Meinung und Kommentar

DMSB und die Nordschleife: Marketing statt Motorsport

Ich war ein paar Tage an der französischen Atlantikküste unterwegs – ohne permanent ins Internet zu schauen. Die Weite der Strände und die Abgeschiedenheit der Region eignen sich perfekt zum Abschalten und Ausruhen. Und sie sorgen für eine deutliche Distanz zum Alltag. Darüber lässt sich herrlich die Zeit verlieren. Und so glaube ich in diese Woche plötzlich, dass der 1. April sich in diesem Jahr verspätet hätte.

Rover Mini Gruppe A
Dieser Mini nahm einige Male am 24-Stunden-Rennen am Nürburgring teil. Bis er den großen Klassen weichen musste.

Denn die Tatsache, dass der DMSB als Sofortmaßnahme an drei Stellen der Nordschleife des Nürburgrings im Rennbetrieb Geschwindigkeitsbegrenzungen einführt, klingt – zurückhaltend gesagt – nach einem Widerspruch. Zusammen mit einer Leistungsbeschränkung der Top-Fahrzeuge um fünf Prozent sowie des Sperrens einiger Zuschauerbereiche soll diese Maßnahme die Wiederaufnahme des vollständigen Rennbetriebs ermöglichen. Damit ist die nach dem tragischen Unfall beim Saisonauftakt der VLN ausgesprochene Sperre der Nordschleife für die Fahrzeugklassen SP7, SP8, SP8T, SP9, SP-Pro, SP-X sowie Cup-2, die GT-Klassen der H4, die E1-XP1, E1-XP2 und E1-XP Hybrid bei Rennveranstaltungen aufgehoben.

Alles gut? Nein!

Zugegeben, meine Erfahrung auf der Nordschleife beschränkt sich primär auf Touristenfahrten mit einem VW GTI Anfang der 1990er-Jahre. Dazu war ich einige Male mit meinem historischen Mini bei GLP-Veranstaltungen am Start. Mit beiden Fahrzeugen bin ich nicht in die Geschwindigkeitsbereiche vorgedrungen, die die Spitze heute am Ring fährt. Trotzdem erlaube ich mir eine Meinung: Ähnlich wie die Formel 1 Mitte der 1970er-Jahre und die Gruppe C Anfang der 1980er-Jahre sind die aktuellen Fahrzeuge inzwischen zu schnell für die Strecke. Der tragische Unfall vor zwei Wochen hat das auf dramatische Art und Weise unterstrichen.

Nebenbei verdeutlicht der Unfall, wie sich die Zeiten geändert haben. Zumindest an der Spitze ist Motorsport heute ein Teil der Unterhaltungsindustrie. Auch am Ring hat sich dieser Wandel längst vollzogen. Ursprünglich war das 24-Stunden-Rennen – wie die VLN – Breitensport. Zur Gaudi der Zuschauer fuhren auch VW-Busse oder „Taxis“ im Rennen mit. Selbst als das Fernsehen das 24-Stunden-Rennen 1989 für sich entdeckte, waren die Amateure weitestgehend unter sich. Werkseinsätze gab es, wie 1987 Eggenberger oder zwei Jahre später Schnitzer nur vereinzelt. Trotzdem – oder gar deswegen – pilgerten die Fans an die Nordschleife – auch wenn die Besucherzahlen weit von heutigen Zahlen entfernt waren.

Zeitenwende 1999

Das Fernsehen, die Aufmerksamkeit der Fans und der Mythos Nordschleife machte das Rennen für die Werke immer interessanter. 1999 legten die Veranstalter den Schalter um. Seit dem rennt an der Spitze keine seriennahe Massenware (Gruppe-N) mehr. In den vergangenen zehn Jahren entbrannte mit den GT3-Fahrzeugen dann ein relativ breiter Wettbewerb an der Spitze des Felds. Das macht das Thema komplex, wie Mike Frison richtig darstellt. Inzwischen sind mit Audi, Bentley, BMW, McLaren, Mercedes, Nissan und Porsche alle wichtigen Player der GT3-Szene am Ring am Start. Dazu gibt es Exoten wie Lamborghini oder den Glickenhaus.

Alles zusammen lockte immer mehr Zuschauer in die Eifel. Dazu kamen auch „Größen“ wie Conchita Wurst oder Thomas Gottschalk. Im Rennen darf inzwischen auch ein Stratosphären-Springer seine Runden drehen. Dafür fehlen auf der Strecke schon einige Jahre die Kleinwagen – sie waren ein Sicherheitsrisiko für die schnellen Fahrzeuge. Und auch einen VW-Bus sehen Fans nur noch am Streckenrand. Mit den schnellen Autos und der Prominenz kamen die VIP-Zonen. Mit ihnen wurden wirtschaftlich interessante Sponsorpakete möglich, taten sich andere Verdienstmöglichkeiten auf.

Alles zusammen für den ADAC Nordrhein, den DMSB, die Streckenbetreiber und einige andere offensichtlich lukrativ. Kurzum, das Rennen auf der Nordschleife wurde zum großen Geschäft. Der tragische Unfall beim Saisonauftakt beeinträchtigt das Geschäft jetzt. Das klingt zynisch, ist aber leider so. Doch Geschäft sorgt immer auch für Verpflichtungen. Deshalb muss die Show einfach weitergehen. Zurück ist immer schwierig – gerade wenn die aktuellen Honigtöpfe so gut schmecken.

Und jetzt?

An diesem Wochenende steht am Nürburgring das Qualifikationsrennen an. Dort wäre ohne die großen Autos ziemlich viel Luft auf der Strecke. Schon vor einem Jahr umfasste die Starterliste dieses Rennens nur rund 50 Starter. Wie viele Starter das Rennen am kommenden Wochenende wohl ohne die Top-Fahrzeuge hätte? Da ist es sicherlich nicht nur Kundenservice, dass die Veranstalter die Nennfrist verlängerten.

Die Tage am Strand habe ich mir mit der notwendigen Distanz so meine Gedanken gemacht, wie es auf der Nordschleife weitergehen kann. Natürlich gibt es im Motorsport keine absolute Sicherheit. Doch Zuschauer und Fahrer haben ein Recht auf Schutz. Das versucht der DMSB mit dem aktuellen Maßnahmenpaket. Natürlich nicht, ohne seine eigenen wirtschaftlichen Interessen zu wahren. Dafür ist die Cashcow 24-Stunden-Rennen einfach zu attraktiv.

Deshalb löst – seit Jahren – keine der Maßnahmen, die den Rennbetrieb sichern wollen, tatsächlich die bestehenden Probleme. Schon GPS-Signalüberwachung und Code-60 haben die Teams zunächst Geld gekostet und dann auch noch zusätzlichen Schrott auf der Strecke produziert. Der Nutzen des Nordschleifen-Permits ist ebenfalls zweifelhaft. Die zusätzliche Lizenz kostet Geld, das nicht für die Autos zur Verfügung steht. Für die Werke fällt das nicht ins Gewicht.

Freiwilliger Leistungsverzicht?

Jetzt sollen die Top-Fahrzeuge fünf Prozent ihrer zurücknehmen. Klingt gut, aber was ist denn eigentlich die (jeweilige) Ausgangsbasis der zahlreichen Fahrzeuge? Die kennen doch nur die Teams und Hersteller. Das macht diese „Regel“ von Anfang an schwammig. Ich bezweifle, dass das wirklich kontrollierbar ist. Zumal ein freiwilliger Verzicht in harten Wettbewerbssituationen der Erfahrung nach meist nicht funktioniert.

Dazu dann noch die Sache mit den Geschwindigkeitsbegrenzungen. Wer es mit den Verantwortlichen gut meint, der betrachtet die drei Zonen mit Geschwindigkeitsbegrenzung als virtuelle Schikanen. Doch besonders die 250 auf der Döttinger Höhe haben es meiner Meinung nach in sich. Bisher hat die lange Gerade zu steile Flügel verhindert. Mit der Begrenzung lassen sich die Flügel steiler als bisher einstellen. Damit steigen die Kurvengeschwindigkeiten. Besonders die „Mutkurve“ im Klostertal wird „aufregend“. Gut möglich, dass der eine oder andere Reifenhersteller seit der Verkündung der Nachricht nachdenklich ist.

Dazu stört mich, dass die Entscheidungsfindung des DMSB nicht sehr transparent ist. Auf der Webseite des DMSB heißt es:

Vor der Entscheidung des DMSB-Präsidiums hatte eine Expertenrunde aus Vertretern des Rennstreckenbetreibers, der Automobilhersteller, von Profirennfahrern und Breitensportlern, der Veranstalter sowie DMSB-Sicherheits- und Technikexperten in Frankfurt getagt, um Lösungsvorschläge zu erarbeiten.

Es wird immer deutlicher, wie miserabel die Öffentlichkeitsarbeit des DMSB ist. Natürlich mussten die Verantwortlichen handeln. Das ist unbestritten. Doch im Moment schützen sie einseitig die Interessen der Industrie. Das lässt für die Zukunft nichts Gutes hoffen.

Zudem sollte es eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, dass der DMSB die Betroffenen in seine Entscheidungen einbezieht. Doch dabei wäre mehr Transparenz wünschenswert. Schon erstaunlich, dass es Informationen zu den Teilnehmern der Expertenrunde zunächst nur einen Artikel von Wilhelm Hahne gab.

Gestern meldete sich dann bei Facebook mit Dirk Adorf immerhin ein Teilnehmer der Runde zu Wort. Stark, denn der Rennfahrer ist sicherlich kein PR-Profi. Das macht seine offenen Worte authentisch. Doch besonders die Hinweise auf die bei einem Verbot der GT3 gefährdeten Arbeitsplätze erinnern mich an eine Szene im Spielfilm „Good bye Lenin!“. Dort wünscht – in Kenntnis des Untergangs der „DDR“ – ein alter Genosse, einer Frau, die vom Untergang der „DDR“ nichts weiß, dass alles wieder so wird wie früher.

Worum geht es denn eigentlich?

Ich glaube, dass es zurzeit am Nürburgring ein Problem mit den Fahrzeugen gibt. Die aktuellen Maßnahmen des DMSB verschieben das Problem in Richtung einer Streckendiskussion. Getreu dem Motto, wenn der Bauer nicht schwimmen kann, ist es der See! Ich halte diese Verschiebung der Diskussion für eine gefährliche Entwicklung.

Besonders schwach in diesem Trauerspiel ist die Rolle von DMSB-Präsident Hans-Joachim Stuck. Der Gaudi-Bursche war schon in seiner aktiven Zeit im Wesentlichen abseits der Strecke Weltklasse. Legendär hauptsächlich die Streiche, die Stuck seinen Teamkollegen spielte. Als Funktionär fehlt Stuck offensichtlich Format. Bisher hielt ich Stuck in seiner neuen Rolle für einen Grüß-August. Doch in der aktuellen Meldung des DMSB spielt Stuck alleine das Sprachrohr. Damit macht sich Stuck zur Stimme eines Systems, das im Moment so wirkt, als ob das „M“ im DMSB für Marketing steht.

Denn im Sinne des Motorsports wäre nur ein sofortiger und konsequenter Schnitt der richtige Schritt. Der soll jetzt 2016 folgen. Auch wenn ich nicht glaube, dass das 24-Stunden-Rennen und die VLN ohne schnelle Fahrzeuge funktionieren würden. Denn wollen Fans und Fahrer wirklich zurück zu den Fahrzeugen der Gruppe N? Dirk Adorf gibt dazu in seinem Posting übrigens eine klare Antwort!

Wie schnell die Schnellsten am Ring sein müssen?

Mir persönlich gefallen die GT4-Fahrzeuge. Sie sind deutlich günstiger als die aktuellen Top-Fahrzeuge. Trotzdem haben sie einen gewissen Reiz. Gut möglich aber, dass die Verantwortlichen in Frankfurt (DMSB) und Köln (ADAC Nordrhein) die GT4 zu stark mit deren Promotor SRO verbinden und keinen weiteren Spieler an ihren Futtertrog holen wollen.

Grundsätzlich scheint klar, um den Rennbetrieb auf der Nordschleife dauerhaft zu sichern, müssen die VLN und die Verantwortlichen des 24-Stunden-Rennens selbst Hüter ihres Regelwerkes werden. Dazu müssten sie – ähnlich wie der ACO für Le Mans oder eben auch die SRO – ihre eigene BOP definieren. Gerade mit der starken Marke „Nordschleife“ im Hintergrund muss das möglich sein. Das wäre dann tatsächlich ein großer Schritt ohne Denkverbot und macht das Tempolimit zu einer vorübergehenden Erscheinung.

AutoNatives.de ist auch bei Facebook. Wir freuen uns über ein Like.







Themen in diesem Artikel:

Als Kind der 1970er-Jahre hatte Tom das große Vergnügen, in einem ausgesprochen automobilen Umfeld aufzuwachsen. Das war der optimale Nährboden, um heute über Autos zu schreiben und regelmäßig am Mikrofon über Autos zu sprechen. Denn Tom Schwede moderiert seit 2010 bei großen Oldtimer- und Klassik-Veranstaltungen in Deutschland. So ist Tom unter anderem bei den Classic Days (früher Schloß Dyck, heute in Düsseldorf) oder dem 1.000 Kilometer-Rennen am Nürburgring zu hören. Wenn Sie also einen Moderator oder Streckensprecher für Ihre Oldtimer-Rallye oder Ihr Oldtimer-Treffen suchen, dann sind Sie bei Tom definitiv richtig!