Rennsport-Geschichten

Ouvertüre – Anglo-Swiss Racing

Frank Williams, sechs Jahrzehnte Motorsport – vom Hungerleider im Feld zum Top-Team

Frank Williams stieg in den frühen 1960er-Jahren in den Motorsport ein. Fast sechs Jahrzehnte später ist sein Team immer noch im Motorsport aktiv. Das war in der genauso wilden wie schwierigen Anfangszeit des Briten nicht zu erwarten. Damals war Frank Williams Teil des „Teams“ Anglo-Swiss Racing.

Lange vor Frank Williams mit seinem Team um die WM kämpfte war Frank Williams trickreich. Um zu verbergen, dass er kein professionelles Team betrieb, gab er seine Nennungen unter dem Namen Anglo-Swiss Racing Ab – das klang besser.
Lange vor Frank Williams mit seinem Team um die WM kämpfte war Frank Williams trickreich. Um zu verbergen, dass er kein professionelles Team betrieb, gab er seine Nennungen unter dem Namen Anglo-Swiss Racing Ab – das klang besser..

Anfang der 1960er-Jahre versucht sich Frank Williams bei Clubrennen als Rennfahrer. Doch Motorsport war auch vor 60 Jahren teuer. Dem Nachwuchspiloten fehlen die Mittel für große Sprünge. So arbeitet Williams während der Woche als Handelsvertreter für die Campbell Soup Company. Das Unternehmen kennt wegen der Bilder des Künstlers Andy Warhol heute fast jeder. Trotzdem ist der Job, den Frank Williams damals ausübte, ein hartes Brot. Williams zieht von Supermarkt zu Supermarkt, um die Fruchtdosen seines Arbeitgebers den Händlern anzupreisen.

Doch Williams bewältigt die Aufgabe mit Erfolg. Schon hier zeigt sich, dass Williams ein begnadeter Verkäufer ist. Und ihn motiviert das teure Hobby. Williams verzichtet mit Anfang 20 auf vieles, um sich auf der Strecke auszutoben. Mit den Rennfahrern Jonathan Williams, der trotz des gleichen Nachnamens kein Verwandter ist, und Piers Courage findet Frank Williams Gleichgesinnte. Auch sie leben und brennen für den Motorsport. Als Trio machen sie – alle sind Jahrgang 1942 – fortan die Motorsport-Szene unsicher.

Frank Williams und seine Freunde entdecken das europäische Festland!

Piers Courage ist Absolvent des ehrwürdigen Eton College. Das Internat galt damals wie heute als eine der teuersten Schulen der Welt. Hier gehen die Kinder der britischen Oberschicht zur Schule. Courage stammt aus einer wohlhabenden Brauerei-Dynastie. Ende der 1960er-Jahre beziffert die Presse das Familienvermögen auf mindestens 100 Millionen Pfund. Als ältester Sohn soll Piers Courage die Geschäfte der Familie übernehmen. Doch der designierte Erbe hat andere Pläne.

Courage wendet sich gemeinsam mit seinen Freunden 1964 der Formel 3 zu, die damals gerade die Formel Junior ablöst. Damals finden allein auf den britischen Inseln pro Jahr rund 75 Formel 3-Rennen statt. Auf dem europäischen Festland sieht es ähnlich aus. Wer wollte, der konnte damals locker jedes Wochenende irgendwo fahren. Während Piers Courage und Jonathan Williams ins Cockpit steigen, kümmert sich Frank Williams um die Technik und die Organisation. Bald greift der Macher Frank Williams nur noch im Ausnahmefall selbst ins Lenkrad.

Die große Anzahl der Rennen sorgt für Wettbewerb unter den Rennveranstaltern. Denn sie brauchen Teilnehmer, um das Publikum anzulocken. Also zahlen sie Fahrern und Teams Preisgelder und Antrittsprämien. Tendenziell zahlen die Veranstalter auf dem europäischen Festland sogar etwas besser als britische Promoter. Daher konzentriert sich das Trio bald auf Rennen auf dem Kontinent, wie die Briten es nennen. Der Kampf um finanziell lukrative Startplätze ist hart. Frank Williams gibt die Nennungen seiner Freunde deshalb in der Regel unter dem Teamnamen „Anglo-Swiss Racing“ ab.

Anglo-Swiss Racing war ein Fake, um mehr Startplätze zu bekommen!

Mit der Nennung unter dem Namen „Anglo-Swiss Racing“ will sich das Trio von den Privatfahrern, die unter ihrem eigenen Namen antreten, abheben. Denn die Drei finanzieren ihren Lebensunterhalt mit den Startgeldern der Rennveranstalter. Auch Piers Courage bekommt inzwischen keine nennenswerten Zuwendungen von der Familie mehr. Daher leben die Drei in dieser Zeit praktisch von der Hand in den Mund leben. An der Strecke ist ihr Renntransporter das Hotel. Mit dem professionell klingenden Teamnamen„Anglo-Swiss Racing“ wollen sie die Chancen ihrer Nennung verbessern.

Faktisch gab es nie ein Team mit dem Namen „Anglo-Swiss Racing“. Die einzige Verbindung zur Schweiz war ein Motorsport-Freund, der in Lausanne am Genfer See eine Kfz-Werkstatt betrieb. Piers Courage und Jonathan Williams finanzierten ihre Renneinsätze jeweils getrennt. Frank Williams war für beide Piloten genauso Mechaniker wie Manager. Der spätere Formel-1-Teamchef sagte später über diese Zeit, dass die Ambitionen des Trios damals nicht sehr ernsthaft waren. Denn allen Beteiligten ging es hauptsächlich darum, eine gute Zeit zu haben.

Der Freundeskreis vergrößert sich!

Zum Freundeskreis gehört mit Sheridan Thynne bald ein weiterer Eton-Absolvent, der sich ebenfalls als Rennfahrer versucht. Piers Courage und Jonathan Williams teilen sich damals mit Sheridan Thynne eine Wohnung in der Pinner Road in London. Frank Williams schläft als Dauergast auf dem Sofa der Wohngemeinschaft. Zeitweilig leben hier auch Innes Ireland, Peter Gethin sowie Anthony „Bubbles“ Horsley, der spätere Mitbegründer von Hesketh Racing. Aber eigentlich sind ja alle sowieso meist gerade auf dem Weg zur nächsten Rennstrecke.

Dort fährt das Trio zur Not schon mal mit einem Rolls-Royce vor. Das ehemalige Filmfahrzeug ist „Bubbles“ Horsley, dessen Spitzname von Piers Courage stammt, irgendwie „zugelaufen“. Bald gehören mit Charlie Crichton-Stuart und Charles Lucas, ebenfalls ein Eton-Schüler, weitere Nachwuchsrennfahrer aus besserem Hause zum Kreis um das Trio. Die Zeit prägte offenbar alle Beteiligten! Frank Williams benennt 1975 seinen Sohn Jonathan Piers nach Jonathan Williams und Piers Courage. Sheridan Thynne wird beim späteren Erfolgsteam Williams Grand Prix Finanzchef.

Courage wird Profi, Jonathan Williams zieht nach Italien … die Tage von Anglo-Swiss Racing enden!

Charles Lukas nutzt 1965 sein Familienerbe für die Gründung des Rennteams „Charles Lucas Engineering, Limited“. Für Lucas fahren Piers Courage und Jonathan Williams, die sofort die europäische Formel-3-Saison dominieren. Der Name „Anglo-Swiss Racing“ wird nicht mehr benötigt. Frank Williams verdient sein Geld jetzt mit dem Handel von Rennwagen und -Teilen. Für den deutschen Weltklassepiloten Kurz Ahrens aus Braunschweig organisiert Williams in Großbritannien regelmäßig Autos und Motoren.

1966 bekommt Charles Lucas den Auftrag, Lotus in der Formel 3 zu vertreten. Piers Courage bleibt im Team, um sich hier für ein Formel-1-Cockpit bei Lotus zu empfehlen. Jonathan Williams verlegt etwa zeitgleich seinen Lebensmittelpunkt nach Italien. Als dann noch Piers Courage heiratet, wird es für Frank Williams Zeit, auf eigenen Beinen zu stehen. Daher entsteht mit dem Rennwagen-Händler „Frank Williams Racing Cars“ ein offizielles Unternehmen. „Anglo-Swiss Racing“ ist damit endgültig Geschichte.


Lesen Sie im zweiten Teil, wie Frank Williams Anglo-Swiss Racing endgültig zurücklässt und mit „Frank Williams Racing Cars“ nach nur einem Jahr in der Formel 2 in die Königsklasse aufsteigt.

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Fabian P. Wiedl interessiert sich seit Kindestagen für Motorsport und Automobile. Als Mitverfasser mehrerer Bücher, wovon insbesondere „Audi Typenkunde: Renn- und Rallyewagen von 1968 bis 2013“ zu erwähnen ist, greift Wiedl gern auf sein umfassendes Motorsport-Archiv zurück. Tom Schwede wuchs in einem ausgesprochen automobilen Umfeld auf. Dies war ein optimaler Nährboden, um heute über Autos zu schreiben und regelmäßig am Mikrofon über Autos zu sprechen. Seit 2010 moderiert Tom bei großen Oldtimer- und Klassik-Veranstaltungen in Deutschland sowie dem angrenzenden Ausland.

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