Mercedes-Benz W 140: Unterwegs in der King-Size S-Klasse von 1991

Ich war mit einem S 320 aus den 1990er-Jahren unterwegs. Die S-Klasse galt damals als das beste Auto der Welt.

1991 stellte die damalige Daimler-Benz AG ihre neue S-Klasse vor. Der Vorgänger war schon seit zwölf Jahren auf dem Markt. Entsprechend groß waren die Erwartungen. Doch schon beim Debüt sorgte die Baureihe W 140 für Ernüchterung. Davon unbeirrt hielt sein Hersteller sein Spitzenmodell für das beste Auto der Welt. Damals ein unerreichbarer Traumwagen, war ich jetzt mit dem Mercedes-Benz der Baureihe W140 unterwegs.

Vor drei Jahrzehnten lebten wir in einer anderen Welt. Im November 1989 öffnete sich plötzlich der Eiserne Vorhang. Im Sommer 1990 gewann Deutschland zum dritten Mal die Fußball-Weltmeisterschaft. Wir waren, wie die Bild Zeitung erst kürzlich in einem Rückblick schrieb, die Besten der Welt. Wer in dieser Zeit etwas auf sich hielt, der fuhr eine S-Klasse von Mercedes-Benz. Die Baureihe W 126 – immerhin schon seit 1979/80 auf dem Markt – war das Auto der Staats- und Konzern-Lenker. Wobei BMW seit 1986 mit seinem 7er (E32) kräftig an diesem Status kratzte. Denn bei BMW gab es sogar einen Zwölfzylinder. Das galt traditionell als Krone des Motorbaus. Trotzdem beschränkte sich Mercedes-Benz auf Achtzylinder.

Die S-Klasse von Mercedes-Benz setzte Maßstäbe – und zog Kritik auf sich!

Als im März 1991 die neue S-Klasse bei Daimler-Benz Premiere feierte, waren die Erwartungen groß. Zweifelsfrei war diese Baureihe, die auf dem Genfer Autosalon debütierte, technologisch ein Sprung in die Moderne. Denn als erster Mercedes vernetzte Daimler Benz mit seinem neuen Spitzenmodell die Steuergeräte mit einem CAN-Bus. Im Vergleich zum Vorgänger legte die Baureihe in allen Maßen deutlich zu. Das unterstrich den Führungsanspruch der Marke Mercedes-Benz. Die serienmäßige Doppelverglasung belegte den Qualitätsanspruch optisch. Trotzdem war die Enttäuschung der Presse groß. Denn im Vergleich zum BMW 7er sowie dem seit 1989 verfügbaren Lexus LS 400 wirkte der Merecdes protzig und unproportioniert.

Die S-Klasse der Baureihe W 140 von Mercedes-Benz.
Das Design der S-Klasse von 1991 polarisierte beim Debüt der Baureihe. Daimler-Benz legte es bereits 1987 fest. Gut möglich, dass die Baureihe Ende der 1980er-Jahre besser funktioniert hätte. (Foto: Karla Schwede)

Verantwortlich für die Gestaltung der Baureihe W 140 war der französische Designer Olivier Boulay. Die Kritik traf Daimler-Benz hart. Und sie setzte sich überraschend in den ersten Testberichten fort. Denn die Journalisten, die die neue S-Klasse ausprobieren durften, bemängelten unisono ihre Unübersichtlichkeit. Daimler-Benz reagierte und rüstete automatisch ausfahrende Peilstäbe in den hinteren Kotflügeln nach. Heute sind Sensoren, die den Raum hinter dem Fahrzeug ausmessen, Standard. 1991 war das in Stuttgart offenbar noch keine Option. Dabei gab es bei Toyota bereits seit 1982 eine Einparkhilfe auf Ultraschallbasis.

Die Peilstäbe der S-Klasse wurden zum Symbol!

Stattdessen koppelten die Entwickler das Ausfahren von 6,5 Zentimeter langen Peilstäben an das Einlegen des Rückwärtsgangs. Zweifelsfrei eine innovative, aber auch sehr mechanische Lösung. Der Schuss ging nach hinten los. Denn die Peilstäbe verstärkten den Spott. Kritiker sahen in ihnen das Eingeständnis, ein unübersichtliches Auto anzubieten. Erst 1995 setzte auch Daimler-Benz auf Ultraschall-Sensoren. Da spielte längst keine Rolle mehr, ob die S-Klasse das beste Auto der Welt war. Angesichts ihrer Größe und ihres Gewichts von 1,9 Tonnen galt diese Generation des Daimler-Spitzenmodells längst als Dinosaurier.

Doppelverglasung der S-Klasse von 1991
Die Doppelverglasung der Baureihe W 140 war 1991 sichtbares Zeichen von Qualität – zumindest sah Daimler-Benz das so. Tatsächlich trieb das das Gewicht der Baureihe deutlich nach oben. Zudem waren später oft beschlagene Scheiben zu sehen, wenn sich Feuchtigkeit zwischen den Scheiben festsetzte. (Foto: Karla Schwede)

Die Entwicklung der Baureihe begann übrigens bereits gut zehn Jahre vor dem Debüt. Bereits 1987 froren die Verantwortlichen die Entwicklung ein, um den Serienanlauf zu starten. Etwa zeitgleich verlor der Vorgänger einen Vergleichstest der Zeitschrift „auto, motor und sport“ gegen den Zwölfzylinder aus München. Als dann noch Toyota seinen ersten Lexus vorstellte, klingelten in Stuttgart endgültig die Alarmglocken. Um die Marktposition der S-Klasse zu festigen, begann ein Programm zur Nachbesserung. Doch das führte zu einer Überschreitung der Kostenplanung. Ein Umstand, der schließlich sogar Chefentwickler Wolfgang Peter seinen Job kosten sollte.

Die Nachbesserung verlängerte die Laufzeit des Vorgängers und sorgte für einen verspäteten W 140-Start!

Um so ernüchternder waren die ablehnenden Reaktionen der Öffentlichkeit auf die neue S-Klasse. Wobei der Vertrieb der Daimler-Benz AG die neue Generation trotz aller Kritik der Öffentlichkeit gut annahm. Denn 1992, im ersten vollen Jahr, brachte der Vertrieb weltweit mehr als 70.000 Exemplare des Debütanten auf die Straße. Doch es war ein Strohfeuer. Denn schon ein Jahr später brach der Absatz auf nur noch 53.000 Exemplare ein. Die Kritik wirkte offensichtlich, die Kunden entschieden sich zunehmen für die Alternativen. Auch wenn im Rückblick vieles, was damals für Kritik sorgte, wohl überzogen war.

Den Antrieb des Mercedes-Benz S 320 übernimmt ein Sechszylinder.
Den Antrieb des Mercedes-Benz S 320 übernimmt ein Sechszylinder.

Mit der Geschichte des Modells im Kopf steige ich in den S 320 ein. Der Sohn einer Freundin unser Fotografin Karla fährt diese S-Klasse von Merecdes bis heute im Alltag. Der Innenraum ist großzügig. Das Armaturenbrett füllten Anfang der 1990er-Jahre noch analoge Instrumente. In der Mitte steht der große Tacho. Rechts daneben sitzen ein Drehzahlmesser sowie eine Uhr. Links vom Tacho gibt es ein Kombiinstrument. Es zeigt den aktuellen Verbrauch sowie die Wasser-Temperatur und den Öldruck an. Ganz außen folgt auf der linken Seite noch eine Tankuhr. An der Unterkante des Armaturenbretts gibt es eine ganze Armada von Warnlampen.

Wie fährt sich die S-Klasse der Baureihen W 140?

Heute reicht dafür ein Display in der Größe eines iPads. Wobei es auch 1991 schon einen Hauch Digitales gab. Denn im Tacho sitzen zwei kleine Digitaldisplays. Sie erinnern an Taschenrechner der 1980er-Jahre und zeigen den Kilometerstand an. Vor den Anzeigen steht das große Lenkrad. In dessen Mitte lässt der Stern keinen Zweifel, dass ich in einem Mercedes sitze. Mir fällt auf, wie großzügig Daimler-Benz sein Schmuckstück verglaste. Den Blick nach vorne und zur Seite trübt hier nichts. Das hat durchaus eine gewisse Symbolik. Wer hier sitzt, vor dem liegt die Welt. Ich starte den Sechszylinder

Innenraum der Baureihe W 140
Im Innenraum der Baureihe W 140 geht es großzügig zu. Ich habe die Anzahl der Knöpfe und Anzeigen nicht gezählt. Aber geführt bin ich noch nie ein Auto gefahren, das mehr davon hatte. (Foto: Karla Schwede)

Jetzt wird das – wie Daimler-Benz überzeugt war – beste Auto seiner Zeit dem eigenen Anspruch gerecht. Denn ich höre fast gar nichts und schaue prüfend auf den Drehzahlmesser. Er belegt, dass der Motor läuft. Nur ein leises Brummen dringt an meine Ohren vor. Zur natürlichen Laufruhe des Sechszylinders kommt die gute Isolierung des Fahrzeugs. Das war 1991 sicherlich der Klassenmaßstab. Ich greife zum Hebel des 4-Stufen-Automatikgetriebes, um den Rückwärtsgang einzulegen. Beim Blick nach hinten kann ich die zeitgenössische Kritik an der Unübersichtlichkeit nachvollziehen.


Die S-Klasse der Baureihe W 140 definierte 1991, was Fahrkomfort war!

Zum Glück habe ich genug Platz und kann das 5,11 Meter lange Fahrzeug ohne Probleme wenden. Ich verlasse den Parkplatz und fahre auf die Straße. Noch bin ich in der Innenstadt unterwegs. Vor mir, dem Mercedes und der Hauptstraße liegen einige künstliche Bodenwellen. Fahrwerkstechniker bezeichnen diese in die Straße eingelassenen Hindernisse als Anregungen. Die S-Klasse steckt diese auf meiner Testfahrt locker weg. Ich höre ein sanftes Geräusch, spüre allenfalls einen leichten Stoß und gleite ansonsten weitestgehend ungerührt über das Hindernis hinweg. Kein Zweifel, beim Federungskomfort ist dieses Auto Weltspitze. Das galt 1991 und das gilt bis heute.

Alles an der Baureihe W 140 wirkt haltbar. Das gilt auch für die Scheibenwischer der Scheinwerfer.
Alles an der Baureihe W 140 wirkt haltbar. Das gilt auch für die Scheibenwischer der Scheinwerfer. (Foto: Karla Schwede)

Dieses Urteil zog sich auch Anfang der 1990er-Jahre durch alle Farbberichte. Auf der Hauptstraße beschleunige ich sanft. An der Geräuschkulisse ändert sich praktisch nichts. Ich kontrolliere mehrfach mit Hilfe des Drehzahlmessers, ob die Kurbelwelle des Motors meiner mit dem Gasfuß übermittelten Anweisung folgt. Damit wir uns nicht missverstehen, die S-Klasse ist kein Sportwagen. Sie ist eher ein souveräner Raumgleiter. Die Landschaft zieht an den großen Fensterflächen vorbei. Das wirkt fast wie ein 3D-Kino. Die Doppelverglasung ist der Damm, der die Welt in hier drinnen und dort draußen teilt.

„Die da oben, wir hier unten!“

Doch schon nach kurzer Fahrt frage ich mich, sitze ich auf dem richtigen Platz, um dieses Auto zu beurteilen. Denn die S-Klasse ist kein Selbstfahrer-Auto. Die Mehrzahl ihrer Besitzer lässt sich traditionell fahren und nimmt dafür auf der Rückbank Platz. Denn wie sein Vorgänger war auch die Baureihe W 140 ein Auto der Bosse. Doch sie war am Ende das richtige Auto zur falschen Zeit. Denn die Diskussion über die Größe verschwand nie. Zudem erkannte die Konkurrenz ihre Chance. Ab 1994 zog BMW mit seiner dritten Generation der 7er-Baureihe vorbei. Auch Audi jagte mit dem A8 Mercedes erfolgreich Kunden ab.

Die S-Klasse wäre kein Mercedes (ihrer Zeit), wenn nicht der Stern den Weg weisen würde.
Die S-Klasse wäre kein Mercedes (ihrer Zeit), wenn nicht der Stern den Weg weisen würde. (Foto: Karla Schwede)

Gegen dieses Auto sprach wohl auch, dass der Rausch der Einheit bald hinter uns lag! Gerade in Deutschland verstummte die Kritik an der Baureihe W 140 nie. Für „auto, motor und sport“ war ein Coupé der Baureihe in einem Test „elefantös“. Als der ADAC eine S-Klasse im Crashtest auf einen VW Golf prallen ließ, kippte die Stimmung endgültig. Denn der Mercedes verformte sich kaum. Den Volkswagen zerstörte der Aufschlag fast vollständig. Damit wurde das Spitzenmodell von Daimler-Benz auch zu einem Symbol des Klassenkampfs. Das ließ auch die Kunden nicht kalt. Besonders in Deutschland war es nun endgültig uncool, die S-Klasse zu fahren.

Heute gilt die S-Klasse der Baureihe W 140 als verkannt!

Trotzdem pflegte Daimler-Benz sein Spitzenmodell kontinuierlich weiter! Gut gepflegte Fahrzeuge, wie ich eins fahren konnte, unterstreichen auch nach drei Jahrzehnten den Anspruch von Modell und Marke. Deshalb ist mein Fazit eindeutig: Die S-Klasse der Baureihe W 140 war ein automobiles Meisterstück.

Danke, Rudi für dieses Erlebnis!


Infos zum Titelbild dieses Beitrags:
Ich war mit einem Mercedes-Benz S 320 der Baureihe W 140 aus den 1990er-Jahren unterwegs. Die S-Klasse galt damals als das beste Auto der Welt.

Rudi

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Ein Beitrag von:

Als Kind der 1970er-Jahre hatte Tom das große Vergnügen, in einem ausgesprochen automobilen Umfeld aufzuwachsen. Das war der optimale Nährboden, um heute über Autos zu schreiben und regelmäßig am Mikrofon über Autos zu sprechen. Denn Tom Schwede moderiert seit 2010 bei großen Oldtimer- und Klassik-Veranstaltungen in Deutschland. So ist Tom unter anderem bei den Classic Days (früher Schloß Dyck, heute in Düsseldorf) oder dem 1.000 Kilometer-Rennen am Nürburgring zu hören. Wenn Sie also einen Moderator oder Streckensprecher für Ihre Oldtimer-Rallye oder Ihr Oldtimer-Treffen suchen, dann sind Sie bei Tom definitiv richtig!

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