Meinung und Kommentar

Gedanken zum Unfall von Jules Bianchi in Suzuka – Wochenrückblick #40-2014

Eigentlich wollte ich mich in diesem Wochenrückblick mit der Automesse „Le Mondial De L’Automobile 2014“ in Paris beschäftigen. Doch nach dem schweren Unfall von Jules Bianchi in Suzuka veränderte sich der Fokus. Denn der schreckliche Unfall rief in Erinnerung, totale Sicherheit gibt es im Motorsport nicht. Während der Franzose im Krankenhaus um sein Leben kämpft, beginnt die Fehlersuche. Warum konnte es zu dem Unfall kommen?

Der Franzose prallte mit seinem Rennwagen in ein Bergungsfahrzeug. Das zog gerade den kurz zuvor havarierten Boliden von Adrian Sutil hinter die Leitplanken. Beim Unfall wurde die Überrollstruktur des Marussias komplett abgerissen. Es sieht fast so aus, als ob Bianchi mit seinem Rennwagen unter dem Heck des schweren Bergungsfahrzeugs „hindurchgerutscht“ sei.

Üblicherweise warnen doppelt geschwenkte gelbe Flaggen die anderen Piloten vor solchen Unfallstellen. Für die Piloten ein deutliches Signal, die Geschwindigkeit zu verringern. Wer unter diesen Umständen die Kontrolle über sein Fahrzeug verliert, hat die Unfallstelle nicht mit der notwendigen Vorsicht passiert. Rennsportzyniker sind an diesem Punkt der Analyse mit der Sache durch.

Doch das springt beim Unfall von Jules Bianchi zu kurz!

Natürlich ist so eine Unfallsituation kaum vorhersehbar. Und natürlich sind Formel-1-Rennwagen nicht für den Aufprall auf solche Hindernisse konstruiert. Obwohl es Parallelen gibt. Martin Brundle verfehlte vor gut 20 Jahren bei einem Abflug in Suzuka das Bergungsfahrzeug. Brundle traf damals „nur“ einen Streckenposten, der sich ein Bein brach. Schon damals stand die Frage im Raum, ob nicht Kräne die besser Lösung zum Bergen von Rennwagen seien. Seit heute ist diese Frage wohl beantwortet.

Denn auch von Sicherheitsfahrzeugen geht eine Gefahr aus. Passiv und aktiv, wie Taki Inoue, heute Motorsport-Manager bei Honda, das gleich zweimal erlebte. Zunächst wurde er in Monaco mit seinem Footwork vom Saftey Car abgeräumt und überschlug sich. Später in Ungarn sogar von einem Sicherheitsfahrzeug beim Löschen seines Fahrzeugs angefahren.

Trotzdem bleiben nach dem heutigen Unfall weitere Fragen zurück.

Wenig Schuld tritt wohl das Team Marussia. Die Überlebenszelle des Rennwagens blieb ganz. Der Körper des Piloten wurde bestmöglich geschützt. Selbst eine Kanzel, wie sie zum Schutz der Piloten in der Vergangenheit diskutiert wurde, hätte Bianchi nicht vor seinen schweren Verletzungen bewahrt. Die abgerissene Überrollstruktur zeigt, welche Kräfte auf das Auto einwirkten.

Jules Bianchi wurde geborgen und ins Krankenhaus gebracht. Dabei entschieden sich die Verantwortlichen für den Transport mit dem Auto. Die Landung am Mie General Hospital erschien als zu gefährlich. Hier muss die erste Frage erlaubt sein, wieso wird gefahren, wenn der Hubschraubertransport nicht gewährleistet ist.

Es bleibt zu hoffen, dass sich Jules Bianchi von seinen schweren Verletzungen erholen kann. Der Franzose wurde inzwischen operiert und liegt auf der Intensivstation des Krankenhauses. Nach einem Bericht der französischen Zeitung L’Equipe kann Bianchi selbständig atmen. Das wäre eine erfreuliche Nachricht.

Zum schlechten Wetter kam die vorgerückte Uhrzeit

Mit Rücksicht auf die TV-Übertragungen startet das Rennen erst um 15 Uhr Ortszeit – zum Frühstück um acht Uhr in Europa. Bis zum Sonnenuntergang um 17:32 Uhr verbleiben da in Suzuka gerade einmal zweieinhalb Stunden. Zum Zeitpunkt des Unfalls hatte die Dämmerung längst eingesetzt. Denn nach der Regenunterbrechung zum Start des Rennens hingen die Veranstalter ihrem Zeitplan hinterher.

Adrian Sutil sprach in den TV-Interviews davon, dass er wegen der Dunkelheit das vor Kurve sieben über die Strecke laufende Wasser nicht gesehen habe. Deshalb habe er sich gedreht. Gut möglich, dass es Jules Bianchi ähnlich gegangen ist. Möglicherweise hätte seine Geschwindigkeit schon mit etwas weniger Regen gepasst, ohne sich und die Streckenposten zu gefährden. In eine ähnliche Richtung zielt die Kritik von Felipe Massa. Der Brasilianer forderte schon vor dem Unfall über Funk den Abbruch des Rennens. Für Massa war die Strecke zum Zeitpunkt des Unfalls viel zu nass.

Insofern muss die Frage gestattet sein, warum das Rennen nicht eher gestartet wurde. Vermutlich spielen die TV-Zuschauerzahlen eine Rolle bei der Entscheidung. Denn ob das Rennen bei uns um acht oder sechs über die Bildschirme flimmert, hat sicherlich Einfluss auf die Anzahl der Zuschauer. Wenn das so ist, dann sind kommerzielle Aspekte wichtiger als die Sicherheit der Fahrer. Das ist der eigentliche Skandal des Rennens.

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Als Kind der 1970er-Jahre hatte Tom das große Vergnügen, in einem ausgesprochen automobilen Umfeld aufzuwachsen. Das war der optimale Nährboden, um heute über Autos zu schreiben und regelmäßig am Mikrofon über Autos zu sprechen. Denn Tom Schwede moderiert seit 2010 bei großen Oldtimer- und Klassik-Veranstaltungen in Deutschland. So ist Tom unter anderem bei den Classic Days (früher Schloß Dyck, heute in Düsseldorf) oder dem 1.000 Kilometer-Rennen am Nürburgring zu hören. Wenn Sie also einen Moderator oder Streckensprecher für Ihre Oldtimer-Rallye oder Ihr Oldtimer-Treffen suchen, dann sind Sie bei Tom definitiv richtig!