte Carlo in die Stadt. 1935 bauen sie diese Schlussprüfung zu einem Geschicklichkeitsparcours um. Prompt fliegt der Brite Grant Ferris mit seinem Bentley in eine Zuschauertribüne. Der Vorfall geht zum Glück glimpflich aus. Doch mit diesen Schritten entwickelte sich langsam die Idee einer „Super Special Stage“, wie wir sie heute kennen. Ab 1936 wurde die Rallye noch sportlicher. Denn der ACM erhöhte die auf der Anreise geforderten Durchschnittsgeschwindigkeiten.
Zeitweilig war die Rallye Monte Carlo ein Straßenrennen!
Mit der Erhöhung der Schnittvorgaben änderte sich das Feld der teilnehmenden Autos. Statt Serienfahrzeugen traten zunehmend leichte Spezialfahrzeuge zur Rallye Monte Carlo an. Der ACM reagierte und ließ schon ab 1938 nur noch Serienfahrzeuge an der Rallye Monte Carlo teilnehmen. Zudem beschränken die Verantwortlichen die Gleichmäßigkeitsprüfung wieder auf die Zusatzschleife. Diese führt die Teilnehmer fortan von Grenoble über Gap, Sistéron, Castellane und Nizza nach Monaco. Auf dem Weg sind mit dem Col de la Croix-Haute (1.179 m), dem Col des Lèques (1.148 m) und dem Col du Pilon (780 m) drei Pässe der Seealpen zu überqueren.
Mit dieser Strecke folgt die Rallye Monte Carlo im Wesentlichen der Route Napoléon. Nebenbei findet die Monte damit eine neue Heimat. Denn auf den verschneiten und vereisten Straßen der Seealpen sollten sich – insbesondere in den 1950er und 1960er – zahlreiche Dramen abspielen, die bis heute mit dem Mythos „Rallye Monte Carlo“ untrennbar verbunden sind. Die vorerst letzte Ausgabe findet 1939 statt. Anschließend überzogen die Nazis Europa mit einem Krieg, der mit einer Sternfahrt der Alliierten nach Berlin endete.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Rallye Monte Carlo immer sportlicher!
Auch in den ersten Nachkriegsjahren gab es zunächst Wichtigeres als eine Rallye durch ganz Europa. Doch schon Anfang 1949 fühlte sich der ACM wieder gewappnet, um erneut eine Rallye Monte Carlo auszuschreiben. Mehr als 200 Teilnehmer folgten dem Ruf einer Veranstaltung deren kompliziertes Punktsystem – zumal ohne sportlichen Wert – das Ergebnis aus heutiger Sicht zweitrangig erscheinen lässt. Für Kontinuität sorgt, dass sich Jean Trévoux und Marcel Lesurque, die Sieger von 1939 auch bei der Neuauflage durchsetzen.
1951 gab es erstmals eine Gleichmäßigkeitsprüfung auf dem Grand Prix Kurs. Dabei durften nur die 50 besten Teams, die sich zuvor auf der traditionellen Beschleunigungs- und Bremsprüfung qualifizieren müssen, teilnehmen. Das neue Konzept überzeugte auch bekannte Motorsportler vom Start bei der Rallye Monte Carlo. Die Startlisten dieser Jahre enthalten Namen wie Rudolf Caracciola, Pierre Levegh oder Stirling Moss. Sie lockte besonders die Herausforderung der Alpen-Etappen. Nebenbei sorgen diese Namen für Glanz und sorgen dafür, dass die Rallye Monte Carlo bis heute als Mutter alle Rallyes gilt.
Mit der Nacht der langen Messer wurde die Monte endgültig zum Mythos!
1966 sorgten falsche Glühbirnen dafür, dass die Verantwortlichen den eigentlichen siegreichen Mini Cooper disqualifizieren. Stattdessen erklärten sie eine Citroën DS zum Sieger. Citroën verzichtete angesichts des geschenkten Siegs auf jede Werbung mit dem Erfolg. An die Stelle der Gleichmäßigkeitsprüfungen treten in den 1960er und 1970er-Jahren Wertungsprüfungen, die auf Bestzeit zu fahren sind. Die Schlussetappe findet Nachts statt und bekommt den Spitznamen „Nacht der langen Messer“. Hier zeigt sich jetzt, wer Rallye fahren kann.
Ausnahmekönner Walter Röhrl gewann die Rally Monte Carlo 1980 (Fiat Abarth 131), 1982 (Opel Ascona 400), 1983 (Lancia Rally 037) und 1984 (Audi quattro) mit vier unterschiedlichen Autos und Fabrikaten. Damit unterstrich der Regensburger seine absolute Ausnahmestellung unter den Vollgas-Artisten des Rallye-Sports. Der König der Autofahrer und die König der Rallyes haben sich in diesen Jahren wohl gefunden. Den Zeitzeugen bleibt die Gewissheit, so heiß wie in diesen Jahren wird der Kampf wohl nie wieder werden. Trotzdem bewahrte sich die Rallye Monte Carlo bis heute ihren Reiz.