Der Große Preis von Belgrad war der letzte bedeutende Sieg von Tazio Nuvolari. Denn nach dem Rennen stoppte der Zweite Weltkrieg das Renngeschehen in Europa. Damit endete auch die erfolgreiche Karriere des italienischen Spitzenfahrers. Wir blicken auf den einzigen Grand Prix zurück, der während des Zweiten Weltkriegs in Europa stattfand.
Tazio Nuvolari gehörte vor dem Zweiten Weltkrieg zu den Stars des internationalen Rennsports. Als sein absolutes Meisterstück gilt, wie der Italiener 1935 den Großen Preis von Deutschland gewann. Denn dabei rang Nuvolari im Alfa Romeo die überlegenen Silberpfeile auf der Nordschleife des Nürburgrings nieder. Das war für die deutsche Propaganda der NS-Diktatur ein herber Schlag. Da half auch nicht, dass mit Tazio Nuvolari ein Pilot aus dem verbündeten Italien gewann. Der Stachel der Niederlage saß tief. Denn mit seinem Sieg verhinderte Nuvolari – ausgerechnet beim Heimspiel der Deutschen – den totalen Durchmarsch der deutschen Rennwagen. Die sechs weiteren Grandes Épreuves, die 1935 die Europameisterschaft bildeten, wurden allesamt zur Beute der deutschen Hersteller. Mercedes-Benz gewann die fünf Rennen in Monaco, in Frankreich, in Belgien, in der Schweiz sowie in Spanien. Für die Auto Union siegte Hans Stuck in Monza beim italienischen Grand Prix.
Alfa Romeo verlor den Anschluss an die Spitze – Tazio Nuvolari erklärte seinen Rücktritt!
In den kommenden Jahren verlor Alfa Romeo immer weiter den Anschluss an die deutschen Hersteller. Im April 1938 kollabierte beim Training zum Grand Prix von Pau der Benzintank seines Alfa Romeo. Frustriert von seinem unzuverlässigen Rennwagen erklärte Tazio Nuvolari seinen Rücktritt. Der Italiener litt zu dieser Zeit auch unter dem frühen Tod seines Sohns Giorgio. Denn dieser starb Ende 1937 mit nur 19 Jahren an einer Entzündung des Herzmuskels. Doch der Auto Union fehlte nach dem tödlichen Unfall ihres Superstars Bernd Rosemeyer ein echter Spitzenfahrer. Daher entstand in der Firmenzentrale in Chemnitz sowie bei Chassis-Konstrukteur Porsche ein verwegener Plan. Ende Mai kontaktierte die Auto Union den zurückgetretenen Tazio Nuvolari, der sich gerade in Nordamerika aufhielt. Der Italiener sagte zu und feierte so im Auto Union Typ D ein schnelles Comeback.
Beim Debüt auf dem Nürburgring fiel der Rückkehrer noch aus. Das Rennen im Berner Bramgarten beendete Nuvolari überrundet auf dem neunten Platz. Offenbar benötigte auch ein Extrakönner etwas Zeit, um sich an das radikale Mittelmotorauto einzustellen. Doch schon im September war dieser Prozess abgeschlossen. Denn bei seinem Heimrennen im königlichen Park von Monza siegte der „Fliegende Mantuaner“ („Mantovano volante“) überlegen. Tazio Nuvolari ging vom fünften Startplatz ins Rennen und überrundete alle anderen Teilnehmer. Fünf Wochen später holte der Auto Union-Pilot beim Großen Preis von Donington einen weiteren Grand Prix-Sieg. Doch dieses Rennen zählte 1938 nicht zur Grand Prix-Europameisterschaft.
Bei der Auto Union saß Tazio Nuvolari endlich in einem zuverlässigen Auto!
Damit ging Tazio Nuvolari 1939 als Favorit in die neue Saison. Beim Eifelrennen, das nicht zur Europameisterschaft zählte, bereiteten sich viele Toppiloten auf den Grand Prix an gleicher Stelle vor. Im Rennen lieferte sich Nuvolari ein packendes Duell mit Herman Lang. Am Ende siegte der Mercedes-Fahrer knapp. Bei den EM-Rennen in Belgien, Frankreich und Deutschland sah Tazio Nuvolari keine Zielflagge. Erst beim Rennen in der Schweiz, im August gelang Nuvolari als Fünfter eine Zielankunft. Damit belegte der Auto Union-Pilot „nur“ den vierten Rang in der EM-Wertung. Die EM-Wertung führte übrigens Nuvolaris Teamkollege Herman Paul Müller an, der damit als Europameister galt. Denn mit dem Rennen im Berner Bremgarten am 20. August 1939 war die EM-Saison bereits offiziell zu Ende.
Doch nicht einmal zwei Wochen später marschierte Hitlers Wehrmacht in Polen ein. Damit begann der Zweite Weltkrieg. Der Tross der Grand Prix-Piloten weilte zeitgleich in Belgrad. Während es in Deutschland hieß „seit 5:55 Uhr wird zurückgeschossen“, fanden auf dem Kalamegdan Park Circuit die Trainingsläufe statt. Der Kalamegdan Park Circuit war ein 2,79 Kilometer langer Stadtkurs im Herzen der heutigen Hauptstadt von Serbien. Ein großer Teil der Strecke, die auch durch den Kalemegdan Park führte, verlief über Kopfsteinpflaster. Am Start auf der „Knez Mihailova ulica“ genannten Prachtstraße von Belgrad kreuzten die Schienen der Straßenbahn die Rennstrecke. Schirmherrin des Rennens war Königin Maria von Jugoslawien, die selbst als begeisterte Autofahrerin galt. Der Große Preis von Belgrad galt als Höhepunkt der Feierlichkeiten zum 16. Geburtstag ihres Sohns Peter, der seit vier Jahren als Peter II. König von Jugoslawien war.
Der Große Preis von Belgrad blieb einzigartig!
Die Nachricht vom deutschen Überfall auf Polen erreichte die Teilnehmer noch am gleichen Tag. Teilnehmer wie Raymond Sommer, der für das Alfa Romeo Werksteam antreten wollte, reiste sofort ab. Auch das Maserati-Werksteam mit Luigi Villoresi und Paul Pietsch verzichtete auf einen Start. Die Teams von Mercedes-Benz und der Auto Union traten ungerührt an. Der Renntag begann mit einigen Vorrennen. Dabei traten sowohl Autos als auch Motorrädern an. Gut 100.000 Zuschauern säumten den Streckenrand. Doch während des Rennsonntags erklärten Großbritannien und Frankreich dem Deutschen Reich den Krieg. Zumindest Manfred von Brauchitsch zeigte ein Gewissen. Der Neffe von Generaloberst Walther von Brauchitsch, dem Oberbefehlshaber des Heeres, fuhr zum Flughafen in Bežanija, um ebenfalls abzureisen. Mercedes-Rennleiter Alfred Neubauer raste in einem Auto hinterher. Auf dem Rollfeld des Flughafens überzeugte Neubauer seinen Piloten, doch das Rennen zu fahren.
Denn zuvor konnte sich der Mercedes-Pilot den besten Startplatz sichern. Von Brauchitsch steuerte einen Mercedes-Benz W 154 mit drei Liter großem V12-Kompressormotor (M 163). Damit ging der gebürtige Hamburger als Favorit ins Hauptrennen. Das nahmen um 16:45 Uhr Ortszeit letztlich nur fünf Autos auf. Zu je zwei Rennwagen der Auto Union und von Mercedes-Benz gesellte sich nur ein Bugatti T51. Den steuerte mit Boško Milenković ein Lokalheld. Bei heißem Wetter hatten alle Teilnehmer Probleme mit dem Belag der Strecke und ihren Reifen. Herman Lang gab das Rennen auf als ein Stein die Schutzbrille des Deutschen durchschlug. Nach einer Fahrzeit von 1:04:03,8 Stunden und 50 Runden gewann Tazio Nuvolari im Auto Union das Rennen. Manfred von Brauchitsch erreichte das Ziel nur 7,6 Sekunden später. Europameister Hermann Paul Müller folgte im zweiten Auto Union nach 31,6 Sekunden. Der Große Preis von Belgrad endete für Lokalmatador Milenković mit 19 Runden Rückstand und Platz vier.
Mit dem Grand Prix von Belgrad endete die europäische Grand Prix-Saison – bis 1945!
Nach dem Rennen in der Hauptstadt von Jugoslawien brach die Commission Sportive Internationale (CSI) im Automobil-Weltverband Association Internationale des Automobile Clubs Reconnus (AIACR) die europäische Motorsport-Saison vorzeitig ab. So war der Große Preis von Belgrad der einzige europäische Grand Prix während des Zweiten Weltkriegs. Die Topklasse des internationalen Motorsports sollte übrigens bis heute nicht nach Belgrad zurückkehren. Denn mit der Besetzung Jugoslawiens durch die Wehrmacht und ihre Verbündeten 1941 ging das Königreich unter. Nach Kriegsende entstand die Föderative Volksrepublik Jugoslawien unter der Führung des Alleinherrschers Josip Broz Tito. Der Motorsport fand vor allem auf einem Preluk genannten Straßenkurs bei Opatija seine Heimat. Später eröffnete mit dem Automotodrom Grobnik bei Rijeka in Jugoslawien auch eine permanente Rennstrecke. Losgelöst davon war der Sieg in den Straßen von Belgrad der letzte große Triumph in der Karriere von Tazio Nuvolari. Zwar kehrte der Ausnahmekönner nach dem Krieg noch einmal ins Cockpit zurück. Doch da war Nuvolari schon schwer von einer Lungen-Krankheit gezeichnet. Trotzdem fuhr der Italiener bis 1950 weiter und gewann sogar noch einige kleinere Rennen. 1953 starb Tazio Nuvolari nach seinem zweiten Schlaganfall mit nur 60 Jahren.
Der Große Preis von Belgrad in Zahlen:
Platz | Fahrer | Auto | Startnummer | Runden | Zeit |
1 | Tazio Nuvolari | Auto Union D | 4 | 50 | 1:04:03.8 |
2 | Manfred von Brauchitsch | Mercedes-Benz W154 | 6 | 50 | + 7.6s |
3 | Hermann Paul Müller | Auto Union D | 8 | 50 | + 31.6s |
4 | Boško Milenković | Bugatti T51 | 12 | 31 | +19 Runden |
Ret | Hermann Lang | Mercedes-Benz W154 | 2 | 17 | Unfall / Rückzug |