Das Chrysler Turbine Car und der Alltagstest der Gasturbine

Auch Chrysler probierte sich an der Gasturbine. Mit dem Chrysler Turbine Car gingen die Amerikaner dabei sogar weiter als alle Wettbewerber. Denn das Chrysler Turbine Car durften von 1964 bis 1966 sogar normale Autofahrer im Alltag testen.

Chrysler Turbine Car im Walter P. Chrysler Museum
Chrysler Turbine Car im Walter P. Chrysler Museum (Foto: Greg Gjerdingen)

Chrysler begann – wie Rover in Großbritannien – schon in den 1940er-Jahren mit der Arbeit am Auto mit Gasturbine. Doch während Rover in der Turbine von Anfang an eine Alternative zu klassischen Hubkolbenmotoren sah, kam Chrysler eher nebenbei zum Thema Gasturbine. Denn die US Navy beauftragte den Autobauer mit der Entwicklung eines Turboprop-Triebwerks für Flugzeuge. Ab 1954 testeten die Chrysler-Ingenieure die Gasturbine in einem Plymouth Sportcoupé aus im Auto aus. Neun Jahre später wagte das US-Unternehmen einen Feldversuch. Dazu lud Chrysler interessierte Autofahrer ein, an einem Alltagstest teilzunehmen.

Das Chrysler Turbine Car entstand bei Ghia

Das Interesse an diesem Projekt teilzunehmen war groß. Rund 30.000 Autofahrer bewarben sich als Versuchsfahrer. Extra für den Feldversuch entstand abseits des Chrysler-Programms das passende Fahrzeug. Die Fertigung von Karosserie und Innenausstattung übernahm Ghia in Italien. Das Design des Autos nimmt das Thema „Turbine“ an zahlreichen Stellen auf. Selbst die speziell produzierten Weißwandreifen tragen stilisierte Turbinenschaufeln an der Reifenflanke. Ghia war damals noch selbständig und schlüpfte erst 1970 unter das Dach von Ford.

Sechs Jahre zuvor war das Karosseriestudio noch mit unterschiedlichen Herstellern im Geschäft und lieferte die Kleinserie des Chrysler Turbine Car in die USA. In Detroit bestückte der Autobauer die Fahrzeuge mit einer Gasturbine. Es ist die vierte Generation der bei Chrysler entwickelten Gasturbinen. Im Oktober 1964 waren die 55 Fahrzeuge für den Feldversuch fertig. Chrysler wählt 203 Autofahrer aus, die das in Kleinserie gefertigte Chrysler Turbine Car jeweils drei Monate ausprobieren durften. Sie legten innerhalb von 2 ½ Jahren rund 1,8 Millionen Kilometer mit den Testwagen zurück.

Chrysler Turbine Car
Chrysler Turbine Car (Foto: Michael Barera)

Die Gasturbine erwies sich im Test als zuverlässig, aber durstig. Denn der Verbrauch der Testfahrer lag bei rund 17 Litern pro 100 Kilometer Fahrstrecke. Das war auch Mitte der 1960er-Jahre ein hoher Verbrauch viel. Da half es auch nicht, dass die Testfahrer neben bleifreiem Benzin auch Diesel, Kerosin, JP-4-Flugzeugtreibstoff oder Pflanzenöl tanken konnten. Zur Not ging, wie der mexikanische Präsident Gustavo Díaz Ordaz es bei einer Pressevorführung des Chrysler Turbine Car bewies, auch hochprozentiger Tequila. Nach dem Test verschrottete Chrysler die Mehrzahl der Testwagen. Dabei spielte wohl auch eine Rolle, die hohen Einfuhrzölle für die in Italien gefertigten Fahrzeuge zu vermeiden.


Warum wagte auch Chrysler nicht den Serieneinsatz der Gasturbine?

Nur neun der 55 Testwagen des Chrysler Turbine Car „überleben“. Vier der ehemaligen Testwagen gelten heute noch als fahrbereit. Trotz der Verschrottung verfolgte Chrysler das Thema Gasturbine im Auto auch nach dem Alltagstest noch einige Jahre weiter. Doch auch Chrysler entschied sich nie für einen Serieneinsatz der Gasturbine. Dabei sprach technisch einiges für den Einsatz der Gasturbine im Auto: Sie hat weniger bewegliche Teile als ein Verbrennungsmotor. Auch ein Kühlkreislauf ist für ihren Betrieb der Gasturbine nicht notwendig. Das spart Fertigungskosten.

Heckansicht des Chrysler Turbine Car
Heckansicht des Chrysler Turbine Car (Foto: DRIVERofPONTIACS)

Damals als defektanfällig geltende Teile wie Zündverteiler oder Unterbrecherkontakte gibt es nicht. Zudem benötigt die Gasturbine nur eine Zündkerze, um zu starten. Alles zusammen reduziert die Fehlerwahrscheinlichkeit. Theoretisch sollte eine Gasturbine also weniger störungsanfällig als ein konventioneller Verbrennungsmotor sein. Weil bei einer Turbine keine Verbrennungsrückstände ins Öl gelangen, sind längere Ölwechselintervalle möglich. Damit sinkt auch der Wartungsaufwand. Das sind gleich drei Vorteile für die Gasturbine.

Der Alltagstest des Chrysler Turbine Car zeigte die Schwächen der Gasturbine im Auto!

Auf der anderen Seite stehen ein hoher Verbrauch und der vergleichsweise hohe Ausstoß von Schadstoffen. Denn im Abgas von Gasturbine finden sich vergleichsweise große Mengen an Stickoxiden (NOx). Gerade das Thema Schadstoffe gewinnt Anfang der 1970er-Jahre an Bedeutung. Die Ölkrise schafft zeitgleich ein Bewusstsein für den Verbrauch. Alles zusammen lässt die Unternehmen wohl vor einem Serieneinsatz zurückschrecken. Dazu kam, dass das Abgas einer Gasturbine auch im Leerlauf sehr heiß ist. An der Ampel oder im Stau sollte der Hintermann nicht zu dicht auffahren.

Der Alltagstest von Chrysler zeigte zudem, dass das Handling der Gasturbine trotz der insgesamt befriedigenden Zuverlässigkeit nicht völlig unproblematisch war. Besonders in Höhenlagen starteten die Gasturbinen schwierig. Die Testfahrer lobten einerseits den seidenweichen Lauf, beklagten sich aber über die verzögerte Gasannahme und die fehlende Motorbremse. Diese Erfahrung bestätigten sich auch im Motorsport-Einsatz. Besonders die fehlende Motorbremse spielte auch beim tödlichen Unfall von Mike Spence in Indianapolis eine Rolle.

Warum verzichtete Chrysler in der Serie auf die Turbine?

Mit seinem Feldtest ging Chrysler beim Thema Turbine weiter als alle anderen Autobauer. Gut zehn Jahre später stellte der Autobauer noch einen Prototypen des Chrysler LeBaron mit Gasturbine vor. Doch das Unternehmen schrieb in den 1970er-Jahren hohe Verluste. Ein Flop hätte Chrysler noch schneller in die Pleite geführt. Zudem war den Managern klar, dass Autokäufer konservativ sind. Wer weiß schon, ob sie die Gasturbine akzeptiert hätten? Das Risiko konnte Chrysler nicht eingehen. Daher legten auch in Auburn Hills die Verantwortlichen alle Pläne für die Gasturbine im Auto ad acta.


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Chrysler Turbine Car im Walter P. Chrysler Museum

Foto: Greg Gjerdingen

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Als Kind der 1970er-Jahre hatte Tom das große Vergnügen, in einem ausgesprochen automobilen Umfeld aufzuwachsen. Das war der optimale Nährboden, um heute über Autos zu schreiben und regelmäßig am Mikrofon über Autos zu sprechen. Denn Tom Schwede moderiert seit 2010 bei großen Oldtimer- und Klassik-Veranstaltungen in Deutschland. So ist Tom unter anderem bei den Classic Days (früher Schloß Dyck, heute in Düsseldorf) oder dem 1.000 Kilometer-Rennen am Nürburgring zu hören. Wenn Sie also einen Moderator oder Streckensprecher für Ihre Oldtimer-Rallye oder Ihr Oldtimer-Treffen suchen, dann sind Sie bei Tom definitiv richtig!