Gehört das Kopieren in der Formel 1 dazu?
von Tom Schwede am 11. Mar 2023Ist der neue Aston Martin eine Kopie des Red Bull? Wahrscheinlich, aber schon ein kurzer Blick auf die Formel 1-Geschichte zeigt, dass das Kopieren in der Formel 1 kein neues Thema ist. Richtig interessant wird es erst, wo die Teams gleich (fast) das ganze Auto „übernahmen“. Drei Geschichten ragen dabei besonders heraus.
Ist der neue Aston Martin eine Kopie des Red Bull? Wahrscheinlich, aber schon ein kurzer Blick auf die Formel 1-Geschichte zeigt, dass das Kopieren in der Formel 1 kein neues Thema ist. Richtig interessant wird es erst, wo die Teams gleich (fast) das ganze Auto „übernahmen“. Drei Geschichten ragen dabei besonders heraus.
Die Formel 1 diskutiert zurzeit über die Ähnlichkeit des neuen Aston Martin mit dem Red Bull des Vorjahrs. Denn mit Dan Fallows wechselte ein langjähriger Aerodynamiker von Red Bull zu Aston Martin. Dort ist Fallows seit April 2022 Technischer Direktor. Wie in diesen Fällen üblich folgten dem Briten bald weitere ehemalige Kollegen von Red Bull. Dr. Helmut Marko wies im Interview mit „Sky“ schon in Bahrain darauf hin, dass die offensichtlich ein gutes Gedächtnis hätten. Auch wenn sich inzwischen alle Beteiligten bemühen, das Thema runterzuspielen, der Aston Martin erinnert an den Red Bull. Kein Wunder, dass Sergio Perez in der FIA-Pressekonferenz über die Ähnlichkeit scherzte. Konsequenzen wird das alles vermutlich nicht haben. Denn etwas Konkurrenz beflügelt immerhin das Produkt Formel 1, was allen Teams hilft.
Die Formel 1 lebt von spannenden Rennen!
Denn wenn der Sieger schon vorher feststeht, dann sinken die Einschaltquoten. Mit Grauen erinnern sich die Älteren im Fahrerlager an 1988. Damals war der McLaren MP4/4 mit seinem Honda-Motor unschlagbar. Zum Glück ließ McLaren-Boss Ron Dennis seine Piloten Ayrton Senna und Alain Prost frei gegeneinander fahren. Das Duo gewann 15 der damals 16 Saisonrennen und entzweite sich darüber. Nur in Monza siegte ein Ferrari. Denn dort kollidierte Ayrton Senna beim Überrunden mit einem Williams. Selbstverständlich lag der Brasilianer dabei in Führung. Doch dann bewies Mansell-Ersatz Jean-Louis Schlesser bei seinem einzigen Grand Prix, dass ihm das Format für die Königsklasse fehlte. Immerhin gewann Ferrari so das erste Heimspiel nach dem Tod von Enzo Ferrari.
Auch die Ferrari-Jahre am Anfang des Jahrtausends, als Michael Schumacher teilweise schon kurz nach der Sommerpause als Champion feststand, waren schlecht fürs Geschäft. Losgelöst davon gehört das Kopieren in der Formel 1 traditionell einfach dazu. Das gilt für Konzepte, für Details und für ganze Autos. Kurz nach dem Cooper daran erinnerte, dass ein Motor auch hinter dem Piloten funktioniert, mottete das ganze Feld seine Frontmotor-Autos ein. Kaum schraubte Ende der 1960er-Jahre der Erste einen Flügel an sein Auto, kopierten andere dies. Und als Lotus 1977 mit dem Lotus 78 das Zeitalter der Wing Cars ausrief, schraubten auch die Wettbewerber bald seitliche Dichtleisten unter ihre Autos und passten ihre Unterböden an.
Formel 1 oder Formel Kopie? Kopiert wurde immer!
Das Kopieren in der Formel 1 war immer ein Teil des Wettbewerbs. Insofern muss man kein Prophet sein, um vorherzusehen, dass sich wahrscheinlich auch heute alle mit der aktuellen Situation arrangieren werden. Denn Red Bull dürfte, sofern nicht noch etwas völlig Unvorhergesehenes passiert, trotzdem auch in diesem Jahr zur Weltmeisterschaft fahren. Setzt Aston Martin in Laufe der Saison ein paar Farbtupfer, dann freuen sich alle, weil es Zuschauer bringt. Zudem wurde in der Formel 1 in der Vergangenheit schon viel dreister kopiert. Drei Fälle ragen besonders heraus.
1. Rebaque HR 100 – der völlig erfolglose Lotus 79
Der Mexikaner Héctor Rebaque kam in den 1970er-Jahren nach Europa und strebte eine Motorsport-Karriere an. Mit dem Geld seiner Eltern trat Rebaque bereits mit 18 Jahren bei den 24 Stunden von Le Mans an. Ein Jahr später nahm der Mexikaner an ein paar Läufen der Formel 2-Europameisterschaft teil und fuhr auch in der Formel Atlantic. Größere Erfolge feierte Rebaque dabei nicht. Trotzdem saß der Mexikaner 1976 in der Formel Atlantic in einem Lola des Spitzenteams Carl Haas Racing. Geld konnte im Motorsport schon immer fehlendes Talent ersetzen. Und so ging der Aufstieg des Mexikaners zügig weiter.
Schon 1977 trat Héctor Rebaque für Hesketh Racing in der Formel 1 an. Wobei Hesketh zu dieser Zeit kein Spitzenteam mehr war. Hier fuhr jetzt, wer Geld hatte! Bei sechs Versuchen konnte der Mexikaner seinen Hesketh nur einmal qualifizieren. Auf dem Hockenheimring feierte Rebaque sein Grand Prix-Debüt. Ein Jahr später kehrte der 22-Jährige mit einem eigenen Team in den Grand-Prix-Zirkus zurück. Colin Chapman verkaufte dem Mexikaner dafür einen Rennwagen aus der Vorsaison, den fortan das Team Rebaque einsetzte. Auch mit dem Lotus scheiterte Héctor Rebaque regelmäßig an der Hürde der Qualifikation.
Doch am Hockenheimring fuhr der Mexikaner bei einer seiner seltenen Rennteilnahmen überraschend zu einem WM-Punkt. Offenbar lag Rebaque die schnelle badische Strecke mit den damals langen Geraden im Wald. Auch für 1979 trat das Team Rebaque zunächst wieder mit einem Vorjahres-Rennwagen von Lotus an. Mit dem Lotus 79, der ein Jahr zuvor die WM dominierte, gelang dem Mexikaner jetzt immerhin meist der Sprung ins Feld der Starter. Daher war die Szene überrascht, als das Team Rebaque beim Großen Preis von Italien plötzlich mit einem „eigenen“ Wagen antrat. Der Rebaque HR 100 entstand in der Werkstatt von Penske Racing im britischen Poole und hob das Kopieren in der Formel 1 auf ein neues Niveau.
In Poole betrieb Roger Penske von 1974 bis 1976 ein eigenes Formel 1-Team. Des Inventar übernahm 1977 ATS-Chef Günter Schmid. Doch Penske baute in Großbritannien weiter Rennwagen für die damals noch getrennten Monoposto-Serien von USAC und SCCA. Nebenbei baute Penske Cars zwei Jahre später einen Rennwagen für Rebaque. Wobei der Rebaque HR 100 in weiten Teile eine Kopie des Lotus 79 war. Nur bei den Seitenkästen ging Designer Geoff Ferris, der zuvor unter anderem den Penske PC4 konstruierte, einen anderen Weg. Denn die Seitenkästen des HR 100 erinnerten an den Williams FW07, der im Sommer 1979 das schnellste Auto der Szene war. Dreimal trat Héctor Rebaque mit dem Rebaque HR 100 an, verpasste jedoch zweimal die Qualifikation. Talent lässt sich nicht kopieren.
2. Rial oder doch ein blauer Ferrari?
Ende der 1980er-Jahre strömten einige neue Teams in die Formel 1. Sie lockte das Ende 1988 greifende Verbot der Turbomotoren. Denn die Rückkehr der Saugmotoren sollte die zuvor explodierten Kosten senken. Optimisten hielten es wieder für möglich, mit einem einstelligen Millionenbetrag ein Jahr in der Königsklasse anzutreten. Mit einem geringen zweistelligen Millionenbetrag sollte sogar ein regelmäßiger Punktgewinn möglich sein. Das lockte auch Günter Schmid, der von 1977 bis 1984 das ATS Team betrieb, zurück in die Königsklasse. Denn Schmid besaß seit Anfang 1987 den Felgenhersteller RIAL.
Wie zuvor bei ATS, wo Schmid immer „nur“ die Hälfte des Unternehmens gehörte, setzte der Manager auch bei RIAL wieder darauf, mit einem eigenen Team für seine Felgen zu werben. Als Konstrukteur holte Schmid den Österreicher Gustav Brunner von Ferrari zurück. Denn beide arbeiteten zuvor schon bei ATS zusammen. Bei Ferrari konstruierte Brunner zwischenzeitlich einen Rennwagen für die 500 Meilen von Indianapolis. Doch als Bernie Ecclestone Enzo Ferrari den Start in der Formel 1 vergoldete, blieb der Ferrari 637 ohne Einsatz. Parallel zum 637 entwarf Gustav Brunner bei Ferrari auch den F1/87 für die Königsklasse. Doch die Liebe des Österreichers für die rote Göttin schwand, als Enzo Ferrari Designer John Barnard von McLaren abwarb.
Brunner kehrte Italien den Rücken und begann mit der Konstruktion eines neuen Autos für Günter Schmid. Dabei entstand der Rial ARC1, der sich offensichtlich am Ferrari F1/87 „anlehnte“. Im Fahrerlager galt der deutsche Rennwagen trotz seines Motors von Cosworth praktisch sofort als „blauer Ferrari“. Das Kopieren in der Formel 1 war also auch damals ein Thema. Oder hatte auch Gustav Brunner nur ein gutes Gedächtnis? Mit Andrea de Cesaris im Cockpit gewann Rial 1988 stolze drei WM-Punkte. Damit war RIAL das erfolgreichste der 1988 neu angetretenen Teams. Anders als EuroBrun Racing und die BMS Scuderia Italia übersprang RIAL im Debütjahr bei allen Grand Prix die Hürde der Qualifikation. Beim Rennen in Detroit fuhr de Cesaris als Vierter sogar knapp am Podium vorbei.
Mehr Erfolg verhinderte nur der kleine Tank des Rennwagens. Denn de Cesaris fiel mehrfach ohne Benzin aus. Das paßt irgendwie dazu, dass Günter Schmid das Team auf absoluter Sparflamme betrieb. Eine eigene Werkstatt gab es nicht. Das Team operierte aus der Felgenfabrik heraus. Selbst an den Rennstrecken arbeiteten maximal 15 Leute für RIAL. Wie einfach die Formel 1 doch vor 35 Jahren noch war! Trotzdem ging die Idee, mit Hilfe der Formel 1 Felgen zu verkaufen, auf. Denn der Absatz der RIAL-Felgen legte um 50 Prozent zu. Doch als Gustav Brunner im Sommer 1988 dem Team den Rücken kehrte, brachen die Leistungen von RIAL ein. Die Saison 1989 verdiente das Prädikat „peinlich“. Trotz nun zwei Rennwagen gelang RIAL nur bei vier Rennen der Sprung ins Starterfeld. Am Ende des Jahres sperrte das Team zu.
Ein Pfeil mit Schatten – Arrows FA1 war der Shadow DN9
Anders als die vorherigen Fälle, die die Kopierten wie bei vielen anderen solche Geschichten duldeten, beschäftigte unser drittes Beispiel für das Kopieren in der Formel 1 sogar die Gerichte. Denn als 1978 in Brasilien der Arrows FA1 im Fahrerlager stand, glich der Bolide dem Shadow DN9 weitestgehend. Angesichts der Tatsache, dass die Arrows-Gründer Alan Rees, Jackie Oliver, Dave Wass und Tony Southgate zuvor alle bei Shadow tätig waren, galt wohl auch hier, dass die vier ein gutes Gedächtnis hatten. Die Lage verschärfte, dass sie Arrows mit Unterstützung von Franco Ambrosio gründeten. Der Italiener war zuvor Sponsor bei Shadow. Shadow-Chef Don Nichols, der nie ein Spion war, verklagte Arrows sofort.
Am 31. Juli 1978 fiel am London High Court das Urteil. Die Richter stimmten zu, dass der Arrows, dessen Typbezeichnung FA1 Geldgeber Franco Ambrosio würdigte, die Rechte von Shadow verletzt. Arrows musste ein neues Auto bauen. Wobei das britische Team wohl auf die Niederlage vorbereitet war. Denn in der damaligen Arrows-Werkstatt in Milton Keynes entstand mit dem Arrows A1 längst ein neuer Rennwagen. Ab dem Großen Preis von Österreich saßen die Arrows-Piloten Riccardo Patrese und Rolf Stommelen im „neuen“ Arrows. Wobei der Arrows A1 natürlich immer noch auf dem Shadow DN9 basierte. Designer Tony Southgate, der beide Autos entwarf, schuf offenbar genügend Unterscheidungsmerkmale.
Erst mit dem A2 gab es bei Arrows tatsächlich ein neues Auto. Die drei Beispiele zeigen, dass Kopieren in der Formel 1 eine lange Tradition hat. Insofern gilt auch bei den aktuellen Diskussionen über den Aston Martin, alles schon mal dagewesen. Es ist nicht zu vermeiden, dass Mitarbeiter, die wechseln, auch Know how mitnehmen. So wie Dan Fallows jetzt von Red Bull zu Ferrari wechselte, kam 1987 Gustav Brunner von Ferrari zu RIAL. Wobei Brunner fast schon ein Serientäter war. Denn auch der RAM03, den der Österreicher 1985 konstruierte, erinnert in einigen Punkten an die ebenfalls von Brunner stammenden ATS D6 und D7 aus den Vorjahren.
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