Jaguar verstand sich von Anfang an als Hersteller leistungsfähiger Sportwagen. Bis in die 1950er-Jahre unterstrich der britische Autobauer diesen Anspruch regelmäßig mit Rekordfahrten. Stolz trugen die Modelle XK120 oder XK140 ihr Spitzentempo (in Meilen) im Namen. 1961 schuf Jaguar mit dem E-Type nochmals eine Sportwagen-Ikone. Fünf Jahre später fusionierte Firmengründer William Lyons sein Unternehmen mit der British Motor Corporation. Um die Zukunft zu sichern, sollte Jaguar fortan unter dem Dach des größten britischen Autokonzerns den Luxusmarkt bedienen. So wurden im Laufe der Zeit bei Jaguar die Limousinen immer wichtiger. Doch BMC schloss sich 1968 mit Leyland Motors zur British Leyland Motor Corporation (BLMC) zusammen.
Jaguars wurde Teil der BLMC, kehrte in die Unabhängigkeit zurück und landete bei Ford!
Das zog Jaguar fast in den Abgrund. Denn die BLMC war chronisch defizitär und fuhr mit Vollgas in die Krise. 1975 ging dem Unternehmen das Geld aus. Die britische Regierung verstaatlichte die BLMC, um die 170.000 Arbeitsplätze des Konzerns zu schützen. Wobei Jaguar in dieser Zeit für sich betrachtet zu den wenigen profitablen Konzernbestandteilen gehörte. Doch Sportwagen – immerhin einst die DNA der Firma – verkamen bei Jaguar unter BLMC fast zu einer Randnotiz. Der Mittelmotor-Sportwagen XJ13 kam schon Anfang der 1970er-Jahre nicht über den Status eines Prototypen hinaus. Erst 1976 bekam der inzwischen hoffnungslos veraltete E-Type mit dem Jaguar XJ-S einen Nachfolger. Dazu kam, dass der Ruf der Marke unter der schlechten Qualität litt.
Trotzdem war klar, dass Jaguar nur ohne die inzwischen als Leyland auftretende BLMC überleben kann. 1984 platzierten die staatlichen Verwalter Jaguar an der Börse. Das Angebot der knapp 180 Millionen Aktien war achtfach überzeichnet. Doch die Produktion bei Jaguar war teuer und veraltet. Jaguar-Chef Sir John Egan entließ rund ein Drittel der Mitarbeiter, um zu sparen. Trotzdem fehlte Geld für weitere neue Modelle. Der Retter kam aus den USA. Denn Ford interessierte sich für Jaguar. Zwar begrenzte noch ein britisches Gesetz den Anteil eines Aktionärs auf 15 Prozent. Doch diese Klausel sollte 1990 auslaufen. Deshalb veröffentlichte Ford im November 1989 ein Angebot zum Kauf aller Aktien. Die Übernahme klappte und kostete die Amerikaner rund 2,2 Milliarden Dollar.
Motorsport sorgte für Aufmerksamkeit!
Schon im Vorfeld der Reprivatisierung kehrte Jaguar in den Motorsport zurück. Ab 1982 setzte Tom Walkinshaw Racing (TWR) – neben dem Rover SD1 – auch den Jaguar XJ-S bei Tourenwagen-Rennen ein. Parallel dazu baute Bob Tullius (Group 44) in den USA mit dem Jaguar XJR-5 den ersten modernen Prototypen mit Jaguar-Motor. Mit vier Siegen bei Läufen zur IMSA-GTP-Serie 1983 unterstrich der XJR-5 eindrucksvoll das Potential des britischen V12-Motors. Ein Jahr später kehrte Jaguar mit dem US-Prototyp nach Le Mans zurück. Parallel dazu fuhr TWR 1984 mit dem XJ-S zur Tourenwagen-Europameisterschaft. Auf dem Weg dahin gewann TWR Jaguar auch die 24 Stunden von Spa-Francorchamps. Damit brannte die Lunte.
Denn das Sportwagen-Projekt der Group 44 interessierte auch Tom Walkinshaw. Der Schotte überzeugte die Jaguar-Bosse, TWR die Entwicklung eines Gruppe C-Sportwagens anzuvertrauen. Im Sommer 1985 trat der Jaguar XJR-6 von TWR beim WM-Rennen in Mosport erstmals in der Sportwagen-Weltmeisterschaft an. Deutsche Motorsport-Fans verbinden dieses Rennen vor allem mit dem tragischen Unfall von Manfred Winkelhock. Im Schatten dieses Unglücks fuhr der britische Jaguar gleich auf den dritten Platz. Allerdings betrug der Rückstand auf die Sieger noch 19 Runden. Doch Jaguar und TWR verbesserten sich in den kommenden Monaten kontinuierlich. Schon 1987 gewann Jaguar überlegen die Sportwagen-Weltmeisterschaft.
TWR gewann für Jaguar zweimal in Le Mans!
Ein Jahr später verteidigten die Briten den Titel der Sportwagen-WM. Dazu gewann Jaguar erstmals seit 1957 wieder in Le Mans. 1990 sollten TWR und Jaguar an der Sarthe sogar zum Doppelsieg fahren. Damit kehrte Jaguar endgültig in den Sportwagen-Olymp zurück. Motiviert von diesem Wiederaufstieg beschäftigten sich bei Jaguar einige Mitarbeiter mit der Frage, wie ein moderner Supersportwagen aussieht. Das entsprach dem Zeitgeist. Denn die 1980er-Jahre brachten mit Ferrari 288 GTO, Ferrari F40 und Porsche 959 einige außergewöhnliche Sportwagen hervor. Die Mitarbeiter registrierten, dass die Kunden diese Autos ihren Erbauern trotz hoher Preise geradezu aus den Händen rissen. Und dank hoher Preise versprachen diese Sportwagen gute Margen.
Rund um Jaguars Chefingenieur Jim Randle entstand eine lose Gruppe von Entwicklern, die mit der Planung eines Supersportwagens begannen. Die Gruppe traf sich nach Feierabend und am Wochenende. Ihr „Saturday Club“ (Samstagsclub) wollte einen Jaguar schaffen, der es mit dem Ferrari F40 und dem Porsche 959 aufnehmen kann. Die Mitglieder des „Saturday Clubs“ kannten die Firmentradition. Deshalb planten sie von Anfang an die Entwicklung des schnellsten Autos mit Straßenzulassung. Das Ziel war ein Tempo von 220 Meilen pro Stunde (354 Kilometer pro Stunde). Womit – ganz der Firmentradition folgend – der Name Jaguar XJ220 feststand. Das Guerilla-Projekt ließ sich im Haus nicht lange verheimlichen. Der Vorstand erkannte das Potenzial und unterstützte die Pläne.
Die Konzeptstudie Jaguar XJ220 war der Star der British International Motor Show 1988!
Auf der British International Motor Show 1988 in Birmingham zeigte Jaguar das Werk der Mitarbeiter. Nach den Plänen des „Saturday Clubs“ fertigte der Spezialist Park Sheet Metal Chassis und Karosserie der Studie aus Aluminium. Den Mittelmotorsport-Wagen trieb – wie die XJR-Rennwagen – ein Jaguar-V12 mit Vierventil-Zylinderkopf an. Dessen Kraft setzte ein Allradantrieb von Ferguson Formula Developments Limited in Vortrieb um. Dieser Ferguson Formula 4WD genannte Antrieb kam auch bei einigen Gruppe B-Boliden zum Einsatz. Unter anderem nutzen Peugeot 205 T16, Lancia Delta S4, Ford RS200 und MG Metro 6R4 diesen Allradantrieb. Das Publikum und die Presse reagierten auf die Premiere des Jaguar XJ220 mit Begeisterung.
Daher entschieden sich die Verantwortlichen zur Entwicklung einer Serienversion. Doch die interne Entwicklungsabteilung war mit der Betreuung der normalen Produktpalette bereits vollständig ausgelastet. Deshalb übertrug Jaguar die Entwicklung des Serienmodells der JaguarSport Limited. Dieses Unternehmen galt als Jaguars Sportabteilung. Doch es war rechtlich seit 1987 ein Joint Venture von TWR und dem Autobauer. Um den XJ220 zu entwickeln und zu bauen, gründete JaguarSport Limited die Tochter „Project XJ220 Limited“. Damit verlor Jaguar noch mehr den Zugriff auf das Projekt. Denn nun prägten Tom Walkinshaw und TWR den Supersportwagen. Der Plan war, den Jaguar XJ220 ab 1992 an Kunden auszuliefern.
TWR strich den V12 und organisierte einen neuen Motor!
Je nach Kundenzuspruch sollten 220 bis 350 Exemplare entstehen. Schon zum 1. Januar 1990 veröffentlichte Jaguar den Preis des Supersportwagens. Der Jaguar XJ220 sollte £290.000 ohne Mehrwertsteuer, Zusatzausstattung und Lieferung kosten. Wer sich für den Jaguar XJ220 interessierte, der konnte – beziehungsweise musste – zunächst für £50.000 eine Kaufoption erwerben. Das nutzten – angeblich – mehr als 1.400 Kunden. Gut möglich, dass Major Tom geschönte Zahlen kommunizierte, um das Interesse hochzuhalten. Die tatsächlich geschlossenen Verträge enthielten übrigens eine Indexklausel. Sie sollte den tatsächlichen Preis des Sportwagens bis zur Auslieferung nochmals deutlich anheben.
Die Leitung des Projekts XJ220 übernahm Mike Moreton. Der Ingenieur war zuvor bei Ford Motorsport tätig. Dort verantwortete Moreton den Ford Sierra Cosworth und wirkte am Ford RS200 mit. Die Aufgabe des Entwicklungschefs übernahm Richard Owen. Vom „Saturday Club“ arbeitete mit Pete Dodd übrigens nur ein Mitglied offiziell am Projekt mit. Das Entwicklerteam startete mit einer Konkurrenzanalyse. So wurde klar, dass die Wettbewerber deutlich leichter als der Jaguar XJ220 waren. Ein wesentlicher Grund für das Mehrgewicht war Jaguars V12-Motor. Deshalb fiel die Entscheidung den V12 durch einen leichteren aufgeladenen Motor zu ersetzen. Damit folgte die Entwicklung des XJ220 dem Vorbild der TWR-Rennsportfahrzeuge.
Bei Max Heidegger reifte der „Sauger“ Rover V64V zum Turbo Jaguar/TWR JV6!
Denn auch in den Rennwagen gingen die Tage des ursprünglich von Walter Hassan konzipierten Saugmotors gerade zu Ende. Ab 1989 setzte TWR in der Gruppe C auf einen aufgeladenen V6-Motor. Dieser kam auch in dem inzwischen von der Group 44 übernommenen IMSA-Programm zum Einsatz. Das ursprünglich Rover V64V genannte Aggregat entstand bereits Mitte der 1980er-Jahre für das Rallye-Auto MG Metro 6R4. Dort atmete der Motor seine Luft noch selbst an. Um ihn in den Sportprototypen und dem XJ220 mit zwei Turbos aufzuladen, war eine umfassende Überarbeitung des Triebwerks notwendig. Dazu erwarb TWR die Rechte am V64V-Motor von Austin Rover.
Die Umgestaltung des V64V zum Jaguar/TWR JV6 übernahm Andrew Barnes. Barnes band den Motorenbauer Max Heidegger in das Projekt ein. In dessen Werkstatt in Liechtenstein entstanden die Rennmotoren für die XJR-10 (IMSA) und XJR-11 (Gruppe C). Der Tuner gehörte in den 1970er-Jahren zu den Turbo-Pionieren. In der DRM hängten seine Turboversionen für den BMW 320 die Werksmotoren ab. Anders, als es oft heißt, schloss Heidegger seinen Tuningbetrieb nicht Ende 1982 nach dem Platzen eines Deals mit McLaren. Das Formel 1-Team setzte statt auf einen aufgeladenen Reihensechszylinder von Heidegger lieber auf einen V6 von Porsche. Wobei das angesichts der drei WM-Titel mit Niki Lauda und Alain Prost sicher (auch) keine schlechte Wahl war.
Der V6 half, das Gewicht des XJ220 zu senken!
Dank des V6-Motors konnten die Entwickler den Radstand des Serien XJ220 gegenüber dem Konzeptfahrzeug kürzen. Zudem senkte er das Gewicht des Sportwagens deutlich. Denn der Jaguar/TWR JV6 brachte nur 143 Kilogramm auf die Waage. Der V12 von Jaguar wog mindestens das Doppelte. Weiteres Gewicht sparte, dass sich TWR vom Allradantrieb verabschiedete. Wie bei seinem Kontrahenten aus Maranello treibt auch der Jaguar XJ220 nur seine Hinterräder an. Ferguson Formula Developments durfte jedoch ein 5-Gang-Getriebe liefern und blieb damit am Projekt beteiligt. Am Ende lag das Serienfahrzeug mit einem Gewicht von 1.470 Kilogramm nur noch knapp über der Luxus-Version des Porsche.
Für den Bau der Serienfahrzeuge entstand in Wykham Mill in der Nähe von Banbury in Oxfordshire eine eigene Fertigungshalle. Diese eröffnete im Herbst 1991 Prinzessin Diana. Im Juni 1992 lieferten Jaguar und TWR das erste Kundenfahrzeug aus. Zu diesem Zeitpunkt gab Jaguar die Höchstgeschwindigkeit des Sportwagens mit 341,7 Kilometern pro Stunde (212,3 Meilen pro Stunde) an. Damit blieb der XJ220 hinter der in seinem Namen kodierten Vorgabe zurück. 1994 testete die Zeitschrift Road & Track den XJ220. Dabei kam der Brite über ein Tempo von 339 Kilometer pro Stunde (210,5 Meilen pro Stunde) nicht hinaus. Damit war der Jaguar auch langsamer als der Bugatti EB 110, den die Zeitschrift zusammen mit dem XJ220 testete. Das kratzte am Image.
Die Mehrzahl der Interessenten verzichteten auf den Jaguar XJ220 – um jeden Preis!
Trotz der Tests führte das Guinness Book den Jaguar XJ220 bis 1998 als schnellstes Serienauto. Zudem verschoben neue Herausforderer die Messlatte. Bugatti EB 110 und McLaren F1 glänzten mit ihren V12-Motoren. Jaguars Rückschritt mißfiel den Kunden. Die Mehrzahl der Interessenten ärgerte sich über den Wechsel des Motors. Sie sahen darin trotz der Kaufoption einen Grund, um auf den Jaguar zu verzichten und ließen dabei sogar ihre Anzahlung verfallen. Weitere Interessenten ärgerten sich über die Indexklausel in den Kaufverträgen. Denn dank dieser Klausel lag der Preis des Sportwagens 1993 schon bei £470.000. Das war auch gut betuchten Kunden zu viel. So entstanden am Ende nur 271 Exemplare des Sportwagens. Deren Verkauf sollte sich schließlich sogar bis 1997 hinziehen.
Um den Verkauf anzukurbeln, schickte TWR 1993 drei XJ220 nach Le Mans. Zwei fielen aus. Der dritte Jaguar wurde disqualifiziert. Denn bei der Nachuntersuchung stellten die Sport-Kommissare fest, dass TWR ohne die homologierten Katalysatoren antrat. Damit verloren TWR und Jaguar einen 15. Platz im Gesamtklassement sowie den Klassensieg in der GT-Klasse. Die Episode verdeutlicht, wie unglücklich die Geschichte des Jaguar XJ220 insgesamt verlief. Die Kunden, die ihre Kaufoption nicht ausübten, kamen übrigens nicht aus den Verträgen hinaus. Ein Gericht entschied, dass der Serien XJ220 trotz des Wechsels des Motors den zugesicherten Anforderungen entsprach. Die enttäuschten Kunden mussten sich daher bei TWR und Jaguar freikaufen. Deshalb galt der Jaguar XJ220 Mitte der 1990er-Jahre als gescheitert. Trotzdem entpuppt sich der Sportwagen im Rückblick immer mehr als automobiler Meilenstein.
Technische Daten des Jaguar XJ220:
- V6-Motor Jaguar/TWR JV6
- V6-Motor mit 90° Bankwinkel.
- 94 mm Bohrung und 84 mm Hub ergeben 3.498 cm³ Hubraum.
- Zylinderblock und Zylinderköpfe fertigte TWR aus Aluminium
- Vier Ventile pro Zylinder, die riemengetriebene Nockenwellen öffnen und schließen.
- Zwei Garrett Turbolader (Typ Garrett TO3) unterstützen den Motor beim Atmen.
- Trockensumpfschmierung
- In seiner Standardversion entwickelt der V6 eine Leistung von 550 PS bei 7.200 U/min und ein Drehmoment von 644 Newtonmetern bei 4.500 U/min.
- Der Jaguar XJ220 sprintet in 3,6 Sekunden von 0 auf 100 km/h.
- Die Höchstgeschwindigkeit des Serienfahrzeugs lag bei 341,7 km/h (212,3 Meilen/h). Martin Brundle war mit einer Version OHNE zwei Katalysatoren, die die Motorleistung reduzieren, und mit einem höheren Drehzahllimit 349 km/h schnell.
In einer vorherigen Fassung schrieben wir irrtümlich auch dem Porsche 959 Hinterradantrieb zu. Das war nicht richtig. Der Supersportwagen aus Zuffenhausen verfügte über Allradantrieb. Wir bitten den Irrtum zu entschuldigen.
Hartwig Busch
28. Mai 2024Hallo Tom,
Du schreibst „Wie seine Kontrahenten aus Maranello und Zuffenhausen treibt auch der Jaguar XJ220 nur seine Hinterräder an“. Das ist nicht ganz richtig, der Porsche 959 hatte ja Allradantrieb.
Gruß,
Hartwig