Walter Röhrl bezeichnet den Lancia Rally gern als das Lieblingsauto seiner Karriere. Denn der Sportwagen, der als Lancia 037 die Rallye-Weltmeisterschaft aufmischte, ist präzise zu fahren. Das mag der zweifache Rallye-Weltmeister. Vor 40 Jahren sicherte sich der Mittelmotor-Sportler als bisher letzter Hecktriebler die Markenwertung der Rallye-Weltmeisterschaft. Heute gilt der Lancia 037 als eine der neun Markenikonen, die beim anstehenden Neustart der Marke Lancia als Vorbild dienen.
Anfang der 1980er-Jahre war der Rallye-Sport im Aufbruch. Seit 1979 gab es endlich eine Fahrer-Weltmeisterschaft. Denn nach der Einführung der Rally-Weltmeisterschaft kämpften ab 1973 zunächst „nur“ Marken um einen Titel. Erst 1977 schrieb die FISA innerhalb der WM zusätzlich einen Fahrer-Cup aus. Doch dessen Gewinner, Sandro Munari (1977) und Markku Alén (1978) durften sich noch nicht Weltmeister nennen. Denn der Titel eines Weltmeisters war zu dieser Zeit noch dem Gewinner der um die Automobil-Weltmeisterschaft kämpfenden Formel 1 vorbehalten.
Die Rallye-Weltmeisterschaft für Fahrer heizte den Wettbewerb an!
So wurde 1979 der Schwede Björn Waldegård erster Träger eines Fahrertitels. Ein Jahr später driftete Walter Röhrl zum Gesamtsieg der Weltmeisterschaft. Zu dieser Zeit galt ein heckgetriebenes Auto mit Saugmotor als beste Voraussetzung, um um den Titel zu kämpfen. Waldegård war mit dem Ford Escort RS unterwegs. 1979 löste Ford im Escort mit dem zwei Liter großen Cosworth BDG den 1,8 Liter großen BDE ab. Damit standen dem schwedischen Top-Piloten bis zu 250 PS Leistung zur Verfügung. Röhrl steuerte einen Fiat 131 Abarth mit einem zwei Liter großen Motor. Dessen Motor schrieben die Beobachter damals etwa die gleiche Leistung zu.
Doch die FISA wusste, dass ihre im Kern bereits in den 1950er-Jahren eingeführte Klassifizierung von Touren- und Sportwagen krankte. Besonders an der Spitze der Pyramide – bei den Le Mans-Prototypen und den Spezial-Tourenwagen der Gruppe 5 – explodierten die Kosten. Doch auch in den Gruppen 3 und 4 für GT-Fahrzeuge lief nicht alles nach den Vorstellungen der Regelhüter in Paris. Denn die Autobauer begannen, in diesen Klassen spezielle Versionen ihrer Großserienprodukte zu homologieren. Daneben stieß die Praxis, spezielle Motorsportteile als Ausstattungsvarianten zu homologieren, immer wieder für Unmut.
Fiat und Ford nutzen die Möglichkeiten des Systems – im Sinne des Reglements war das nicht!
Schon 1974 und 1975 ließen Renault und Opel ihre Coupés RENAULT 17 TS und Opel Kadett C GT/E als Spezial GT-Fahrzeuge zu. Doch beide reizten die Möglichkeiten des Systems noch nicht aus. Denn sie homologierten in ihren Fahrzeugen noch keine spezielle Motorsport-Technik. Diese Idee hatte erst Fiat. Im April 1976 erhielt der Fiat 131 Rally seine Gruppe 4-Zulassung. Der Motor des auch als Fiat 131 Abarth bekannten Autos atmete durch vier Ventile pro Zylinder. Das Beispiel machte schnell Schule. 1977 homologierte Ford den Escort RS mit einem Vier-Ventil-Zylinderkopf von Cosworth. Ende 1979 ließ die FISA den Opel Ascona 400 in dieser Klasse zu.
Diese Homologationspraxis war zwar regelkonform, sie gefiel den klassischen Sportwagen-Herstellern jedoch nicht. Denn neben dem Fiat erhielten 1976 auch der ASTON MARTIN V8, der FERRARI 308 GTB sowie der PORSCHE 911 TURBO ihre Gruppe-4-Zulassung. Die FISA begann damit, ihre Fahrzeugklassen zu überarbeiten. Am 1.1.1982 trat eine neue Struktur in Kraft, die nur noch drei primäre Klassen kannte. Die Rallye-Weltmeisterschaft schrieb die FISA für Fahrzeuge der neuen Gruppe B aus. Wer hier starten musste, der musste 200 Exemplare seines Sportgeräts innerhalb von 12 Monaten bauen. Zuvor mussten die Hersteller 400 Exemplare in 24 Monaten bauen.
Die Gruppe B veränderte das Denken der Autobauer!
Die neuen Regeln klangen ähnlich, waren aber trotzdem eine wesentliche Veränderung. Denn Autobauer wie Ferrari oder Porsche sahen keine Chance, 400 Exemplare eines eigentlich für den Motorsport konstruierten Fahrzeugs zu verkaufen. Deshalb blieb die Vorlage des Lancia Stratos, der speziell für den Sport entstand, immer unbeantwortet. Noch vor den Edelmarken entdeckten die Großserienhersteller Audi, Lancia, Peugeot und MG die neue Klasse für sich. Dort entstanden bald die Sportwagen, deren Existenz sich vor allem in der Teilnahme am Rallye-Sport begründete. Genau das war die Absicht der FISA.
Denn die Verantwortlichen wünschten sich mehr spezielle Rallye-Fahrzeuge wie den Lancia Stratos HF. Mit dem Stratos gewann Lancia 1974, 1975 und 1976 die als Markenweltmeisterschaft ausgeschriebene Rallye-WM. Doch kein anderer Autobauer nahm die Idee der Fiat-Tochter auf. So blieb der Stratos konkurrenzlos und FIAT strich seiner Tochter das Sport-Budget zusammen. Die nächsten Rallye-Erfolge sollte der Fiat 131 Rally einfahren, was mit dem WM-Titel 1980 auch gelang. Doch in der Gruppe B durfte Lancia ein Comeback feiern. Bereits im Sommer 1980 begann Fiats Sportabteilung Abarth daher mit der Konzeption eines neuen Sportgeräts.
Dabei entstand der Lancia Rally, der als Lancia 037 die Rallye-Weltmeisterschaft aufmischte!
Die Projektleitung übernahm der Ingenieur Sergio Limone. Am Projekt beteiligt waren neben der Sportabteilung Abarth auch die Dienstleister Pininfarina und Dallara. Dabei lief das Projekt unter dem Abarth-Projektkürzel SE037. Weshalb heute viele die Bezeichnung Lancia 037 mit dem Rennwagen verbinden. Doch als der Bolide seine Sportzulassung erhielt, stand „Lancia Rally (151 ARO)“ in den FISA-Papieren. Um Zeit zu sparen, nutzten die Entwickler als Ausgangspunkt die Fahrgastzelle des Lancia Beta Montecarlo. Das war, anders als oft behauptet, keine Notwendigkeit des Reglements.
Die Vorschrift, dass ein Gruppe B-Fahrzeug auf einem anderen Serienfahrzeug basieren musste, gab es nie! Im Unterschied zu seriennahen Tourenwagen der Gruppen N und A kannte die Gruppe B nie Vorschriften zum Mindestmaß des Innenraums. Vorgeschrieben war nur, dass das Auto über mindestens zwei nebeneinander platzierte Sitze verfügt. Daneben leiteten sich das Mindestgewicht sowie die zulässige Breite der Felgen vom Hubraum des Motors ab. Alle Autos, die am 31.12.1981 homologiert waren, schrieb die FISA automatisch um. So erhielten auch der Peugeot 104 und der Peugeot 504 Pick-Up eine Gruppe B-Homologation. Denn der Innenraum beider Franzosen war zu klein.
Der Mythos vom Comeback des Lancia Beta Montecarlo als Voraussetzung für den Bau des Lancia Rally ist Blödsinn!
Die Produktionspause des Lancia Beta Montecarlo in den Jahren 1978 und 1979 ging auf Bremsprobleme zurück. Denn die Vorderräder des Coupés neigten zum Blockieren. Ein Großteil der Produktion ging nach Nordamerika. Dort verkaufte Fiat das Coupé wegen des Chevrolet Monte Carlo als Lancia Scorpion. Angesichts der Bremsprobleme stellten die Verantwortlichen die Produktion des Montecarlo zeitweilig ein. Der italienische Autobauer fürchtete die US-Rechtsprechung zur Produkthaftung. Lancia löste die Probleme schließlich durch die Entfernung des Bremskraftverstärkers. Zudem überarbeitete Lancia das US-Fahrwerk, das wegen der dortigen Höhenvorschriften höher stand als bei den Beta Montecarlo für Europa.
Für den neuen Gruppe B-Boliden übernahmen die Techniker vom Lancia Montecarlo die Frontschreibe inklusive der Feuerwand. An den Rumpf schraubten die Lancia-Techniker eigenständig entwickelte Hilfsrahmen aus Stahl. Einen ähnlichen Weg sollte später Ford wählen. Beim Ford RS200 stammten die Frontschreibe sowie die Türen vom Zweitürer des Ford Sierra. Die Karosserie des Lancia Rally bestand komplett aus Kevlar und glasfaserverstärktem Kunststoff. Im Sinne optimaler Servicefreundlichkeit ließen sich die Hauben über Front und Heck komplett abnehmen. Das Mittelmotor-Layout des Montecarlo behielten die Techniker von Lancia, Abarth, Pininfarina und Dallara bei.
Im Lancia 037 erhielt der Lampredi-Vierzylinder einen Roots-Kompressor!
Doch sie drehten den Motor um 90 Grad von einer Quer- in eine Längsposition. Das brachte das Gewicht des Motors dichter ans Zentrum des Fahrzeugs. Zudem ermöglichte diese Ausrichtung eine größere Freiheit bei der Gestaltung der Aufhängungen. Die Räder des Lancia Rally führen sowohl an der Vorder- als auch an der Hinterachse Einzelradaufhängungen mit Doppelquerlenkern. Der Motor des Lancia Rally stammt im Kern aus dem Fiat 131 Rally. Im Projekt SE037 fügten die Techniker dem Aggregat, das ursprünglich Motorbaugenie Aurelio Lampredi entwarf, einen mechanischen Roots-Kompressor hinzu.
Lancia entschied sich für einen Kompressor, um die Gasannahme sanfter zu gestalten. Denn die Turbo-Fahrzeuge der Konkurrenz litten damals unter dem Turboloch. Trotz der Vorlage von Audi entschieden sich die Techniker in Italien gegen einen Allradantrieb. Im Mittelpunkt der Entwickler standen Haltbarkeit und Wartungsfreundlichkeit. Um Werkzeugwechsel bei Servicestopps zu vermeiden, gab es bei Karosserie und Fahrwerk des Lancia Rally nur Schrauben zweier unterschiedlicher Größen. So ließen sich die Sitze, die Radmuttern sowie die Stoßdämpfer mit dem Schlagschrauber ohne Austausch der Nuss lösen oder festziehen.
Nach der Serienversion Stradale folgte sofort das erste Evolutionsmodell!
Die Serienversion des Rally präsentierte Lancia vom 21. April bis zum 2. Mai 1982 auf dem Turiner Autosalon als Lancia Rally 037 Stradale. Exakt 200 Exemplare dieser Straßenversion entstanden. Anschließend baute Lancia sofort 20 Evolutionsmodelle. Die sogenannte Zehn-Prozent-Evolution sollte die zuvor übliche Praxis „Ausstattungsvarianten“ zu homologieren, die praktisch gar nicht zu bekommen waren, eindämmen. Ein Versuch, der – gelinde gesagt – in die Hose ging. Denn die Hersteller trieben die Weiterentwicklung bei ihren Evolutionsmodellen fortan noch gnadenloser voran als zuvor mit den Ausstattungsvarianten.
Sein Rallye-Debüt feierte das neue Sportgerät noch im gleichen Jahr bei der Rally Costa Smeralda auf Sardinien. Dort fielen beiden Lancia Rally mit Getriebe-Problemen aus. Auch die Auftritte in der WM waren 1982 noch nicht von Erfolg gekrönt. Nur auf Korsika und beim Finale in Großbritannien konnte Markku Alén Punkte für Lancia einfahren. Alle weiteren Starts endeten mit einem Ausfall. Doch 1983 sollte sich der neue Lancia besser sortiert zeigen. Obwohl der Fahrertitel schließlich an Audi-Pilot Hannu Mikkola ging, sicherte sich Lancia vorzeitig den Konstrukteurstitel.
Der Lancia Rally alias Lancia 037 fuhr mit Heckantrieb zum WM-Erfolg – das gab es bis heute nicht wieder!
Zum Titelgewinn trugen Walter Röhrl und Christian Geistdörfer mit drei Siegen in Monte-Carlo, Griechenland und Neuseeland bei. Markku Alén und Ilkka Kivimäki gewannen auf Korsika und bei der San Remo-Rallye zweimal. Bei der San Remo feierte Lancia sogar einen überlegenen Dreifach-Sieg. Denn auch Attilio Bettega und Maurizio Perissinot fuhren beim Gastspiel in Italien im Oktober 1983 aufs Podest. Für 1984 homologierte Lancia einen auf 2,1 Liter vergrößerten Motor. Doch letztlich war das Zeitalter des Heckantriebs in der Rallye-Weltmeisterschaft in diesen Tagen bereits zu Ende. Zum Titelgewinn war in Zukunft auch bei den Marken ein Allrad-Antrieb notwendig.
Lancia reagierte und stellte mit dem Lancia Delta S4 dem Lancia Rally bereits 1984 einen Nachfolger zur Seite. Denn inzwischen verschob der Peugeot 205 T16 nochmals die Maßstäbe des Rallye-Sports. Daher rechnete sich Lancia allenfalls bei der Rallye Korsika mit dem Lancia Rally noch Chancen aus. Doch dort verunglückte Attilio Bettega in der vierten Wertungsprüfung im Lancia 037 tödlich. Deshalb zog sich das Lancia-Werksteam von der Rallye zurück. So gewann auf der Mittelmeerinsel Jean Ragnotti im Renault R5 Maxi Turbo. Und beim Saisonfinale in Großbritannien führte Henri Toivonen den Nachfolger Delta S4 zum ersten Sieg.
Heute ist der Lancia Rally eine Ikone!
Nur bei der Safari Rallye 1986 kehrte der Lancia 037 nochmals offiziell in die WM zurück. Denn Lancia traute dem Delta S4 den Afrika-Einsatz nicht zu. Markku Alén verabschiedete den Lancia 037 mit einem dritten Platz bei der Safari Rallye aus der Weltmeisterschaft. Anschließend setzten nur noch Privatfahrer wie Giorgos Meimaridis den Lancia 037 vereinzelnd in der WM ein. Trotzdem zählt der Lancia Rally heute zu den neun Markenikonen, die beim anstehenden Neustart der Marke als Inspiration dienen. Schon das kürzlich präsentierte Konzeptfahrzeug Lancia Pu+Ra HPE zitiert den 037 mit seinen klaren Linien.
Technische Daten des Lancia Rally 037
Hubraum | 1.995 Kubikzentimeter (x 1,4 wegen des Kompressors = 2.793 Kubikzentimeter gemäß Homologation) 1984 homologierte Lancia einen Motor mit 2.110 Kubikzentimetern ( x 1,4 wegen des Kompressors = 2.955 Kubikzentimeter) |
Bohrung und Hub | 84 Millimeter x 90 Millimeter |
Getriebe | 5-Gang-Getriebe von ZF – Das Getriebe folgt dem Schema: R – 2 – 4 1 – 3 – 5 |
Abmesungen
Länge | 3967 Millimeter |
Breite über alles | 1.800 Millimeter (an der Mitte der Vorderachs 1.740 Millimeter) |
Radstand | 2.440 Millimeter |
Überhang | 895 Millimeter vorne und 632 Millimeter hinten |
Höhe über den Vordersitzen | 920 Millimeter |
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