Das Hamburger Wochenblatt DER SPIEGEL gilt im deutschen Journalismus als Flagschiff – trotz inzwischen einiger schwächerer Artikel. Dem Ruf hilft, dass das Magazin in der Vergangenheit mit seinen Enthüllungen regelmäßig mehr oder minder Mächtige erzittern ließ. Die reagierten mitunter gereizt. Als Schleswig-Holsteiner klingen bei mir dazu noch Gerhard Stoltenberg und Uwe Barschel im Ohr. Sie titulierten das Blatt nach der Enthüllung der Barschel-Pfeiffer-Affäre einst als „Organ der linken Kampfpresse“.
Doch diese Affäre liegt 30 Jahre zurück. Seit den Tagen der guten alten beschaulichen Bundesrepublik, die an ihrem Rand Waterkantgate spielte, hat sich viel verändert. Heute ist die Welt digital. Neben dem gedruckten SPIEGEL „verlegt“ dessen Verlag deshalb längst auch die Online-Plattform SPIEGEL ONLINE. Die profitiert natürlich vom guten Ruf der Papierausgabe, auch wenn sie eigenen Regeln folgt. Denn Online-Plattformen leben oft nach dem einfachen Motto, möglichst viele Seitenabrufe zu generieren. Mit jeder ausgelieferten Seite lassen sich immer auch ein paar Werbebanner verkaufen. Damit rollt der Euro, der das Angebot finanziert.
Am Besten zieht, was polarisiert!
Das weiß offensichtlich auch SPIEGEL ONLINE. Denn anders ist es kaum zu erklären, was dort am vergangenen Freitag zum Rückruf des Audi A8 den Weg in die Öffentlichkeit fand. Unter der Überschrift „Was Audi seinen Kunden verschweigt“ geht es zunächst darum, dass der Autobauer den amtlich verordneten Rückruf als Servicemaßnahme „kaschiert“. Als Beleg muss eine Pressemitteilung des bayrischen Autobauers herhalten.
Diese Pressemitteilung habe ich mir von der Pressestelle bei Audi geben lassen. In der Tat steht dort etwas von einem „selbst festgestellten Sachverhalt“. Ob diese Formulierung kritikwürdig ist, muss meiner Meinung nach jeder Leser selbst entscheiden. Auch ich finde, dass die Pressemitteilung des bayrischen Autobauers stark nach einem Marketingtext klingt. Aber Auto-Käufer sind ja nicht auf den Kopf gefallen und kennen sicher die Hintergründe des Rückrufs.
Denn natürlich ist der Rückruf eine Folge der sogenannten Diesel-Affäre. Vereinfacht gesagt verfügen Diesel-Fahrzeuge aus dem Volkswagen Konzern über eine Motorsteuerung, die erkennt, wenn das Fahrzeug auf einem Prüfstand steht. Ist dies der Fall, dann läuft die an Bord befindliche Abgasreinigungsanlage zur Höchstform auf. Im Zuge des aktuellen Rückrufs entfernt Audi mit dem Software-Update diese Prüfstanderkennung aus der A8-Motorsteuerung.
Eigentlich wäre das Thema damit erledigt!
Doch stattdessen legt SPIEGEL ONLINE nach und schießt dabei kräftig über das Ziel hinaus. Denn in dem Text heißt es:
„Das Modell mit über 400 PS, 4,2 Liter Hubraum und einem Einstiegspreis von mehr als 80.000 Euro bricht beim Stickoxidausstoß alle Negativrekorde innerhalb des Konzerns. … Prüfer des Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) haben laut SPIEGEL-Informationen bei den Diesel-A8, die im Zeitraum zwischen September 2013 und August 2017 produziert wurden, Emissionswerte von bis zu 2000 Milligramm pro Kilometer gemessen. Erlaubt sind 80 Milligramm.“
Beim Lesen des erste Satzes dringt gerade wieder Gerhard Stoltenberg mit dem „Organ der linken Kampfpresse“ an mein Ohr vor. Der Hinweis auf den Einstiegspreis des A8 klingt mir zu viel nach Klassenkampf. Aber bitte sehr, wer es mag! Denn das eigentliche Problem des Artikels ist der Schlusssatz von den „erlaubten 80 Milligramm“. SPIEGEL ONLINE verwechselt hier – wie es so schön heißt – Äpfel mit Birnen.
Denn 80 Milligramm Emission pro Kilometer sind der Grenzwert bei Labormessungen. Also ein Wert, der nur unter klar definierten Labormessungen relevant ist. Die Messungen des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA), auf die SPIEGEL ONLINE verweist, sind sogenannte Real-Messungen auf der Straße. Anders als der Text suggeriert, Messungen auf der Straße waren, als der A8 seine Zulassung erhielt, kein Zulassungskriterium.
Der Vergleich von Labor und Straße ist irrelevant!
Das hat ja durchaus Skandalpotenzial. Aber dann ist ein Blick in Richtung der Politik angebracht. Denn die Regeln für die Zulassung von Autos entstehen in Berlin und Brüssel. Abgesehen davon, ist „Autos stoßen auf der Straße mehr Schadstoffe als im Labor aus“ keine neue Nachricht. Denn genau das hat der ADAC „EcoTest“ bereits umfangreich dokumentiert. Eine gute Zusammenfassung zu dieser Messreihe des ADAC gibt es übrigens bei AutoBILD – ich muss das Wiederholen: Ausgerechnet bei AutoBILD!
Bleiben wir mal bei SPIEGEL ONLINE und dem Vergleich von Äpfeln und Birnen. Die Werte bei von Straßen- und Labormessungen weichen fast zwangsläufig voneinander ab. Autofahrer kennen das von den Verbrauchsangaben. Auch diese Werte entstehen im Labor unter klar definierten Bedingungen. Das muss auch so sein, denn sonst wären sie nicht vergleichbar. Trotzdem ist es naiv sich zu beschweren, wenn das eigene Auto mehr verbraucht. Denn dann betätigt der Fahrer das eigene Gaspedal einfach anders, als das im genormten Prüfzyklus der Fall ist.
SPIEGEL ONLINE stellt das anders dar!
Und es ist nicht die einzige Schwäche des Artikels. Denn im weiteren Verlauf des Artikels heißt es:
„Jetzt fahren in Deutschland 3660 Exemplare der insgesamt 5000 vom Rückruf betroffenen A8 mit Stickoxid-Rekordwerten durch die Gegend und tragen dazu bei, dass die Messstationen in deutschen Städten wie Stuttgart, München und Düsseldorf eine gewaltige Überschreitung der Grenzwerte registrieren. Aus diesem Grund dürften Verwaltungsgerichte schon für Anfang kommenden Jahres Fahrverbote anordnen.“
Auch diese Aussagen sind einfach nur tendenziös und polemisch. Denn hier fehlt ein klarer Bezug zum Anteil des Straßenverkehrs an den – möglichen – Überschreitungen von Grenzwerten. Der Individualverkehr ist nicht der einzige Verursacher von Stickoxiden oder anderen Schadstoffen. Ohne diesen Hinweis fehlt dem Artikel in meinen Augen die notwendige Ausgewogenheit. Damit ist der Artikel für mich ein Musterbeispiel für schlechten Journalismus.
Immerhin erreicht SPIEGEL ONLINE mit solchen Texten offensichtlich seine Zielgruppe. Denn bei Facebook wird der Artikel eifrig kommentiert. Dabei gewinne ich aber den Eindruck, dass der Artikel Sozialneidern und anderen notorischen Neinsagern offenbar aus der Seele spricht. Und so bleibt für mich am Ende eine Erkenntnis haften: SPIEGEL ONLINE ist auch nur eine weitere Plattform, die offensichtlich von Clickbaiting lebt.