Auto-Erinnerungen

Fiat 8V – bella figura von 1952

Auf der Techno Classica 2024 stand ein seltener Fiat 8V. Ich kannte den Sportwagen tatsächlich bisher nicht. Doch nach der zufälligen Begegnung in Essen war für mich klar: Der 1952 in Genf präsentierte Sportwagen gehört für mich zu den schönsten Autos aller Zeiten. Deshalb ging ich der Geschichte hinter dem FIAT 8V auf den Grund.

Fiat 8V
Der Fiat 8V war 1952 auf dem Genfer Autosalon die große Überraschung. Auch 72 Jahre später begeisterte der Sportwagen noch.

Seit ich 1995 ins Ruhrgebiet zog besuche ich regelmäßig die Techno Classica. Die ersten Jahre als reiner Oldtimer-Fan. Seit fast zwei Jahrzehnten auch aus beruflichem Interesse. In dieser langen Zeit sah ich in Essen wirklich viele schöne Autos. Würde ich sie in eine Liste packen, der Fiat 8V würde dabei sehr weit oben stehen. Denn mit „otto vu“, so der Spitzname der Italiener für den Sportwagen, baute Fiat 1952 eine wahre Schönheit. Sie begeisterte mich auch mehr als 70 Jahre nach ihren Debüt sofort.

Der Fiat 8V war ein Auto von Dante Giacosa!

In Essen stieß ich eher zufällig auf den Fiat 8V, der mir bis zu diesem Zeitpunkt unbekannt war. Ich schoss ein paar Fotos und begann zu Hause mit der Recherche. Dabei erfuhr ich, dass der Sportwagen ein Werk von Dante Giacosa ist. Den Namen des Ingenieurs verbinden Autofans in der Regel zunächst mit dem Fiat 500 „Topolino“ – dem italienischen „Volkswagen“. Denn der 500er schob die Individualmobilität in Italien praktisch aus dem Nichts an. Nach dem Zweiten Weltkrieg verantwortete Giacosa die Entwicklung des Fiat 1100/103. Zwischendurch beschäftigte sich Giacosa auch mit der Gasturbine – wobei das Chassis des Fiat 8V zum Einsatz kam.

Fiat 8V
Die Scheinwerfer des in Essen ausgestellten Fiat 8V zeigen, dass das Auto aus der zweiten Serie stammt. Bei den ersten Exemplaren waren die größeren Scheinwerfer noch im Kühlergrill integriert.

Später prägte der Ingenieur auch die Erfolgsmodelle Fiat 600, Fiat Nueva 500 und Fiat 124. Alles klassische Hecktriebler – doch parallel dazu beschäftigte sich Dante Giacosa bereits in den 1950er-Jahren mit dem Frontantrieb. Allerdings benötigte der Ingenieur knapp zehn Jahre, um seinen Arbeitgeber vom Systemwechsel zu überzeugen. Erst 1964 leitete FIAT mit dem Autobianchi Primula – offiziell in einem Joint Venture mit der Fahrradfabrik Bianchi – den Strategiewechsel ein. Bewundernswert, dass Giacosa zwischendurch Zeit fand, um sich mit dem 8V auch noch im Olymp der Sportwagen zu verewigen.

Der lange Anlauf zum „otto vu“!

Die Geschichte des 8V begann unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Kriege sind, so zynisch es ist, Entwicklungsbeschleuniger. Im Zweiten Weltkrieg lernte die Industrie die Effizienz ihrer Produktion zu optimieren. Dort, wo zuvor beispielsweise Autos vom Band liefen, entstanden während des Kriegs Rüstungsgüter. Als die Waffen endlich schwiegen kehrten die Unternehmen zu ihren ursprünglichen Produkten zurück. Dabei nutzten sie das neue Know how. Auch den Chefs bei Fiat war klar, dass die ursprünglich 1935 und 1937 vorgestellten Modelle Fiat 1100 und 1500 veraltet waren. Daher starteten sie 1945 mehrere Entwicklungsprojekte, um ihr Angebot zu modernisieren.

Das Heck des Fiat 8V
Das Heck des Fiat 8V läuft sanft aus. Diese Formgebung nahmen bis in die 1960er-Jahre einige Designer auf.

Dante Giacosa und sein Team dachten dabei über unterschiedliche Ideen und Konzepte nach. Dafür war auch verantwortlich, dass die Geschäftsleitung die Anforderungen mehrmals neu justierte. So fiel die Entscheidung spät, sich bei der Karosserie am amerikanischen Auto-Geschmack zu orientieren. Die Bosse sahen in den italienischstämmigen Amerikanern potenzielle Kunden und träumten vom Schritt nach Amerika. 1950 feierte auf dem Genfer Autosalon zunächst der Fiat 1400 Premiere. Anschließend leiteten die Techniker von ihm den größeren und luxuriöseren FIAT 1900 ab, der zwei Jahre später debütierte. Auf dem Weg zum 1900 dachten Geschäftsleitung, Vertrieb und Techniker über mehrere unterschiedliche Motoren nach.

Im vierten Versuch entstand der passende Motor!

So entstanden nacheinander ein Reihensechszylinder, ein Sechszylinder-V-Motor sowie ein erster V8-Motor. Doch der Reihensechszylinder war zu lang. Beim V6 befürchtete Dante Giacosa, die gewünschte Laufruhe nicht zu erreichen. Der erste V8 mit einem Bankwinkel von 90° war zu breit. Der Wechsel auf einen Bankwinkel von 70° brachte schließlich die gewünschte Kompaktheit. Um einen Zündabstand von 90° zu erreichen, versetzte Giacosa die Kurbelzapfen gegenüberliegender Zylinder um 20° gegeneinander. Eine zentral zwischen den Zylinderbänken sitzende Nockenwelle steuert über Tassenstößel, Stoßstangen und Kipphebel die hängenden Ventile. Sie öffnen und schließen pro Zylinder zwei Ventile.

Fiat 8V
Der Schriftzug 8V deutet auf den den Motor hin. Fiat nahm ursprünglich an, dass die Bezeichnung V8 geschützt sei. Deshalb drehte Fiat das Ganze um. So kam der Sportwagen zu seinem Namen Fiat 8V.

Den V8 fertigte Dante Giacosa vollständig aus Alu. Das senkte das Gewicht. 72 Millimeter Bohrung und 61,3 Millimeter Hub sorgen für 1.996 Kubikzentimeter Hubraum. Die erste Version des Motors verfügte über 105 PS Leistung, später folgten Versionen mit 115 und 125 PS. Die ursprüngliche Konfiguration nutzten die Entwickler im Versuchsträger einer luxuriösen Limousine. Sie basierte auf einem verlängerten Fahrgestell des Fiat 1400 und verfügte über eine Karosserie von Pininfarina. Auch dieses Auto wollte Fiat nach Amerika exportieren. Doch im Fahrversuch zeigte sich, dass der neue Motor nicht kräftig genug für eine solche Luxus-Limousine war. Deshalb gab Fiat das intern Tipo 105 genannte Limousinen-Projekt auf.

Anfang 1952 stand der Fiat 8V auf den Genfer Autosalon!

Um nicht auch den V8 aufzugeben, schlug Chef-Entwickler Giacosa den Fiat-Bossen vor, den Motor für einen Sportwagen zu verwenden. Von ihm würde sich später eine Limousine ableiten lassen, so argumentierte der Ingenieur. Das Management stimmte zu und gab die Entwicklung frei. Um Zeit zu sparen, beauftragte Giacosa die „Società Italiana Applicazioni Trasformazioni Automobilistiche“ (SIATA) mit der Entwicklung des Sportwagens. Die Gestaltung der Karosserie übernahm Luigi Rapi. Der Designer dachte die Idee des Fiat 1100 S von 1947 weiter. So entstand die stromlinienförmige Karosserie des Fiat 8V. Ex-Rennfahrer Carlo Salamano, seit dem Ende seiner Motorsport-Karriere 1923 bei Fiat im Fahrversuch tätig, übernahm die Abstimmung. 1952 stellte Fiat den Sportwagen in Genf der Öffentlichkeit vor.

Fiat 8V
Ein verkleidetes Hinterrag gab es schon 1947 beim Fiat 1100 S. Beim Fiat 8V nahm Designer Luigi Rapi diese Idee wieder auf.

Die Autozeitschrift Road & Track bezeichnete den FIAT 8V bei seinem Debüt als „the biggest surprise of the year”. Trotzdem entstanden bis zum September 1954 nur 114 Exemplare. Wobei Fiat in zwei Serien mit 34 beziehungsweise 29 Exemplaren „nur“ 63 der Fahrzeuge selbst einkleidete. Ihre Karosserien entstanden in der werkseigenen „Carrozzerie Derivate e Speciali“. Deutlichster Unterschied zwischen den beiden Serien ist die Anordnung der Scheinwerfer. Bei der ersten Serie sitzen zwei der vier Scheinwerfer noch im Kühlergrill. Bei der Serie II stehen alle vier Scheinwerfer im Kotflügel. Die weiteren Fahrzeuge lieferte Fiat als Fahrgestell an Ghia, Pininfarina, Vignale und Zagato. Sie entwarfen für den 8V eigene Karosserien. Wobei Vignale und Zagato auch einige offene Fiat 8V Spider bauten.

1.075.000 Euro sind ein stolzer Preis!

Das auf der Techno Classica 2024 in Essen ausgestellte Coupé verfügte über eine originale Fiat-Karosserie der zweiten Serie. Fiat lieferte den Sportwagen mit der Fahrgestellnummer 000104 im Juni 1954 ursprünglich nach Österreich aus. Nach einer Zwischenstation in Deutschland kam das Fahrzeug 1965 nach Großbritannien. 2007 folgte eine leichte Restauration. Acht Jahre später trat es unter anderem in Goodwood an. In Essen stand es jetzt am Stand eines Oldtimer-Händlers aus den Niederlanden. Dabei trug der Fiat ein Preisschild in Höhe von 1.075.000 Euro. Viel Geld! Auch wenn der Käufer dafür ein Auto bekommt, das wirklich beeindruckend schön ist.

Fiat 8V
Das Cockpit des Fiat 8V entspricht dem Geist der Zeit. Der Tacho geht bis 250 – Beim Drehzahlmesser steigt die Nadel gegen den Uhrzeigersinn empor, wenn der Fahrer beschleunigt.

Infos zum Titelbild dieses Beitrags:
Der Fiat 8V war 1952 auf dem Genfer Autosalon die große Überraschung. Auch 72 Jahre später begeisterte der Sportwagen noch.

Foto: Tom Schwede

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Als Kind der 1970er-Jahre hatte Tom das große Vergnügen, in einem ausgesprochen automobilen Umfeld aufzuwachsen. Das war der optimale Nährboden, um heute über Autos zu schreiben und regelmäßig am Mikrofon über Autos zu sprechen. Denn Tom Schwede moderiert seit 2010 bei großen Oldtimer- und Klassik-Veranstaltungen in Deutschland. So ist Tom unter anderem bei den Classic Days (früher Schloß Dyck, heute in Düsseldorf) oder dem 1.000 Kilometer-Rennen am Nürburgring zu hören. Wenn Sie also einen Moderator oder Streckensprecher für Ihre Oldtimer-Rallye oder Ihr Oldtimer-Treffen suchen, dann sind Sie bei Tom definitiv richtig!

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