Rekord auf der Nordschleife? Es gibt nur einen: 6:11,13 Minuten – alles andere ist Marketing!

Das Spiel wiederholt sich in schöner Regelmäßigkeit. Ein Autohersteller verschickt eine Pressemitteilung, um von einem neuen Rekord auf der Nordschleife des Nürburgrings zu berichten. Ich finde die Verwendung des Begriffs Rekord in diesen Meldungen immer befremdlich. Denn am Ende gilt: Es gibt nur einen Rekord: 6:11,13 Minuten.

Ein Jahr nach seinem Rekord auf der Nordschleife gewann Stefan Bellof 1984 für Porsche den Titel des Sportwagen-Weltmeisters. Porsche feierte den Triumph mit einem seiner Siegerplakate.
Ein Jahr nach seinem Rekord auf der Nordschleife gewann Stefan Bellof 1984 für Porsche den Titel des Sportwagen-Weltmeisters. Porsche feierte den Triumph mit einem seiner Siegerplakate. (Foto: Porsche)

Seit dem 28. Mai 1983 hält der unvergessene Stefan Bellof auf der Nordschleife diese Bestmarke. Niemand sollte sich von den regelmäßig wiederkehrenden Nachrichten der Industrie täuschen lassen. Die 6:11,13 Minuten, mit denen Stefan Bellof seinen Porsche 956 beim 1.000 Kilometer-Rennen auf dem Nürburgring 1983 auf die Pole Position stellte, sind bis heute unerreicht. Bellof fuhr seine Rekordrunde auf der 20,832 Kilometer langen Streckenvariante des Nürburgrings. Internationale Motorsportveranstaltungen befuhren zuvor auch die damalige Betonschleife mit der alten Boxenanlage.

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Bestzeit auf der Nürburgring Nordschleife (20,832 Kilometer)

6:11,13 Minuten – Stefan Bellof, Porsche 956 (Gruppe C), 1983 – die einzig wahre Zeit!

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Damit war die Strecke fast genau zwei Kilometer länger. Doch 1983 entstand dort, wo einst die Betonschleife war, die Boxenanlage der heutigen Grand-Prix-Strecke. Trotzdem fand auf der Nordschleife ein Lauf zur Sportwagen-Weltmeisterschaft statt. Denn Sportwagen-WM, Formel 2-Europameisterschaft, Deutsche Rennsport Meisterschaft und die Tourenwagen-Europameisterschaft fuhren auch nach dem Abschied der Königsklasse weiter auf der Nordschleife.

Besonders im Fall der Formel 2 ist das Fahren auf der Nordschleife – rückblickend – durchaus erstaunlich!

Um die Bauzeit der Grand-Prix-Strecke zu überbrücken, entstand an der Nordschleife vor der heutigen Tribüne T13 eine zusätzliche Boxengasse. Beim Eifelrennen 1983 stellte Christian Danner seinen March 832 aus der Formel 2 mit einer Zeit von 6:26.19 Minuten auf den ersten Startplatz. Der Bayer bewältigte dabei die Nordschleife mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 194,192 Kilometern pro Stunde. Damit hielt Danner mit seinem Formel 2 des Jahrgangs 1983 für einige Wochen den Rekord auf der Nordschleife.

Porsche 956 wie ihn Stefan Bellof 1983 bei seinem Rekord auf der Nordschleife fuhr.
Porsche 956, wie ihn Stefan Bellof 1983 auf der Nordschleife fuhr.

Denn schneller war auf dieser – damals neuen – Streckenvariante vorher noch niemand gefahren. Der Formel-2-Pilot war auf der gekürzten Strecke wohl schneller unterwegs als James Hunt 1976 beim Abschiedsrennen der Formel 1 sieben Jahre zuvor. Denn der Brite erreichte – mit der schnellen Betonschleife – „nur“ eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 192,746 Kilometern pro Stunde. Wobei die Pole Position des damaligen McLaren-Piloten nicht die absolute Bestmarke der Königsklasse auf der Nordschleife darstellt. Niki Lauda prügelte schon 1975 seinen Ferrari 312T in 6:58,6 Minuten über die 22,835 lange Nordschleife inklusive der Betonschleife.

Damit erreichte der Österreicher eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 196,383 Kilometern pro Stunde. Was den Rekord auf der Nordschleife von Christian Donner schon wieder etwas relativiert. Wenige Wochen nach Donner verschob Stefan Beloff im Porsche 956 der Gruppe C endgültig die Maßstäbe. Denn Bellof war der Erste, dessen Durchschnittsgeschwindigkeit auf der Nordschleife die Marke von 200 Kilometern pro Stunde knackte. Auch das Rennen dominierte der Rennfahrer aus Gießen – bis sein Sportprototyp im Bereich Pflanzgarten Unterluft bekam und überschlug sich. Bellof überstand diesen Unfall glücklicherweise unverletzt.

Ein neuer Rekord auf der Nordschleife ist unwahrscheinlich!

Mit der Eröffnung der Grand-Prix-Strecke verschwand der große internationale Sport von der Nordschleife. Bis heute finden auf der 1982 von Stefan Bellof befahrenen Streckenvariante regelmäßig Leistungs- und Gleichmäßigkeitsprüfungen statt. Doch bei den GLP ist eine Mindestfahrtzeit von 11:15 Minuten vorgeschrieben. In der RCN steht der Rundenrekord seit 2009 bei 6:58 Minuten. Jürgen Alzen drehte mit einem Porsche 911 Turbo eine Runde mit einem Schnitt 179,1 Kilometern pro Stunde. Insofern ist im Motorsport so schnell kein neuer Rekord auf der Nordschleife zu erwarten.

Selbst aktuelle GT3-Fahrzeuge wären wohl nicht in der Lage, die Zeiten der Gruppe C zu knacken. Somit bleibt nur die Industrie. Sie ist regelmäßig auf der Nordschleife unterwegs. Auch die Industrie fährt auf der Streckenvariante ohne Grand Prix Kurs. Diese Runde misst heute 20,6 Kilometer (womit 232 Meter fehlen – ich muss zugeben, ich weiß gar nicht seit wann). Runden in der Eifel sind bei vielen Herstellern seit Langem ein fester Bestandteil des Entwicklungsprogramms. Das hat durchaus Tradition, schließlich wurde der Nürburgring 1927 ausdrücklich als erste Gebirgs-, Renn- und Prüfungsstrecke eröffnet.

Jeder lobt, was Nürburgring erprobt!

Bei einigen Herstellern gehört es deshalb scheinbar zum guten Ton, regelmäßig neue Bestzeiten von der Nordschleife zu vermelden. Auch wenn es im Moment bei diesem Thema eher ruhig ist. Ein Tempolimit im Rennbetrieb und die Privatisierung sind offenbar nicht das beste Umfeld für das Marketing. Doch das ist nur eine Frage der Zeit. Schließlich kann das Label Nürburgring (fast) jedes Produkt zum Glänzen bringen. Und so gibt es im Bereich der Straßenfahrzeuge inzwischen eine Vielzahl von Rekorden auf der Nordschleife.

Hubraumgrenzen, Elektroantrieb, Fahrzeugtypen oder Reifentypen (Serienreifen, Sportreifen) – für alles gibt es irgendeinen Rekord. Teilweise sorgte das Treiben für bizarre Blüten. So traten immer wieder Fahrzeuge an, die mit britischen Einzelzulassungen (Single Vehicle Approval) unterwegs sind.

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Schnellste Runden auf der Nordschleife mit einem Straßenfahrzeug

Schnellster mit Straßenzulassung:
6:48,28 Minuten – Michael Vergers, Radical SR8 LM (Single Vehicle Approval), 2009

Schnellstes Serienfahrzeug:
Marc Lieb, 6:57 Minuten Porsche 918 Spyder (September 2013)
6:52,01 Minuten – Marco Mapelli, Lamborghini Huracán Performante, 2016

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Ich halte das alles für ziemlichen Blödsinn. Natürlich lassen sich nicht alle Autos über einen Kamm scheren. Aber niemand erwartet, dass eine Limousine schneller als ein Sportwagen ist. Deshalb ist mir das teilweise willkürliche Zuschneiden von Fahrzeug- und damit Rekordkategorien zu viel Waldorf-Pädagogik. Das hat dann das Motto: „Wir sind alle schnell“.

Nein, sind sie nicht!

Denn am Ende ist es eine einfache Geschichte. Wirklich der Schnellste ist und bleibt Stefan Bellof mit – siehe oben – 6:11,13 Minuten. Doch der Nürburgring ist von Anfang an eine Gebirgs-, Renn- und Prüfungsstrecke. Richten wir unseren Blick deshalb mal auf die „Klasse“ der Straßenfahrzeuge, dann ist bisher der Porsche 918 Spyder der Schnellste. Porsche-Werksfahrer Marc Lieb fuhr mit dem Hybridsportler auf Serienreifen eine Rundenzeit von 6:57. Das entspricht einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 179,5 Kilometern pro Stunde. Das macht den Porsche zum ersten Serienfahrzeug, das die Nordschleife in den richtigen Händen in weniger als sieben Minuten umrundet.

Mit Semi-Slicks oder profillosen Reifen würde Nordschleifen-Kenner Marc Lieb wohl noch etwas von dieser Zeit abhobeln. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie groß der Unterschied zwischen profilierten Straßenreifen und Semi-Slicks ist. Doch das ist alles nur ein Gedankenspiel, solange Porsche diesen Versuch nicht fährt. Wobei – das am Rande – zu befürchten ist, dass der aktuelle Umbau der Strecke zwischen Quiddelbacher Brücke bis Ausgang Flugplatz auch ein paar Sekunden bringt und damit die Vergleichbarkeit der Zeiten gefährdet.

Mal sehen, was im Frühjahr am Ring passiert!

Aktuell herrscht sicher nicht das beste Klima für einen neuen Rekord auf der Nordschleife. Denn zurzeit gilt sogar bei Motorsport-Veranstaltungen teilweise ein Tempolimit auf der Strecke. Zudem heißt es, dass die neuen Herren am Ring in Zukunft an den Rekordrunden stärker als bisher mitverdienen wollen. Das klingt, nachdem das Volksvermögen und Kulturgut Nürburgring als Ergebnis von Misswirtschaft in der Politik privatisiert wurde, zumindest plausibel.

Besonders McLaren wird nachgesagt, Interesse an der Krone auf der Nordschleife zu haben. Schon Ende 2013 gab es Hinweise auf eine Fabelrunde der Briten. Bisher wurde dazu jedoch keine Zeit bestätigt. Aber in der Eifel wird viel geredet. Und so heißt es wahlweise, McLaren habe die Zeit von Porsche atomisiert oder seit knapp daran gescheitert. Doch eigentlich ist das unwichtig. Denn egal was McLaren gefahren ist, Stefan Bellof war schneller! Und selbst wenn eines Tages jemand schneller fährt, wenn das nicht bei einer Motorsport-Veranstaltung passiert, dann ist das nur Marketing!


Infos zum Titelbild dieses Beitrags:
Ein Jahr nach seinem Rekord auf der Nordschleife gewann Stefan Bellof 1984 für Porsche den Titel des Sportwagen-Weltmeisters. Porsche feierte den Triumph mit einem seiner Siegerplakate. (Foto: Porsche)

Foto: Porsche

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Ein Beitrag von:

Als Kind der 1970er-Jahre hatte Tom das große Vergnügen, in einem ausgesprochen automobilen Umfeld aufzuwachsen. Das war der optimale Nährboden, um heute über Autos zu schreiben und regelmäßig am Mikrofon über Autos zu sprechen. Denn Tom Schwede moderiert seit 2010 bei großen Oldtimer- und Klassik-Veranstaltungen in Deutschland. So ist Tom unter anderem bei den Classic Days (früher Schloß Dyck, heute in Düsseldorf) oder dem 1.000 Kilometer-Rennen am Nürburgring zu hören. Wenn Sie also einen Moderator oder Streckensprecher für Ihre Oldtimer-Rallye oder Ihr Oldtimer-Treffen suchen, dann sind Sie bei Tom definitiv richtig!

9 Kommentare

  1. Bellezza1967
    3. Januar 2016

    Du unterschlägst die Zeiten des Radical SR8. Der ist schon 2009 – also etwas vor Porsche – deutlich unter sieben Minuten gefahren.

    • Daniel Wirth
      3. Januar 2016

      Schöner Bericht, nur eine Anmerkung:

      Marc Lieb ist die 6.57 min mit dem 918 Spyder sehrwohl auf
      Semi-Slicks gefahren, denn der 918 ist serienmäßig mit dem Michelin Pilot Sport Cup 2 ausgerüstet….

    • Daniel Wirth
      3. Januar 2016

      Der Radical hatte damals aber nur eine britische Einzelzulassung, in dieser Konfiguration hat er damals keinen TÜV in Deutschland erhalten…

  2. Peter
    3. Januar 2016

    „… dass der aktuelle Umbau der Strecke zwischen Quiddelbacher Brücke bis Ausgang Flugplatz auch ein paar Sekunden bringt und die Vergleichbarkeit der Zeiten gefährdet.“

    Weshalb soll der „Umbau“ Sekunden bringen? Bisher haben wir nur Fotos von Asphaltarbeiten gesehen – oder wird der Abschnitt ‚abgekürzt‘? Hast Du ’ne Quelle?
    PS: Ich bin entschiedener Gegner eines Umbaus, die Autos müssen sich der NOS anpassen.

    • Mike Kessler
      3. Januar 2016

      Gab vor ein paar Tagen Fotos bei Facebook … die haben da ordentlich was von den Wellen weggenommen , da geht es jetzt früher und länger aufs Gas, das bringt definitiv was!

  3. James Glickenhaus
    5. Januar 2016

    We think our SCG 003C unrestricted and Unballasted could come very close to Stefan and our fully road legal SCG 003S would be about 10s slower.

    If you come to a VLN or The N24 say hello!

    • Lukas M.
      14. Januar 2016

      That sounds very interesting. I think it would be a good idea, if you would do some laps and drive this time. It would be a pleasure to see how your car (which looks very very good by the way) destroys the time of the Porsche 918 Spyder. Please do that.

  4. Lukas M.
    14. Januar 2016

    Die 232 meter kommen daher, da die Industrie nicht die komplette Nordschleife fährt, die gerade an der Boxengasse wird weggelassen. Die Zeit wird nach der letzten Kurve gestoppt (wie ich finde ist das ein Unding, da so die Zeiten künstlich geschrumpft werden).

    • Tom Schwede
      14. Januar 2016

      Danke, Lukus … wieder was gelernt 🙂

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