Vom Mercedes GLS gibt es jetzt eine Maybach-Variante. Das Label Mercedes-Maybach GLS 600 soll besonders in China Exzellenz und Spitzenklasse symbolisieren. Im Innenraum mag das stimmen. Doch von außen wirkt der Full-Size-SUV mit dem Namenszusatz Maybach erschreckend phantasielos. Denn der mächtige Kühlergrill und die Trittbretter erinnern mehr an Kiesplatz- oder Hinterhof-Tuner als an gediegenen Luxus. Damit ist der Mercedes-Maybach GLS 600 in meinen Augen ein deutlicher Ausdruck der Krise der Daimler AG.
Mercedes-Benz wirbt seit einigen Jahren mit dem Slogan „Das Beste oder Nichts“. Das hätte meinem Großvater, der Zeit seines mehr als 100 Jahre währenden Lebens treuer Mercedes-Kunde war, gefallen. Denn Opa kaufte und fuhr fast 70 Jahre nur Autos mit Stern. Zu seinem Fuhrpark gehörte schon der legendäre 170er der Baureihe W 136. Später steuerte mein Großvater eine Pagode. Sein Autoleben endete weit jenseits des 90. Geburtstags. Da stand die Baureihe 210 in der Garage, die sein Besitzer als ehemaliger Motorsportler, der noch gegen Bernd Rosemeyer auf dem Motorrad fuhr, an guten Tagen auch schon mal im gleichen Tempo von Kiel nach Hamburg ausführte.
Sicher spielen Opas Autos eine wichtige Rolle, warum ich heute über Autos schreibe und Auto-Veranstaltungen moderiere. Ja, ich kann eine gewisse Begeisterung für Autos aus Stuttgart-Untertürkheim nicht leugnen. Wobei sich diese Schwärmerei – trotz der vollmundigen Werbeaussage – heute nur noch auf die Produkte der Vergangenheit bezieht. Denn mit den aktuellen Modellen der Stuttgarter kann ich nichts mehr anfangen. Meinem Auto-Geschmack entsprechen sie nicht! Der Mercedes-Maybach GLS 600 versinnbildlicht das hervorragend.
Kritiker sagen jetzt sicher, dass der Erfolg den Machern der Marke Recht gibt. Denn die Daimler AG erzielte trotz der Corona-Pandemie 2020 einen Überschuss von 4,01 Milliarden Euro. Ein Jahr zuvor lag der Überschuss „nur“ bei 2,71 Milliarden Euro. Doch der Vergleich hinkt. Denn bei einer langfristigen Betrachtung beeindrucken die aktuellen Zahlen schon weniger. In der Dekade von 2010 bis 2019 lag der Jahresgewinn noch durchschnittlich bei 7,19 Milliarden – trotz des 2019 verzeichneten Gewinneinbruchs.
Kurzum, Daimler ist in der Krise – und dieser „Maybach“ ist Ausdruck dessen!
Mit dem Label Maybach würdigt die heutige Daimler AG den Autopionier Wilhelm Maybach. Der Konstrukteur war ein enger Vertrauter von Gottlieb Daimler. Maybach konstruierte den Simplex, der als erster Mercedes den Grundstein für den Mythos der Marke legte. 1909 machte sich Maybach als Motorenbauer selbstständig. Ab 1921 bot die Maybach-Motorenbau GmbH auch Autos an, baute jedoch in 20 Jahren nur rund 2.300 Luxusmobile.
Sie stellten – wie der Maybach Zeppelin DS 7 von 1930 mit seinem V12 – stets den Stand des technisch Machbaren dar. Aus dieser Zeit stammt der legendäre Ruf der Marke Maybach. Der Zweite Weltkrieg brachte auch den Bau von Luxusautos zum Erliegen. Maybach überlebte dank Rüstungsaufträgen als Motorenhersteller, konnte nach dem Krieg den beabsichtigen Neustart der Autoproduktion jedoch nicht finanzieren. Ab 1960 fand Maybach unter dem Dach der Daimler AG Platz und firmierte bald als „Motoren- und Turbinen-Union Friedrichshafen“.
Anfang dieses Jahrtausends nutzte Daimler den Namen Maybach wieder, um mit den Luxusmobilen Maybach 57 und 62 sein Programm nach oben abzurunden. Doch anders als BMW und VW, wo die Edelmarken Rolls-Royce und Bentley mit Eigenständigkeit glänzen, wirkte ein Maybach immer „nur“ wie eine modifizierte S-Klasse. Kein Wunder, dass der Absatz hinter den Erwartungen zurückblieb. Maybach schrieb Verluste. Die britische Zeitschrift CAR rechnete 2012 aus, dass jeder verkaufte Maybach ein Loch von rund 330.000 Euro riß. Nach zehn Jahren stellte der Konzern das Projekt frustriert ein.
Maybach ist nicht wie Rolls-Royce, sondern wie Laurin & Klement!
Ende 2014 kehrte der Name Maybach jedoch als Ausstattungsvariante der S-Klasse zurück. Mt dem Mercedes-Maybach GLS 600 überträgt Daimler das Prinzip jetzt zusätzlich auch auf seinen Fullsize-SUV GLS. Während die Wettbewerber bei ihren Luxusablegern den Weg der Eigenständigkeit ausbauen, geht Daimler also weiter einen anderen Weg. Maybach bleibt „nur“ eine Ausstattungslinie. Das erinnert an die VW-Tochter Skoda. Dort heißt die höchste Ausstattungslinie inzwischen „Laurin & Klement“, was sich auf die Firmengründer bezieht.
Im Fall des Mercedes-Maybach GLS 600 treibt das Spiel seltsame Blüten. Denn der SUV trägt als Maybach-Variante einen sehr großen Kühlergrill. Im ersten Moment musste ich beim Anblick dieses Monsters spontan an die Fahrzeuge eines Autobauers aus München denken. An den Seiten gibt es zudem Trittbretter, die bei Bedarf herauffahren, um den Einstieg zu erleichtern. Doch das ändert nichts daran, dass sie nicht luxuriös, sondern nur lieblos drangekloppt wirken. Jeder Hinterhof-Tuner würde sich für so ein Werk schämen! Aber in Stuttgart ist es ein Feature des Mercedes-Maybach GLS 600.
Der Mercedes-Maybach GLS 600 beschreibt den Zustand des Stuttgarter Autobauers!
Mercedes-Benz definiert nicht mehr die Spitze des Marktes. Schlimmer noch, Daimler setzt keine Trends mehr, das Unternehmen kopiert andere. Das Kapitel Maybach 2002 bis 2012 zeigt, dass die Stuttgarter es nicht schaffen, Kleinserien wirtschaftlich zu bauen. Wo Volkswagen mit den SUV Audi Q7, Bentley Bentayga, Lamborghini Urus und Porsche Cayenne auf einer gemeinsamen Grundlage markenspezifische Eigenschaften bedient, bleiben Mercedes-Benz nur ein angepasster Kühlergrill und ausfahrbare Trittbretter. Gründervater Maybach würde sich für den Mercedes-Maybach GLS 600 sicher schämen!
Bei der Produktionstechnik verlor der einst stolze Autobauer offenbar den Anschluss. So entsteht ein Mercedes-Maybach GLS 600, der an üble Zeiten des Badge-Engineering bei British Leyland erinnert. Das BL-Ende ist bekannt. Offenbar geht es den Ingenieuren in Stuttgart nicht mehr um die technisch beste Lösung. Im Mittelpunkt des Handels des Autobauers steht nur noch das „Shareholder-Value“. Das Prinzip des „Customer Values“ ging auf dem Weg dahin verloren. Das verschärft die Probleme jeden Tag und wird nicht nur dem Namen Maybach nicht gerecht.
Aus der eigenen Tradition lernen – statt diese zu verspotten!
Denn historische betrachtet ging es dem Unternehmen immer am besten, wenn es sich auf seine Kernkompetenz konzentrierte. In diesen Jahren entstanden mit viel Liebe zum Detail und großer Ingenieurskunst Autos für die Ewigkeit. Die heute legendären Baureihen W108, W114, W124, W126, R107 oder der Baby-Benz W201 waren zwar deutlich teuer als andere Auto, aber sie waren jeden Pfennig wert. Mit diesen Autos verkörperte Mercedes-Benz die Spitze des Marktes. Das Stammgeschäft lief auch ohne vollmundige Werbeaussagen hervorragend.
Daimler-Benz verdiente hier das Geld, das die Firma im Nutzfahrzeug-Geschäft zum Angriff blasen ließ. Heute wollen die Chefs das Unternehmen stattdessen aufteilen, um Aktionäre zu befriedigen. Nur im Ausnahmefall entstehen Autos mit Klasse, was zeigt, dass die Techniker es noch können – wenn der Vorstand sie läßt. Doch im Alltag weisen dann Autos wie der Mercedes-Maybach GLS 600 in den Weg in den Untergang. Denn dieses Auto ist rollender Beleg dessen, was bei Daimler zurzeit in die falsche Richtung läuft. Es ist ein häßlicher Dinosaurier und hat mit der Zukunft des Autos nichts zu tun. Dabei geht es gerade um diese – scheinbar hat sich Daimler schon anders entschieden.
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