Technik

Rover JET 1 – alles Jet oder was?

Gasturbine im Auto – Warum die Revolution unter der Motorhaube ausblieb

Autoentwickler sind immer auf der Suche nach einem besseren Antrieb. In den 1950er und 1960er-Jahren galt die Gasturbine als das kommende Auto-Triebwerk. Rover gehörte zu den Pionieren dieser Technik. Die Briten stellten mit dem Rover JET 1 als Erste eine Turbine im Auto vor.

Vor ein paar Tagen fand ich in der wunderbaren Zeitschrift AUTOMOBILSPORT einen Artikel über den Lotus 56. Beim Antrieb dieses Rennwagens vertrauten Lotus-Chef Colin Chapman und sein Chefdesigner Maurice Philippe auf eine Gasturbine. Das fand ich spannend. So begann ich zu stöbern, ob es weitere Gasturbinen-Projekte im Auto gab. Am Ende war ich überrascht. Denn es gab viele Projekte, die sich mit der Turbine als Autoantrieb befassten. Zudem wurde deutlich, dass sich der Autobau und die Luftfahrt gegenseitig immer wieder auf die Sprünge halfen.

Als nach dem Ersten Weltkrieg der Versailler-Vertrag deutschen Unternehmen den Bau von Flugzeugen und Flugzeug-Motoren verbot, da suchten Flugzeughersteller wie Hans Grade ihr Glück im Autobau. Ihre Autos konnten die Herkunft ihrer Entwicklers oft nicht leugnen. So war es auch nach dem Zweiten Weltkrieg bei SAAB. Etwa zeitgleich verdrängten die damals neuen Strahltriebwerke und Propellerturbinen in der Luftfahrt in kurzer Zeit die Kolbenmotoren. Dabei galten doch Flugmotoren wieder der Allison V-1710, der Daimler-Benz DB 605, der Junkers Jumo 211 oder der Rolls-Royce Merlin galten als Spitze des Motorenbaus.

Der Rover JET 1 war das erste Auto mit Gasturbine

Daher ist es kein Wunder, dass die Ingenieure bei den Autobauern damals mit Interesse zu den Flugzeugbauern herüberblickten. Rover war sogar auf beiden Seiten der Industrie zu Hause. Bereits 1939 bat die britische Regierung den Autobauer um Hilfe, die vom Piloten Frank Whittle entwickelten Strahltriebwerke zur Serienreife zu bringen. Auch wenn Rover die Rechte an diesen Triebwerken bald an Rolls-Royce abtrat, blieben die vom Strahltriebwerk abgeleiteten Gasturbinen auch bei Rover ein Thema. 1948 begann der britische Autobauer zusammen Rolls-Royce eine Gasturbine ins Auto zu verpflanzen.

Als Fahrgestell nutzte das Duo das Chassis eines Rover P4. Am 14. März 1950 fuhr der Rover JET 1 erstmals. Schon dabei trieb die rund 100 PS (74 kW) leistende Turbine den Zweisitzer auf eine Spitzengeschwindigkeit von 136 Kilometern pro Stunde. Der Name „JET“ irritiert etwas. Denn im Rover JET 1 gab es kein Strahltriebwerk. Die Entwickler verbanden die Welle der Turbine über eine Kupplung mit dem Antrieb des P4-Chassis. Diesem Prinzip, das die Briten für den Rover JET 1 vorgab, folgte die Mehrzahl der Gasturbinen-Projekte in den kommenden Jahren.

Rover entwickelte den Rover JET 1 kontinuierlich weiter

In den folgenden Jahren verbesserte der Autobauer seinen Rover JET 1 kontinuierlich weiter. Dank einer stärkeren Turbine standen 1952 bereits 230 PS (169 kW) Leistung zur Verfügung. Ingenieur Charles Spencer „Spen“ King sicherte sich mit einem Tempo von 244,56 Kilometern pro Stunde (151,965 Meilen pro Stunde) im Rover JET 1 über einen fliegenden Kilometer den Weltrekord für turbinengetriebene Fahrzeuge. King fuhr diesen Rekord im belgischen Jabbeke. Auf der dortigen Autobahn führte der Royal Automobile Club of Belgium in den 1940er und 1950er Jahren regelmäßig Rekordfahrten durch.

Einer der Nachfolger des Rover JET 1 war der Gasturbinen-Prototyp T3.
Einer der Nachfolger des Rover JET 1 war der Gasturbinen-Prototyp T3 (Foto: Tom Schwede)

Auf den Rover JET 1 folgte 1952 kurz nach der Rekordfahrt von King der wenig beachtete Rover T2. Rover verzichtete beim T2 im Unterschied zum Rover JET 1 auf publikumswirksam inszenierte öffentliche Fahrten. Erst mit dem vier Jahre später vorgestellten Rover T3 ging das Unternehmen wieder intensiv an die Öffentlichkeit. Wie schon der Urvater Rover JET 1 und der Rover T2 stammt auch das Fahrgestell des Rover T3 immer vom Chassis des Rover P4 ab. Trotzdem war der allradgetriebene Rover T3 der erste Prototyp, den Rover von Anfang an um die Gasturbine herum konstruierte.

Der Rover T4 war der Prototyp des Rover P6

Mit dem Rover T4 kündigte der britische Autobauer 1959 den P4-Nachfolger Rover P6 an. Die viertürige Limousine T4 nahm viele Designmerkmale des ab 1961 verfügbaren Rover P6 vorweg. Nur die flache Frontpartie des T4 sollte später so nicht mit dem P6 in Serie gehen. Genauso wie die vorne eingebaute Gasturbine, deren 140 PS (103 kW) im T4 über die Vorderräder auf die Straße gelangten. Interessantes Detail am Rande ist, dass Rekordfahrer King Projektleiter des Rover P6 war.

Rover T4 von 1959
Der Rover T4 von 1959 – fast schon der P6 (Foto: Matthias v.d. Elbe)

Beim Rover P6 dachte der Autobauer offensichtlich sehr ernsthaft über eine Gasturbine in der Serie nach. Als Beleg dafür gilt die vordere Radaufhängung. Denn dort sorgen Umlenkarme und horizontal angeordnete Schraubenfedern für einen ungewöhnlich breiten Motorraum und somit genug Platz für eine Gasturbine. Gleichzeitig wissen die Verantwortlichen, dass ein Serienanlauf viel Geld kosten wird. Turbinenbauer fertigen ihre Aggregate nur in vergleichsweise kleinen Stückzahlen. Selbst Lycoming, dessen Turbine Lycoming T53 den Erfolgshubschrauber Bell UH-1 antreibt, fertigte damals nur wenige Hundert Turbinen pro Jahr.

Rover versucht sich mit der Gasturbine in Le Mans

Zudem war völlig unklar, wie die Kunden auf den neuen Antrieb reagieren würden. Um für das Konzept zu werben, trat Rover mit der Gasturbine in Le Mans an. Dafür spannte der Autobauer mit British Racing Motors (B.R.M.) von Alfred Owen zusammen. B.R.M. gewann 1962 in der Formel 1 neben dem Titel der Konstrukteure mit Graham Hill auch die Fahrer-Weltmeisterschaft. Als ein Jahr später in Le Mans der Rover-B.R.M. Type 00 ins Rennen ging, da war das also auch das Projekt eines der besten Motorsport-Teams dieser Zeit.

Rover-B.R.M. von 1965
Rover-B.R.M. von 1965 (Foto: David Merret)

Das sorgte für Aufmerksamkeit, obwohl der Turbinen-Rennwagen außer Konkurrenz antrat. Le Mans-Veranstalter ACO hatte schon immer ein Herz für Experimental- und Konzeptfahrzeuge. Im Cockpit des Type 00 saßen mit Richie Ginther und Graham Hill die Formel-1-Piloten von B.R.M. und absolvierten 310 Runden. Ein regulärer Teilnehmer mit dieser Leistung hätte sich über Platz sieben freuen dürfen. Das gute Ergebnis sorgte auch ohne Wertung dafür, dass die Partner Rover und B.R.M. das Projekt fortsetzten. 1964 passte allerdings das Reglement noch nicht. Rover verzichtete auf einen Start.

Doch 1965 stand die Gasturbine mit einer neuen Karosserie wieder in Le Mans am Start. Jetzt gingen die Piloten Jackie Stewart und Graham Hill als reguläre Teilnehmer ins Rennen und beendeten das Rennen auf einem guten zehnten Platz. Doch dem Autobauer Rover ging langsam das Geld aus. Rover muss daher die Zusammenarbeit mit B.R.M. beenden. Zudem versucht der Autobauer seine wirtschaftlichen Probleme noch 1965 durch eine Fusion mit Alvis zu lösen. Doch auch das fusionierte Unternehmen schreibt weiter Verluste und wird zwei Jahre später Teil der Leyland Motor Company.

British Leyland beendet das Gasturbinen-Projekt

Als 1963 der Rover P5 auf den Markt kommt gibt es unter der Motorhaube zunächst einen Vierzylinder. Von der geplanten Turbine ist da schon nicht mehr die Rede. Daran ändert auch das Le Mans-Projekt nichts. Rover kann eine Turbinenproduktion in den notwendigen Stückzahlen nicht stemmen. Ab 1968 bekommt der Rover P5 als Top-Motorisierung einen V8 aus Amerika. Im gleichen Jahr schließt sich Leyland mit der British Motor Corporation (BMC) zur British Leyland Motor Corporation zusammen. Obwohl Gasturbinen-Pionier „Spen“ King auch bei British Leyland eine wichtige Rolle spielt, stellt British Leyland schließlich alle Projekte mit Gasturbinen ein.

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Als Kind der 1970er-Jahre hatte Tom das große Vergnügen, in einem ausgesprochen automobilen Umfeld aufzuwachsen. Das war der optimale Nährboden, um heute über Autos zu schreiben und regelmäßig am Mikrofon über Autos zu sprechen. Denn Tom Schwede moderiert seit 2010 bei großen Oldtimer- und Klassik-Veranstaltungen in Deutschland. So ist Tom unter anderem bei den Classic Days (früher Schloß Dyck, heute in Düsseldorf) oder dem 1.000 Kilometer-Rennen am Nürburgring zu hören. Wenn Sie also einen Moderator oder Streckensprecher für Ihre Oldtimer-Rallye oder Ihr Oldtimer-Treffen suchen, dann sind Sie bei Tom definitiv richtig!