Meinung und Kommentar

Hennessey Venom GT

Eigenständiger Supersportwagen oder doch „nur“ ein getunter Lotus Exige?

Nein, heute geht es hier nicht um einen Cognac – zumal dem ein „e“ fehlt. Statt nach Frankreich und zu Hennessy blicken wir in die USA und zu „Hennessey Performance Engineering“ (HPE). Der Tuner, der in der Nähe von Huston, Texas zu Hause ist, stellte jetzt den Hennessey Venom GT vor.

Hennessey Venom GT
Der Motorraum des Hennessey Venom GT (Foto: Supermac1961)

In Texas ist, wie ich es selbst 1997 einige Wochen erleben durfte, alles ein Stück größer. Das gilt offensichtlich auch für das Selbstvertrauen. Denn HPE rühmt sich, mit dem „Hennessey Venom GT“ das schnellste Serienfahrzeug der Welt zu bauen. Wobei das mit dem Serienfahrzeug schon so eine Sache ist. Genauso wie mit dem Geschwindigkeitsrekord. Doch der Reihe nach. Fangen wir mal mit dem Geschwindigkeitsrekord an. Zugegeben, ob ein Auto 431 km/h oder 435 km/h schnell unterwegs sein kann, das ist am Ende fast nur noch eine akademische Frage.

Die Regeln für die Anerkennung so einer Rekordfahrt sind eigentlich ganz einfach. Seit Jahrzehnten muss der Kandidat die Messstrecke innerhalb einer bestimmten Zeit zweimal durchfahren – je einmal pro Richtung. Als Geschwindigkeit gilt dann wird die Durchschnittsgeschwindigkeit aus beiden Versuchen. Gemäß dieser Regeln ist der „Bugatti Veyron 16.4 Super Sport“ mit 431,02 km/h zurzeit das schnellste Auto mit Serienzulassung. Denn der 1.200 PS starke Sportwagen erfüllte auf dem VW-Testgelände in Ehra-Lessien die Voraussetzungen für die Anerkennung des Rekords.

Vom Hennessey Venom GT kann das niemand behaupten – der Venom trat nur in einer Richtung an!

Selbst der offene Bugatti Veyron erzielt auf Grundlage dieser Bedingungen ein Tempo von freundlichen 408,8 km/h. Und in diesem Sinne ist der Hennessey Venom GT zurzeit kein Rekordträger. Denn der 1.217 PS starke Sportwagen erreichte auf der Rollbahn des Kennedy Space Centers in Florida seine Spitzengeschwindigkeit von 435,31 km/h nur einmal. Aus Sicherheitsgründen darf die Rollbahn des NASA-Geländes nur in einer Richtung befahren werden. Testfahrer Brian Smith, der den Hennessey Venom GT steuerte, konnte also nicht zur notwendigen Gegenprobe antreten.

Rekordträger kann der Hennessey so nicht werden. Falscher Ort, und so! Trotzdem macht das Video von der vermeidlichen „Rekordfahrt“ Spaß. Offenbar haben die Amerikaner den notwendigen Humor, um mit dem Thema offen umzugehen. Trotzdem bleibt die Frager, ob der Hennessey Venom GT überhaupt ein Serienfahrzeug ist! Auch beim Antworten auf diese Frage kann schnell philosophisch werden. Denn Grundlage des Sportwagens ist ein Lotus Exige. Keine schlechte Wahl. Aber damit eben immer eher ein Umbau als eine Eigenentwicklung.

Im Hennessey Venom GT schlägt ein V8-Herz

Auch wenn die Amerikaner das Aluchassis des kleinen sportlichen Briten erheblich modifizieren. Übrigens nicht in der eigenen Heimat, sondern in einer Werkstatt an der Rennstrecke von Silverstone. Der Grund für die Überarbeitung ist einfach, denn typisch amerikanisch treibt ein V8-Motor den Hennessey Venom GT an. Das setzt Platz voraus. Doch der Exige entstand ursprünglich für einen Vierzylinder-Motor von Rover (K-Serie). Seit der Rover-Pleite bestückt Lotus den Motorraum mit Toyota-Motoren. Zunächst ebenfalls mit vier Zylindern.

Erst seit 2011 gibt es bei Lotus auch den Toyota-V6, der ebenfalls im Lotus Evora S zum Einsatz kommt, auch im Exige. Hennessey schafft Platz für einen sieben Liter großen Aluminium-V8. Grundlage dieses Motors ist der V8 der Chevrolet Corvette. Von Hennessey stammt im Wesentlichen die Programmierung der Einspritzlange und die Steuerung der Turbos. Drei Leistungsstufen mit 811PS, 1.014PS und 1.217PS sind verfügbar. Per Luftfracht gehen die Motoren anschließend nach Silverstone. Dort werden die modifizierten GM-Motoren mit dem modifizierten Lotus Chassis verheiratet.

Ergeben ein modifizierter V8 von GM und ein modifizierter Lotus ein eigenständiges Autos?

Eine Fertigungskette über den Atlantik zu betreiben, das erinnert an die unglücklichen Alfa Romeo Arna und Cadillac Allanté. Doch während Cadillac und Pininfarina von dem Allanté rund 3.000 Fahrzeuge pro Jahr fertigten, plant Hennessey mit zehn Fahrzeugen pro Jahr. Zu einem Preis von 600.000 US-$ gibt es die Version mit 811 PS. Für die 1.200 PS-Version ruft Hennessey zurzeit 1.000.000 US-$ auf. Wobei Kunden aus Europa einen Rabatt von 25.000 US-$ erhalten, weil das Fahrzeug nicht per Luftfracht in die USA geliefert werden muss.

Trotzdem tue ich mich schwer, den Hennessey Venom GT als Serienfahrzeug zu bezeichnen. Im Prinzip ist und bleibt der „Amerikaner“ ein „gepimpter“ Lotus Exige. Die Situation erinnert an Ruf. Auch die Allgäuer modifizieren – wenn auch auf Basis von Rohkarosserien – Porsche-Fahrzeuge. Erst mit dem CTR3 Clubsport stellte Ruf eine Eigenentwicklung vor – die vom Porsche 911 GT2 (immer noch oder nur noch) Lenkung und Vorderwagen übernahm.

Rechtlich gilt Ruf als eigener Hersteller. Doch ohne Porsche hätten auch die Fahrzeuge von Ruf ein anderes Gesicht. Und ohne den Lotus Exige gäbe es wohl auch keinen Hennessey Venom GT. Als Serienfahrzeug würde ich den Vonom deshalb nicht bezeichnen. Eher als Umbau eines Tuners. Oder wie seht Ihr das?


Infos zum Titelbild dieses Beitrags:
Der Motorraum des Hennessey Venom GT (Foto: Supermac1961)

Foto: Supermac1961

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Als Kind der 1970er-Jahre hatte Tom das große Vergnügen, in einem ausgesprochen automobilen Umfeld aufzuwachsen. Das war der optimale Nährboden, um heute über Autos zu schreiben und regelmäßig am Mikrofon über Autos zu sprechen. Denn Tom Schwede moderiert seit 2010 bei großen Oldtimer- und Klassik-Veranstaltungen in Deutschland. So ist Tom unter anderem bei den Classic Days (früher Schloß Dyck, heute in Düsseldorf) oder dem 1.000 Kilometer-Rennen am Nürburgring zu hören. Wenn Sie also einen Moderator oder Streckensprecher für Ihre Oldtimer-Rallye oder Ihr Oldtimer-Treffen suchen, dann sind Sie bei Tom definitiv richtig!